Protokoll der Sitzung vom 10.02.2000

Die Debatte ist damit abgeschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Ich stelle zunächst den Änderungsantrag der CDU-Fraktion zur Abstimmung. - Frau Wiechmann, bitte.

Ich beantrage eine Beratung in den Ausschüssen. Das habe ich vergessen. Ich würde den Innenausschuß und den Finanzausschuß vorschlagen. Aber in den Finanzausschuß geht der Antrag ja automatisch.

Zunächst stelle ich den Änderungsantrag der CDUFraktion zur Abstimmung.

(Herr Scharf, CDU: Nein! Alles in den Ausschuß! - Frau Budde, SPD: Eigentlich dürfen wir dann nur über die Formulierung im Antrag beraten!)

- Dann bitte ich Sie, Herr Scharf, sich den Änderungsantrag der CDU-Fraktion anzusehen. In ihm steht, daß der Ausschuß darüber beraten solle. Dann überweisen wir einen Antrag in den Ausschuß, damit dieser darüber

befindet, ob er darüber berät. Wenn das so gewollt ist, dann biete ich Ihnen das so zur Abstimmung an.

Eine Ausschußüberweisung würde bedeuten, daß wir den Antrag und den Änderungsantrag in den Ausschuß überweisen. Wenn dies so gewünscht wird, dann bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Eine Stimmenthaltung. Dann ist die Ausschußüberweisung mehrheitlich abgelehnt worden.

Wir kommen zum Abstimmungsverfahren über die Anträge selbst. Wir stimmen der Reihenfolge nach ab. Wir stimmen über den Änderungsantrag ab, der einen Bericht im Ausschuß vorsieht. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Bei sechs Stimmenthaltungen ist der Antrag mehrheitlich abgelehnt worden.

Wir stimmen über den Antrag der DVU-Fraktion ab. Wer ihm zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist bei einer größeren Zahl von Stimmenthaltungen ebenfalls mehrheitlich abgelehnt worden. Damit ist die Beratung über den Tagesordnungspunkt 8 abgeschlossen.

Meine Damen und Herren! Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, nutze ich die Gelegenheit, unsere Kollegin Frau Feußner zu begrüßen und ihr zur Geburt ihres Sohnes am 11. Januar 2000 ganz herzlich zu gratulieren.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:

Beratung

EU-Grundrechtecharta - wichtiger Schritt auf dem Weg zur politischen und sozialen Union

Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 3/2658

Änderungsantrag der Fraktion der CDU - Drs. 3/2700

Der Antrag wird von dem Abgeordneten Herrn Tögel eingebracht. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Europäische Rat hat am 3. und 4. Juni des vergangenen Jahres in Köln einen Beschluß über die Erarbeitung einer Grundrechtscharta in Europa gefaßt. Damit hat die deutsche Ratspräsidentschaft einen wichtigen Schritt nach einer jahrzehntelangen Diskussion auf diesem Themengebiet gemacht und eine neue Qualität in dieser Diskussion erreicht. Am 16. September 1999 hat das Europäische Parlament ebenfalls einen Beschluß gefaßt, der die Schaffung einer europäischen Grundrechtscharta zum Inhalt hat.

Der Europäische Rat von Tampere hat am 15. und 16. Oktober des letzten Jahres den Umsetzungsbeschluß gefaßt, der vorsieht, einerseits bis zum Ende des Jahres 2000 ein entsprechendes Papier vorzulegen und andererseits ein Gremium einzusetzen, das aus 62 Personen besteht. Darin sind Vertreter der Regierungen, Vertreter des Europäischen Parlaments und ein Beauftragter der Kommission vertreten.

Die deutschen Vertreter sind Professor Meyer als Bundestagsabgeordneter, Minister Knauck, der Thüringer Europaminister, als Ländervertreter und Roman Herzog als Beauftragter der Bundesregierung.

Des weiteren haben der Europäische Gerichtshof und der Europäische Rat jeweils zwei Beobachter in dieses Gremium entsandt.

Zu hören im Laufe des Verfahrens sind der Wirtschaftsund Sozialausschuß, der Ausschuß der Regionen und der Europäische Bürgerbeauftragte. Damit ist gewährleistet, daß ein sehr breites Spektrum an Meinungsbildung bei der Erarbeitung der Europäischen Grundrechtscharta Einfluß gewinnt.

Die Europaministerkonferenz der deutschen Länder hat am 2. und 3. Dezember 1999 ebenfalls einen Beschluß gefaßt, der sich mit der Grundrechtscharta beschäftigt. Sie hat eine länderoffene Arbeitsgemeinschaft eingerichtet, die den Bundesbeauftragten im Konvent zur Erarbeitung der Grundrechtscharta auf europäischer Ebene berät. Die Arbeitsgruppe hat vorgestern getagt und ist intensiv in die Erarbeitung der Stellungnahmen zu den vorhandenen Entwürfen involviert.

Am Freitag vergangener Woche hat sich auch der Bundesrat erstmals mit einem Entwurf zur Grundrechtscharta befaßt. Er wird im März ein abschließendes Votum dazu abgeben. Der Ausschuß der Regionen wird in der kommenden Woche, am 16. Februar 2000, ein abschließendes Votum abgeben.

Damit wurde gewährleistet, daß alle Gremien die Möglichkeit hatten, sich rechtzeitig zu äußern und ihre Beschlüsse zur EU-Charta zu fassen.

Ich komme nun auf den konkreten Antrag zu sprechen. In Punkt 1 wird die Erarbeitung der Grundrechtscharta und die Einbeziehung der nationalen Parlamente und in dem Falle auch der regionalen Parlamente vom Prinzip her begrüßt; denn es ist wichtig, daß bei dieser Problematik auch die deutschen Länder einen bestellten Vertreter haben. Es ist der Thüringer Europaminister, der für die Länder die Stellungnahme mit begleitet. Das ist nach der Einführung des Artikels 23 des Grundgesetzes ein hervorragender Beweis für die Mitwirkungsmöglichkeiten der Bundesländer in Angelegenheiten der Europäischen Union.

Im zweiten Punkt haben wir einiges über die Inhalte gesagt. Dabei geht es um die Aufnahme allgemein anerkannter Grundrechte: Die Würde des Menschen soll geschützt werden, die Freiheitsrechte, die Gewissens- und Religionsfreiheit, die Chancengleichheit von Frauen und benachteiligten Gruppen sollen gewährleistet werden.

Die Grundrechte sollen weiterhin in einem spezifischen Kontext zur Europäischen Union stehen. Hier sind zum Beispiel die vier Freiheiten in den europäischen Verträgen zu verankern: freier Warenverkehr, freier Dienstleistungsverkehr, freier Verkehr von Arbeitskräften und freier Kapitalverkehr.

Die Charta soll auch zukünftige Entwicklungen aufnehmen, zum Beispiel technologische Entwicklungen im Bereich von Medizin, Umwelt, Forschung und Kommunikationstechnologie.

Ein besonderes Augenmerk richten wir Sozialdemokraten auf die Aufnahme von sozialen Grundrechten. Denn das ist ein Bereich, der in den letzten Jahrzehnten doch in erheblichem Maße vernachlässigt wurde und der, meine ich, sehr notwendig in diesen Bereich hineingehört.

Im dritten Punkt geben wir einen kleinen Ausblick. Hier ist von der Osterweiterung und von der institutionellen Reform die Rede. Dies sind Meilensteine der euro

päischen Entwicklung. Auch aus diesem Bereich dürfen wir uns als Länder nicht zurückziehen. Wir sind direkt davon betroffen.

Diese Ziele - die Osterweiterung und die institutionelle Reform - erfordern aber eine Diskussion um Ziele und Strukturen der EU in ihrer Gesamtheit. Dabei gibt es sehr viele Problemfelder. Ich will nur einige nennen. Es ist die Frage: Welchen Platz hat der deutsche Föderalismus in einem geeinten Europa? Wo sind die Grenzen Europas?

Bis zum Fall des Eisernen Vorhangs war Europa ganz klar definiert. Es reichte vom Atlantik, von der Nordsee und dem Mittelmeer bis zum Eisernen Vorhang, zur Grenze zwischen der Bundesrepublik und der DDR. Wo endet jetzt Europa?

Nach dem Gipfel von Tampere hat die Türkei den Beitrittsstatus. Wir bekommen dann das Problem, daß das Religiöse über den mitteleuropäischen Kulturkreis hinausgeht. Wo wollen wir anfangen und wo Schluß machen? Es gibt bisher darüber keine Aussagen.

Es muß auch von europäischer Seite ein Beitrag zu der Frage geleistet werden, wie mit Staaten, die irgendwann einmal an einer Grenze zur Europäischen Union liegen werden, umgegangen werden soll und welche Perspektiven und Möglichkeiten wir ihnen bieten.

Ein weiterer wichtiger Fragenkomplex ist: Welche Kompetenzen wird Europa zukünftig haben? Es gibt auch eine sehr heiße innerdeutsche Diskussion. Unter dem Stichwort „Subsidiarität“ wird sehr heiß diskutiert, was Europa darf, was Europa machen muß und was Europa nicht darf.

Ein weiterer Punkt ist die Frage der Legitimation der Europäischen Union. Ihre Legitimation muß gestärkt werden. Wir haben einen nur indirekt legitimierten Europäischen Rat, wir haben eine gar nicht demokratisch legitimierte Europäische Kommission, und die Rechte des Europäischen Parlaments lassen auch noch ein wenig zu wünschen übrig. Wir haben in diesem Bereich, meine ich, einigen Nachholbedarf, auch Nachholbedarf an Diskussion. Wir sollten uns dieser Diskussion nicht entziehen, denn wir haben, wie gesagt, durch die erweiterten Mitwirkungsrechte der Bundes-länder große Möglichkeiten.

Ich möchte noch auf einen aktuellen wichtigen Punkt verweisen. Die Europäische Union wandelt sich nach und nach von einer Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft zu einer Wertegemeinschaft. Hier stellen uns gerade die aktuellen Vorgänge in Österreich auf eine sehr harte Probe.

Ich halte es für richtig, daß die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ihre Ablehnung gegenüber der Regierungsbildung in Österreich dokumentieren. Ich halte es jedoch für problematisch, wenn die Mitgliedsstaaten und die Europäische Union mit Säbelrasseln auf diese Dinge reagieren; denn der EU sind in gewissem Maße die Hände gebunden. Sie muß sehr genau untersuchen, an welchen Stellen Österreich gegebenenfalls gegen europäische Gesetze verstößt. Nur bei Vertragsverstößen hat sie direkte Einwirkungs- und Handlungsmöglichkeiten.

(Herr Scharf, CDU: Österreich verstößt doch nicht gegen Gesetze!)

- Sie muß genau darauf achten, Herr Scharf.

Ich halte es allerdings für ein sehr schlechtes Zeichen und für sehr problematisch, wenn ich heute in der „Volksstimme“ lese, daß die CDU/CSU-Bundestagsgruppe eine Delegation unter Michael Glos nach Österreich schickt, um ihre Nähe zu dokumentieren. In dieser Hinsicht, muß ich sagen, ist das, was Herr Stoiber letztlich äußerte, sehr aufschlußreich. Für mich persönlich ist das plakative Handeln dieser Besuchsgruppe in Österreich ein großes Problem.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Ich halte es aber auch für ein Problem der Medien. Wer die Ereignisse in der letzten Zeit verfolgt hat, hat mitbekommen, welche Auswirkungen die Vorgänge in Österreich und die Reaktionen Europas darauf in der Medienlandschaft hatten. Ich halte es für sehr problematisch, wenn durch Reaktionen von außen die Medienpräsenz des Führers der FPÖ noch gesteigert wird.

In der nächsten Woche wird der Kärntener Landeshauptmann in Brüssel sein. Er wird im Rahmen des AdR an dessen Tagung teilnehmen. Ich bin sehr gespannt, welche Plattform er dort bekommen wird. Ich bedauere, daß er durch die Vorgänge der letzten Monate eine Aufmerksamkeit bekommen hat, die ihm eigentlich nicht gebührt. Wir haben im Ausschuß der Regionen bereits zweimal das eher zweifelhafte Vergnügen gehabt, Herrn Haider zu erleben. Ich war von der Art und Weise, wie er dort agiert hat, schon sehr betroffen.

(Herr Kuntze, CDU: Herr Tögel, bei welchem Thema sind wir hier eigentlich?)

Ich bin sehr gespannt, wie er sich in der nächsten Woche im Ausschuß der Regionen aufführen wird.

Meine Damen und Herren! Wir haben einen Änderungsantrag der CDU vorliegen. Wir werden diesen Änderungsantrag ablehnen. Wir sind auch gegen eine Überweisung, in welchen Ausschuß auch immer, weil klar ist: Der einzige Unterschied zwischen Ihrem und unserem Antrag ist der Grundunterschied hinsichtlich der Aufnahme von sozialen Rechten und anderen Dingen in einen verfassungsähnlichen Vertrag oder in diesem Fall in die Grundrechtscharta.

Diese Diskussion haben wir bei der Landesverfassung und bei der Grundgesetzreform geführt.

(Herr Gürth, CDU: Es gibt mehr Unterschiede!)