Protokoll der Sitzung vom 10.02.2000

Unverbindlichkeiten lehnen wir ab. Daher auch der Vorschlag unter Punkt 2 unseres Änderungsantrags, hierzu entsprechend zu prüfen.

Den Punkten 1 und 3 des SPD-Antrages stimmen wir zu.

Wir haben eine Überweisung des Antrags vorgeschlagen, um darüber zu diskutieren, erst recht, da zu Punkt 3 schon ein entsprechender Antrag des Wirtschaftsausschusses vorliegt, die Landesregierung berichten zu lassen.

Sie wollen dem nicht zustimmen. Unsere Bitte ist allerdings, sich das noch einmal zu überlegen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU)

Für die PDS-Fraktion spricht jetzt die Abgeordnete Frau Tiedge. Bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einer Hochglanzbroschüre, herausgegeben vom Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, heißt es unter anderem - ich zitiere -:

„Schließlich ist die Europäische Union mehr als die Summe ihrer Bestandteile. Die Mitgliedstaaten haben sie geschaffen, um die Probleme an

zupacken, die sie im Alleingang nicht in den Griff bekommen können.

Darum geht es. Die Europäische Union ist eine Gemeinschaft der Chancen und nicht der Beschränkungen.“

Einmal abgesehen davon, daß wir der Auffassung sind, daß die EU von diesen hehren Zielen noch ein ganzes Stück entfernt ist, ist die Grundrechtecharta ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung. Noch vor einigen Jahren war dieser Durchbruch kaum denkbar. Bereits im Jahr 1995 hat die PDS-Gruppe im Bundestag einen diesbezüglichen Antrag eingebracht - leider ohne Erfolg. Im Bundestag waren damals keine Mehrheiten dafür zu bekommen. Aus der Begründung zu diesem Antrag möchte ich zitieren:

„Die in der Europäischen Union lebenden Menschen müssen die Möglichkeit haben, ihre Gegenwart und Zukunft auf sozialem, kulturellem, wirtschaftlichem und politischem Gebiet in ihren Regionen, Staaten und der EU mitzugestalten. Nur so wird ein friedliches, sozial gerechtes, demokratisches und umweltbewahrendes Europa als gleichberechtigter Teil dieser einen Welt ohne Nationalismus und Fremdenhaß möglich.“

Ein gewichtiger Grund dafür, daß nunmehr die Grundrechtecharta erarbeitet wird, ist die Tatsache, daß mit der materiellen Gewährleistung des Grundrechtsschutzes durch die Rechtsprechung und durch die vertragliche Gewährleistung in der Generalklausel die Einigung an den Grenzen des Richterrechts angelangt ist.

Die Verbreitung der europäischen Gesetzgebung hat in den einzelnen Ländern große Ausmaße angenommen. 70 bis 80 % der Entscheidungen, die getroffen werden, werden nicht mehr nationalstaatlich entschieden, ob im Binnenmarkt, im Agrarmarkt oder hinsichtlich der europäischen Währung. Nicht festgeschrieben sind die Rechte der Bürger gegenüber den EU-Organen. Die EU hat immer mehr Kompetenzen erhalten, der einzelne Bürger nicht.

Dieses Rechtsvakuum auszufüllen ist eine der Grundanforderungen an die Grundrechtecharta. Im Sommer 1999 hat der Rat in Köln den entsprechenden Beschluß gefaßt. Der Konvent konstituierte sich am 17. Dezember 1999. Zum Vorsitzenden wurde Roman Herzog gewählt. Der Konvent besteht aus 62 Personen, wobei sich die linke Fraktion im EU-Parlament aktiv einbringt. So ist die PDS-Abgeordnete Frau Sylvia-Yvonne Kaufmann im Konvent direkt vertreten.

Am stärksten umstritten ist die Frage der unmittelbaren juristischen Geltung der Charta. Die Staats- und Regierungschefs der EU wollen die EU-Grundrechtecharta lediglich feierlich proklamieren. Ziel des Europäischen Parlaments ist es aber, gemeinsame Grundrechte rechtlich verbindlich und somit einklagbar festzuschreiben.

Neben den Freiheits- und Grundrechtsfragen geht es auch der PDS vor allem um die Verankerung sozialer Grundrechte, wie des Rechts auf Bildung, des Rechts auf Gesundheit sowie des Rechts auf soziale Mindestsicherung. Auch aus diesem Grunde lehnen wir den Änderungsantrag der CDU-Fraktion ab.

Nach wie vor krankt die Europäische Union an ungenügender demokratischer Legitimation. Die PDS fordert eine Aufwertung des Europäischen Parlaments im politischen Entscheidungs- und Gesetzgebungsprozeß, da

es die einzige EU-Institution ist, deren Zusammensetzung die Bürgerinnen und Bürger durch demokratische Wahlen direkt bestimmen. Die geringe Wahlbeteiligung bei den Europawahlen zeigt jedoch, daß die Bürger die EU nicht verstehen und nicht als Wert an sich erfassen können. Möge die EU-Grundrechtecharta dazu beitragen, daß sich diese Einstellung verändert.

Wir hoffen, daß die Grundrechtecharta nicht zur leeren Worthülse verkommt und daß die Menschen sie annehmen, aber vor allem, daß die Staaten danach handeln. Deshalb werden wir den SPD-Antrag auch direkt annehmen. Eine Überweisung in den Ausschuß halten wir nicht für angebracht.

(Zustimmung bei der PDS und bei der SPD)

Für die DVU-Fraktion spricht die Abgeordnete Frau Helmecke.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der SPD-Fraktion befaßt sich mit einem grundlegenden Anliegen, das auf den ersten Blick vorbehaltlose Zustimmung hervorruft. Aber wie so oft liegt der Teufel im Detail. Das heißt, grundlegend wird es sein, ob die Erarbeitung einer Grundrechtecharta der große Wurf wird oder ob nur eine Einigung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner vollzogen wird.

Der damalige Bundespräsident Roman Herzog formulierte im Juli 1998, wie üblich herzöglich unverkrampft, daß Europa sich darüber verständigen müsse, was es brauche und was es wolle. Er fand für seine Bedenken und Befürchtungen zu einem europäischen Verfassungsprojekt oder zumindest einer europäischen Grundrechtecharta den bildhaften Ausdruck, daß ein solches Werk mit einem Berg vergleichbar sei, der entweder eine Maus oder ein europäisches Monster gebäre.

Diese Bedenken und diese Sorgen sind auch deshalb nicht von der Hand zu weisen, weil Vorbehalte innerhalb Europas zwischen den nach außen einheitlich auftretenden Mitgliedern der Gemeinschaft gegeben sind und diese im Innern der Mitgliedstaaten - auch aufgrund nationaler Interessen und Besonderheiten - zu Konflikten führen, die oft mühsam verdeckt werden.

Weniger integrationsfreundliche Mitgliedstaaten stehen dieser Grundrechtecharta skeptisch oder gar ablehnend gegenüber. Das dürfte auch deshalb nicht verwundern, weil nicht unbekannt geblieben ist, daß in der Bundesrepublik Deutschland, die zu den treibenden Kräften für eine EU-Grundrechtecharta gehört, die Verfassungsdiskussion im Zuge der deutschen Vereinigung in den Ansätzen steckengeblieben ist bzw. unerwünscht war.

Natürlich könnte die EU-Grundrechtecharta ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zur Verfaßtheit der EU sein, das heißt, eine verfassungsähnliche Verankerung folgen lassen. Wenn Rechte nicht nur feierlich verkündet, sondern auch für jeden Bürger einklagbar werden, würde hiermit ein wesentlicher Fortschritt erreicht.

Aber allein der Begriff der sozialen Grundrechte ist problematisch. Was wird aufgenommen und was wird verhindert? Meine Damen und Herren! Gerade hieran wird deutlich, daß die politische und die Wirtschaftsunion im Eiltempo durchgezogen wurden.

Es wird auch immer stärker sichtbar, daß das Fehlen von Volksabstimmungen zu wesentlichen Entscheidungen, wie zum Beispiel zum Maastrichter Vertrag, in der Mehrzahl der Länder das bestehende Mißtrauen nicht abbaute. Dieses Mißtrauen ist doch aber nur zu beseitigen, wenn die Bevölkerung der Mitgliedstaaten auch die Möglichkeit des Mitwirkens und im Zusammenhang damit das Recht erhält, darüber abzustimmen. Eine derartige gesetzlich verankerte Verfahrensweise würde vor allem absichern, daß sich die Menschen in den Mitgliedstaaten mit einer derartigen Grundrechtecharta identifizieren.

Lassen Sie mich eine Bemerkung anknüpfen. Was nützt eine Grundrechtecharta, was nützt die Abstimmung darüber, wenn, wie in diesen Tagen geschehen, 14 EUStaaten Maßnahmen ergreifen, um die bilateralen politischen Kontakte zu Österreich einzufrieren, und das, weil Wähler in einer demokratischen Entscheidung den Weg für eine neue, andere Regierung ebneten?

Der sicherste Ausweg aus diesem Dilemma wäre für die 14 EU-Staaten, in diesem wie in künftigen Fällen so lange Neuwahlen ansetzen zu lassen, bis die ihnen genehme Regierung zustande kommt. Ob dieses Verfahren dann einer EU-Grundrechtecharta entspricht, ist mehr als fraglich.

(Zustimmung von Frau Wiechmann, DVU)

Aber in diesem Hohen Hause wollte Herr Dr. Fikentscher den Frieden herbeibomben. Im Volksmund nennt man das einen „Bomben-Typ“.

(Zustimmung von Frau Wiechmann, DVU)

Sicherlich entsprach er damit dem heute vorliegenden Antrag der SPD.

Der CDU-Änderungsantrag ist unserer Meinung nach der weitergehende. Er entspricht in stärkerem Maße unseren Vorstellungen, da er teilweise auch unsere Vorstellungen und Forderungen beinhaltet. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der DVU)

Für die SPD-Fraktion hätte Herr Tögel noch einmal die Gelegenheit zu sprechen. - Er verzichtet. Damit ist die Debatte beendet. Wir kommen zum Abstimmungsverfahren.

In diesem Zusammenhang möchte ich von Ihnen, Dr. Sobetzko, eine Aussage. Sie haben von der Diskussion im Ausschuß gesprochen, ohne expressis verbis eine Ausschußüberweisung zu beantragen. War das damit gemeint?

(Herr Dr. Sobetzko, CDU: Überweisung in den Ausschuß!)

Dann ist das das erste, worüber wir abstimmen müssen. Wer einer Ausschußüberweisung beider Anträge - es ist sicherlich der Ausschuß für Recht und Verfassung gemeint

(Herr Dr. Sobetzko, CDU: Ja!)

zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei einer größeren Zahl von Enthaltungen ist die Ausschußüberweisung mit deutlicher Mehrheit abgelehnt worden.

Dann stimmen wir über die einzelnen Anträge gesondert ab. Ich stelle zuerst den Änderungsantrag der CDU

Fraktion zur Abstimmung. Wer diesem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Antragsteller stimmen ihrem Änderungsantrag zu. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei einer größeren Zahl von Enthaltungen ist dieser Änderungsantrag mit großer Mehrheit abgelehnt worden.

Wir stimmen jetzt über den ursprünglichen Antrag der SPD-Fraktion ab. Wer diesem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist bei einer Stimmenthaltung und bei einer größeren Zahl von Gegenstimmen mit Mehrheit angenommen worden. Damit ist der Tagesordnungspunkt 9 abgeschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:

Beratung

Konzept zur Reform der Landesverwaltung

Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 3/2660

Der Antrag wird eingebracht vom Abgeordneten Herrn Dr. Bergner. Bitte schön.