Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne hiermit die 36. Sitzung des Landtages von SachsenAnhalt der dritten Wahlperiode und begrüße Sie an diesem Morgen auf das herzlichste.
Meine Damen und Herren! Wenn jeder seinen Platz gefunden hat, setzen wir die 19. Sitzungsperiode fort.
Wir haben im Ältestenrat vereinbart, am heutigen Morgen zuerst den Tagesordnungspunkt 15 zu behandeln. Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:
Dieser Entwurf wird eingebracht vom Abgeordneten Herrn Ernst von der SPD-Fraktion. Bitte, Herr Ernst.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn einen kurzen Abriß zur Geschichte dieses Gesetzentwurfes darlegen.
Im Jahre 1992 legte der Wissenschaftsrat seine Empfehlungen für unser Land Sachsen-Anhalt vor. Darin war die für unsere Bevölkerungszahl, unsere Landesgröße notwendige und auch unserer wissenschaftlichen Vergangenheit entsprechende zukünftige Hochschullandschaft aufgezeichnet. Von 44 000 flächenbezogenen Studienplätzen als Ausbauziel für das Jahr 2005 war die Rede. Die Anzahl der Hochschulen und auch ein entsprechendes Fächerspektrum wurden empfohlen. Das Land tat seinerzeit gut daran, diesen Empfehlungen zu folgen; als Momentaufnahme waren sie richtig.
Dazu wurde im Jahre 1993 ein Hochschulgesetz verabschiedet, dem die damals oppositionelle SPD zwar insgesamt nicht, aber in den Punkten, die wir heute zu ändern vorschlagen, durchaus zustimmte. Denn es trat eine Entwicklung ein, die zwar in sich logisch ist, in den Jahren 1992 und 1993 aber nicht unbedingt zu erwarten war.
Ich möchte auf die beiden wichtigsten Aspekte hinweisen: Die Zahl der Studierenden an unseren Hochschulen hinkte praktisch von Anfang an den Planzahlen hinterher. Das heißt, jede Hochschule in SachsenAnhalt war und ist außerordentlich daran interessiert, Studierende zu bekommen. So entstanden immer neue Studiengänge bei grundsätzlicher Beibehaltung des Bestehenden. Darauf achtete auch der Senat. Dies sollte zur Erhöhung der Attraktivität der jeweiligen Hochschule führen und führte auch dazu. Aber der Abstand zwischen geplanter Studentenzahl und der Zahl der tatsächlich Studierenden schmolz nicht.
Dazu kam - das ist der zweite Aspekt - in den neuen Bundesländern ein Rückgang besonders bei den ingenieurtechnischen Studiengängen.
In der Mitte der letzten Legislaturperiode verlegte daraufhin das Kultusministerium die Zielzahl 44 000 nach hinten, und zwar auf das Jahr 2010. Man flachte sozu
sagen die Steigerungskurve ab. Trotzdem mehrten sich seit jener Zeit die Stimmen, daß eine Korrektur der Zielzahl und damit auch des Standes der erreichten Ausbaustufe notwendig sei. Man erkannte damals schon, daß zur notwendigen Umsetzung von Neuplanungen auch andere Instrumente notwendig sind.
Mag es der damals bevorstehende Wahlkampf gewesen sein, mag es die Hoffnung auf ein schnelles Umkehren des Umstandes gewesen sein, daß mehr Landeskinder außerhalb Sachsen-Anhalts studieren als Auswärtige bei uns in Sachsen-Anhalt - keine Fraktion bemühte sich zum Ende der vergangenen Legislaturperiode ernsthaft um entsprechende Einschnittsmöglichkeiten.
- Diese Kritik war ja schon enthalten. Jetzt kommt die Kritik an den Hochschulen. Auch die Hochschulen haben nicht entsprechend reagiert.
- Herr Bergner, Sie müssen zuhören. - Auch die Hochschulen haben nicht entsprechend reagiert. Ihnen muß auch - immer wieder dieses „auch“ - klar gewesen sein, daß die Entwicklung, wie sie sich abzeichnete, dringend einer Korrektur bedarf. Seit 1997 wußte man dort auch genauer über die demographische Tragödie bescheid, die uns bevorsteht.
Aber was geschah? - Die Einrichtung neuer Studiengänge schien sich, aus meiner Sicht jedenfalls, noch zu beschleunigen, und, vorsichtig gesagt, vieles davon ergab zwar für die jeweilige Hochschule durchaus einen Sinn - das bestreite ich nicht -, aber 40, 60 oder 80 km daneben gab es diesen Studiengang schon, mit teilweise ebenfalls geringen Studierendenzahlen.
So ergab sich für Sachsen-Anhalt das Bild, daß wir im Vergleich zu anderen Bundesländern viel Geld für wenige Studierende ausgeben.
Auch die Fachbereichsvielfalt erscheint heute, nach acht Jahren, in einem anderen Licht. Aber das ist natürlich, wenn man akzeptiert, daß Hochschulentwicklung ein Prozeß ist.
Aus diesen Bemerkungen insgesamt ist jetzt zu folgern: Wir müssen uns die Hochschulplanung ansehen, und wir müssen uns vergewissern, ob wir die richtigen Instrumente zur Umsetzung dieser Planung haben.
Zur Planung nur soviel: Die Landesregierung beschäftigt sich bekanntermaßen intensiv mit einer Kabinettsvorlage des Kultusministeriums, die dieses Thema aufgreift. In der Presse ist darüber schon berichtet worden. Zeitgleich gibt es die Große Anfrage der CDU-Fraktion, mit der wir uns in nächster Zeit ebenfalls beschäftigen werden.
Aus der Fragestellung dieser Anfrage ist unschwer zu erkennen, daß auch die CDU-Fraktion dringenden Handlungsbedarf sieht. Natürlich ist sie gegen die von uns im vorliegenden Gesetzentwurf aufgezeigten Instrumente. Das ist aber immerhin schon etwas; bei der letzten Gesetzesnovelle war sie nicht von der Notwendigkeit dieses Gesetzes zu überzeugen. Also sind wir da schon einen Schritt weiter. Das läßt für die Gesetzesberatung im Ausschuß hoffen.
Kommen wir nun zu dem Gesetz. Zu Beginn eine Analyse des Ist-Standes: Welchen Einfluß haben Legislative und Exekutive eigentlich bisher? Jetzt geht es nur um die Einwirkung von außen. Diesbezüglich haben wir im Grunde nur den § 5 Abs. 3. Danach kann das Kultusministerium nur auf Kommissionsvorschläge hin tätig werden, und dazu hatten wir in der letzten Legislaturperiode den wissenschaftlichen Beirat mit den bekannten Ergebnissen. Uns, also des Landtages, bedurfte es nur bei der Zusammenlegung und Schließung von Hochschulen und natürlich bei der Verabschiedung des Haushaltsplanes.
Es zeigte sich aber: Nur mit dem Instrument einer verminderten Finanzzuweisung und der Nichtberufung läßt sich keine vernünftige Strukturpolitik machen - ein Standpunkt, den die Hochschulen teilen.
Was brauchen wir also? Konsensfähige Hochschulplanungen. Und hier taucht zum erstenmal das Wort „Konsens“ auf; denn auf dieser Grundlage baut der Gesetzentwurf auf: Konsensfähigkeit und Konsenswillen. Ohne diese Grundlage, die von beiden Seiten, vom Kultusministerium und von den Hochschulen, gefordert wird, taugt das Gesetz nichts, werden wir nicht das erreichen, was wir erreichen müssen.
Ich möchte fast sagen, es besteht eine Pflicht für beide Seiten, zu einem Konsens zu finden. Es ist auch für beide Seite günstiger - ich betone: für beide Seiten -, einen Konsens, sprich eine Zielvereinbarung zu unterschreiben, für die Hochschulen aufgrund der Existenz des § 66 Abs. 4 und für das Kultusministerium, weil ihm nun wirklich nichts daran gelegen sein kann, permanent unpopuläre Entscheidungen allein auf seinen Schultern zu tragen.
Der vorliegende Gesetzentwurf hat folgende Schwerpunkte: die Qualifizierung der Aufgabenverteilung zwischen Ministerium und Hochschule, die Einbeziehung der außeruniversitären Einrichtungen und damit von Teilen der Wirtschaft in Planungsüberlegungen, die Verbesserung des Zusammenwirkens der Hochschulen untereinander und mit dem Kultusministerium, die Erweiterung der personellen Flexibilität durch Abordnungen und Versetzungen, die Stärkung der Leitungsstruktur in den Hochschulen. Ferner beschäftigt sich das Gesetz mit der Problematik Stendal als Hochschulstandort.
Diese Schwerpunkte lassen erkennen, daß sich der Gesetzentwurf an den Erfordernissen orientiert bzw. die bisher gängige Praxis auf eine rechtliche Grundlage stellt.
Nun bin ich nicht blauäugig und kann auch lesen. So bin ich durchaus darüber informiert, daß der Gesetzentwurf im Moment nicht nur Freunde hat. In der Diskussion taucht immer wieder der § 66 Abs. 4 auf, der besagt - ich zitiere diesen Absatz mit Ihrer Erlaubnis -:
„Soweit Zielvereinbarungen gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 oder für verbindlich erklärte Empfehlungen gemäß § 5 Abs. 4 Satz 2 oder vom Ministerium bestätigte Entwicklungsplanungen für den betroffenen Arbeitsbereich nicht vorliegen, kann das Ministerium anordnen, daß die Verteilung der der Hochschule zugewiesenen Stellen und Mittel, die Ausschreibung, die Festlegung des fachlichen Profils und die Besetzung von Stellen sowie die Einrichtung, Änderung und Aufhebung von Studiengängen und Hochschuleinrichtungen
einer Genehmigung des Ministeriums bedürfen. Diese kann aus Gründen der Zweckmäßigkeit versagt werden, wenn dies zur Wahrung staatlicher Belange erforderlich ist. Im übrigen gilt Absatz 1 Sätze 2 bis 5 entsprechend.“
In diesem Zusammenhang wird von Kritikern immer von der nicht vorhandenen sogenannten gleichen Augenhöhe gesprochen. Aus meiner Sicht ist sie vorhanden, von seiten der Hochschulen, um den § 66 Abs. 4 nicht zur Anwendung kommen zu lassen, und von seiten des Ministeriums - ich sagte es bereits -, um nicht permanent allein unpopuläre Entscheidungen treffen zu müssen. Das ist ein Umstand, der von den Hochschulen häufig vergessen wird.
Ich bitte alle Kritiker, diesen Absatz sehr genau zu lesen. Es ist ein Dreistufenverfahren vorgesehen, das aus meiner Sicht keinen Platz für eine befürchtete Willkür seitens des Kultusministeriums läßt.
Entscheidend ist doch eher, wie die Zielvereinbarungen aussehen werden, die beide Seiten unterschreiben müssen. Ich denke, die Zielvereinbarungen müssen Verabredungen über Ziele und Maßnahmen in Schwerpunktbereichen treffen unter Einbeziehung der Produktinformation einerseits und der Information über die staatliche Finanzierung innerhalb eines bestimmten Zeitraums andererseits. Themen der Vereinbarungen sind Hochschulentwicklung, Lehre und Studium, Forschung und Wissenstransfer, wissenschaftlicher Nachwuchs, wissenschaftliche Weiterbildung und Dienstleistungen, Internationalisierung von Forschung und Lehre sowie Frauenförderung.
Die Vereinbarungen müssen den Schritt von der Detailsteuerung zur notwendigen Globalsteuerung vollziehen, und sie müssen als ein dynamischer Prozeß betrachtet und verstanden werden. Wir müssen also von der staatlichen Detailaufsicht hin zu ergebnisorientierten Kontrakten kommen. Daß dies ein intensiver Lernprozeß für beide Seiten wird, denke ich, ist zumindest jedem Beteiligten klar. Und es wird, fürchte ich, für diesen oder jenen durchaus auch mal ein schmerzhafter Prozeß sein.
Dieser Absatz sowie die Paragraphen, die sich mit Abordnungen und Versetzungen von Hochschulpersonal innerhalb der Hochschulen und auch in andere Einrichtungen beschäftigen, bilden das Kernstück des Entwurfs.
Eines ist klar: Wenn es Strukturkorrekturen geben muß, ist davon immer das Personal betroffen. Hierbei müssen alle Beteiligten um intelligente Lösungen bemüht sein. Es darf nicht dazu kommen, daß, um mit den Worten eines Journalisten zu sprechen, der Kropf an der halleschen Universität von 200 auf 700 anwächst. Daß dies nicht geschieht, ist Ziel diese Gesetzes.
Mit der Regelung in § 116 Abs. 5 kommen wir einer alten Forderung der Hochschulen entgegen, daß ihnen eine gesicherte Finanzzuweisung über mehrere Jahre garantiert wird, natürlich nur aufgrund von Zielvereinbarungen. Wir müssen den Hochschulen die Sicherheit geben, daß es sich für sie lohnt zu sparen.
Ein weiterer Schwerpunkt im Gesetz ist, daß mit den Änderungen in den §§ 41, 78 und 116 die Leitungsstrukturen in den Hochschulen gestärkt werden. Auf diesem Weg erhalten die zentralen Organe, insbesondere das Rektorat und der Senat, bessere Möglichkeiten, Beschlüsse zur Strukturentwicklung umzusetzen. Sie können Planungen, die die Fachbereiche betreffen,
für verbindlich erklären sowie personalplanerische Maßnahmen in dem erforderlichen Umfang wahrnehmen.
Meine Damen und Herren! Sie werden bemerkt haben, daß ich Sie mit einer detaillierten Darstellung der Paragraphen verschont habe. Dazu haben wir im Ausschuß mehr Zeit, und das ist, glaube ich, auch der bessere Ort.
Ich denke, insgesamt ist es ein guter Entwurf geworden zu einer außerordentlich schwierigen Problematik, der wir uns aber dringender denn je annehmen müssen.
Nur mit der Verbesserung unseres Mitteleinsatzes für den Hochschulbereich werden wir die Wirkung der Wissenschaft für unser Land und zugleich die Attraktivität unserer Hochschulen erhöhen. Dazu ist der Gesetzentwurf Chance und Instrument gleichermaßen.
Ich bitte um Überweisung in den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft zur federführenden Beratung sowie in den Finanzausschuß. - Schönen Dank.
Vielen Dank, Herr Ernst. - Vor der vereinbarten Debatte der Fraktionen hat Herr Minister Dr. Harms um das Wort gebeten. Bitte, Herr Minister Harms.