Protokoll der Sitzung vom 10.03.2000

Vielen Dank, Herr Ernst. - Vor der vereinbarten Debatte der Fraktionen hat Herr Minister Dr. Harms um das Wort gebeten. Bitte, Herr Minister Harms.

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Grundzüge des Gesetzentwurfes der SPD-Fraktion hat Herr Ernst dargestellt. Ich möchte, um Wiederholungen zu vermeiden, nur auf einige wesentliche Punkte eingehen.

Lassen Sie mich vorausschickend folgendes sagen: Die Landesregierung ist der Auffassung, daß die Bildungs-, Wissenschafts- und Innovationspolitik einer der Kernpunkte und Schwerpunkte der Landespolitik sein muß, und versteht diese als vorausschauende Gesellschaftspolitik. Dies ist wichtig, um auch einigen Spekulationen entgegenzutreten, die im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf öffentlich geäußert wurden.

In der ersten Lesung des Gesetzentwurfs steht naturgemäß die Frage im Mittelpunkt: Warum und warum jetzt ein solches Gesetz?

Der Auf- und Ausbau der Wissenschaftslandschaft im Lande Sachsen-Anhalt ist im wesentlichen auf der Grundlage der Empfehlungen des Wissenschaftsrats von 1992 vollzogen worden. Acht Jahre später halte ich es für durchaus angemessen, diese Planungsgrundlagen zu überprüfen und vor allen Dingen die Entwicklungsperspektiven vom heutigen Erkenntnisstand aus zu definieren.

Dies betrifft zunächst die quantitative Seite, die im Jahr 1992 aufgrund von nicht bekannten oder nicht gewichteten Punkten anders definiert wurde. Ich nenne in diesem Zusammenhang die demographische Entwicklung, das Studienwahlverhalten und die Wanderungsbewegung. Alles dies macht eine Korrektur auch von Zielzahlen notwendig.

Die Aufgabe der nächsten Zukunft ist es, durch eine Feinsteuerung bestehende oder neu entstandene Verwerfungen abzubauen und gleichzeitig den Hochschulbereich auf innovative und entwicklungsfähige Bereiche zu konzentrieren und attraktiv zu halten.

Was unter dem Vorzeichen von 44 000 gebauten Studienplätzen im Sinne der Abdeckung aller wissenschaftlichen Fächer und zugleich einer gleichmäßigen Entwicklung der Regionen und der Versorgung der Regionen des Landes anstrebenswert erschien, kann bei einem verminderten Volumen durchaus zu einer Verzettelung der Kräfte führen. Deshalb benötigen die Hochschulen und das Ministerium Instrumente und Grundlagen, um mit diesen Fragestellungen umzug ehen.

Dabei kommt ein Aspekt ins Spiel, der mit den eben dargestellten Korrekturnotwendigkeiten nichts zu tun hat, nämlich die deutschlandweite aktuelle Debatte über das Verhältnis von Staat und Hochschule, über den verständlichen Wunsch der Hochschulen nach Autonomie und mittelfristiger Planungssicherheit und über den genauso verständlichen Wunsch des Gesetzgebers und der Landesadministration - hierbei handelt es sich im Grunde um eine Notwendigkeit - nach nachprüfbaren qualitativen und quantitativen Leistungen der Hochschulen in Lehre und Forschung.

Dieser Debatte entspringt das Instrument der Zielvereinbarung, das künftig ein wesentliches Steuerungselement im Verhältnis Land/Hochschule, aber auch im Verhältnis zum Parlament werden wird. Ich halte es für richtig, wenn der Gesetzgeber die Landesregierung mit den Kompetenzen versieht, über die die Ministerien und Landesregierungen aller anderen Länder der Bundesrepublik Deutschland auch verfügen.

Da es ein Interesse des Landes zur Entwicklung der Wissenschaftslandschaft gibt, welches dem individuellen Blickwinkel der einzelnen Hochschule naturgemäß verschlossen ist, nämlich die Planung einer Wissenschaftslandschaft für das gesamte Land, müssen die Entscheidungsstrukturen auf allen Ebenen gestärkt und handlungsfähig gemacht werden. Das kann meines Erachtens - Herr Ernst hat das zu Recht erwähnt - nicht nur über die jährlichen Haushaltsberatungen passieren, denn die Haushaltsberatungen - das wissen alle Fachpolitiker in dieser Runde - sind den Inhalten gegenüber zumeist gleichgültig.

Unter diesen Aspekten sehe ich die Zielrichtung dieses Gesetzentwurfes im wesentlichen unter sechs Punkten:

Erstens rechtliche Klärung der Situation des Standortes Stendal,

zweitens Stärkung der Senate und Rektorate,

drittens Übertragung von Aufgaben vom Kultusministerium auf die Hochschulleitungen, beispielsweise die Genehmigung von Prüfungsordnungen,

viertens größere Transparenz bei Ausschreibungen, bei der Hochschulentwicklungsplanung, bei der Aufstellung von Zielvereinbarungen auch im innerhochschulischen Prozeß der Beschlußfassung,

fünftens eine Einigungspflicht; ich will hier ganz deutlich betonen, daß es sich bei den Hochschulen nicht um nachgeordnete Bereiche der Landesverwaltung handelt, sondern um eigenständige Körperschaften; und

sechstens ein Genehmigungsvorbehalt des Ministeriums in den Fällen, in denen eine Einigung nicht möglich ist.

Ich halte alle diese Punkte für richtig und notwendig. Die Diskussion der letzten Tage hat gezeigt, daß wesentliche Teile des Gesetzentwurfes der SPD-Fraktion konsensfähig sind. Die Diskussion konzentriert sich im wesentlichen auf zwei Punkte, nämlich zum einen

auf § 43 Abs. 2 - die Ausschreibung im Benehmen mit dem Kultusministerium - und zum anderen auf § 66 Abs. 4.

Bei der Formulierung des § 43 Abs. 2 bitte ich zu bedenken, daß bei dieser Vorlage ganz deutlich im Mittelpunkt steht, daß alle Seiten über Entwicklungen rechtzeitig informiert werden. Es geht um die Benehmensherstellung. Sich ins Benehmen zu setzen heißt, ich muß den anderen informieren, ich muß seine Einwände zur Kenntnis nehmen, ich muß diesen Einwänden nicht folgen. Die Selbständigkeit der Hochschule bleibt unangetastet; allein die Administration ist informiert und kann ihre Bedenken zu einem frühen Zeitpunkt äußern.

Die kontrovers diskutierte Änderung des § 66 Abs. 4 muß meines Erachtens im Zusammenhang mit den Regelungen anderer Länder gesehen werden. Ich zitiere einige davon. Das bayerische Hochschulgesetz sagt:

„Bei Nichterfüllung der Verpflichtungen der Hochschule kann das Staatsministerium diese zur Durchführung der notwendigen Maßnahmen auffordern. Kommt die Hochschule binnen einer ihr gesetzten angemessenen Frist den Anordnungen nicht nach, kann das Staatsministerium die notwendigen Maßnahmen an Stelle der Hochschule verfügen und vollziehen.“

Nun kann man sagen, gut, das ist der schwarze Süden. Ich gehe ins Saarland, ein Land, das bis vor kurzem sozialdemokratisch regiert war. Im dortigen Hochschulgesetz heißt es:

„Das Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft kann die Universität aus wichtigem Grund auffordern,

1. eine Fakultät zu errichten oder aufzuheben oder die Abgrenzung von Fakultäten zu ändern,

2. wissenschaftliche Einrichtungen, Betriebseinheiten oder Kompetenzzentren zu errichten, aufzuheben oder ihre Aufgabe zu ändern,

3. einen Studiengang einzurichten, aufzuheben oder zu ändern sowie

4. Prüfungsordnungen zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern.

Kommt die Universität der Aufforderung nicht innerhalb einer angemessenen Frist nach, kann das Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft die notwendigen Anordnungen an Stelle der Universität treffen.“

Ich könnte dieses ebenfalls für das nordrhein-westfälische Hochschulgesetz, für das sächsische Hochschulgesetz, für das thüringische Hochschulgesetz weiter vortragen.

Sie erkennen aus diesen Zitaten - das ist mir wichtig -, daß es sich bei der Änderung, die die SPD-Fraktion vorschlägt, keineswegs um eine Ermächtigung des Ministeriums handelt, keineswegs um Eingriffsmöglichkeiten, sondern daß wir darüber reden, was passiert, wenn man bei der Diskussion über die Frage der Zielvereinbarung nicht zu einer Einigung kommt. In diesen Fällen muß geklärt werden, wer dann über diese Punkte entscheidet.

An dieser Stelle haben wir im SPD- Gesetzentwurf eine außerordentlich und einmalig liberale Regelung. Dann

nämlich gibt es einen Genehmigungsvorbehalt des Ministeriums. Abweichend von den Regelungen aller anderen Länder kann auch dann der Kultusminister nicht sagen, was zu tun ist; er kann nur dann, wenn staatliche Belange betroffen sind, die Genehmigung versagen.

Was sind staatliche Belange? - Dieses sind Fragen des Haushalts, der Struktur des Bildungswesens in bezug auf die Abstimmung mit anderen Hochschulen und ähnliche Dinge. Dies betrifft nicht Fragen der Wissenschaftsfreiheit. Ich will das hier ganz deutlich erklären, weil es hierzu in der Öffentlichkeit völlig falsche und unsachgemäße Äußerungen gegeben hat.

Deshalb meine ich, daß diese Regelung in dieser Form absolut notwendig und auch unverzichtbar ist.

(Zustimmung von Herrn Rothe, SPD)

Daneben erhält der Gesetzentwurf eine ganze Reihe von Vorschriften, die wohl nicht im Streit stehen werden. Auch dieses sollten wir uns bei der weiteren Diskussion jeweils vor Augen halten. Es geht um Instrumente für eine Strukturreform auch innerhalb der Hochschulen. Ich glaube, in dieser Runde besteht Konsens darüber, daß eine solche Strukturreform notwendig ist.

Ich bin sehr gespannt auf die Ausschußberatungen und auf die Ergebnisse der Anhörungen. Nach allem, was ich in den letzten Tagen in der Öffentlichkeit gelesen und gehört habe, glaube ich, daß der Gesetzentwurf noch nicht in allen Passagen gelesen worden ist. Wenn man ihn gelesen haben wird, wird man zu dem Ergebnis kommen, daß hier mit äußerster Vorsicht die notwendigen Instrumente geschaffen werden sollen. Dafür danke ich der SPD-Fraktion. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS)

Herr Minister Harms, sind Sie bereit, zwei angemeldete Zwischenfragen zu beantworten, die erste vom Abgeordneten Herrn Dr. Bergner und die zweite vom Abgeordneten Herrn Professor Trepte? - Das ist der Fall. Bitte, Herr Dr. Bergner.

Herr Minister, Sie haben in Ihren Ausführungen wiederholt von den Vorschlägen der SPD-Fraktion gesprochen und dies auch ausdrücklich betont. Ist mein Eindruck falsch, daß das Konzept dieses Gesetzentwurfes nicht aus der Mitte der SPD-Fraktion, sondern im Kultusministerium entstanden ist? Können Sie dem Parlament erklären, warum das Kultusministerium den Weg gewählt hat, eine solche Gesetzgebungsinitiative einer Regierungsfraktion anzuvertrauen?

Ich will gar nicht sagen, daß der Weg illegitim ist; ich würde nur gern die Motive wissen, warum Sie so verfahren sind und nicht über den Kabinettstisch gegangen sind.

Herr Dr. Bergner, wenn Sie sagen würden, der Weg sei illegitim, würde ich Ihnen einiges aus Ihrer Zeit als Ministerpräsident vorhalten.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Nein, das habe ich nicht gesagt!)

Hier passiert etwas - - Es ist ja ganz eigentümlich. Wenn es Streit zwischen der SPD-Fraktion und der Regierung gibt, dann freut sich die Opposition und sagt, guckt mal, die können gar nicht anständig zusammenarbeiten. Wenn sie anständig zusammenarbeiten, wird ihnen das vorgehalten.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Hier ist in einem gemeinsamen Prozeß ein Gesetzentwurf entstanden, und ich glaube, wir sollten über den Inhalt reden.

Daß die Regierungsfraktion und die Landesregierung - das müßten Sie eigentlich zur Genüge kennen - intensiv zusammenarbeiten, auch bei Fraktionsgesetzentwürfen, ist ein ganz normaler, bundesweit überall zu konstatierender Vorgang.

(Beifall bei der SPD - Herr Dr. Bergner, CDU: Die Frage haben Sie nicht beantwortet!)

Herr Professor Trepte, bitte.