Protokoll der Sitzung vom 06.04.2000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich fange meine Rede etwas anders an, Herr Remmers, als ich das ursprünglich vorhatte. Sie haben der Ministerin eine kleinkarierte Reform vorgeworfen. Wir hätten noch über weitergehende Dinge reden können, aber ich denke, das war bei Ihnen nicht zu erkennen. Aber das Grundproblem ist doch, daß Sie, Herr Remmers, solange Sie Justizminister waren, nicht einmal eine kleinkarierte Reform in diesem Lande auf den Weg gebracht haben.

(Zuruf von Frau Feußner, CDU)

Mithin die Aufrechterhaltung kleiner und kleinster Amtsgerichte.

(Frau Stange, CDU: Die Amtsgerichte vor Ort!)

Sicherlich - darüber kann man streiten, Frau Stange - liegt dem ein justizpolitischer Horizont zugrunde, den Herr Remmers aus Niedersachsen mitgebracht hat.

(Zustimmung bei der SPD - Widerspruch bei der CDU)

Aber die Welt hat sich seither nun einmal verändert, auch in der Justiz.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir haben heute morgen im Zusammenhang mit der Regierungserklärung schon ausführlich darüber gesprochen, daß die Verwaltungsstrukturen in Sachsen-Anhalt einer grundlegenden Reform bedürfen. Das trifft auch für die Justiz zu. Auch in diesem Bereich haben wir in der Stunde Null zunächst einmal zu kleinräumige Strukturen geschaffen, die nicht zukunftsfähig sind.

Mit der Amtsgerichtsreform gehen wir jetzt einen notwendigen Schritt, um die Justiz, wie die Frau Ministerin es sagte, fit zu machen für die Zukunft. Die SPD-Fraktion hat das Reformvorhaben der Landesregierung deshalb von Anbeginn unterstützt. Wir wollen eine durchgreifende Modernisierung der Justiz.

(Zuruf von Frau Stange, CDU)

Es ist dargelegt worden, daß auf diesem Weg schon ein ganzes Stück erreicht wurde. Jetzt wollen wir mit der Amtsgerichtsreform einen weiteren Schritt gehen. Es geht - ich sage es noch einmal - zum einen darum, das nachzuholen, was andere, auch neue Länder, meine Damen und Herren, längst hinter sich haben, was aber in Sachsen-Anhalt unter Ihrer Verantwortung, Herr Remmers, erst einmal versäumt wurde.

Ich möchte die Zahlen einmal nennen, weil sie im Grunde genommen für sich selbst sprechen: Brandenburg verfügte 1992 über 42 Kreisgerichte; 1994, zwei Jahre später, waren es 25, 17 weniger. Sachsen - das liegt Ihnen etwas näher - hatte 1992 noch 52 Kreisgerichte; 1996 wurde die Zahl auf 30 Amtsgerichte reduziert, also fast halbiert. Sachsen-Anhalt hatte 1992

40 Kreisgerichte, und heute haben wir immer noch 35 Amtsgerichte.

Da frage ich mich, welches die justizpolitischen Überlegungen in den anderen Ländern waren, ob da nicht Überlegungen eine Rolle spielten, die auch für SachsenAnhalt beachtenswert sein sollten.

(Frau Stange, CDU: Sie schießen sich ein ganz schönes Eigentor mit Ihrer Argumentation!)

Mit der jetzt angestrebten Neugliederung der Amtsgerichte wird nunmehr eine Struktur geschaffen, die die notwendige Spezialisierung der Richter und Rechtspfleger ermöglicht und die Gewähr dafür bietet, daß die Gerichte ihre Aufgaben noch besser erfüllen können.

Zum anderen ist es aber auch Anliegen dieses Reformvorhabens, sich schon heute auf künftige Anforderungen einzustellen. Sicher, die Dreistufigkeit, mithin die Zusammenführung von Amts- und Landgerichten zu nur noch einem Eingangsgericht, liegt noch in weiter Ferne, doch fest steht schon heute, daß die Aufgaben der Amtsgerichte nicht abnehmen, sondern zunehmen werden. Die jetzt von der Bundesregierung auf den Weg gebrachte Rechtsmittelreform in Zivilsachen wird einen deutlichen Aufgabenzuwachs bei den Amtsgerichten mit sich bringen. Frau Ministerin Schubert hat das ausführlich dargelegt; ich muß es nicht wiederholen.

Ich will mich aber mit den Vorbehalten auseinandersetzen, die in den letzten Monaten und heute noch einmal von Ihnen, Herr Remmers, geradezu gebetsmühlenartig vorgetragen worden sind.

Die Reform, so hieß es, komme zur Unzeit; sie komme zur Unzeit, weil auf Bundesebene überhaupt noch nicht klar sei, wohin die Reise bei der Justizreform gehe. Man solle erst einmal die Ergebnisse dieser Reformbemühungen abwarten, bevor man sich in Sachsen-Anhalt überhaupt bewege.

Doch ist die Entwicklung auf Bundesebene gar nicht so nebulös und unklar, wie es immer wieder gern dargestellt wird. Sicherlich gibt es reformresistente Kräfte und auch Besitzstandswahrer in der Justiz, die ver- suchen, die von der Bundesjustizministerin eingelei- tete Justizreform zu torpedieren; doch scheint mir die Rechtsmittelreform in Zivilsachen trotz aller notwendigen Diskussionen im Detail auf einem guten Weg. Sie wird zu einer Stärkung der Stellung des Amtsgerichts und auch zu einer Mehrbelastung führen.

Bloß, diese Mehrbelastung hat eben nicht zur Konsequenz - darin liegt der Denkfehler, meine Damen und Herren von der CDU -, daß kleine und kleinste Amtsgerichte dadurch nun doch noch ihre Existenzberechtigung bekommen. Nein, gerade wegen dieser Mehrbelastung ist es um so dringender erforderlich, effektivere Strukturen zu schaffen. Die jetzt von der Schließung betroffenen Gerichte würden auch unter Berücksichtigung dieser Mehrbelastung nicht die Größe erreichen, die notwendig wäre, um alle wahrzunehmenden Aufgaben qualitätsgerecht und in angemessener Zeit zu bewältigen.

Die bundesweiten Reformvorhaben sind deshalb kein Grund abzuwarten. Angesichts der derzeitigen Gerichtsorganisation in Sachsen-Anhalt müssen wir die Reformvorhaben des Bundes vielmehr umgekehrt zum Anlaß nehmen, eine Amtsgerichtsreform auf den Weg zu bringen, um rechtzeitig auch auf diese Veränderungen eingestellt zu sein.

Und dann ein zweites. Insbesondere von Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU, ist immer wieder argumentiert worden, die Reform komme zur Unzeit, weil das Land nunmehr anstrebe, die Landkarte Sachsen-Anhalts neu zu zeichnen; dann solle man doch lieber abwarten, bis es soweit sei.

Ich meine, immerhin hat diese Argumentation insoweit etwas Bestechendes, als Sie damit zum Ausdruck bringen, daß auch Sie eine Kreisgebietsreform als unabdingbar ansehen. Das ist schon ein Fortschritt.

Aber das Reformvorhaben mißt die Einräumigkeit der Verwaltung nicht an künftigen Kreisgrenzen, sondern geht von der derzeit bestehenden Gliederung der Landkreise aus. Das ist im übrigen auch der entscheidende Grund dafür, weshalb entgegen dem Regierungsentwurf nach der Ihnen vorliegenden Beschlußempfehlung Köthen als Amtsgerichtsstandort beibehalten werden soll.

Einräumigkeit der Verwaltung bedeutet nicht, daß Landkreise und Amtsgerichtsbezirke völlig deckungsgleich sein müssen. Schon jetzt wird es nach dieser Amtsgerichtsreform Landkreise geben, die aufgrund ihrer Größe zwei Amtsgerichte haben. Wenn künftig im Zuge der Gebietsreform größere Landkreise entstehen, muß das eben nicht zu der Konsequenz führen, die Amtsgerichtsstandorte erneut zu hinterfragen. Veränderungen werden dort notwendig werden, wo völlig neue, bisherige Kreise zerteilende Gebilde entstehen. Kreisüberlappende Zuständigkeiten der Amtsgerichte gilt es in der Tat auch künftig zu vermeiden.

Ob aus diesem Grund, wie Herr Remmers sagte, eine zweite Runde notwendig wird, mithin die Gerichtsbezirke noch einmal angepaßt werden müssen, kann heute niemand vorhersagen. Diese Unsicherheit kann aber kein Grund dafür sein, bis zum Jahr 2004 abzuwarten. Wir brauchen die entscheidende Weichenstellung für eine Effektivierung der Justiz jetzt.

(Zustimmung von Herrn Dr. Rehhahn, SPD)

Und wir brauchen Planungssicherheit. Ein Anlaß, das Ganze auf den Weg zu bringen, war nämlich auch die Frage, ob die Justiz weiterhin in Standorte investieren soll, deren Zukunft nicht gesichert ist. Würde man noch länger abwarten, wären weitere aufwendige Erhaltungsmaßnahmen und Erweiterungen an Standorten notwendig, die in ein paar Jahren aufgegeben werden müßten. Das kann niemand wollen. Die jetzt getrof- fene Entscheidung schafft Planungssicherheit für die in den nächsten Jahren im Justizbereich zu realisierenden Investitionen.

Meine Damen und Herren! Schließlich ist dem Reformvorhaben entgegengehalten worden, die Bürgernähe gehe verloren. Wir müssen uns aber im Zeitalter moderner Informations- und Kommunikationstechnologien von Vorstellungen trennen, die Bürgernähe allein in Kilometern messen. Wichtiger ist für den Bürger, daß die Gerichte schnell und kompetent entscheiden und daß so unnötige, zeitaufwendige und auch kostenintensive Instanzenwege verhindert werden. Das ist richtig verstandene Bürgerfreundlichkeit.

Daß die Bürgerinnen und Bürger selbst zu Verhandlungen das Gericht aufsuchen müssen - darüber ist gelegentlich schon gesprochen worden -, kommt in ihrem Leben in der Mehrzahl der Fälle glücklicherweise nicht allzu häufig vor.

Was die sogenannte freiwillige Gerichtsbarkeit anbelangt, also jene Bereiche, in denen die Justiz Dienstleistungen gegenüber den Bürgern erbringt, ist zudem vorgesehen, an den aufzugebenden Standorten Rechtsberatungs- und -antragsstellen einzurichten, in denen beispielsweise per Online das Grundbuch eingesehen oder auch andere Anträge gestellt werden können.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich jetzt einiges zu den anstehenden Standortentscheidungen sagen. Wir haben uns diese Frage in der SPD-Fraktion keineswegs leicht gemacht. Jede der anstehenden Standortentscheidungen wurde noch einmal kritisch hinterfragt. Für uns war dabei allerdings immer klar, daß die Reform nicht grundsätzlich in Frage zu stellen ist.

Was Ihnen als Beschlußempfehlung vorliegt, ist justizpolitisch sicherlich nicht die reine Lehre. Am Gesetzentwurf der Landesregierung wurden einige Korrekturen vorgenommen, für die es aber gute und nachvollzieh- bare Gründe gibt.

Zu Köthen habe ich das Erforderliche gesagt. Die weiteren Änderungen betreffen Hettstedt und Osterburg, die einstweilen als Amtsgerichtsstandorte aufrechterhalten werden sollen. Für Osterburg als Amtsgericht sprechen die geographischen Gegebenheiten. Der Landkreis Stendal ist der größte Flächenkreis im Land SachsenAnhalt. Es erscheint deswegen angebracht, auch in diesem Landkreis zwei Amtsgerichtsstandorte vorzuhalten.

(Frau Stange, CDU: Drei!)

Wir haben - ich war selbst vor Ort - alle denkbaren Varianten geprüft, wie dem Rechnung getragen und Osterburg neben Stendal als Amtsgerichtsstandort seine Existenzberechtigung behalten kann. Das Naheliegende, Havelberg Osterburg zuzuordnen, scheitert an der Verkehrsverbindung.

(Zuruf von Herrn Dr. Daehre, CDU)

- Die Elbbrücke wird es so schnell nicht geben, Herr Daehre.

(Frau Stange, CDU: Die wird doch gebaut!)

Deshalb sieht der Gesetzentwurf nunmehr vor, Havelberg dem Amtsgericht Stendal zuzuordnen. Osterburg bleibt ohne Erweiterungen vorerst bestehen.

Weiterhin soll das Amtsgericht Hettstedt zunächst erhalten bleiben. Ich muß nicht wiederholen, was Frau Tiedge zu dieser Frage gesagt hat.

Allerdings muß aus unserer Sicht deutlich gesagt werden, daß im Gegensatz zu Köthen Hettstedt und Osterburg selbst unter Beachtung eines künftigen Aufgabenzuwachses auch nicht annähernd die Mindestgröße zukünftiger leistungsfähiger Eingangsgerichte erreichen. Deshalb hat die Landesregierung - so sieht es der Gesetzentwurf vor - den Auftrag bekommen, bis zum Jahr 2004 zu prüfen, ob die Amtsgerichte Hettstedt und Osterburg nach den Zielen des vorliegenden Gesetzes aufrechtzuerhalten oder aufzulösen sind.

Wir sehen im übrigen keine rechtlichen Bedenken, Herr Remmers, was die Zulässigkeit einer solchen Regelung betrifft.

Meine Damen und Herren! In diesem Zusammenhang will ich mich auch zu den Bestrebungen äußern, darüber hinaus die Amtsgerichte Genthin und Staßfurt zu erhalten. Ihnen liegt ein entsprechender Antrag der CDU vor, der solches bezwecken soll. Keine Sorge, Herr Rem

mers, wir werden Sie nicht in Verlegenheit bringen und diesem Antrag unsere Zustimmung nicht geben.

Ich kann durchaus nachvollziehen, daß die Betroffenen in diesen beiden Städten bis zuletzt alle Hebel bemüht haben, um die Schließung dieser Gerichte zu verhindern.

(Frau Stange, CDU: Aber aus Vernunft, immer aus Vernunft!)

Dennoch, für den Erhalt beider Standorte sprechen weder justizpolitische Argumente noch eine außerordentliche Situation. Es geht insoweit auch nicht um Fragen der Gleichbehandlung, Herr Remmers. Was bei beiden Standorten allerdings beachtlich ist, das sind die Kosten. Es geht nicht um die Gesichtswahrung der Ministerin, sondern darum, daß wir im Land getätigte Investitionen bzw. auch künftig noch zu zahlende Aufwendungen nicht in den Sand setzen.

In Staßfurt sind das die erheblichen Mietkosten, die das Land für die Anmietung von Räumen im sogenannten „Traumschiff“ noch rund 20 Jahre lang wird zahlen müssen. In Genthin sind es die erst in den letzten Jahren vorgenommenen Investitionen, immerhin 2,7 Millionen DM, für die Modernisierung des Amtsgerichts- gebäudes.