Protokoll der Sitzung vom 07.04.2000

(Beifall bei der CDU)

Das ist eine Geschichte, bei der ich eigentlich erwarte, daß die Landesregierung in hohem Maße daran mitwirkt.

Im Hinblick auf das Ressourcenverteilungsprinzip Geist und Geld möchte ich bemerken: Wenn Sie die Leine nicht länger lassen wollen, müßten wir über die Budgetierung sehr viel aktiver werden; dann müßten wir es allerdings auch mit der Selbstverantwortung ernst meinen.

In diesem Zusammenhang irritiert mich der Satz: Wir wollen ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Hauptgruppen 8, 5 und 4 erreichen und sicherstellen. Das irritiert mich nicht nur deswegen, weil Sie das nicht mit einer Zusage darüber verbinden, wieviel Geld das ist. Es irritiert mich auch deshalb, weil Sie sagen - ich hoffe, daß ich Sie da richtig verstehe -: Wir wollen Freiheit über Budgetierung. - Was hat der Pollmann - vorgestern in der „Volksstimme“ zu lesen - gesagt? - Wir brauchen eine verläßliche Planung über fünf Jahre, auch im finanziellen Bereich.

Wenn Sie eine wirklich freie Gestaltung im Rahmen der staatlichen Hochschulen wollen, warum und in welcher Form wollen Sie als Land dann überhaupt noch über ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Hauptgruppen 8, 5 und 4 daran mitwirken?

Daran merkt man doch wieder, daß Sie mit großer Geste sagen: Ja gut, wir wollen wohl. - Aber auf der anderen Seite wollen Sie sogar in die Hauptgruppen im Budget hineinregieren und behindern damit die Gestaltungsfreiheit.

Ich sage es noch einmal: Mit dieser Anfrage wollten wir die Grundlage für die Diskussion über die Hochschulentwicklung in diesem Land legen. Wir wollen mit der Diskussion über die Hochschulen, die wir nun sehr intensiv führen, auch erreichen, daß im Interesse unserer Hochschulen das Thema immer im Vordergrund bleibt.

(Beifall bei der CDU)

Die Diskussion über die Frage des Einsatzes von wissenschaftlich ausgebildeten, richtig ausgebildeten Leuten etwa im Bereich der Informationstechnologien macht unter anderem eines deutlich - ich will mich auf die

Auseinandersetzungen, ob das nun richtig ist oder nicht, ob es genug sind oder zu wenige und unter welchen Bedingungen man ausländische Fachkräfte anwerben sollte, gar nicht einlassen -:

Wir haben ein Defizit. Dieses Defizit haben wir gemeinsam zu verantworten. Niemand in diesem Lande kann auf irgendeinen einzelnen zeigen und sagen, daß dieser verantwortlich ist. Das Produkt unserer Bildungsgesellschaft, das für die Ansprüche unserer Wirtschafts- und Forschungsgesellschaft nicht ausreicht, verantworten wir gemeinsam. Deswegen müssen wir nun auch sehen, daß wir da gemeinsam herauskommen.

Wir können nicht immer nur zukaufen, sondern wir müssen auch selbst produzieren. Aber wem sage ich das? Ich sage das schließlich in Sachsen-Anhalt, wo wir uns gerade darüber beklagen, daß wir die Eigenproduktion noch nicht in ausreichendem Umfang auf den Weg gebracht haben.

Das heißt, wir haben neben allem anderen auch die Aufgabe, über die Beseitigung solcher Defizite nachzudenken. Was mir fehlt - da ist, insbesondere wegen der von mir angesprochenen kurzen Leine, das Land in besonderer Weise gefragt -, ist der Mut. Ich meine, es kann immer nur derjenige, der an der Spitze einer Organisation steht, entscheiden. Der von mir angesprochene Chor kann nicht auch noch komponieren, zumal widerstreitende Interessen vorhanden sind. Sie müssen die Vorgaben machen. Davor drücken Sie sich zur Zeit.

Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung machen. Es ist schon spannend, daß sich die SPD dazu durchgerungen hat, einen Entschließungsantrag vorzulegen, in dem sie es begrüßt - das müssen Sie sich auf der Zunge zergehen lassen -, daß die Landesregierung nun anfängt, die Hochschullandschaft zu evaluieren.

(Herr Dr. Daehre, CDU, lacht)

Ich finde es toll: Dieses Land gibt es seit zehn Jahren, und diese Regierung gibt es seit sechs Jahren.

(Herr Dr. Daehre, CDU: Leider!)

Nunmehr begrüßen wir die Bereitschaft der Landesregierung, mit der Evaluierung zu beginnen. Meine Damen und Herren! Ich finde es wunderbar, wenn man etwas begrüßt.

(Herr Scharf, CDU: Zum 1. Mai!)

Ich grüße auch jeden Morgen fast jeden, den ich sehe.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU)

Ich begrüße es auch, daß die Landesregierung jetzt anfängt zu evaluieren. Wenn sie es bisher nicht getan hat, dann muß man es begrüßen, daß sie es jetzt tut.

(Beifall bei der CDU - Herr Kuntze, CDU, lacht)

Einige von uns meinen, wir sollten nicht zustimmen. Aber ich sage Ihnen, Herr Harms: Auch wir begrüßen es, daß Sie endlich anfangen nachzudenken. - Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von Frau Helmecke, FDVP, und bei der DVU-FL)

Meine Damen und Herren! Wir begrüßen weitere Gäste,

(Heiterkeit)

bevor ich dem Herrn Minister, den ich auch begrüße, das Wort erteile, nämlich Schülerinnen und Schüler der Lange-Sekundarschule Bitterfeld.

(Beifall im ganzen Hause)

Herr Minister, ich erteile Ihnen für die Landesregierung das Wort.

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Remmers, es ist schon ein Vergnügen, Ihnen zuzuhören, insbesondere wegen der schönen Bilder. Diese Bilder haben zwar die Eigenart, daß sie etwas hinken, aber das ist fast bei jedem Vergleich so.

Die Aussprachen zu Großen Anfragen haben immer die Eigenart, daß sie damit beginnen, daß der Fragesteller - insbesondere wenn es sich dabei um die Opposition handelt - kritisiert, die Fragen seien unzureichend und nicht mit dem notwendigen Mut oder der notwendigen Konsequenz beantwortet worden, während die Regierung dann sagt, gerade dieses habe sie versucht; der Fragesteller könne nur nicht richtig lesen, oder die Fragen seien die falschen gewesen.

Ich will aus diesem Schema etwas ausbrechen. Ich möchte mit einigen grundsätzlichen Anmerkungen beginnen und dann auf einiges eingehen, was Sie gesagt haben.

Bildung, Wissenschaft und Forschung haben als Thema in der gesamtgesellschaftlichen Diskussion in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. Das weist auf Defizite hin. Ich bin Ihnen dankbar dafür, daß Sie das dargestellt haben. Wir haben das gemeinsam - auch im Sinne der demokratischen Parteien - mit zu verantworten. Die Menschen wollen auch Antworten auf Fragestellungen. Immer mehr Menschen wird die Relevanz dieses Themas bewußt.

Ich bin der festen Überzeugung, daß die zukünftigen Entwicklungschancen unserer Gesellschaft, nämlich einer Gesellschaft in einem Land in der Mitte Europas, maßgeblich davon abhängen, ob es uns gelingt, eine Bildungsnation zu bleiben, allen Menschen hervorragende Qualifikationschancen anzubieten sowie Spitzenleistungen in Wissenschaft und Forschung zu erreichen.

Das gilt für die Bundesrepublik insgesamt. Das gilt insbesondere aber für die neuen Länder, die sich immer noch in einem erheblichen Umstrukturierungsprozeß befinden. Dieser Prozeß wird nur dann gelingen, wenn wir auf eine hervorragende Ausbildung möglichst vieler Menschen setzen, wenn wir die Ressourcen in den Bereichen Bildung, Hochschule, Wissenschaft und Forschung entwickeln und sie zu einem zukunftsträchtigen Bestandteil der Infrastruktur dieses Landes machen.

Insoweit ist, glaube ich, auch die Trennung in konsumtive und investive Ausgaben falsch. Es geht - da haben Sie recht - um das richtige Verhältnis von Geist und Geld. Ich komme auf das Geld später noch zu sprechen.

Dabei kommt den Hochschulen des Landes natürlich eine besondere Bedeutung zu. Ich will das an einem Beispiel erläutern. In Ostdeutschland leben etwa 20 % der gesamtdeutschen Bevölkerung. Dem stehen nur 5 % des Industriepotentials der Bundesrepublik Deutschland und nur etwa 2 % des Potentials an Forschung und Entwicklung gegenüber.

Eine wesentliche Rolle spielt in diesem Zusammen- hang natürlich der dramatische Rückgang der Industrieforschung. Von den 86 000 Menschen, die im Jahr 1990 auf dem Gebiet der ehemaligen DDR in der industrienahen Forschung und Entwicklung beschäftigt waren, waren im Jahr 1997 nur noch 16 000 in diesem Bereich tätig. In Sachsen-Anhalt war dieser Rückgang sogar überproportional hoch, nämlich von 25 000 auf 3 500.

Dieser Rückgang erklärt sich natürlich zu einem großen Teil daraus, daß Unternehmen, die größere Betriebe in Ostdeutschland erworben haben, an ihren Standorten im Westen häufig bereits über ausreichende Kapazitäten der Forschung und Entwicklung verfügten und daß kleine und mittlere Unternehmen in vielen Fällen nicht die erforderliche Betriebsgröße aufweisen, um eigene Forschung und Entwicklung finanzieren zu können oder eine dauerhafte Einrichtung zu betreiben.

An diesen Strukturbedingungen - davon bin ich fest überzeugt - wird sich in den nächsten Jahren nichts Wesentliches ändern, so notwendig sie ohne jeden Zweifel sind, um den Niedergang der Industrieforschung aufzuhalten. Es gibt vielfältige Ansätze im Lande, die eine positive Entwicklung belegen können. Die beschriebenen Defizite können dadurch allerdings nicht kurzfristig überwunden werden. Deswegen kommt dem Aus- und Aufbau der öffentlich geförderten Wissenschaftseinrichtungen neben der Entwicklung der Wissenschaftsstruktur insgesamt eine strategische Auffangposition für die Entwicklung der Infrastruktur generell im Land zu.

Dieser Zusammenhang ist in Sachsen-Anhalt erkannt worden. Mit erheblichem finanziellen Aufwand, mit großem Engagement von Politik, wissenschaftlichen Einrichtungen, dort tätigen Professorinnen und Professoren, wissenschaftlichem und nichtwissenschaftlichem Personal ist eine Struktur staatlicher Hochschulen und außeruniversitärer Forschungseinrichtungen errichtet worden, die ein solides Fundament für die weitere Entwicklung darstellen.

Das heißt, ich wende mich ausdrücklich gegen eine teilweise polemisch geführte Diskussion oder öffentliche Wahrnehmung, die den Zustand der Wissenschaftslandschaft ausschließlich unter Defizitgesichtspunkten betrachtet. Ich glaube, wir können stolz darauf sein, daß es in den letzten Jahren in vielen Bereichen einen erheblichen Um- und Aufbau gegeben hat. Dies sollte man deutlich öffentlich sagen.

(Zustimmung bei der SPD und von Ministerpräsi- dent Herrn Dr. Höppner)

Es gibt in allen Bereichen Beispiele für erfolgreiche innovative neue Studiengänge, die deutschlandweit und international Beachtung finden. Es kristallisieren sich Forschungsschwerpunkte an den Hochschulen heraus, die in Verbindung mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu Spitzenleistungen in der Lage sind und damit auch Impulse für eine wirtschaftliche Entwicklung in ihrem Umfeld geben.

Zum Beispiel die entstehende Hightech-Landschaft hier in Magdeburg an der Elbe und die Verbindung von Biotechnologie und Materialwissenschaft in Halle rund um den Weinberg sind solche Zeichen. Wenn ich jetzt für jede Hochschule auch nur ein Beispiel nennen würde, dann wäre meine Redezeit überschritten. Ich will diese Beispiele, bei denen eine Nähe zur Wirtschaft besteht, auch nur als Beispiele verstanden wissen. Es gibt im geisteswissenschaftlichen und im künstlerischen

Bereich ähnliche Aspekte, die man, so glaube ich, mit gleicher Vehemenz vortragen könnte.

Die Große Anfrage der CDU kam zu einem Zeitpunkt, nämlich am 24. November - in meinem Manuskript steht noch der 23. November; aber wir wissen ja, wie es ist, wenn man einen Tag vorher die Manuskripte bekommt -, zu dem zwischen Landesregierung und Hochschulen ein Prozeß begonnen hatte, der einerseits die Analyse der bisherigen Entwicklung zum Gegenstand hatte und andererseits den Beginn einer Diskussion über die Entwicklungschancen markierte.

Der Auf- und Ausbau der Wissenschaftslandschaft ist im wesentlichen auf der Grundlage der Empfehlungen des Wissenschaftsrates von 1992 vollzogen worden. Acht Jahre später halte ich es für angemessen und notwendig, diese Planungsgrundlagen zu prüfen.

Nun möchte ich kurz auf den Begrüßungsteil zu sprechen kommen. Sie hatten gerade mit einem Schmunzeln gesagt, es sei toll, daß die Landesregierung nach sechs Jahren begrüße, man müsse das evaluieren.

(Zuruf von Herrn Remmers, CDU)