Protokoll der Sitzung vom 07.04.2000

Wenn ich heute den damaligen „Zukunftsminister“ Rüttgers oder seinen Vorgänger Herrn Möllemann reden höre, der ja gerade eine Investinitiative gestartet hat, dann sind diejenigen, die das damals zu verantworten hatten, sicherlich auch danach zu fragen, warum der Staat im Jahr 1998 genauso viel für Bafög ausgegeben hat wie vor 20 Jahren, nur eben bei der doppelten Zahl von Studierenden.

Sie haben es gesagt: Es erhalten nur knapp 13 % der Studierenden überhaupt Bafög, und angesichts dessen kann man schon von einem Verfall sprechen. Vor die

sem Hintergrund ist eine grundlegende Reform absolut notwendig. Ich glaube aber, daß die Bundesregierung auf einem relativ guten Weg ist. Ich will das auch erläutern.

Frau Bulmahn hat von ihren ursprünglichen Vorstellungen zu einem elternunabhängigen Dreikörbemodell zunächst Abstand genommen, und zwar aus rechtlichen und sozialpolitischen Gründen. Das heißt, es gibt verschiedene Interessenlagen, die diesem entgegenstanden. Es ist augenscheinlich nicht so einfach, vor allem sozialversicherungsrechtlich eine solche Konstruktion sauber zu gestalten. Deswegen muß das Problem im Moment anders gelöst werden.

Ich will, weil Sie von Reparaturnovelle oder gar von einem Offenbarungseid gesprochen haben, wenigstens einige Eckpunkte noch einmal nennen: Die Freibeträge und Bedarfssätze werden deutlich angehoben. Der Höchstsatz steigt von 1 030 auf 1 100 DM. Gleichzeitig wird das Kindergeld bei der Berechnung des Bafögs nicht mehr als Einkommen angerechnet. Allein dadurch wird erreicht, daß mehr Studierende mehr Geld erhalten.

Studierende aus Ost und West - auch dies haben Sie angesprochen -, die bei Wohnkosten- und Krankenversicherungszuschlägen aus naheliegenden Gründen noch unterschiedlich behandelt werden, werden bei der Ausbildungsförderung gleichgestellt. Die Auslandsausbildung wird erheblich ausgeweitet, und es sollen verläßliche Hilfen für den Studienabschluß bereitgestellt werden. Das komplizierte System der Freibeträge wird vereinheitlicht.

Insgesamt werden dafür seitens der Bundesregierung 500 Millionen DM in Anschlag gebracht. Der 35prozentige Anteil der Länder und der Anteil der Deutschen Ausgleichsbank erhöht diesen Betrag auf insgesamt 1 Milliarde DM. Damit werden um fast 50 % höhere Aufwendungen für Bafög fällig als noch im Jahre 1998.

Nun gebe ich Ihnen ja recht, daß man durchaus über weitere Formen nachdenken kann und muß. Es ist hier nicht der abschließende große Wurf gelungen, aber es ist eine Tendenz umgekehrt worden, und es werden richtige Elemente eingebaut.

Deshalb ist die Landesregierung der Auffassung, daß man nicht von einer Reparaturnovelle und auch nicht von einem Offenbarungseid sprechen sollte, sondern von einem wirklichen Schritt in die richtige Richtung. Deswegen kann die Landesregierung den Antrag der PDS nicht unterstützen. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Zu diesem Antrag sind vier Debattenbeiträge angemeldet worden, und zwar in der Reihenfolge SPD-Fraktion, CDU-Fraktion, FDVP-Fraktion und PDS-Fraktion. Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Abgeordnete Herr Ernst. Bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim Lesen des PDS-Antrages ist mir wieder einmal klar geworden, daß man manchmal - zumal als Abgeordneter einer Regierungsfraktion - in einer, um es vorsichtig zu sagen, wenig komfortablen Lage ist. Eigentlich ist man ja dafür, aber andererseits spricht auch wieder zuviel dagegen. Als Opposition könnte es mir ja egal sein, als anerkann

tem Tolerierungspartner zugegebenermaßen so egal nun auch wieder nicht.

(Lachen und Zustimmung von Herrn Schomburg, CDU, und von Frau Wernicke, CDU)

Kommen wir zum Positiven der aktuellen BAföGNovelle. Der 13. Bafög-Bericht zeigte überdeutlich, daß dringend etwas für die Ausbildungsförderung getan werden mußte. Frau Sitte nannte bereits die Zahlen; deshalb kann ich darauf verzichten. Das war also der Stand vor der Novellierung und nach dem Ende der CDU-geführten Bundesregierung.

Ich zähle die Eckpunkte der Novelle noch einmal kurz auf: keine Anrechnung des Kindergeldes, Erhöhung der Freibeträge, Erhöhung der Bedarfssätze, dauerhafte Hilfe zum Studienabschluß, Ost-West-Gleichstellung, Studierende erhalten EU-weit Ausbildungsförderung, Förderung der Interdisziplinarität, einheitliche Förderungsdauer, vereinheitliche Freibeträge. Das alles kostet rund 1 Milliarde DM.

Damit - davon bin ich fest überzeugt - ist eine Trendwende nicht nur möglich, sondern sicher. Zugegebenermaßen ist das aber keine grundlegende Reform des BAföG. Damit kommen wir zum Konflikt Dreikörbemodell. Die dazu vorgebrachten Bedenken müssen wir ernst nehmen. Es gibt durchaus nicht ausgeräumte verfassungsrechtliche Bedenken, und ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis einmal aus der Anhörung vom vergangenen Montag im Deutschen Bundestag, hier stellvertretend für viele Professor Schwab von der Universität Regensburg:

„Wenn den Eltern der Familienlastenausgleich für ein Kind im Hinblick darauf entzogen wird, daß es einen Sockelbetrag direkt vom Staat erhält, so entfällt dadurch in der Mehrzahl der Fälle nicht ihre zivilrechtliche Unterhaltspflicht. Zwar ist die Bedürftigkeit des Kindes um die Beträge gemindert, die es als Ausbildungsförderung erhält, doch bleibt die Belastung der Unterhaltspflichtigen mit dem Fehlbetrag, der höher ist als der vorgeschlagene Sockel. Dieser Belastung steht bei den Eltern selbst keine Entlastung gegenüber.“

Ein weiterer Punkt:

„Zur Frage, in welchem Maß die Eltern im Hinblick auf die angemessenen Kosten einer Berufsbildung der Kinder durch Verfassungsgebot steuerlich zu entlasten sind, besteht weiterer Klärungsbedarf. Ausgangspunkt ist das Gebot, bei der Besteuerung der Familie das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder einschließlich der Kinder steuerfrei zu lassen und nur das darüber hinaus gegebene Einkommen der Besteuerung zu unterwerfen.“

Noch ein weiterer Punkt:

„Verfassungsrechtlich problematisch ist das Körbemodell auch im Hinblick auf den Vorschlag, die Gewährung des Familienlastenausgleichs von der Einhaltung der durch das BAföG an die Studienförderung gegebenen Anforderungen und Modalitäten abhängig zu machen. Die steuerliche Entlastung knüpft an die gesetzliche Unterhaltspflicht der Eltern an, die unabhängig von der öffentlich-rechtlichen Förderung und ihren Maßgaben nach den Prinzipien der familiären gegenseitigen Solidarität besteht.

Es besteht also durchaus die Möglichkeit, daß der Anspruch auf Ausbildungsförderung nach den öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht begründet ist oder entfällt, während der Unterhaltsanspruch gegen die Eltern auf Gewährung einer Ausbildung besteht. In diesem Fall wäre es eindeutig verfassungswidrig, wenn einerseits dem Studenten der elternunabhängige Sockelbetrag verweigert, zugleich aber auch den Eltern Kindergeld bzw. Kinderfreibetrag etc. genommen würde.

Um die genannte verfassungsrechtliche Problematik zu entschärfen, ist erwogen worden, die elterliche Unterhaltspflicht, soweit sie die Ausbildungsfinanzierung volljähriger Kinder betrifft, entweder abzuschaffen oder in ihren Voraussetzungen an die Modalitäten der öffentlichen Ausbildungsförderung zu binden. Ich halte das für sehr bedenklich.“

Soweit Professor Schwab von der Universität Regensburg.

Zu dieser Problematik haben die Koalitionsfraktionen im Bundestag einen Antrag zur Einberufung einer Expertenkommission eingebracht, die bis zum Ende der Legislaturperiode Vorschläge entwickeln soll, die verschiedenen Systeme wie Steuerrecht, Unterhaltsrecht, Familienförderung und Bildungsfinanzierung weiterzuentwickeln und besser aufeinander abzustimmen. Die nach wie vor nicht geklärten rechtlichen Fragen könnten somit von dieser Kommission gelöst werden, und die im PDS-Antrag geforderten entsprechenden Aktivitäten wären zum jetzigen Zeitpunkt kontraproduktiv. Aus diesem Grund lehnt die SPD-Fraktion den Antrag ab. - Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Minister Herrn Dr. Harms)

Vielen Dank. - Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Herr Remmers.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einem Punkt besteht sicherlich Einvernehmen, und zwar darin, daß die Situation bei der Bafög-Förderung verbessert werden muß.

Die Christlich Demokratische Union hat deswegen bereits im November 1999 in einem Antrag im Bundestag eine Veränderung zugunsten der Studenten gefordert. Damals ist dies noch abgelehnt worden mit der Begründung, man habe schließlich viel mehr versprochen.

Es zeigt sich schon jetzt - Herr Ernst, ich kann Ihre unkomfortable Lage verstehen;

(Herr Bullerjahn, SPD, lacht)

Sie sind wenigstens so ehrlich, es zuzugeben; andere überspielen so etwas -, daß in diesem Zusammenhang sehr viel versprochen wurde und daß das Versprechen jetzt aus verfassungsrechtlichen, wahrscheinlich guten Gründen, aber auch aus anderen Erwägungen nicht mehr eingelöst werden wird.

Das enthebt uns aber nicht der Verpflichtung, deutlich zu machen, daß die Situation im Bafög-Bereich verbessert werden muß. Ich kann insofern tatsächlich auf die Anträge der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag verweisen; denn der jetzt vorgelegte Vorschlag von Frau Bulmahn

geht im wesentlichen und sogar teilweise mit Verschlechterungen, wenn ich an den Darlehensanteil denke - wir hatten vorgeschlagen, einen Zuschußanteil von 800 DM sicherzustellen -, hinter die Vorschläge der CDU/CSU zurück.

Uns liegt - deswegen werden wir, Frau Sitte, Ihren Antrag ablehnen - an folgendem: Wir sehen genau wie alle anderen, daß die Zahl der geförderten Studenten dramatisch zurückgeht. Das hat auch sehr differenzierte Gründe, aber diese müssen wir jetzt in der Debatte nicht vertiefen. Aber dies ist einfach als ein Faktum festzustellen. Die schon in der vorigen Legislaturperiode des Bundestages durchgeführte schrittweise Erhöhung der Bedarfssätze um 6 % und die Erhöhung der Freibeiträge um 12 % hat offenbar nicht gereicht. Wir müssen diesbezüglich sehr viel mehr tun.

Nach unserer Meinung müssen wir jetzt schnell handeln; wir dürfen das, was in diesem Bereich notwendig ist, nicht wieder durch eine grundsätzliche Diskussion verzögern, die im Ergebnis - Herr Ernst hat es schon mit Bedauern festgestellt; wir haben aber schon immer gesagt, daß das nicht gehen wird - eine tatsächliche Verbesserung der Situation aufhält.

Wir meinen, wir sollten eher den Bundestag und die Bundesregierung auffordern, so schnell wie möglich das umzusetzen, was sie sich vorgenommen haben. Dabei sollten noch einmal die Fraktionen dazu befragt werden, ob sie nicht noch Verbesserungsvorschläge haben.

Noch einmal eine Grundsatzdebatte über eine völlige Umstrukturierung zu führen, läuft wieder ein bißchen nach dem Motto: Weil ich irgend etwas Vollkommenes will, lasse ich den schlechten Zustand von gestern und verzichte auf die Verbesserung von heute. Das ist eine Politik, die wir nicht mitmachen wollen. Wir wollen, daß jetzt und möglichst schnell eine Verbesserung für die Studenten eintritt. Deswegen werden wir diesen im Grunde verzögernd wirkenden Antrag nicht unterstützen. Wir lehnen ihn ab.

(Zustimmung bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Bevor ich den nächsten Debattenredner aufrufe, darf ich Schülerinnen und Schüler des Fachgymnasiums XIII aus Dessau unter uns begrüßen.

(Beifall im ganzen Hause)

Für die FDVP-Fraktion spricht jetzt der Abgeordnete Herr Czaja.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die soziale Situation der Studierenden ist derzeit bundesweit mehr schlecht als recht. Eine Reform des BAföG zugunsten der Studierenden ist längst überfällig. Studentinnen und Studenten dürfen nicht länger aufgrund ihrer bestehenden familiären und der sich daraus ergebenden finanziellen Situation seziert werden. Eine familien- und partnerunabhängige Ausbildungsförderung mit der Grundlage eines einheitlichen Sockelbetrages ist im Hinblick auf die bestehende soziale Situation der Studierenden erforderlich.

Der Antrag der Fraktion der PDS unter der Überschrift „Reform des BAföG“ entspricht inhaltlich unseren Intentionen zu diesem Thema. Eine gute Ausbildung muß

nach den Fähigkeiten jedes einzelnen möglich sein und nicht nach dem Geldbeutel.

Allerdings sollte sich die Fraktion der PDS, bevor sie einen solchen Antrag stellt, Gedanken über die Deckung der für diesen Antrag erforderlichen finanziellen Mittel machen. Da jedoch weder Bund noch Länder derzeit in finanziellem Reichtum schwelgen und reale Deckungsvorschläge bis dato nicht bekannt sind, lehnen wir diesen Schaufensterantrag ab. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDVP)

Für die PDS-Fraktion hat noch einmal Frau Dr. Sitte die Möglichkeit, das Wort zu erhalten.

(Frau Dr. Sitte, PDS, winkt ab)

- Sie macht davon keinen Gebrauch. Dann ist die Debatte abgeschlossen.