Protokoll der Sitzung vom 07.04.2000

Wenn die Möglichkeiten und Potentiale der Kulturwirtschaft für Sachsen-Anhalt bis dato nicht in dem möglichen und nötigen Umfang ausgeschöpft wurden, dann mag das unter anderem auf die folgenden Gründe zurückzuführen sein:

Erstens. Der beschäftigungswirksame und wertschöpfende Aspekt der Kultur ist bislang nur unzureichend im öffentlichen Bewußtsein verankert. Er ist allerdings im Wachsen begriffen und von der wirtschaftlichen Lage abhängig.

Zweitens. Nach wie vor ist eine ressortübergreifende und querschnittsorientierte Arbeitsweise wenig verbreitet.

Drittens. Die Regionalisierung der Strukturpolitik muß verstärkt vorangetrieben und insbesondere unter kulturellen Gesichtspunkten von den politisch Verantwortlichen ernster genommen werden. Bis dahin muß für die Kultur aber insgesamt als Defizit festgestellt werden, daß kulturrelevante Aspekte nur unzureichend in den regionalen Entwicklungsplänen berücksichtigt und in die regionale Strukturpolitik eingebunden werden. Die möglichen beschäftigungswirksamen Aspekte und Synergien können dadurch nur ungenügend genutzt werden.

Die Erstellung eines Kulturwirtschaftsberichts muß daher zum Katalysator eines für Sachsen-Anhalt wichtigen Sensibilisierungsprozesses werden und zur Kooperation und Vernetzung von Kultur, Wirtschaft und Verwaltung einladen und anregen.

Wir begrüßen daher die Entscheidung der Landesregierung, einen Kulturwirtschaftsbericht für Sachsen-Anhalt erstellen zu lassen, und sehen den Ergebnissen und den folgenden Diskussionen in den Ausschüssen mit Spannung entgegen. Ich bitte um Zustimmung für den Antrag und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Herrn Gebhardt, PDS, und von Frau Theil, PDS)

Vielen Dank, Herr Zeidler. - Damit ist die vorgesehene Debatte abgeschlossen. Gibt es noch zusätzliche Wort

meldungen? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann kommen wir zum Abstimmungsverfahren.

Wer dem Antrag in der Drs. 3/2923 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Dann ist diesem Antrag trotz einer großen Zahl von Gegenstimmen mit Mehrheit zugestimmt worden. Damit ist der Tagesordnungspunkt 20 abgeschlossen.

Meine Damen und Herren, ich würde mit Ihnen gerne eine Verfahrensfrage klären. Im ursprünglichen Zeitplan war vorgesehen, etwa zwischen 13 und 14 Uhr eine Mittagspause einzulegen. Wir liegen aber gut in der Zeit und haben nur noch vier Tagesordnungspunkte vor uns, deren Behandlung maximal zweieinhalb Stunden in Anspruch nehmen wird. Es gibt die Möglichkeit, ohne Mittagspause zu tagen.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und bei der PDS)

Bei der Fluktuation, die ich beobachte, kann ich ohnehin davon ausgehen, daß ein Teil von Ihnen schon zu Mittag gegessen hat.

Wenn dieser Vorschlag Zustimmung findet - das Verfahren ist auch in anderen Parlamenten üblich -, dann setzen wir die Abwicklung der Tagesordnung ohne Unterbrechung fort. - Wir verfahren so.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:

Beratung

Ausgrenzung von Jugendlichen in der sozialstaatlich betreuten Jugendarbeit

Antrag der Fraktion der FDVP - Drs. 3/2883

Änderungsantrag der Fraktion der CDU - Drs. 3/2963

Der Antrag wird eingebracht von der Abgeordneten Frau Wiechmann. Frau Wiechmann, bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sicherlich haben Sie alle mit großem Bedauern und tiefer Besorgnis zur Kenntnis genommen, daß vor ca. drei Wochen das einzige Jugendzentrum für solche Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die der augenblicklichen Entwicklung der Gesellschaft kritisch gegenüberstehen, der „Brunnen“ in Magdeburg-Nord, geschlossen wurde.

Zur Begründung, so schrieben das „Neue Deutschland“ und die „Magdeburger Volksstimme“ am 16. März 2000, sei durch den Träger, die evangelische Kirche, erklärt worden, daß trotz eineinhalb, fast zweijähriger verzweifelter Suche in ganz Deutschland kein Jugendklubleiter gefunden werden konnte.

Meine Damen und Herren! Unsere Fraktion hat mit Jugendlichen dieses Klubs gesprochen, ihre Meinung eingeholt. Wir haben auch mit Vertretern der Kirche und der Polizei gesprochen sowie teils auch schriftliche Stellungnahmen erhalten.

Ich möchte vorab einige Worte zur Geschichte des Jugendklubs sagen. Angefangen hat sie nach der Wiedervereinigung, genaugenommen am 8. Dezember 1990. Die von allen Seiten skeptisch beäugten Sozialarbeiter Bernd Spring und Doris Kirsch prägten den einstigen Kindergarten in einen Jugendklub um. Ganz MagdeburgNord traf sich dort. Es waren ca. 50 bis 60 Jugendliche täglich, am Wochenende sogar mehr.

An Ideen zur Gestaltung des Klubs mangelte es nicht. Immer wieder wurde er von den Jugendlichen ausgebaut, es wurden die Wände gestrichen und verkleidet usw. Immer geschah dies in Eigeninitiative und unter Anleitung der Sozialarbeiter.

Einst für alle Jugendlichen geschaffen, begannen in Nord die Rechtsorientierten und in Stadtfeld die Linksorientierten zu dominieren. Das war Zufall. Die Jugendarbeit wurde dennoch weitergeführt. Das Anti-GewaltProgramm der damaligen CDU-Bundesregierung fruchtete und kulminierte in der Stadt Magdeburg im „Brunnen“.

Auslandsreisen und Bootstouren waren plötzlich ein Thema. Bestaunt wurde das Ganze damals von der gegenwärtigen designierten CDU-Bundesvorsitzenden Angela Merkel höchstpersönlich. Das Ziel der Gewaltlosigkeit, meine Damen und Herren, war erreicht, ohne daß man sich freilich beruhigt zurücklehnen konnte.

Doch seit dem Regierungswechsel 1994 ging es abwärts. Die Jugendlichen berichteten, wie man offenbar gezielt gesucht und tatsächlich gefunden hatte. Ständig wurde von irgendwelchen Personen dies und jenes angeprangert, ständig gab es letztendlich haltlose Vorwürfe und Beschuldigungen.

Von diesem Zeitpunkt an kam es nun alljährlich zu Konfrontationen mit der Stadt Magdeburg, dem Jugendamt, obwohl sich die jugendlichen Hausnutzer sogar mit der neu einquartierten, altersmäßig jüngeren Gruppe im Obergeschoß des Hauses verstanden. Jeder der Jugendlichen machte sein Ding, so schilderten es die Jugendlichen aus ihrer Sicht.

Eine neue Basis der Jugendarbeit wurde im „Brunnen“ geschaffen und sollte die Überlebensfähigkeit des Klubs auf Jahre hinaus sichern. Organisiert werden konnten nun Weihnachtsfeiern, Jahresfeiern oder Dartturniere.

Meine Damen und Herren! Dann kam plötzlich der Tag, an dem es kein qualifiziertes Personal mehr geben sollte. An dieser Stelle richten die Jugendlichen massive Kritik an die Verantwortlichen; denn qualifizierte Bewerber hat es genügend gegeben. Das Problem war lange vorher bekannt.

Sie wissen es übrigens alle: Streetworker finden nun einmal keine Luxusarbeitsbedingungen vor. Von ABMStellen braucht an dieser Stelle gar nicht geredet zu werden. Abgesehen davon wurde der Klub, in zunehmendem Maße erfolgreich, auch eigenverantwortlich geführt.

Insgesamt betrachtet, hat man nun, meine Damen und Herren, die dargestellte gute Entwicklung sehr kurzsichtig und vielleicht auch gewollt zerstört.

Meine Damen und Herren! Wir wollen natürlich an dieser Stelle das unerschrockene Engagement der evangelischen Kirche keineswegs schmälern. Wir sind allerdings überrascht, daß sich unter den weit über 4 Millionen Menschen, die in Deutschland arbeitslos sind oder sich in einer vorübergehenden Umschulungs- oder Weiterbildungsmaßnahme befinden, keine einzige Sozialpädagogin bzw. kein Sozialpädagoge finden ließ, die oder der diese Jugendlichen betreuen könnte.

Es ist unserer Fraktion natürlich klar, daß der Umgang mit einer Gruppe von ca. 50 jungen Menschen, die ihren eigenen Kopf und ihre eigene politische Überzeugung haben, nicht immer leicht ist. Trotzdem - das sei an dieser Stelle gesagt - haben die Erfahrungen der letzten

beiden Sozialarbeiter des Jugendzentrums aus der Vergangenheit gezeigt, daß man in die Aufgaben der Betreuung dieser jungen Frauen und Männer sehr wohl hineinwachsen kann, daß Mann oder Frau schließlich auch von diesen jungen Menschen akzeptiert werden.

Nur, meine Damen und Herren, einen Sozialarbeiter oder eine Sozialarbeiterin finden zu wollen, der oder die erstens promoviert hat, zweitens unbedingt die evangelische Kirchenzugehörigkeit nachweisen muß und darüber hinaus jahrzehntelange Berufserfahrung im Umgang speziell mit rechten Jugendlichen haben muß - so die evangelische Kirche -, das halten wir für schlichtweg überzogen.

(Zurufe von Herrn Biener, SPD, und von Herrn Siegert, SPD)

Noch eines mehr: Wir halten es sogar für den berühmten Versuch der Quadratur des Kreises. Oder - so stellt sich uns natürlich die Frage - will man gar niemanden finden?

(Zurufe von Herrn Biener, SPD, und von Herrn Siegert, SPD)

Wir fragen uns, warum die Betreuung gut neun Jahre lang funktioniert hat und urplötzlich dieser Jugendklub für die Jugendlichen, die sich eben nicht in ein bestimmtes Schema pressen lassen, still und heimlich geschlossen wird. Im übrigen halten wir generell die Schließung von Jugendbegegnungsstätten für fatal.

Die Personalsituation als Grund dafür vorzuschieben, halten wir für ausgesprochen schamlos, eigentlich auch feige und unwürdig; denn so sollen Jugendliche offensichtlich bewußt aus der sozialstaatlichen Förderung ausgegrenzt werden.

(Zurufe von Herrn Siegert, SPD, und von Herrn Biener, SPD)

- Herr Siegert, jetzt weiß ich auch Ihren Namen. Bisher kannte ich ihn nicht. Sie sind mir in diesem Hause nie aufgefallen.

Gerade die evangelische Kirche, die nachweislich im sozialen Bereich über eine Vielzahl qualifizierter und motivierter Mitarbeiter verfügt, macht sich unglaubwürdig und nahezu lächerlich, wenn sie sagt, sie würde keinen geeigneten Mitarbeiter für die Betreuung der Jugend- lichen finden.

(Herr Biener, SPD: Das müßte auf einer Synode vorgetragen werden, nicht hier!)

Wir haben heute schon über dieses Thema debattiert. Vielleicht sollten wir auch hier, obwohl es eine sehr ernste Situation ist, eine Petition an unseren Bundeskanzler Schröder richten. Vielleicht holt er tausend indische Jugendspezialisten nach Deutschland und greift damit auch der evangelischen Kirche personaltechnisch unter die Arme.

(Zustimmung bei der FDVP)

Aber Spaß beiseite; denn es ist ein ernsthaftes Thema.

Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, auf eine ganz nüchterne und ernste Einschätzung der Gewaltsituation durch die Magdeburger Polizeidirektion zu sprechen kommen. Abgesehen davon, daß die Schließung des Jugendzentrums „Brunnen“ selbst für die Polizeiführung völlig überraschend kam, sei sie zugleich - so die Polizeiführung - sehr bedauerlich.

Für die Schließung der Jugendbegegnungsstätte „Brunnen“ gäbe es aus der Sicht der Polizei absolut keinen