Protokoll der Sitzung vom 12.10.2000

(Beifall bei der FDVP - Frau Stolfa, PDS: Ach du lieber Himmel!)

Danke. - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Abgeordnete Herr Rothe.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Fraktion der CDU ist dafür zu danken, dass sie mit ihrer Großen Anfrage uns heute die Gelegenheit gibt, über den Entwicklungsstand der Landespolizei zu sprechen. Sie haben gefragt, was ich schon immer wissen wollte, aber bisher nicht zu fragen wagte.

(Zustimmung von Frau Kauerauf, SPD)

Es ist auch löblich, dass die CDU-Fraktion die Sicherheitspolitik der Landesregierung im Wesentlichen mitträgt.

(Zustimmung von Herrn Becker, CDU)

Das war bei der Änderung des Polizeirechts so, und das zeigt sich heute wieder. Damit Sie, Herr Kollege Becker, aus meinem Lob aber keine falschen Schlüsse ziehen, will ich, wie Sie das vorhin auch getan haben, das Thema Verwaltungsreform ansprechen.

(Herr Becker, CDU: Ja!)

So sehr ich mich über Ihre konstruktive Rolle in der Sicherheitspolitik freue, so schmerzlich vermisse ich ein entsprechendes Verhalten in Bezug auf die Verwaltungsreform.

(Zustimmung bei der SPD - Zurufe von Herrn Je- ziorsky, CDU, und von Herrn Webel, CDU)

Mit Ihrer Erfurter Erklärung, Herr Webel - ich spreche die ganze CDU-Fraktion an; denn wenn ich aus der Presse richtig informiert bin, haben Sie das einstimmig beschlossen -, haben Sie mehr Schaden angerichtet, als Sie mit Ihrer Unterstützung der Sicherheitspolitik gut- machen können.

(Herr Becker, CDU: Haben Sie die Erklärung ge- lesen?)

Ich sage Ihnen im Ernst, damit es später nicht heißt, da gab es ein Missverständnis: Für uns Sozialdemokraten ist die Umsetzung der Funktional- und Gebietsreform

(Herr Webel, CDU: Funktionalreform!)

das zentrale innenpolitische Vorhaben für die nächste Legislaturperiode, auf das wir keinesfalls verzichten werden.

(Beifall bei der SPD - Zurufe von Frau Stange, CDU, und von Herrn Becker, CDU)

Ihre Große Anfrage datiert vom 3. Mai 2000. Damals hatten Sie den Strukturkonservatismus noch nicht zum Dogma erhoben. Sie haben völlig zu Recht die Frage gestellt: „Inwiefern ist es noch immer aus Gründen der Kriminalitätsentwicklung oder zur Stärkung des subjektiven Sicherheitsempfindens der Bevölkerung erforderlich, in jeder Verwaltungsgemeinschaft eine Polizeistation vorzuhalten?“ - Die Landesregierung antwortet salomonisch, mit Polizeistationen werde grundsätzlich weniger der objektiven Kriminalitätsbedrohung als der Bürgernähe und dem Sicherheitsempfinden der Bevölkerung Rechnung getragen.

Lassen Sie mich deutlicher werden: Es war richtig, das Flächenpräsenzprogramm, das konzeptionell noch auf Herrn Perschau und Herrn Remmers zurückgeht, konsequent umzusetzen und in jeder Verwaltungsgemeinschaft eine Polizeistation einzurichten. Nun zeigt sich aber, dass hier und da der Geschäftsanfall gering ist.

Bei einer rückläufigen Zahl von Vollzugsbeamten können wir uns meines Erachtens nicht mehr Polizeistationen leisten, als es die Sicherheitslage objektiv erfordert. Das heißt, im Zuge der Bildung größerer Verwaltungsgemeinschaften sollte geprüft werden, wo Polizeistationen zugunsten anderer Formen der Flächenpräsenz entbehrlich sind. Hervorheben möchte ich dabei die Bedeutung des Fußstreifeneinsatzes, der das höchste Maß an Ansprechbarkeit der Beamtinnen und Beamten gewährleistet.

Auch die Polizei ist ein Teil des Gesamtprojektes Verwaltungsreform. Sie hat mit dem Übergang zu einer zweistufigen Aufbauorganisation vor fünf Jahren eine Vorreiterrolle gespielt. Ich behaupte, dass sie auch hinsichtlich der Reform ihrer Ablauforganisation, unterstützt durch den verstärkten Einsatz von Informationstechniken - ich nenne das Stichwort „Polis neu“ -, Vorbildliches leistet.

Schließlich liegt ein Schwerpunkt in der Leitbilddiskussion, in der Erarbeitung von Zielen mit den Mitarbeitern. Das Personal ist die wichtigste Ressource der Polizei.

Herr Becker, wenn Sie sagen, die Landesregierung biete der Polizei keine Perspektiven, dann kann ich darüber nur den Kopf schütteln. Ich habe das als Personalleiter einer Polizeidirektion selbst praktiziert. Nirgends sind in den letzten Jahren alle Beförderungsmöglichkeiten, die die Haushaltslage erlaubt, so konsequent ausgeschöpft worden wie bei der Polizei.

Das hat in anderen Verwaltungszweigen wie in den Regierungspräsidien zu Irritationen geführt. Von den Beförderungsmöglichkeiten wurde bei der Polizei auch im Hinblick auf die ausstehende Ost-West-Angleichung der Bezüge eher großzügig als zurückhaltend Gebrauch gemacht.

Herr Becker, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass im Polizeivollzugsdienst ein organischer Altersaufbau anzustreben ist. Allerdings halte ich es für überzogen, von einer drohenden Opa-Polizei zu sprechen. Das wird den Beamtinnen und Beamten nicht gerecht. In der Realität des polizeilichen Alltags kommt es doch mehr auf Erfahrungen im Umgang mit Menschen an als

auf schnelle Verfolgungsfahrten oder körperliche Höchstleistungen.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Frau Stol- fa, PDS, und von Herrn Dr. Süß, PDS)

Mit ihrer Forderung nach einem Einstellungskorridor für junge Nachwuchsbeamte rennt die CDU bei uns offene Türen ein, weil jährlich 80 Anwärter in den Polizeivollzugsdienst eingestellt werden. Bei der gegenwärtigen Polizeidichte dürfte eigentlich niemand eingestellt werden.

Richtig ist der Weg, den der Innenminister geht, nämlich schrittweise bis zum Jahr 2010 die Zielzahl von einem Beamten auf 340 Einwohner zu erreichen, und zwar so, dass auch in diesem Jahrzehnt der Ausbildungsbetrieb in der Fachhochschule Aschersleben auf einem gesunden Niveau fortgesetzt werden kann.

Darauf aufbauend bleibt die Bereitschaftspolizei in der Lage, ihre vielfältigen Aufgaben zu erfüllen, und zwar ohne dass die Nachwuchsbeamten dort allzu lange verweilen müssen, bevor sie in den polizeilichen Einzeldienst wechseln.

Meine Damen und Herren! Wie hat sich das polizeiliche Lagebild im Land Sachsen-Anhalt in den vergangenen Jahren entwickelt? Die Aufklärungsquote in der Kriminalitätsbekämpfung ist deutlich gestiegen. Das Straftatenaufkommen geht zurück, auch bei den Gewaltstraftaten. Die Zahl der Verkehrstoten und -verletzten ist rückläufig. Das heißt, gemessen an dem Ausgangsniveau des Jahres 1994 ist von einer rundum befriedigenden Bilanz zu sprechen.

Das darf aber nicht zu einem Nachlassen der polizeilichen Anstrengungen führen, weil die Häufigkeitszahlen teilweise immer noch recht hoch sind. Es ist kein auf Dauer hinnehmbarer Zustand, dass die Verkehrsunfälle bei uns in den östlichen Bundesländern zahlreicher und schwerwiegender als im Westen sind. Hierfür gibt es Ursachen im baulichen Zustand des Straßennetzes, der nur nach und nach verbessert werden kann, aber auch im Verhalten der Straßenverkehrsteilnehmer.

Ich begrüße, dass der Innenminister sich gerade in Bezug auf die Risikogruppe der jugendlichen Fahranfänger immer wieder neue Aktionen einfallen lässt, die das Bewusstsein für den Wert des eigenen Lebens und das der anderen Verkehrsteilnehmer schärfen sollen.

Die Große Anfrage der CDU-Fraktion widmet der internationalen Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität einen besonderen Abschnitt. Das finde ich gut, denn von der inneren Sicherheit als einer innerstaatlichen Aufgabe zu reden ist immer weniger zeitgemäß. Das Land Sachsen-Anhalt hat bekanntlich zur Errichtung der Den Haager Polizeibehörde Europol wesentlich beigetragen.

Gestatten Sie mir noch eine kritische Anmerkung zum letzten Teil der Großen Anfrage. Ich sage das jetzt in aller Kürze, weil der Herr Minister diesen Punkt auch schon angesprochen hat. Ich möchte aus dem Trennungsgebot zwischen Polizei und Verfassungsschutz die Bitte ableiten, dass Sie, wenn Sie das nächste Mal Fragen zur Arbeit des Verfassungsschutzes haben, diese nicht unter der Überschrift „Polizei in Sachsen-Anhalt“ stellen.

(Zustimmung bei der SPD)

Nun, Herr Kollege Gärtner, noch kurz zu Ihrem Beitrag. Sie haben heute Ihre Rolle als aufrechter Liberaler bei

der Novellierung des Polizeirechts in Erinnerung gerufen und befinden sich da in guter Gesellschaft mit Herrn Claus, der sich ja seinerzeit in Sachen Videoüberwachung an das Verwaltungsgericht Halle gewandt hatte.

Er hat sich letzten Sonntag im Berliner „Tagesspiegel“ in einem gemeinsamen Interview mit Herrn Westerwelle zum Liberalismus bekannt; Herr Westerwelle erwiderte dann, das halte er doch für eine mutige Selbsteinschätzung. Der Liberalismus habe aus seiner Sicht mit den Ideen der PDS so wenig zu tun wie mit denen anderer staatsorientierter Parteien. Die Idee vom Liberalismus sei, mit weniger Staat und mehr Eigenverantwortung unsere Gesellschaft zu organisieren.

Herr Gärtner, ich frage Sie: Wie sollen die Bewohner von Neu-Olvenstedt und von Halle-Neustadt mit weniger Staat und mehr Eigenverantwortung ihre innere Sicherheit organisieren?

Ich freue mich, dass in diesen Neubaugebieten seit 1998 neue Polizeireviere bezogen werden konnten, die die Menschen dort brauchen.

Kommen Sie bitte zum Ende.

Jawohl, Herr Präsident!

(Heiterkeit bei der SPD und bei der PDS - Lachen bei der CDU)

- Es ist doch nicht schändlich, wenn man dem Präsidenten Gehorsam erweist.

(Zustimmung bei der SPD, bei der PDS und von der Regierungsbank)

Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, dass wir bei der Diskussion im Innenausschuss am kommenden Mittwoch die Erfordernisse der Polizei berücksichtigen.

Es ist in den vergangenen Jahren gelungen, die Wirksamkeit der polizeilichen Aufgabenerfüllung nachhaltig zu steigern. Auf diesem Wege wünsche ich namens der SPD-Fraktion dem Herrn Innenminister und den Angehörigen der Landespolizei weiterhin viel Erfolg. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von der Regie- rungsbank)

Herr Abgeordneter Rothe, wenn Sie gehorsam gewesen wären, hätten Sie die acht Minuten eingehalten, die vorgegeben waren.

(Heiterkeit - Frau Budde, SPD: Ausgerechnet Bernward, wo der es ehrlich meint!)

Für die Fraktion der DVU-FL erteile ich dem Abgeordneten Herrn Montag das Wort. Bitte, Herr Montag.