Protokoll der Sitzung vom 01.03.2001

Sachsen-Anhalt hat von allen Bundesländern die höchste Arbeitslosigkeit. Allein 21 000 Arbeitsplätze gingen im letzten Jahr durch Missmanagement der Regierung verloren.

(Frau Krause, PDS: Kommen Sie doch einmal zum Thema!)

- Das ist das Thema und kein anderes! Sie wollen etwas verzahnen.

Meine Damen und Herren! An den Menschen in Sachsen-Anhalt kann es nicht liegen. Sie gehen in andere Regionen, um zu arbeiten, nicht um aus dem Fenster zu

lümmeln, weil hier die wirtschaftliche Nacht hereingebrochen ist. Dazu kommt, dass mehr Sachsen-Anhalter in anderen Bundesländern studieren als umgekehrt. Diese Menschen kommen kaum nach Sachsen-Anhalt zurück. Sie sind selbständig denkend.

Bei Neugründungen überwogen bereits ab 1999 die Abmeldungen die Anmeldungen. Im Vergleich zu den alten Bundesländern hat Sachsen-Anhalt eine Unternehmenslücke von zirka 40 000 Unternehmen. Das wäre nach der durchschnittlichen Arbeitsplatzanzahl in den alten Bundesländern ein Plus von 200 000 Arbeitsplätzen, würde man dies hochrechnen.

Die per Regierungserklärung ausgerufene Informationsgesellschaft bindet einfach keine Arbeitskräfte. Das wäre neben Ingenieurbüros eine Domäne von Hochschulabsolventen. In der Infrastruktur liegt Sachsen-Anhalt mit gerade einmal 50 % der Dichte weit hinter den alten Bundesländern und hinter dem Durchschnitt der neuen Länder zurück.

Nebenbei gefragt: Warum ist eigentlich die A 14 nur zweispurig? Ist das der wirtschaftlichen Erwartung angepasst?

Die Anhörung der Rektoren und Experten von Hochschulen und Universitäten vom 22. März 2000 vor dem Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ergab kein rosiges Bild unserer Studienlandschaft. Durch die massive Streichung von Stellen und Mitteln kommt es zu einem deutlich verschlechterten Ausbildungsniveau.

Da lässt sich deutlich immer weniger immer schlechter verzahnen. Die Landesregierung muss viel, viel niedriger ansetzen, als es die Absicht dieses Schmuseantrages ist. Zahnräder mit nur einem Zahn sollte man nicht verzahnen.

Die Tagesaufgaben dieser Regierung heißen gänzlich anders: Retten, was noch zu retten ist. Lösen Sie zum Beispiel die Verzahnung unserer Landwirtschaft mit der EU. Die Bonsai-Bildungspolitik muss beendet werden, damit das andere Zahnrad auch Zähne bekommt. Gegenwärtig gehört dieser Antrag für Sachsen-Anhalt noch zur Sciencefiction und wird den bitteren Tatsachen nicht im Entferntesten gerecht. Es gibt kein Fundament.

Dem Einreicher danken wir für die ausgelöste Heiterkeit; denn man nehme, was man hat. Es sind eben immer wieder die Zustände und nicht die Schallwellen, die zählen. Es gibt Themen, die es weniger verdienen, in den Ausschuss zu gelangen. Deshalb stimmen wir trotz unserer Skepsis zu. - Danke.

(Beifall bei der FDVP)

Herr Professor Dr. Trepte hat für die PDS-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Spotka, aus unserer Sicht ist der Antrag zu be- grüßen. Er greift auch Erfahrungen des DDR-Hochschulstudiums der 80er-Jahre auf. Er entspricht einem gegebenen Tatbestand sowie einer gerechtfertigten Forderung der Wirtschaft und ihrer Verbände. Wir werden dem Antrag also zustimmen.

Ich will mich bemühen, in Thesenform zu einigen Tatbeständen und Forderungen zu sprechen, die in dieser Debatte wahrscheinlich nur am Rande eine Rolle spielen

werden, und dies ausschließlich mit Blick auf den Hochschulbereich. Meine Damen und Herren! Thesen sind unbewiesene Behauptungen.

Erstens. Betroffen von diesem Anliegen sind insbesondere wirtschaftswissenschaftliche, ingenieur- und naturwissenschaftliche sowie juristische Studiengänge.

Zweitens. Es darf sich auf gar keinen Fall um eine auf einen künftigen Arbeitsplatz bezogene Ausbildung handeln.

Drittens. Die Verzahnung von theoretischer und praktischer Ausbildung in der Wirtschaft am Beispiel der konkreten Bedingungen meinethalben in einem Unternehmen sollen zu verallgemeinerungsfähigem Wissen und Fertigkeiten führen. Dies sind insbesondere Fertigkeiten wie Problemidentifikationsvermögen, Problemlösungsvermögen sowie Potenzialerschließungs- und Umsetzungsvermögen auf einem innovativen Gebiet.

Viertens. Dies setzt voraus, dass der Hochschullehrer mit der Wirtschaft zusammenarbeitet, dass er selbst Anwendungsforschung betreibt und die Studierenden über Praktika, Kurse, Kollegs und Diplomarbeiten in diese Forschungen einbezieht.

Fünftens. Ein solcher Zuschnitt anwendungsorientierter Forschung ist natürlich für Fachhochschulen angemessen. Dem dortigen Hochschullehrer müssen jedoch neben der Lehre Freiräume für praxisbezogene Forschung in angemessenem Umfange verbleiben.

Sechstens. An den Universitäten soll neben der für diese typischen und notwendigen Grundlagenforschung auch ein bestimmter Anteil Anwendungs- und Überführungsforschung geleistet werden. Insbesondere in die letztere sind die Studierenden zu integrieren.

Siebentens. Die Berufung der Hochschullehrer auf Lebenszeit erweist sich zunehmend als internationaler Wettbewerbsnachteil infolge nur geringer Leistungsanreize. Die periodische Leistungsbewertung von Hochschullehrern auch unter Einbeziehung der wirtschaftsnahen Ausbildung durch die Leitung der Hochschulen und die Verbände der Wirtschaft ist erforderlich. Berufungen auf Zeit sind angesagt. Wiederberufungen sollen auf der Grundlage der Ergebnisse der Leistungsbewertung erfolgen.

Achtens. In Sachsen-Anhalt laufen in Modellversuchen - der Herr Minister hat darauf hingewiesen - zwei duale Kompaktstudiengänge, zum einen technische Betriebswirtschaft an der Fachhochschule Merseburg und zum anderen Betriebswirtschaft an der Fachhochschule Magdeburg-Stendal. Die Ergebnisse - das finden wir auch - sollen ausgewertet und - vorausgesetzt, sie sind überzeugend - verbreitert werden.

Neuntens. Sinnhaft ist das Ganze nur, wenn die Absolventen überwiegend in Sachsen-Anhalt verbleiben.

Als Letztes will ich noch anfügen: Voraussetzung für das Gelingen eines solchen Anliegens, Herr Spotka, ist, dass die Relation der Anzahl der Studierenden je Hochschullehrer völlig neu überdacht wird. So wie es jetzt zum Beispiel in den betriebswirtschaftlichen Fachrichtungen ist, funktioniert das nicht.

Zwei Schlussfolgerungen - ich bin gleich am Ende, Frau Präsidentin -:

Gelingen weitere Fortschritte auf dem Gebiet der Verzahnung von theoretischer Ausbildung und selbständiger praxisverbundener Arbeit der Studierenden, besteht

neben dem Vorteil des schnelleren und besseren Wirksamwerdens der Absolventen in der Wirtschaft ein weiterer: Durch anwendungsorientierte Forschungsarbeiten im dualen Studium werden das Innovationspotenzial der Wirtschaft wesentlich gestärkt und damit für SachsenAnhalt Punkte gemacht.

Die zweite Schlussfolgerung: Herr Bergner, Herr Spotka und andere werden wissen, eine solche Orientierung der Ausbildung ist nicht neu. In den 80er-Jahren wurde diese Richtung in der DDR unter der Bezeichnung wissenschaftlich-produktives Studium auf der Grundlage individueller Studienpläne zielstrebig und erfolgreich erprobt und umgesetzt. Heute müsste das natürlich auf ganz anderem Niveau geschehen; das ist klar. Für mich erfreulich ist, Herr Kollege Spotka, dass Sie noch heute aus diesem reichen Erfahrungsschatz schöpfen. - Ich danke Ihnen.

(Zustimmung bei der PDS)

Die DVU-FL hat auf einen Beitrag verzichtetet. Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Ernst.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Professor Spotka, ich wollte es mir eigentlich verkneifen, aber ich hätte es doch für angemessen gehalten, wenn Sie schon im Antrag und in Ihrer Rede relativ viel aus dieser Schrift zitieren, dass Sie einen Quellennachweis dafür angeben.

(Der Redner hält eine Broschüre hoch - Zuruf von Herrn Schulze, CDU)

Zum Antrag. Der CDU-Antrag greift ein Thema auf, das wir im Landtag schon öfter diskutiert haben:

(Frau Wiechmann, FDVP: Noch nicht oft genug!)

Ist die Hochschulausbildung ausreichend effizient und ausreichend praxisorientiert?

Nun ist dies beileibe kein typisch sachsen-anhaltisches Problem, wie auch dem Artikel aus dieser Zeitschrift „Berichte aus der angewandten Innovationsforschung“, Nr. 190, der diesem Antrag zugrunde liegt, zu entnehmen ist.

Die Wirtschaft sagt seit Jahren, die Absolventen der Hochschulen sind zu alt, zu unflexibel und zu wenig praxisorientiert. Wenn man davon ausgeht, dass jede nachfolgende Einrichtung über ihre Vorgängerin klagt - die Grundschulen über die Kindergärten, die Sekundarschulen über die Grundschulen, die Gymnasien über die Förderstufe, die Hochschulen über die Gymnasien und eben die Wirtschaft über die Hochschulen - und diese Klagen nicht nur aus Prinzip geführt werden, muss man sich dieser Tatsache durchaus widmen. Das wird zu dem hier diskutierten Übergang Hochschule/Wirtschaft auch seit einiger Zeit getan, wie in der Hochschulrektorenkonferenz mit der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände am 20. März 2000 und auf ähn- lichen Konferenzen.

Dabei merkt der erstaunte Beobachter jetzt zum ersten Mal eine gewisse Rollenverteilung. Die Wirtschaft listet auf, was die Hochschulen anders machen sollten, und die Hochschulen formulieren ihre Vorschläge für die Wirtschaft und die Politik. Eine interessante Parallele bietet sich übrigens morgen unter dem Tagesordnungspunkt 24 - Ingenieurbedarf für die Wirtschaft in Sachsen

Anhalt -, der durch Mitglieder des Wirtschaftsausschusses initiiert wurde.

Einige Forderungen der Wirtschaft - ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis -:

„Die Hochschulen sollen ihre Lehrpläne und Methoden noch stärker den sich wandelnden Fragen der beruflichen Praxis öffnen. Dabei bleibt aber die Stärkung des methodischen Grundwissens eine wichtige Voraussetzung. Es ist auch für die Universität sinnvoll, Praxiskontakte und Praxisprobleme in das Studium zu integrieren. Die Hochschulen müssen ihrer Verpflichtung nachkommen, ihre Absolventen frühzeitig auf Bewerbung, Beruf und Selbständigkeit vorzubereiten. Dazu sollten immer mehr Absolventen- und Existenzgründertrainings geschaffen werden.“

Das war die Wirtschaft. Jetzt die Hochschulen:

„Insgesamt bedarf es einer stärkeren und selbstverständlicheren Präsenz der Wirtschaft in Forschung und Lehre, unter anderem durch eine deutlichere, konsistentere Artikulation von Erwartungen an Studiengänge und -abschlüsse, die aktive personelle Beteiligung an den neuen und überaus personalintensiven Verknüpfungsstrukturen zwischen Hochschulen und Gesellschaft und eine angemessene Anerkennung solcher Tätigkeiten innerhalb der Unternehmen, die großzügigere Bereitstellung von Praktika, Diplomen, Promotionsprojekten und anderen Begegnungsmöglichkeiten von Studium und Arbeitswelt, Theorie und Praxis.“

Das sind jeweils nur einige der Forderungen, denen ich übrigens allen zustimmen kann.

Wenn man davon ausgeht, dass jedem Studium nur ein begrenzter Zeitrahmen zugrunde liegt und innerhalb des Studiums ein nicht zu unterschätzender großer Anteil an theoretischer Ausbildung enthalten sein muss, um einen akademischen Abschluss gerechtfertigt ausgehändigt zu bekommen, sieht man, dass das duale System innere Grenzen hat.

Der Knackpunkt in dieser Auseinandersetzung liegt nun meines Erachtens darin, dass alles auf eine Frage hinausläuft: Welches Theorie-Praxis-Verhältnis brauche ich, um beispielsweise nach einem abgeschlossenen ingenieurwissenschaftlichen Studium in jedem Betrieb möglichst schnell gute Leistungen zu bringen? Aber daraus resultiert die zweite Frage: Will ich überhaupt in jedem Betrieb anfangen, sprich: wie früh will ich meinen weiteren Arbeitsweg eingrenzen?

Daran kann jeder festmachen, dass es immer unterschiedliche Auffassungen und Wünsche geben wird. Also kann das System dieser dualen Studiengänge nur eine dritte Säule neben der traditionellen Hochschulausbildung, den Berufsakademien bzw. dem Sondermodell in Sachsen-Anhalt sein.

Inwieweit sich dieses aber mit der Forschungsfreiheit, der Autonomie der Hochschulen, den Hochschulzulassungsbestimmungen und den Hochschulabschlüssen vereinbaren lässt, wird ein schwieriger Prozess. Zum Teil hatten wir diese Diskussion auch im Landtag. Ich denke dabei an das Thema Berufsakademie und behördeninterne Fachhochschule.