Protokoll der Sitzung vom 02.03.2001

Dabei sind die angesprochenen Probleme keineswegs neu oder überholt. Sie erhielten öffentliche Aufmerksamkeit durch einen Vorschlag des Berliner Innensenators Eckart Werthebach, der zum Schutz der deutschen Sprache aufforderte. Dabei erregte besonders seine Forderung, zu prüfen, ob ein Zurückdrängen der deutschen Sprache per Gesetz aufgehalten werden kann, die Gemüter.

Allein diese Feststellung polarisierte, rief große Zustimmung, aber auch Ablehnung hervor und erhielt je nach Ablehnungsbegründung ein ideologisch geflicktes Tarnmäntelchen. Insbesondere jene, die die Front der Ablehnenden bildeten, begründeten das mit den sattsam bekannten Unterstellungen der Deutschtümelei und der fortschrittsabgewandten Weltbetrachtung.

Meine Damen und Herren! Ich finde es gewagt, im jetzigen Stadium des Abwägens des Für und Wider mit unumstößlichen Meinungen aufzutreten, ohne eine sorgfältige Prüfung des Anliegens, die Wahrung der deutschen Sprache als Bestandteil der sprachlich-kulturellen Vielfalt Europas zu erreichen, durchzuführen.

(Zuruf von Frau Dirlich, PDS)

In der schriftlichen Antwort auf meine Kleine Anfrage vom 3. Juli 2000 zu Anglizismen in der deutschen Sprache gab die Landesregierung zweifellos eine sachliche Darstellung, wies aber zugleich darauf hin, dass es vermehrter Anstrengungen bedarf, die deutsche Sprache insbesondere in den Schulen zu fördern.

Die bisher teils nur unterschwelligen Diskussionen in der Öffentlichkeit und die in Fachkreisen geführten Auseinandersetzungen haben aber nunmehr ein neues Stadium erreicht. Einigkeit besteht bei allen Unterschieden darin, dass nicht noch einmal eine solche Pleite hervorgerufen werden darf, wie sie aufgrund einer verspätet einsetzenden öffentlichen Diskussion zur Rechtschreibreform entstand und dann mittels höchster Rechtsprechung durchgedrückt wurde.

Natürlich kann man es wie der damalige Bundespräsident Herzog halten, der, wie immer unverkrampft, äußerte, er stelle sich nicht mehr um und schreibe weiter wie gehabt. Das berührt natürlich die Frage, ob für alles und jedes rechtliche Regelungen vonnöten sind und ob eine Sprache als lebendige und sich entwickelnde Erscheinung durch gesetzliche Festlegungen festgeschrieben werden sollte.

Fraglich bleibt, ob sich das Volk „darum scheret“, was im lutherischen Sinne „aus dem Maul fahret“ und nicht den Regelungen entspricht.

Nicht nur der fünften Jahreszeit geschuldet, seien hier Gedanken zum Thema angeführt, die dem Internet entnommen sind:

„Die Leute haben einen Spleen; denn sauber heißt nun vielmehr clean. Die Kinder aber nennt man Kids und Rundfunkschlager sind die Hits.

Des Menschen Arbeit wird zum Job, der große Reinfall wird zum Flop. Wer einst Barbier, ist nun Stylist. Doch dem Himmel sei Dank; denn Mist bleibt Mist.“

(Zuruf von Frau Bull, PDS)

Meine Damen und Herren! Leider ist das Problem ernster und nicht mit lockeren Versen lösbar. Der in diesen Tagen viel zitierte Autor, Übersetzer und Wissenschaftsreporter Dieter E. Zimmer hat in seinem Buch „Deutsch und anders - Die Sprache im Modernisierungsfieber“ die damit verbundenen Probleme und Fragestellungen aufgeführt. Zimmer führt aus, dass seit jeher Wörter über Sprachgrenzen hereinkommen, nicht nur als Flüchtlinge, sondern als geladene Gäste. Einige werden abgewiesen, die meisten aufgenommen und mit der Zeit assimiliert und - so Zimmer - die Sprache ist nicht daran kaputtgegangen, hat davon sogar profitiert. Warum sollte es heute anders sein?

Dieter E. Zimmer verdeutlicht heute eine andere Situation:

Erstens. In der Vergangenheit war der Zustrom fremder Wörter und Wendungen jeweils zeitlich begrenzt. Entsprang er einer Mode, so versiegte er, wenn die nächste an der Reihe war. Dass der heutige Zustrom der Anglizismen versiegen wird, ist eine Illusion.

Zweitens. Die deutsche Sprache liefert bei der ungebremsten Anglizierung nur das Füllmaterial. Deutsch hat sich auf vielen Gebieten verabschiedet und seinen Platz einem oft miserablen Englisch überlassen.

Drittens. Heute gibt es keinen sprachlichen Assimilationsprozess. Die Wörter und Wendungen werden vielmehr durch unterschiedliche Institutionen, vor allem durch Medien, hofgerecht eingeredet. Hierbei geht es nicht darum, technischen Entwicklungen in den Entstehungsländern zu entsprechen und sprachlichen Neuschöpfungen dem Sachverhalt entsprechend als Ausdruck einer Globalisierung Bahn zu brechen. Das ist nur in geringem Maß der Fall.

In einer Diskussion im Deutschlandfunk in der vorigen Woche wurde ein Beispiel angeführt, das symptomatisch ist: Der Siemens-Konzern bewirbt seine Produkte in Spanien auf Spanisch, in Italien auf Italienisch, in Griechenland auf Griechisch, aber - man höre - in Deutschland auf Englisch. Siemens weiß, wie internationale Geschäfte getätigt werden, und weiß auch, dass insbesondere im Geschäftsleben im Ausland nicht gegen Allgemeinregeln und Sitten der Öffentlichkeit verstoßen werden darf.

Die Auswüchse, ja sprachlichen Entgleisungen bei der Deutschen Bahn AG und bei der Telekom sind bekannt. Der Protest der Verbraucher, die in bestem „Denglisch“ formulierte Rechnungslegungen der Telekom zurückwiesen, führte zu einer teilweisen Korrektur der für viele Menschen unverständlichen Formulierungen. Die Verbraucher sind eine Macht, nur leider nutzen sie diese Macht zu selten.

So ist es nicht verwunderlich, dass der einstige französische Minister Alain Decaux mit seinen Worten in Deutschland gegen Betonwände sprach, als er ausführte - ich darf zitieren -:

„Ich kämpfe gegen überhaupt keine Sprache und vor allem nicht gegen das Englische; ich verteidige das Französische. Ich halte es für die Pflicht eines jeden Menschen, seine Sprache zu ver

teidigen. ‘Meine Sprache ist mein Vaterland’, sagte der damalige portugiesische Präsident Mario Soares. Und da ich mich hier an Deutsche wende“,

- so der Franzose

„sage ich auch, dass Sie Ihre Sprache verteidigen sollten. Offen gesagt, es bekümmert mich, dass die Deutschen das nicht genügend tun. Wenn die Sprachen Europas, Träger so bewundernswerter und alter Zivilisationen, einer einzigen das Feld überlassen, fehlt jedem etwas in der Welt.“

Ja, verteidigen wir Französisch, Deutsch, Spanisch, Italienisch, meine Damen und Herren; denn es geht nicht darum, gegen Sprachen und gegen Windmühlen zu kämpfen, weil der Verlierer von vornherein feststeht. Nein, darum geht es nicht; denn Fremdsprachen bereichern und sind als Fachtermini oft unumgänglich, wenngleich der Sprachwandel natürlich durch den Wandel der Welt bedingt ist.

Viel zutreffender ist es, dass Imponieranglizismen Raum finden und oft nur sprachliche Mogelpackungen für einfache Sachverhalte verkörpern. Der dänische Philosoph Sören Kierkegaard schrieb einst treffend:

„Die Menschen scheinen die Sprache nicht empfangen zu haben, um die Gedanken zu verbergen, sondern um zu verbergen, dass sie keine Gedanken haben.“

Hans Krämer, Vorsitzender des Vereins Deutsche Sprache, sagte zwar ironisch, dass es jedem Menschen vorbehalten bleibe, sich mit Anglizismen und darauf aufbauendem Imponiergehabe lächerlich zu machen, doch er warnte zugleich davor, dass die rasche Aufnahme von Worten in den Duden dazu missbraucht wird, den deutschen Wortschatz einzuschränken und teilweise eine Jargonsprache hoffähig zu machen. Dann wird auch nicht mehr viel Zeit vergehen, bis die Protokollsprache und Zlatko-Äußerungen zu bewahrenswertem Kulturgut erhoben werden.

Aber die Gefährlichkeit sprachlicher Manipulation ist noch umfangreicher und wird nach Helmut Schelsky wie folgt umschrieben:

„In der Herrschaft der Sprache ist ein Herrschaftsgrad von Menschen über Menschen erreicht, demgegenüber physische Gewalt geradezu harmlos und veraltet ist.“

Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die verfälschenden, schönenden Begriffe im Kosovo-Krieg, als die toten Zivilisten, die von Nato-Bomben getöteten Kinder und Frauen zynisch und menschenverachtend als „Kollateralschäden“ bezeichnet wurden. Von gleichem Kaliber sind jene Worte des SPD-Fraktionsvorsitzenden Fikentscher, der den Frieden „herbeibomben“ wollte. Dazu kann ich nur sagen: Gleiche Brüder, gleiche Kappen.

Meine Damen! Sprachautoritäten wie der Tübinger Rhetorikprofessor Walter Jens verweisen darauf, dass immer stärker durch Sprachverlotterung und -verluderung Begriffe, die auch Bundespräsident Thierse zu nutzen wusste, die Identität eines Volkes aufweichen, sodass diese letztlich als unnötig betrachtet wird.

Hans Krämer sieht eine solche Verlotterung der Sprache als Ausdruck deutscher Unterwürfigkeit und Anbiede

rung an. Im Grunde beruft er sich auf den Gedanken Johann Gottfried Herders zur Muttersprache:

„Für ein Volk ist seine Sprache etwas Besonderes. In ihr wohnt sein ganzer Gedankenreichtum an Tradition, Geschichte, Religion und Grundsätzen des Lebens, sein Herz und seine Seele. Die Sprache, in der ich erzogen bin, ist meine Sprache. Sie ist der Leitfaden, ohne den man sich im Labyrinth fremder Sprachen verirrt. Nicht um eine Sprache zu verlernen, lerne ich andere Sprachen, sondern ich gehe bloß durch fremde Gärten, um für meine Sprache Blumen zu holen.“

(Frau Lindemann, SPD, lacht)

Meine Damen und Herren! Unser Antrag beinhaltet, dass die Bundesregierung im Europäischen Jahr der Sprachen insbesondere prüfen sollte, ob die bereits wirksamen Sprachschutzgesetze in Frankreich und Polen dem Anliegen der Wahrung der Sprache dienlich sind und ob nach Prüfung der Erfahrungen mit diesen Gesetzen ein eigenes Sprachschutzgesetz auf den Weg gebracht werden sollte.

Das französische Sprachschutzgesetz erreichte, wovon in Deutschland nur geträumt wird: die Verhinderung der Ausgrenzung von Menschen und Menschengruppen durch eine Sprache, die nicht verständlich ist, und die Verhinderung des massiven Eindringens anderer Sprachen, vor allem durch Anglizismen.

Dabei geht es nicht nur - wie in der Bundesrepublik Deutschland - um die deutsche Sprache als gesetzlich verankerte Gerichts- und Verwaltungssprache, sondern es geht auch darum, die Sprache als Kulturgut zu schützen, und zwar in den Bereichen der Kunst, der Filmkunst und der Musik.

So müssen in Frankreich per Gesetz vom 1. Februar 1994 die Unterhaltungsmusikprogramme zu mindestens 40 % französischsprachige Lieder bringen, wovon die Hälfte von neuen Talenten oder aus neuer Produktion stammen soll. Inwieweit das auch die Förderung eines französischen Rudolf Mooshammer als Sänger einschließt, entzieht sich meiner Kenntnis. Auch die privaten Radios haben ein Wort-Musik-Verhältnis von 33 % zu 67 %, wobei 40 % französischsprachige und 60 % englischsprachige Musik vertreten sind.

(Herr Schomburg, CDU: Wie zu DDR-Zeiten!)

Meine Damen und Herren! Um dem Vorwurf einer einseitigen Betrachtung zu entgehen, möchte ich auch darauf hinweisen - das ist in diesen Tagen häufig zu lesen -, dass ein Grundübel in Deutschland, die Missachtung der deutschen Sprache als Kulturgut, einfach hingenommen wird.

Der Dichter Günther Kunert äußerte vor Tagen im Rundfunk in der Sendung „Figaro“ des MDR, dass ihn das nicht verwundere. Kunert meinte, die deutsche Sprache sei nicht durch das Englisch gefährdet, sondern durch geduldete Umstände, die weitaus schmerzhafter seien.

Millionen in Deutschland lebende Erwachsene beherrschen die deutsche Sprache nicht. Mehr als vier Millionen Deutsche können weder lesen noch schreiben, sind also Analphabeten. 15 % der Lehrstellensuchenden haben von vornherein keine Chance auf eine Lehrstelle, weil sie ungenügende Kenntnisse in Schreiben und Lesen vorweisen. Der mündliche und schriftliche

Ausdruck ist dabei nicht einmal besonders berücksichtigt worden. Jedes vierte Vorschulkind ist sprachgestört.

Günther Kunert unterstreicht mit Nachdruck, das bei derartigen Umständen ein Absinken der Ausdrucksfähigkeit und damit auch eine Reduzierung der Denkfähigkeit nicht verwundert. So kommt es zu keiner gedanklichen Nuancierung, sondern zu einer - wie Kunert sagt - immer stärkeren „Verprimitivisierung“.

(Herr Oleikiewitz, SPD: Jetzt ist es aber langsam gut!)

Ins Bild passt dann die Schließung weiterer GoetheInstitute im Ausland, die eine wichtige Funktion zum Erhalt und zur Verbreitung der deutschen Sprache wahrnehmen.

Meine Damen und Herren! Es bleibt also zu prüfen, ob eine gesetzlich verankerte Regelung in Deutschland eine entsprechende Wirkung erzielt. Der Vorschlag Werthebachs geht dahin, die Voraussetzungen dafür zu prüfen und zugleich vielfältige Möglichkeiten zu nutzen, die deutsche Sprache vor Missbrauch zu schützen, zum Beispiel durch die Schaffung einer möglichen Beschwerdeinstanz gegen die Verballhornung und den Missbrauch der deutschen Sprache. Die oft diskussionswürdigen Unwörter des Jahres verdeutlichen nur die Spitze eines riesigen Eisberges.

Meine Damen und Herren! Die Aufforderung „Wehret den Anfängen eines Sprachmissbrauchs“ kommt zu spät. Doch bevor der Missbrauch den Zenit überschreitet, wollen und müssen wir uns wehren. - Ich bitte um Ihre Zustimmung. - Danke.

(Zustimmung bei der FDVP)