Protokoll der Sitzung vom 18.05.2001

Ich bin überrascht, dass Sie Ihre Meinung zu diesem Thema nach 1998 geändert haben, nachdem der Wähler Sie auf Bundesebene in die Opposition geschickt hatte. Sie haben diesen bis dahin gemeinsam getragenen Kompromiss aufgekündigt.

Der von der Fraktion der CDU/CSU am 8. November 2000 in den Deutschen Bundestag eingebrachte Entwurf eines Gesetzes über eine einmalige Entschädigung an die Heimkehrer aus dem Beitrittsgebiet ist erst vor kurzem, am 5. April 2001, abgelehnt worden. Ich bin deswegen überrascht, dass Sie nach der Ablehnung dieses Gesetzentwurfs im Bundestag in dieser rein bundespolitischen Frage Ihr Ziel auf dem Umweg über den Landtag von Sachsen-Anhalt zu erreichen versuchen.

Ich denke, der Respekt vor den Menschen und dem Schicksal, das sie erlitten haben, gebietet es, ihre Belange nicht parteipolitisch zu instrumentalisieren und ihnen keine unerfüllbaren Hoffnungen zu machen. Ich glaube nicht, dass die Wiederholung eines Antrages, so kurz nachdem er abgelehnt worden ist, Hoffnung auf Erfolg hat.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. - Die DVU hat keinen Redebeitrag angemeldet. Für die PDS-Fraktion spricht jetzt die Abgeordnete Frau Dirlich.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ministerin hat ziemlich ausführlich die juristischen Dinge erläutert, und ich denke, man muss dem nicht sehr viel hinzufügen.

Ich muss trotzdem sagen, dass es mir zunehmend schwer fällt, mich mit diesem Thema auseinander zu setzen. Das hat damit zu tun, wie die Heimkehrer, also die Kriegsgefangenen selbst, teilweise mit diesem Thema umgehen.

Ich weiß, dass das Erlebnis eines Krieges jeden Menschen mit Unmenschlichkeit, mit Gewalt und mit Tod konfrontiert, egal ob er sein überfallenes Land verteidigt oder ob er zu einer Aggressionsarmee gehört.

Tatsache ist, dass Krieg das Ende der Menschlichkeit ist und dass Krieg ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist, dass er kein einziges Problem löst - im Gegenteil. Es zeigt auch gerade diese Debatte, dass immer wieder neue Konflikte entstehen, dass neue Ungerechtigkeiten entstehen und dass diese Ungerechtigkeiten über Jahrzehnte nachwirken.

Trotzdem ist für mich die Art und Weise, in der sich ehemalige Angehörige der faschistischen Wehrmacht einseitig als Opfer geben, unerträglich. Ich rede speziell von einigen Leserbriefen, die in zunehmendem Maße in den Zeitungen und in der „Volksstimme“, die ich lese, veröffentlicht werden.

Die Heimkehrer fordern für sich soziale Gerechtigkeit ein. Sie fordern moralische Anerkennung für geleistete Wiedergutmachung und setzen dabei das Wort „Wiedergutmachung“ in Anführungsstriche. Sie beklagen ihr Schicksal als Kriegsgefangene und die Bedingungen, unter denen sie arbeiten und leben mussten, und stellen sich dabei auf eine Stufe mit Zwangsarbeiterinnen, die, ohne an Kriegshandlungen je beteiligt gewesen zu sein, nach Deutschland verschleppt worden sind. Ich rede von den Leuten, die in den Zeitungen schreiben.

(Zuruf von Frau Wiechmann, FDVP)

Völlig ausgeblendet dabei wird, dass es Deutsche waren, die auf die Frage „Wollt Ihr den totalen Krieg?“ begeisterungstrunken „Ja!“ geschrien haben.

(Unruhe bei der CDU und bei der FDVP - Frau Wernicke, CDU: Das kann man doch nicht verall- gemeinern! - Frau Wiechmann, FDVP: Sie haben hoch begeistert ja geschrien!)

Sie haben den totalen Krieg geführt und sie haben den totalen Krieg zurückbekommen. Er kam nach Deutschland zurück und brachte millionenfaches Leid auch in das Land, von dem er ausgegangen war.

(Zuruf von Herrn Wolf, FDVP)

Vor diesem Hintergrund fällt es mir zunehmend schwerer, sachlich über die Forderungen der Heimkehrer zu diskutieren, obwohl ich sehr wohl weiß - das habe ich am Anfang meiner Ausführungen auch gesagt -, welche tiefen Spuren Krieg und Kriegsgefangenschaft im Leben eines Menschen hinterlassen, selbst dann, wenn er freiwillig in diesen Krieg gezogen ist - das sind ja nun wahrlich nicht sehr viele.

Die Heimkehrer erheben jetzt ihre Forderungen mit dem Verweis auf die Entschädigungszahlen für Zwangsarbeiterinnen, und ich muss sagen, dass ich diese Verknüpfung für sehr problematisch halte.

Wir wissen, was für ein langer und quälender Prozess diese Entscheidung war und noch immer ist. Wir erwarten nach wie vor - das habe ich in diesem Haus schon mehrfach gesagt -, dass sich die CDU Sachsen-Anhalts mit gleicher Vehemenz auch für diese Entschädigungszahlungen einsetzt.

Ich hätte überhaupt nur Lust, über diesen Antrag zu reden, wenn die deutsche Wirtschaft ihren Verpflichtungen endlich nachgekommen ist und in den Fonds eingezahlt hat und wenn die Auszahlungen begonnen haben.

(Zustimmung bei der PDS - Herr Remmers, CDU: Das ist die Fortsetzung der SED-Politik! - Zurufe von Herrn Becker, CDU, und von Frau Wiech- mann, FDVP)

Meine Damen und Herren! Alle Fraktionen haben Rederecht. Wir gehen der Reihe nach vor. - Für die SPDFraktion spricht der Abgeordnete Herr Rothe. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag der CDU-Fraktion gibt uns die Gelegenheit, über das Schicksal von Menschen zu reden, die unter den Folgen des Zweiten Weltkriegs in besonderem Maße gelitten haben.

Neulich hatte ich ein Gespräch mit Herrn Herbert Gebhardt in Schackenthal. Herr Gebhardt ist 80 Jahre alt. Bis 1950 war er in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Bei seiner Heimkehr wurde er von einem örtlichen Amtsträger als Kriegsverbrecher bezeichnet.

(Zustimmung von Herrn Schomburg, CDU)

Über seine Gefangenschaft durfte er in der DDR nicht öffentlich sprechen.

(Herr Dr. Daehre, CDU: So ist es!)

In Ostdeutschland leben etwa 30 000 Spätheimkehrer und 20 000 verschleppte Zivilpersonen, die so genannten Geltungskriegsgefangenen. Von den Deportierten deutscher Volkszugehörigkeit hat die Öffentlichkeit in den vergangenen Jahrzehnten noch weniger Notiz genommen als von den gefangen gehaltenen Soldaten.

(Frau Wiechmann, FDVP: Politische Öffentlich- keit!)

Das schwere Los dieser Frauen und Männer sollte stärker in das Blickfeld der Geschichtsforschung rücken. Es darf nicht in Vergessenheit geraten.

Um den ehemaligen Kriegsgefangenen und Deportierten die Wiedereingliederung in die deutsche Gesellschaft zu erleichtern, hat der Bundestag im Jahr 1954 das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz beschlossen. Trotz dieser Gesetzesüberschrift ging es in erster Linie um eine Eingliederungshilfe. Diese Leistungen konnten grundsätzlich nur bis zum 31. Dezember 1967 beantragt werden.

Mit der Gründung der Heimkehrerstiftung ist dann der Gedanke der sozialen Bedürftigkeit im Einzelfall zur Grundlage weiterer Zahlungen gemacht worden. Die Aufhebung des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes mit Wirkung vom 1. Januar 1993 hat einen faktisch schon zwei Jahrzehnte zuvor eingeleiteten Systemwechsel gesetzgeberisch abgeschlossen.

Die von CDU und FDP gestellte Bundesregierung hat nach der Wiedervereinigung keine Veranlassung gesehen, das System der Eingliederungshilfen zugunsten der in Ostdeutschland lebenden Spätheimkehrer und Deportierten wirksam werden zu lassen.

Vielmehr hat die Bundesregierung 1992 festgestellt, dass die ehemaligen Kriegsgefangenen in der einstigen DDR zwar noch keine Leistungen erhalten hätten, die denen des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes vergleichbar seien; nun seien aber mehr als 45 Jahre vergangen, die Betroffenen seien eingegliedert. Von Entschädigungszahlungen sollte abgesehen werden. Jedoch sollten die Leistungen der Heimkehrerstiftung, soweit es noch zeitgerecht sei, auf das Gebiet der ehemaligen DDR übertragen werden.

So hat die von Ihrer Partei, der CDU, mit getragene Bundesregierung argumentiert, Herr Schomburg. Vor diesem Hintergrund finde ich Ihren heutigen Vorwurf, wir würden auf eine biologische Lösung setzen, ausgesprochen unredlich.

(Beifall bei der SPD)

Ihr heutiger Antrag, Herr Kollege Schomburg, ist der Versuch, das einvernehmlich auf Initiative der von Ihnen gestellten Regierung hin aufgehobene Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz in veränderter Form wieder aufleben zu lassen. Dem wird die SPD-Fraktion nicht zustimmen und wird deshalb Ihren Antrag ablehnen.

Seit 1993 sind Leistungen aus der Heimkehrerstiftung auch nach Ostdeutschland geflossen. Denen, die sozial bedürftig sind, wird geholfen. Die Frau Justizministerin hat darauf hingewiesen, welche Beträge auch für unser Bundesland geflossen sind. Für das Jahr 2001 stehen bundesweit 27 Millionen DM zur Verfügung. Das sind 5 Millionen DM mehr als im vergangenen Jahr.

Wer diese Summen mit denen vergleicht, die jetzt für ausländische NS-Zwangsarbeiter zur Verfügung gestellt werden, der verkennt nicht nur die historischen Unterschiede, sondern er verkennt auch die unterschiedliche gegenwärtige Lebenssituation der Betroffenen.

Die ostdeutschen Spätheimkehrer und Deportierten sind heute voll in den Sozialstaat Bundesrepublik Deutschland integriert. Ihr materielles Lebensniveau ist unvergleichlich höher als das der osteuropäischen NSZwangsarbeiter. Bei denen ist - gemessen an unserem Lebensstandard - die soziale Bedürftigkeit durchweg zu bejahen.

Die ideelle Anerkennung von Lebensschicksalen, meine Damen und Herren, kann nach meiner Überzeugung nicht durch Geldzahlungen erfolgen. Die ideelle Anerkennung findet ihren Ausdruck darin, wie Menschen miteinander und übereinander sprechen.

Namens der SPD-Landtagsfraktion bekunde ich den Spätheimkehrern und Deportierten unseren Respekt vor ihrem Schicksal, das sie kriegsbedingt erleiden mussten, und Anerkennung für das, was sie mit ungebrochenem Lebensmut in den Jahrzehnten seither für den Aufbau unseres Landes geleistet haben. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Minister Herrn Dr. Harms)

Für die FDVP-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Wiechmann. Herr Wiechmann, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Dirlich, Sie haben - das muss ich Ihnen bescheinigen keine Ahnung von dieser Zeit.

(Frau Dirlich, PDS, verlässt den Plenarsaal)

Sie haben sie nicht miterlebt, aber Sie haben sie aus den ZK-Berichten oder aus was weiß ich für Berichten in Ihrer ehemaligen Partei gehört. Nicht alle, meine Damen und Herren, - das sage ich an Ihre Adresse, Frau Dirlich - haben hurra geschrien und sind losgezogen. Aber alle haben geglaubt, ihre Pflicht tun zu müssen. Die Jüngeren waren überzeugt. Gelitten haben sie alle.

Ihnen, Frau Dirlich, und Ihnen von der PDS muss ich bescheinigen, dass Sie noch vor zehn Jahren vom „Ehrenkleid der NVA“ gesprochen haben und dass Sie versucht haben, jeden für drei oder mehr Jahre in dieses „Ehrenkleid“ hineinzubringen. Und im Jahr 1968 ist Ihre Armee als die erste deutsche Aggressionsarmee mit in die Tschechoslowakei eingezogen.

(Zustimmung von Frau Wiechmann, FDVP, und von Herrn Wolf, FDVP - Zuruf von Frau Stolfa, PDS)

Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis versuche ich, Friedrich von Schiller einmal abweichend zu zitieren: „Spät kommt ihr, doch ihr kommt. Der lange Weg, die lange Zeit entschuldigt nichts.“ - Graf Isolani aus „Wallenstein“.

Meine Damen und Herren von der CDU, Sie erinnern sich an gestern Abend. Da haben Sie angedeutet, dass in der 29. Sitzung des Landtages dieser Tatbestand von uns schon einmal eingebracht wurde und Sie ihn abgelehnt haben. In dieser 29. Sitzung haben Sie unseren Änderungsantrag in Drs. 3/2320 zum Antrag der PDS in der Drs. 3/2300 mit der Forderung, dass ausländische und deutsche Zwangsarbeiter gleichermaßen für erlittenes Unrecht entschädigt werden, mit der Begründung abgelehnt, dass dieser Antrag dem wichtigsten deutschen Interesse, die Angelegenheit der Zwangsarbeiterentschädigung zum Abschluss zu bringen, nicht diene, sondern ihm schade und es hinauszögere. Der damals gegen uns gerichtete Vorwurf lautete wörtlich: