Protokoll der Sitzung vom 18.05.2001

Wir würden im Großen das wiederholen, was Sie, Frau Schubert, bereits im Kleinen bei der Schließung des Amtsgerichts Genthin gekonnt haben, als Sie sagten: Ich schließe das und dann wird das zusammengeführt. Jetzt haben wir in Burg und Genthin insgesamt drei Gerichtsstandorte mit all den Nachteilen hinsichtlich der Nebenstellen, der Dienstaufsicht, der Funktionalität und Ähnlichem.

(Zustimmung von Herrn Dr. Bergner, CDU)

Der damals bei der Amtsgerichtsreform eingebrachte etwas mühsame Entschließungsantrag der PDS, der forderte, nun müsse aber auch wirklich gebaut werden und dann wolle man noch einmal daraufsehen, hat absolut nichts bewirkt. Wir stehen da mit leeren Händen und schlecht funktionierenden Systemen.

(Zustimmung bei der CDU)

Dies alles, meine Damen und Herren, - ich weiß, zu welcher Zeit ich rede - könnte dazu führen, dass man das vertieft im Einzelnen darstellt. Das, an dem uns wirklich liegt, ist Folgendes: Wir müssen, nachdem diese Justizreform, diese Zivilprozessreform auf Bundesebene in den Strukturveränderungen gescheitert ist, gemeinsam der Landesregierung, vertreten durch die Justizministerin, in den Arm fallen, um zu verhindern, dass das Land Sachsen-Anhalt zum Experimentierfeld für die Justizreform wird. Das wäre für uns schädlich und wir können es uns nicht leisten. Wir haben deshalb diesen Antrag gestellt und bitten Sie, uns dabei zu unterstützen.

Wir meinen auch, dass die Landesregierung aufgefordert werden sollte, die Grundlagen ihrer Überlegungen alsbald im Ausschuss vorzutragen; denn natürlich führen all solche Erklärungen, die dann auch hin- und hergehen, dazu, dass ein hoher Grad an Verunsicherung auch in der Justiz eintritt. Ich denke, wir sind nicht der geeignete Bereich für solche Experimente.

Es ist schon bezeichnend, dass alle großen Länder, insbesondere die Flächenländer, entsetzt die Hände gehoben und gesagt haben: Wir halten uns aus diesen Experimenten heraus. Das einzige Land, das sofort aufgezweigt hat, war Sachsen-Anhalt. Wir haben's ja auch, könnte man spöttisch sagen.

Deswegen meine Bitte: Stimmen Sie diesem Antrag zu. Lassen Sie uns sagen: erstens bitte nicht hier erproben, zweitens im Ausschuss für Recht und Verfassung im Einzelnen berichten, was das für Folgen hätte. Natürlich ist es in dem Zusammenhang auch interessant zu erfahren, was unsere Justiz, unsere Richter und Staatsanwälte, dazu gesagt haben. Des Weiteren interessieren uns die Kosten. Deshalb haben wir diesen Antrag gestellt.

Nun will ich allerdings auch schon etwas zu dem Änderungsantrag sagen; dann kann ich vielleicht meine Erwiderung nachher etwas kürzen.

Frau Präsidentin, ich habe erhebliche Bedenken dagegen, dass dieser Änderungsantrag zulässig ist. Diese Sitzungsperiode, die letzten zwei Tage, hat bereits dazu geführt, dass auf das Urteil des Verfassungsgerichtshofes in Nordrhein-Westfalen vom 15. Juni 1999 Bezug genommen worden ist. Ich meine, auch dieser Änderungsantrag der SPD verstößt gegen die in dem Urteil aufgestellten Spielregeln des parlamentarischen Umgangs miteinander.

Was geschieht hier? - Wir stellen einen Antrag, der heißt: Sachsen-Anhalt ist kein geeignetes Experimentierfeld für gescheiterte Justizreform. Eine solche Überschrift hat eine Aussage: gescheiterte Justizreform. Jetzt kommt ein Änderungsantrag, der wahrscheinlich mit Mehrheit beschlossen werden wird, mit der Überschrift: Umsetzung der aufgrund des hervorragenden Einsatzes der SPD beschlossenen Reform des Zivilprozesses oder etwas Ähnliches; ich habe das jetzt etwas verballhornt, Herr Brachmann.

(Herr Bischoff, SPD: Ich wollte schon fast klat- schen!)

Aber Sie drehen die Aussage unseres Antrages schlicht um.

(Herr Dr. Brachmann, SPD: Jawohl!)

Ich meine, Sie dürfen sich nicht wie ein Kuckuck benehmen, der in anderer Leute Nest ein Ei legt, danach die Bewohner des Nestes hinauswirft, durch die Gegend läuft und sagt: Das Nest habe ich gebaut und nun bewohne ich es auch. Sie müssen schon einen eigenen Antrag stellen.

(Zustimmung bei der CDU, von Frau Brandt, DVU, von Herrn Preiß, DVU, und von Herrn Mertens, FDVP)

Das ist der eigentliche Inhalt des Verfassungsgerichtsurteils aus Nordrhein-Westfalen. Das Verfassungsgericht Nordrhein-Westfalen hat in seinem Urteil zum Ausdruck gebracht: Es kann nicht sein, dass ein Antrag mit der parlamentarischen Mehrheit in sein Gegenteil verkehrt wird, ohne dass dazu etwas gesagt wird.

Wenn Sie sagen - dann müssen Sie es in einer anderen Landtagssitzung tun -: Wir wollen einen Beschluss zu diesem Problem mit anderem Inhalt, dann können Sie das sicherlich tun. Genauso gut wie man in der Opposition Anträge stellen kann, kann das auch eine regierungstragende Fraktion, die noch ganz andere Ressourcen hat. Sie kann sich möglicherweise sogar von Frau Schubert irgendetwas Lobendes zur Justizreform aufschreiben lassen.

(Herr Bischoff, SPD: Er spricht aus Erfahrung!)

Es geht jedoch nicht, meine Damen und Herren, dass Sie keinen eigenen Antrag stellen, unseren Antrag - in Anführungszeichen - stehlen, ihn anders etikettieren, mit einem anderen Vorspruch versehen und ihn dann als Änderungsantrag und große Leistung der SPD-Fraktion durchs Land tragen. Das ist genau der Rechtsgedanke der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes.

Ich will das - ich habe vorhin bereits gesagt, dass ich weiß, zu welcher Zeit ich spreche - nicht überdramatisieren. Es wäre vielleicht sinnvoll gewesen, wenn man über einen gemeinschaftlichen Antrag - darin steckt tatsächlich viel Gemeinschaftliches - vernünftig geredet hätte.

Eines möchte ich jedoch klarstellen: Durch das Verändern der Überschrift und einen positiven Vorspann geben Sie dem Antrag eine so andere Richtung, dass das im Sinne der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes Nordrhein-Westfalen ein Aliud ist, das wir, Frau Präsidentin, nach meiner Meinung nicht zulassen können. Es müsste also ein zweiter Antrag eingebracht oder es müsste der Änderungsantrag so umformuliert werden, dass er unseren Antrag nicht in sein Gegenteil verkehrt. Dann könnten wir möglicherweise sogar über eine gemeinsame Abstimmung nachdenken, Herr Kollege Brachmann. Das wollte ich gesagt haben. Im Übrigen bitte ich, dem Antrag zuzustimmen.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von Herrn Preiß, DVU)

Danke, Kollege Remmers, für die Einbringung. Sie merken, bei uns im Präsidium ist man in Bewegung. Wir beraten noch über die Problematik der Zulässigkeit. Meine Damen und Herren! Es ist eine Debatte mit fünf Minuten Redezeit je Fraktion vereinbart worden. Die Fraktionen sprechen in der Reihenfolge PDS, DVU,

SPD, FDVP, CDU. Ich erteile jedoch zunächst für die Landesregierung Ministerin Frau Schubert das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Remmers, ich schreie nicht laut hurra; das ist nicht meine Art, mit Dingen umzugehen, insbesondere nicht mit Dingen, die mir am Herzen liegen. Ich versuche vielmehr, im Hintergrund still die Fakten zusammenzusuchen, um hier anschließend mit Erfolg etwas erreichen zu können.

Ich bin eigentlich froh darüber gewesen, dass der Antrag von Ihnen so gestellt worden ist, jedenfalls was den Inhalt des Antrages angeht, nicht was die Überschrift angeht; denn diese ist tendenziös und widerspricht im Grunde dem Inhalt Ihres Antrages. Darin werden wir aufgefordert, zu berichten, was das alles bedeuten würde.

Ich denke, einer Berichtspflicht bedarf es nicht, wenn man von vornherein in der Überschrift und der Begründung des Antrages klar zum Ausdruck bringt, dass man das gar nicht will. Es ist lediglich eine Übertragung von Arbeit auf die Landesregierung, wenn man letztlich unabhängig von dem Ergebnis eines solchen Berichtes sagt: Wir wollten das von Anfang an nicht und wollen es auch jetzt nicht, es überzeugt uns nicht. - So etwas müssen wir uns nicht gegenseitig antun.

Wenn Sie die Überschrift und die Begründung nicht mit einer Wertung versehen hätten, hätte ich sofort gesagt: Warum eigentlich nicht? Denn das, was Sie in diesem Antrag von uns erwarten, was unter den einzelnen Spiegelstrichen aufgeführt ist, ist das, was wir zurzeit ohnehin tun.

(Herr Dr. Bergner, CDU, meldet sich zu einer Zwischenfrage)

- Herr Dr. Bergner, könnten Sie die Frage am Schluss an mich richten? Ich möchte erst einmal meine Ausführungen machen.

Wir prüfen nämlich in jeder Phase des nunmehr fast zwei Jahre andauernden Verfahrens zu diesem Gesetzentwurf, der gestern vom Deutschen Bundestag mit Mehrheit verabschiedet und dem Bundesrat zugeleitet worden ist, was er für unser Land und für unsere Justiz ausmachen würde; denn - das wissen Sie auch ganz genau - der Gesetzentwurf, der als Referentenentwurf von der Bundesregierung in die Diskussion eingebracht worden ist, war einer, den wir in unserem Land ohne größeren Aufwand finanzieller und personeller Art hätten umsetzen können. Darin waren viele Dinge enthalten, die in der Tat auf eine Dreistufigkeit zuliefen, die von mir nach wie vor favorisiert wird. Das wäre nach dem jetzigen Stand unseres Finanzhaushaltes im Einzelplan 11 und auch nach dem jetzigen Personalbestand möglich gewesen. Was der Bundestag allerdings gestern als Ergebnis dem Bundesrat zugeleitet hat, müssen wir prüfen.

Die vehementen Kritiken haben sich im Übrigen alle gegenseitig aufgehoben bzw. hätten sich aufgehoben, wenn man sie entsprechend behandelt hätte. Die Anwälte wollten anderes als die Richter, aber das, was die Richter wollten, wollten die Anwälte nicht, und das, was die Anwälte nicht wollten, das wollten die Richter auch nicht.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Wieso können die sich gegenseitig aufheben?)

Jeder wollte im Grunde genommen seine Interessen durchsetzen, was legitim ist. Das hat aber zu diesem Stand geführt, der jetzt im Bundesrat sehr sorgfältig überprüft werden muss. Dabei sind wir immer wieder gefordert - wir tun es schon seit Wochen -, zu zählen, Eingänge zu zählen, Berufungsmöglichkeiten zu zählen und Personal zu zählen. Das wird weiterhin stattfinden.

Ich hoffe, dass wir in den Ausschussberatungen des Bundesrates zu einem Ergebnis kommen, sodass wir sagen können, wir können es für die Dauer von fünf Jahren und auch begleitet von wissenschaftlicher Forschung und Evaluation wagen, zu versuchen darzulegen - was wir nicht nur glauben, sondern wovon wir überzeugt sind -, dass der Wegfall einer zweiten Tatsacheninstanz, dass die Einführung des Einzelrichters bei den Berufungsverhandlungen, dass die Verstärkung der ersten Instanz und damit eine Eindämmung der Rechtsmitteleinlegung dazu führt, dass es wirklich transparenter und schneller wird. Deshalb müssen wir auf den Bundesrat entsprechend einwirken.

Ich meine deshalb auch, dass die Frist, die sie gesetzt haben, bis wann wir berichten sollen, bis zum 30. Juni, eine Frist ist, die nicht viel bringt; denn am 30. Juni werden wir nicht den Entstand bezüglich des Gesetzentwurfes haben, sodass die Berechnungen, die wir dann vorlegen könnten, möglicherweise die gleichen sind, die wir jetzt schon haben. Die könnten wir schon heute vorlegen.

Das ist doch aber nicht das, was Sie wollen. Sie wollen doch wissen, ob der Gesetzentwurf, wenn er beschlossen wird und wenn er in Kraft tritt, eine Verschlechterung oder aber eine Verbesserung für die Justiz in SachsenAnhalt darstellt. Deshalb bitte ich Sie, die Frist so zu bemessen, dass wir dann berichten, wenn absehbar ist, wie das Gesetz aussieht.

Im Übrigen haben Sie es völlig in der Hand, ob das Gesetz in Sachsen-Anhalt auch im Erprobungswege durchgeführt wird. Um das zu erreichen, bedarf es eines Landesgesetzes. Dafür sind Sie zuständig, meine Damen und Herren. Ich kann zwar wünschen und versuchen, Ihnen darzulegen, dass ich nach wie vor der Auffassung bin, dass das Gesetz eine Verbesserung für die Justiz darstellt; aber wenn Sie uns nicht die Mittel in Form eines Landesgesetzes in die Hand geben, dann sind meine Wünsche alle obsolet.

Eines möchte ich Ihnen noch sagen, Herr Remmers: Wenn Sie mir in den Arm fallen wollen, passen Sie auf, dass Sie nicht auf meinem Schoß landen.

(Heiterkeit und lebhafter Beifall bei der SPD)

Herr Dr. Bergner hatte sich zu einer Frage gemeldet.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Ich bin im Moment mit der Phantasie zu diesem Vorgang beschäftigt! - Herr Sachse, SPD: Jetzt wird er nachdenklich!)

- Also verzichten Sie auf Ihre Frage. - Es spricht jetzt für die PDS-Fraktion die Abgeordnete Frau Tiedge.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 27. März legte die Bundesjustizministerin Vorschläge zur etwaigen Änderung des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses vor. Gestern wurde die Reform im Bundestag beschlossen.

Bereits in meiner Landtagsrede am 13. Oktober 2000 habe ich darauf verwiesen, dass das Zivilprozessrecht in keiner Weise den heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen entspricht. Die geltenden gesetzlichen Bestimmungen sind nahezu 125 Jahre alt und beruhen auf damals sicherlich fortschrittlichen, leicht feudal variierten Denkweisen, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen.

Die Inanspruchnahme gesetzlich geschützter Interessen ist nicht mehr nur einem kleinen elitären Teil der Bevölkerung vorbehalten, sondern ein Massenphänomen, dem die bestehenden gerichtsverfassungsrechtlichen und -verfahrensrechtlichen Regelungen kaum noch gerecht werden können.

Das Versprechen der Regierung, eine grundlegende Strukturreform vorzulegen, die mehr Bürgernähe, Transparenz und Effizienz der Justiz erwarten lässt, wird mit dem vorliegenden Regierungsentwurf und nunmehr beschlossenen Entwurf nicht eingelöst. Die Reform ist zu einem Reförmchen verkümmert, das aus Kostengründen und aus Inkonsequenz stellenweise sogar die ehrenwerten Ziele in das Gegenteil verkehrt.

Die rechtspolitischen Sprecher aller PDS-Landtagsfraktionen und der Bundestagsfraktion haben einen gemeinsamen Standpunkt zur Reform mit folgenden Kritikpunkten erarbeitet - ich möchte nur einige nennen -:

Die Reform hält wider besseres Wissen an einer Kostenneutralität fest. Aber ohne eine personelle und materielle Unterstützung der Justiz werden die begrüßenswerten Ziele der Reform, insbesondere die Stärkung der Eingangsinstanz, nicht zu erreichen sein. Die Verschiebung von Richterstellen aus der zweiten in die erste Instanz vermindert das Problem, löst es aber nicht.

Eine Justizreform, die diesen Namen verdient hat, muss als ein komplexes, rechtspolitisches, finanzielles, organisatorisches und personelles Unternehmen verstanden und realisiert werden. Eine große Justizreform ist zunächst auch immer eine Reform der Gerichtsverfassung. Die alleinige oder vorrangige Änderung der Zivilprozessordnung greift zu kurz, um die angestrebten Ziele der Reform in wünschenswerter Weise zu erreichen.