Protokoll der Sitzung vom 28.06.2001

Meine Damen und Herren! Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:

Erste Beratung

a) Entwurf eines Gesetzes zur Änderung parlaments- und wahlrechtlicher Vorschriften

Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD, der CDU und der PDS - Drs. 3/4682

b) Änderung der Geschäftsordnung des Landtages von Sachsen-Anhalt

Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU und der PDS - Drs. 3/4690

Änderungsantrag der Fraktion der PDS - Drs. 3/4702

Änderungsantrag der Fraktion der FDVP - Drs. 3/4707

c) Stärkung der Gesetzgebungsfunktion des Landtages - Umsetzung der Informationspflicht der Landesregierung

Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD, der CDU und der PDS - Drs. 3/4691

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, dass der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung parlaments- und wahlrechtlicher Vorschriften durch Herrn Dr. Fikentscher eingebracht wird. Bitte, Herr Dr. Fikentscher.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Parlamente, also auch unser Landtag, sind faszinierende Institutionen. Wie man sieht, man kann es sich sogar leisten, wenn es um eigene Angelegenheiten geht, noch nicht einmal dabei zu sein.

Aber obgleich die Parlamente seit jeher an vielen Stammtischen immer wieder für überflüssig erklärt werden, obgleich selbst das aufgeklärte Feuilleton nicht selten von einer Krise des Parlamentarismus schreibt und eine solche Krise damit auch in unseren Tagen geradezu heraufzubeschwören sucht, hält der weltweite Siegeszug der Parlamente unverändert an.

Woraus leitet sich diese Faszination der Parlamente ab? - Ich denke, es ist zumindest zweierlei.

Zum einen ist es der scheinbar paradoxe Umstand, dass Parlamente Orte des Streits und der Kritik sind, Orte heftiger, aber notwendiger Auseinandersetzungen, die gelegentlich sogar die Grenze des Zumutbaren oder des Beleidigens überschreiten. In aller Öffentlichkeit wird mitunter ein Stil demonstriert, der herkömmlicherweise der Gesellschaft wenig gefällt. Die Bürgerinnen und Bürger mögen wohl mehr den Konsens als den Streit, obwohl sie über letzteren lieber hören und lesen. Doch in modernen Gesellschaften sind offensichtlich gerade jene die stabilsten Regierungssysteme, in denen es streitende und streitbare Parlamente inmitten einer Bürgerschaft gibt, die ebenfalls ihre Konflikte offen und in aller Deutlichkeit austrägt.

Zum anderen ist faszinierend, dass Parlamente im Mittelpunkt des Staates stehen. Sie sind es, die in besonderer Weise Steuerungs- und Integrationsleistungen für das Gemeinwesen erbringen. Von ihnen werden die Regierungen gewählt, gestützt oder gestürzt. Von ihnen werden die maßgeblichen weiteren, wenngleich danach unabhängigen Einrichtungen, wie Verfassungsgerichte und Landesrechnungshöfe, eingesetzt. Sie sind es auch, die in einzigartiger Weise zu Entscheidungen in eigener Sache berufen und verpflichtet sind, weil sich keine andere Institution über sie stellen kann und weil sie nur dem Gesetz unterstellt sind, selbst wenn sie es selbst geschaffen haben.

Die sich daraus ableitende Pflicht zu Entscheidungen in eigener Sache wird von den Kritikern zu Unrecht als unangebrachtes Privileg statt als besondere Verantwortung angesehen. Die einzelnen Abgeordneten haben aufgrund dieses Umstandes gelegentlich recht unerfreuliche Diskussionen zu bestehen.

Meine Damen und Herren! Wir reden hier öffentlich in eigener Sache; was uns angeht, betrifft jedoch auch das ganze Land, und wir hoffen, dass davon Kenntnis genommen wird. Wir hoffen darüber hinaus, dass wir überzeugen können, denn es geht um Reformen.

Der überzeugendste Reformer ist derjenige, der bei sich selbst anfängt. Vielleicht hätten wir eher damit beginnen können, jedoch jetzt ist es so weit und noch nicht zu spät.

Heute legen die Fraktionen von SPD, CDU und PDS in drei Vorlagen die Ergebnisse ihrer Verhandlungen vor, die sie im Interesse einer möglichst umfassenden Reform des Parlaments vereinbart haben.

Gewiss wird es ausreichend Kritiker unter uns oder anderswo geben, denen die Reform nicht weit genug geht, insbesondere weil sie einen Kernbereich, nämlich die Änderung der Landesverfassung in dieser Wahlperiode, nicht beinhaltet. Auch mir wäre es lieber gewesen, bereits in dieser Wahlperiode zu einem verfassungsändernden Beschluss über die Absenkung der Quoren für die Instrumente der direkten Demokratie sowie über die Verlängerung der Wahlperiode zu kommen; doch ich muss akzeptieren, dass sich die Fraktion der CDU leider nicht bereit finden konnte, dies gemeinsam anzustreben. Doch damit ist nichts auf Dauer verpasst oder gar verdorben.

Diese Einschränkung ändert nichts daran, dass wir heute das erste komplexe, wesentliche Bereiche des Wirkens des Landtages abdeckende Reformvorhaben seit In-Kraft-Treten der Landesverfassung im Juli 1992 auf den Weg bringen.

Die etwas zurückhaltende Einordnung auf der Tagesordnung sollte diese Tatsache nicht verdecken. Der Grund dafür liegt wohl eher in der Scheu des Landtages, seine eigenen Angelegenheiten in den Vordergrund zu stellen.

Bemerkenswert ist, dass wir die Beratungsgegenstände unaufgeregt erarbeitet und nach meiner Überzeugung fair ausgehandelt haben. Heute vertreten wir, das heißt die Fraktionen von SPD, CDU und PDS, gemeinsam gegenüber dem Parlament diesen Kompromiss. Ich denke, dies ist ein ermunterndes Zeichen für dieses Land.

(Zustimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, insbesondere Herr Kollege Böhmer, den ich gerade nicht sehe,

(Heiterkeit bei allen Fraktionen - Herr Bullerjahn, SPD: Hinter Ihnen, Herr Fikentscher!)

- ach, Entschuldigung, Herr Präsident, man kann eben schlecht hinter sich sehen

Man kann eben schlecht nach hinten schauen. Das ist wahr.

als im Mai 2000 der Landtagspräsident einen Reformprozess des Landtages angestoßen hat, war ich mir keineswegs sicher, ob wir heute mit Ihnen zusammen diese nun doch wohl unter recht vollen Segeln stehende Parlamentsreform durchsetzen können. Sie wissen, dass gerade die SPD-Fraktion die Gemeinsamkeit der beiden großen Fraktionen in den Grundsatzfragen der Entwicklung unseres Verfassungsstaates immer angestrebt hat. Ich erinnere an die Ausarbeitung und Verabschiedung der Landesverfassung.

Sie wissen aber auch, dass sich auch die PDS-Fraktion in das Verfahren einbringt und mit Verantwortung übernimmt. Nur dieses Vorgehen wird dazu beitragen, den verfassungspolitischen Konsens des Jahres 1992 vor dem Hintergrund der inzwischen abgelaufenen gesellschaftlichen Veränderungen in Sachsen-Anhalt fortzuentwickeln. Von gelegentlichen Rückschlägen sehe ich in diesem Zusammenhang einmal ab.

Auch deshalb begrüße ich den zwischen den Fraktionen von SPD, CDU und PDS gefundenen Kompromiss, den ich heute gemeinsam mit dem Einbringer der übrigen Vorlagen, Herrn Kollegen Scharf, gegenüber dem Landtag begründe.

Meine Damen und Herren! Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung parlaments- und wahlrechtlicher Vorschriften wird Ihnen zum einen vorgeschlagen, die gesetzliche Mindestzahl der Mitglieder des Landtages von 99 auf 91 zu reduzieren. Diese Änderung soll mit der fünften Wahlperiode in Kraft treten.

Den antragstellenden Fraktionen ist bewusst, dass es sich bei der Verkleinerung des Landtages um das bestimmende Thema der gegenwärtigen, auch in den Medien geführten Parlamentsreformdiskussion handelt. Dies ist kein auf Sachsen-Anhalt zu reduzierender Eindruck.

Wir sind uns aber gewiss in dem Befund einig, dass insbesondere mit der Erhöhung der Abgeordnetenzahl in der dritten Wahlperiode auf 116 Mitglieder dieser öffentlichen Debatte neuer Schub verliehen worden ist. Auf die wahlsystembedingten Ursachen dieses Ergebnisses gehe ich nicht näher ein. Betonen möchte ich nur noch, dass durch die Wissenschaft bislang keine objektivierbaren Kriterien für die Beurteilung der Mitgliederzahl von Parlamenten entwickelt wurden.

In der Öffentlichkeit werden zumeist Kostengesichtspunkte angeführt, die jedoch nach meiner Überzeugung nicht ausschlaggebend, sondern höchstens beeinflussend sein dürfen. Natürlich sind auch mir unterschiedliche Vorschläge bekannt, wie man diesen Zustand vorbeugend verhindern kann, jedoch ist keiner frei von Nachteilen, frei von Folgeproblemen sowohl demokratietheoretischer als auch praktischer Art. Manche öffentlichen Forderungen in diese Richtung laufen darauf hinaus, dass es am billigsten wäre, das Parlament ganz abzuschaffen, ohne zu bedenken, wie teuer die Folgen sein würden.

Wir brauchen kein billiges, sondern ein gutes Parlament. Wir brauchen keine billigen Abgeordneten, sondern gute Abgeordnete. Mehr Leistung muss auch mehr wert sein. Zu mehr Leistung gehört natürlich auch der Gesichtspunkt der Sparsamkeit.

(Zustimmung bei der SPD)

Auch wenn meine Fraktion eine noch etwas weiter gehende Verkleinerung begrüßt hätte, so unterstütze ich den nunmehr gefundenen Kompromiss, weil wir dadurch überhaupt einen wichtigen Schritt gehen. Auch in Zukunft ist somit eine angemessene Abgeordneten-BürgerRelation sowie eine effektive Flächenrepräsentanz gewährleistet. Ebenso ist eine substanzielle Beeinträchtigung der Wahrnahme von Kernkompetenzen des Landtages nach der Auffassung der Antragsteller nicht zu befürchten.

Wichtig ist mir, dass wir gemeinsam das Signal in das Land senden, dass der Landtag im Ringen um die Verschlankung des Staates und die Reform der Gesell

schaft seiner Vorbildfunktion gerecht wird. Uns allen sollte bewusst sein, dass von dieser Entscheidung sicher nicht die Zukunft des Landeshaushaltes abhängt, dass sie aber neben der finanziellen auch eine beachtliche und hoffentlich beachtete symbolische Wirkung hat.

Ein Verfassungsorgan, dem es zuwächst, Staat und Gesellschaft beständig an sich verändernde Rahmenbedingungen anzupassen, ist und bleibt aufgerufen, sich auch unter Effizienzgesichtspunkten selbst zu hinterfragen. Es war mein Fraktionskollege Bernward Rothe, der in einer Aussprache zur Verwaltungsreform im Oktober 1999 in diesem Raum genau auf diesen Zusammenhang hingewiesen hat.

Natürlich wird es auch hinsichtlich dieser Verständigung Stimmen geben, die von einem faulen Kompromiss sprechen. Ich sehe das nicht so. Zum einen ist der Kompromiss in der Demokratie das Normale, das Vernünftige, nicht das Verwerfliche. Zum anderen haben vor Jahresfrist nicht wenige der gewöhnlich gut Informierten prophezeit, dass die Anregungen des Landtagspräsidenten zur Verkleinerung des Landtages auf keinen Fall mehrheitsfähig seien. Ich denke, es gibt jetzt eine Mehrheit.

Meine Damen und Herren! Ferner schlagen Ihnen die Fraktionen vor, das Abgeordnetengesetz zu ändern. Anlass dieser Änderung ist neben der bevorstehenden Einführung der gemeinsamen europäischen Währung insbesondere die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2000, und zwar zum Thüringer Abgeordnetengesetz, über die Zulässigkeit von Funktionszulagen für Abgeordnete. Wie Sie wissen, lagen dem Gericht seit dem Jahr 1991 Anträge von zwei thüringischen Landtagsabgeordneten vor, mit denen vorgebracht worden war, dass durch das Thüringer Abgeordnetengesetz Fraktionsvorsitzenden, stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, parlamentarischen Geschäftsführern der Fraktionen und Ausschussvorsitzenden unzulässigerweise angehobene Diäten gewährt würden.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat einstimmig entschieden, dass für Fraktionsvorsitzende ebenso wie bisher für den Präsidenten und die Vizepräsidenten des Landtages künftig gestaffelte Diäten zuzulassen sind. Andererseits gibt das Gericht dem Thüringer Gesetzgeber auf, künftig von besonderen Leistungen auf der Grundlage des Abgeordnetengesetzes für stellvertretende Fraktionsvorsitzende, parlamentarische Geschäftsführer der Fraktionen und Ausschussvorsitzende abzusehen.

Natürlich hat es auch bei uns Stimmen gegeben, die davon sprachen, dass das Parlament durch das Gericht missverstanden werde, weshalb die Entscheidung nicht vollauf befriedige. Auch ich halte dieses Urteil in weiten Teilen für am tatsächlichen Leben in einer Leistungsgesellschaft vorbeigehend. Dessen ungeachtet ist diese Gerichtsentscheidung in ihren wesentlichen Prinzipien selbstverständlich auch durch den Gesetzgeber im Land Sachsen-Anhalt zu beachten.

Die antragstellenden Fraktionen sind deshalb übereingekommen, das Abgeordnetengesetz entsprechend anzupassen. Sie haben sich darauf verständigt, die Prinzipien der Karlsruher Entscheidung insofern konsequent umzusetzen, als es künftig auch für Fraktionsvorsitzende keinerlei zusätzliche Leistungen auf der Grundlage des Abgeordnetengesetzes geben wird. An Ausschussvorsitzende, die kein Fraktionsamt, sondern ein Amt für das Gesamtparlament wahrnehmen, soll künftig

auf der Grundlage des Abgeordnetengesetzes eine besondere Aufwandsentschädigung gezahlt werden.

Alles Weitere ist nicht durch den Landtag in seiner Gesamtheit, sondern durch die Fraktionen zu regeln. Daraus folgt: Der Landtag wird mit Eintritt in seine vierte Wahlperiode die Karlsruher Entscheidung korrekt und vollständig umgesetzt haben.

Hinsichtlich des Abgeordnetengesetzes will ich abschließend darauf aufmerksam machen, dass es mit der Änderung in § 28 Abs. 1 künftig möglich sein wird, die Entwicklung der Leistungen nach dem Abgeordnetengesetz auf der Grundlage eines Berichts der unabhängigen Diätenkommission für eine gesamte Wahlperiode zu konzipieren.

Ich denke, wir haben mit diesem eher ganzheitlichen und mittelfristigen Herangehen an die schwierige Frage der Leistungen an Abgeordnete mit der umfassenden Reform der Politikerbezüge aus dem Jahr 1999 überwiegend gute Erfahrungen gemacht.