Protokoll der Sitzung vom 15.11.2001

Nachdem Frau Hein jetzt für sich in Anspruch genommen hat, dies im Grunde genommen von höheren moralischen Werten aus und weil die PDS der eigentliche Interessenvertreter derjenigen sei, die im Herzen gegen Krieg seien, ablehnen zu müssen, denke ich, sollten wenigstens diese Ausführungen nicht unwidersprochen bleiben.

(Beifall bei der CDU, bei der DVU und bei der FDVP)

Meine Damen und Herren! Auch ich weiß, dass Terrorismus auch soziale, politische und gesellschaftspolitische Ursachen hat. Aber wenn als Reaktion auf die terroristischen Akte das getan würde, was Sie uns eben empfohlen haben, würde das bedeuten, dass sich Terrorismus auf dieser Welt lohnt und dass man damit Politik machen kann. Das ist das Schlimmste, was uns passieren kann.

(Beifall bei der CDU und bei der DVU)

Deshalb ist es mir wichtig, klar zu sagen: Dass an dieser Stelle - ob mit einer internationalen Polizei, die man Armee unter dem Befehl der Uno nennen könnte, oder auf andere Weise - zunächst Einhalt geboten werden muss, ist für mich so unumstritten, dass ich denke, dazu sollte wenigstens ich mich für meine Fraktion bekennen.

Ich will ganz deutlich sagen: Dass der Bundeskanzler morgen die Vertrauensfrage stellt, macht es für die CDU/ CSU-Fraktion ausgesprochen schwer. Ich sage aber auch: Das ist eine Haltung, die mir imponiert. Er möchte sich nämlich weder in der eigenen Partei noch in der Koalition von Leuten tolerieren lassen, die sich nicht zu seiner Politik bekennen.

(Beifall bei der CDU und bei der DVU)

Meine Damen und Herren! Darüber sollte man ruhig einmal nachdenken. Das ist eine politische Haltung, die mir Respekt abnötigt.

Dass er es der Opposition damit schwer macht, ist sein gutes Recht. Das ist nun einmal so. Ich bin ganz sicher, dass die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag dem Bundeskanzler nicht das Vertrauen aussprechen kann. Aber sie wird jede Möglichkeit nutzen zu sagen, dass sie in diesem Punkt, in der außenpolitischen Bedeutung dieser Entscheidung zu ihm steht.

(Zustimmung bei der CDU)

Die Entscheidung hat eine sachliche Grundlage. Die Feststellung sämtlicher Staaten der Nato, dass der Bündnisfall eingetreten ist, und die Feststellung des Rechts auf Selbstverteidigung nach Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen durch alle Mitgliedstaaten sind völkerrechtlich unbestreitbare rechtliche Grundlagen für den Militäreinsatz in Afghanistan. Dass diese Politik erfolgreich ist, wird sich, denke ich, bald beweisen.

Zu der sozialen Problematik. Ich habe schon bei der Aktuellen Debatte im September gesagt, dass der Tod Tausender unschuldiger Menschen nicht durch den Tod tausend anderer unschuldiger Menschen gesühnt werden kann. Dazu stehe ich auch heute.

(Frau Stolfa, PDS: Ja, und?)

Ich weiß, dass Afghanistan ein Land ist in größter Armut, aber mit politischen Verhältnissen, die dazu geführt haben, dass bereits vor dem September dieses Jahres vier Millionen Menschen aus Afghanistan geflohen sind und in den letzten zehn Jahren - das sind Angaben der Uno mehr als 300 000 Kinder in Afghanistan verhungert sind. Das heißt, es wird allerhöchste Zeit, dass internationale Hilfsorganisationen dort eingreifen können. Das wollen sie, aber das ist von den Taliban größtenteils verhindert worden.

Ich hoffe, dass nach erfolgreichem Militäreinsatz bald die Zeit kommen wird, in der dort mit internationaler Hilfe eine ordentliche Regierung eingesetzt werden kann und unter dem Schutz der Uno auch internationale Hilfsaktionen möglich sein werden. Unter diesem Gesichtspunkt - das will ich deutlich sagen - sind militärische Aktionen aus unserer Sicht gerechtfertigt, und wir sollten uns offen dazu bekennen.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der SPD)

Danke schön, Herr Professor Böhmer. - Das Wort hat für die FDVP noch einmal Herr Wolf.

Bevor Herr Wolf das Wort ergreift, weise ich darauf hin, dass nach dem Redebeitrag von Herrn Wolf eine namentliche Abstimmung durchgeführt wird. Ich bitte Sie, sich darauf einzurichten.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Hein, ich danke Ihnen trotzdem; denn letztlich sind Sie in sich selbst gefangen.

Unser Antrag ist aus der berechtigten Sorge hervorgegangen, dass eine gefährliche Lage entstehen kann, die inzwischen leider entstanden ist. Frühere und gegenwärtig stattfindende militärische Operationen und deren Folgen außerhalb Afghanistans sind unkalkulierbar. Die Geister der Nordallianz in Afghanistan, die gerufen wur

den, sind nicht mehr zu bändigen. Ein schwerer Fehler wird wiederholt. So ist es, wenn Rache den Verstand ersetzt. Hier bewahrheitet sich, dass militärische Schläge oder gar Kriege niemals das Problem des Terrorismus lösen können.

Präsident Bush kann seinen Staatsgast Putin fragen, was dessen einstige Afghanistankämpfer in einem Jahrzehnt an Toten, Verwundeten und Vermissten einbrachten, und vor allen Dingen, wie die Siegesfeier ablief.

Zu Recht sehen alle realistisch bewertenden Experten die Lage in Afghanistan als sehr gefährlich an. Der Schwelbrand ist entwicklungsfähig. Gewiss, wir meinen nicht, dass wir jene Einblicke haben, die wir zum Erteilen von Rezepten benötigen würden. Wir sind uns jedoch absolut sicher, dass militärische Operationen und Kriege das Ziel verfehlen, dem Terrorismus die Zähne zu ziehen.

Ich erinnere daran, dass das ursprüngliche selektive Ziel das Habhaftwerden des Herrn Bin Laden war, aber wenig später Benzin- und Splitterbomben eingesetzt wurden.

Wenn wir in unserem Antrag für den Polizeieinsatz bei der Terrorismusbekämpfung plädieren, dann stehen wir damit nicht allein auf weiter Flur. Aber die Befürworter eines solchen Herangehens sind durch die Befehle zur uneingeschränkten Solidarität, durch das politisch gesetzte Basta des Bundeskanzlers in sich zurückgezogen und schweigen.

Meine Damen und Herren! Es sollte Ihnen doch zu denken geben, dass vor den Terroranschlägen vom 11. September die Monatszeitschrift „Deutsche Polizei“ in gebotener Sachlichkeit über den Fundamentalismus referierte und wie eine Weissagung titelte: „Gotteskrieger tragen Terror nach Europa.“ Wohlgemerkt, all das in der Zeitschrift der Polizei. Abschließend wird darin nach einer Darlegung der unterschiedlichen Richtungen und Strategien des Fundamentalismus hervorgehoben, dass die deutsche Polizei bisher durchaus Fahndungserfolge verzeichnete, die allerdings nicht ausreichend in den Medien dargestellt wurden.

Herr Schily wird mit folgenden Worten zitiert:

„Angesichts der enormen Gefahren werden wir höchste Anstrengungen unternehmen, um die Strukturen dieser international verzweigten Gruppen aufzuklären.“

Erklärt wird weiter, dass auch seine Ministerkollegen in Europa und dass Polizei sowie Nachrichtendienste noch längst nicht das volle Bild gewonnen haben.

Sicherheitspolitisch ist auf der Schwelle zum 21. Jahrhundert jedoch eines gewiss: Die Lage in Europa ist höchst alarmierend.

Meine Damen und Herren! Wir haben bisher mit einer Vielzahl von Anträgen zur inneren Sicherheit Wege aufgezeigt und Vorschläge unterbreitet, welche die Polizei handlungsfähiger machen und sie besser motivieren können.

Wir wissen auch, dass nach der Ablehnung unserer Anträge letztlich doch still und leise durch die Hintertür viele unserer Ansätze umgesetzt wurden. Das freut uns auch. Auch ohne Benennung der Urheber oder nach Umbenennung der Urheber war das gut im Interesse der Polizei.

Wir beantragten die namentliche Abstimmung; denn es muss heraus, ob Sie den Volkswillen oder den erklärten Kanzlerwillen zum Kriegseinsatz vertreten. Wir versichern, dass die Ergebnisse den Wählern von SachsenAnhalt notfalls auch zur allerunpassendsten Zeit vermittelt werden. Dafür danke ich Ihnen schon jetzt.

(Beifall bei der FDVP - Frau Rogée, PDS: Das machen wir gern!)

Danke schön. - Wir sind am Ende der Aussprache und kommen damit zur namentlichen Abstimmung.

(Herr Oleikiewitz, SPD, und Ministerpräsident Herr Dr. Höppner betreten den Plenarsaal, wobei Herr Oleikiewitz den zweiten Aktenkoffer des Mi- nisterpräsidenten trägt - Heiterkeit bei allen Frak- tionen - Zurufe: Oh! Herr Oleikiewitz! - Herr Hoff- mann, Magdeburg, SPD: Das wäre jetzt etwas für die Kamera! - Herr Oleikiewitz, SPD: Irgendwann muss es mal klappen!)

Ich bitte mit dem Namensaufruf zu beginnen.

(Namentliche Abstimmung)

Abstimmungsverhalten der Abgeordneten:

Herr Barth Nein Herr Becker Nein Herr Dr. Bergner Nein Herr Biener Herr Bischoff Herr Prof. Dr. Böhmer Nein Herr Dr. Brachmann Nein Frau Brandt Enthaltung Herr Büchner Enthaltung Frau Budde Nein Herr Buder Frau Bull Nein Herr Bullerjahn Nein Herr Czeke Herr Dr. Daehre Nein Frau Dirlich Nein Herr Doege Herr Eckel Herr Dr. Eckert Nein Herr Ernst Nein Herr Felke Frau Ferchland Nein Frau Feußner Herr Dr. Fikentscher Nein Frau Fischer (Naumburg) Nein Frau Fischer (Merseburg) Frau Fischer (Leuna) Nein Herr Gallert Nein Herr Gärtner Nein Herr Gebhardt Nein Herr Gürth Nein Herr Hacke Nein Frau Hajek Nein

Herr Halupka

Frau Dr. Hein Nein

Frau Helmecke Ja

Herr Dr. Heyer

Herr Hoffmann (Magdeburg) Nein

Herr Hoffmann (Dessau) Nein

Herr Dr. Höppner Nein

Herr Jeziorsky Nein

Herr Jüngling Nein

Frau Kachel Nein

Herr Kannegießer Herr Kasten