Wolfgang Böhmer
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben Wahlkampf und dabei sind solche Reden an der Tagesordnung.
Dieser Antrag ist Wahlkampf pur, und ich will sagen, Herr Bischoff, ich habe mit Respekt zur Kenntnis genommen, wie Sie versucht haben, das einigermaßen sachlich vorzutragen. Das, was die Frau Ministerin Kuppe jetzt gemacht hat, erinnert mich an manche Redebeiträge aus anderen Fraktionen in diesem Haus. Die sind schon von der Stimmlage her schwer zu ertragen, geschweige denn vom Inhalt her.
Wir müssen auch das aushalten, und ich würde mich jetzt überhaupt nicht wundern, wenn noch jemand kommt und eine namentliche Abstimmung verlangt, weil er denkt, dass es hierbei um die letzte Entscheidung für Sachsen-Anhalt geht.
Wir können das mit Lockerheit ertragen, weil wir das alles schon einmal erlebt haben. Es gibt in der Bundesrepublik seit langem den innerdeutschen Finanzausgleich, der zuletzt im Jahr 1993 gesetzlich novelliert worden ist, weil er für die Einbeziehung der neuen Bundländer in den innerdeutschen Finanzausgleich vorbereitet werden sollte. Das alles hat damals die CDU-geführte Bundesregierung beschlossen.
Dann wurde das ab dem Jahr 1995 gemacht. Dabei stellten alle Beteiligten fest, dass es so - so gut es gemeint war - nicht geht, weil das Regelwerk gar nicht darauf ausgerichtet war, diese großen Finanzkraftunterschiede auszugleichen. Es kam zu Verschiebungen in der Steuerkraftreihenfolge. Das hat damals dazu geführt, dass Bundesländer eine Normenkontrollklage gegen den innerdeutschen Finanzausgleich eingereicht haben.
Ich erinnere mich noch gut daran, dass wir damals eine fast gleich lautende Diskussion hier bei uns hatten. Sie haben damals Ihr gesamtes organisiertes Diffamierungspotenzial aufgeboten, um uns klar zu machen, dass die klagenden Bundesländer jetzt die innerdeutsche Solidarität aufgekündigt hätten.
Sie alle wissen, wie es weiterging. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden und hat gesagt: Die klagenden Länder haben Recht, die Bundesregierung muss ein Maßstäbegesetz dafür vorschlagen. Das wird sie auch machen. Der Solidarpakt ist längst ausgehandelt worden. Der Finanzausgleich geht weiter und das Maßstäbegesetz wird kommen.
Jetzt sage ich Ihnen voraus: Wir werden das gleiche Geschehen wieder erleben. Ich will jetzt nicht noch die Geschichte vom Risikostrukturausgleich auffädeln. Die Frau Ministerin hat darauf hingewiesen, dass er aus einem Gesetz stammt, nämlich dem Gesundheitsstrukturgesetz aus dem Jahr 1992, mit dem damals der einnahmeorientierte Finanzausgleich zwischen den Krankenkassen und Kassenarten eingeführt wurde. Es war eine CDU-geführte Bundesregierung, die das wollte, und dazu stehen wir auch heute noch.
Der Finanzausgleich ist dann fortgeführt worden und am 1. November 1995 in das Risikostrukturausgleichsgesetz eingebunden worden.
Alle Krankenkassen, meine Damen und Herren, führen aus den Beiträgen der Versicherten 12 % der beitragspflichtigen Einnahmen ihrer Mitglieder in einen so genannten Risikostrukturausgleichstopf ab.
Nach einem rechtlich vorgegebenen Verfahren wird dann vom Bundesversicherungsamt der objektive Beitragsbedarf jeder einzelnen Krankenkasse, und zwar unter Berücksichtigung von zunächst vier Risikofaktoren, ermittelt. Diese Risikofaktoren sind die Zahl der mitversicherten Familienangehörigen, Alter und Geschlecht, Berufs- und Erwerbsunfähigkeit und verschiedene Krankengeldansprüche. Jede Krankenkasse erhält aus diesem Risikostrukturausgleichstopf Zuweisungen entsprechend der Differenz zwischen ihren Beitragseinnahmen und dem errechneten Bedarf.
Nachdem nun beschlossen wurde, die neuen Bundesländer in einem geregelten Verfahren bis zum Jahr 2007 systematisch und schrittweise in diesen Risikostrukturausgleich mit einzubinden, wird jetzt festgestellt, dass die Berechnungsmodi, die das Bundesversicherungsamt vorgegeben hatte und die vorgeschrieben sind, dazu
führen, dass es neue Ungleichheiten gibt und dass es mehr Risikopotenziale und -faktoren gibt, insbesondere auch in den neuen Bundesländern, die berücksichtigt werden müssen.
Deswegen führt die gegenwärtige Berechnung zu Verwerfungen. Die Ersatzkassen haben schon lange angekündigt, dass sie aus diesem Verfahren aussteigen wollen.
Sie sollten einfach einmal zur Kenntnis nehmen, dass gegenwärtig im Zusammenhang mit dem Risikostrukturausgleich in Deutschland über 300 Rechtsstreitigkeiten vor den Verwaltungsgerichten mit einem Gesamtstreitwert von über 500 Milliarden € anhängig sind. Wenn hier nicht der Gesetzgeber handelt, sondern sagt, das lassen wir einfach laufen, dann führt das nur dazu, dass die begleitenden Rechtsanwälte reich werden, und zwar zulasten der Versicherungskassen. Das kann doch niemand wollen,
der dazu bereit ist, einigermaßen ehrlich über diese Angelegenheiten zu diskutieren.
Deshalb hat zunächst das Land Baden-Württemberg die anderen genannten Länder haben sich angeschlossen - gesagt: So geht das nicht. Wir müssen auch hierzu ein Normenkontrollverfahren einleiten, damit die Berechnungsmodi neu festgestellt werden.
Hierbei wird es ein ähnliches Maßstäbegesetz geben, wie wir es zum Finanzausgleich noch machen müssen auch das ist noch nicht formuliert -, um eine einigermaßen gerechte Verteilung dieser Finanzmassen zu schaffen, die allen Risikofaktoren gerecht wird. Niemand geht dabei davon aus, dass die neuen Bundesländer weniger Geld bekommen sollen, und niemand möchte das. Eine solche Aussage halte ich für eine Lüge.
Ich sage Ihnen, deswegen ist die Angelegenheit höchst ärgerlich. Ich habe großes Verständnis für den Wahlkampf. Wer aber Wahlkampf nach dem Motto führt - das ist schon sehr alt -: „Jede Lüge wird zur Wahrheit, wenn man sie nur häufig genug wiederholt“, dem sage ich: Das haben nicht einmal Sie verdient, dass wir so miteinander umgehen.
Herr Präsident, ich weiß, dass ich Ihnen die Minute Redezeit schuldig bin. - Ich möchte nur sagen, ich bin ganz sicher, dass das jetzige Verfahren - die Klärung dieser Unklarheiten innerhalb des Risikostrukturausgleichs durch ein Normenkontrollverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht - die vernünftigste Lösung des
Problems ist. Man kann das Problem nicht den Verwaltungsgerichten überlassen.
Die Lösung wird kommen, sie wird auch zu einem Maßstäbegesetz für den Risikostrukturausgleich führen. Erst dann werden wir wieder Ruhe in der Diskussion haben und dann werden Sie mir Recht darin geben, dass in diesem Verfahren niemand die innerdeutsche Solidarität aufkündigen wollte. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie, Herr Präsident, haben zu Beginn der heutigen Sitzung zu Recht daran erinnert, dass viele von uns schon in der dritten Legislaturperiode, das heißt seit fast zwölf Jahren, hier zusammensitzen. Ich glaube, es gibt kein Thema, über das wir so häufig und so intensiv diskutiert haben wie über das Problem der Arbeitslosigkeit. Dabei handelt es sich in der Tat um das schwierigste Problem in Sachsen-Anhalt.
Ich will Ihnen eines sagen: Wenn ich nicht als Abgeordneter dabei gewesen wäre, sondern die Sache mit Abstand, als Zuschauer beobachtet hätte, dann käme ich auf den Gedanken: Entweder wissen sie nicht, wovon sie sprechen, oder sie sind tatsächlich alle so klug, wie sie sich hier darstellen, aber unfähig, das Problem zu lösen. Denn geschafft haben wir nichts.
Trotz aller Debatten, trotz aller klugen Diskussionen sind wir immer noch das Land mit der höchsten Arbeitslosenquote. Die Arbeitslosenquote von 20 %, von der die Rede ist, erfasst doch lediglich die Nettoarbeitslosigkeit. Ich habe das mehrfach gesagt. Die eigentliche, die Bruttoarbeitslosenquote, die die Gesamtzahl der Arbeitsuchenden erfasst, ist deutlich höher. Sie liegt - das ist regional unterschiedlich - zwischen 25 und 30 %.
Das Thema hat sich nicht verändert. Wenn Sie über aktive Arbeitsmarktpolitik sprechen, dann sagen wir dazu seit Jahren das Gleiche: Aktive Arbeitsmarktpolitik heißt Arbeitsplätze schaffen. Und das ist Wirtschaftspolitik.
Wir können nicht sagen, dass wir dabei erfolgreich gewesen sind. Seit 1994, seit die jetzige Regierung in diesem Land die Verantwortung trägt, hat sich die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse in Sachsen-Anhalt um 90 000 vermindert. Das ist das Gegenteil von aktiver Arbeitsmarktpolitik.
Ich kann Frau Fischer sogar Recht geben, wenn sie von hier aus sagt, dass man aktive Arbeitsmarktpolitik und die Probleme, die damit zusammenhängen, nicht dadurch vernebeln kann, dass man sich über organisationspolitischen Aktionismus hinsichtlich der Arbeitsverwaltung unterhält. Damit lösen wir genau diese Probleme nicht. Reformen sind notwendig, aber Arbeitsmarktpolitik heißt erst einmal Arbeitsplätze schaffen.
Das, was Sie hier thematisiert haben, die Erörterung der Fragen: Wie gehen wir mit der Verwaltung der Arbeitslosigkeit um und wie gehen wir damit um, dass wir den Arbeitslosen - um das Problem zu beseitigen - wieder Arbeitsplätze vermitteln?,
das ist für mich bestenfalls eine reaktive Arbeitsmarktpolitik.
Das heißt, wie reagieren wir darauf.
Dann ist es allerdings richtig und zu begrüßen, dass Bewegung in diese Diskussion gekommen ist; denn die Bundesregierung hat mit ihrer Erklärung vom 22. Februar 2002 Veränderungen in der Bundesanstalt für Arbeit angekündigt, die sie bis 1998 aktiv bekämpft hat.
Wenn ich auch nicht alle Vorstellungen des neuen designierten Präsidenten dieses Amtes teile, empfinde ich es doch als wohl tuend, dass erst einmal Bewegung in die Diskussion gekommen ist und dass wir jetzt wieder ziemlich freimütig darüber reden können, was wir besser machen könnten.
Eines will ich dazu ganz deutlich sagen: Wer jeden Reformvorschlag, der als Beitrag zum Kampf gegen die Arbeitslosigkeit gemeint ist, als Mittel im Kampf gegen Arbeitslose diffamiert,
der vernebelt das Problem, um nicht auf den eigentlichen Punkt zurückkommen zu müssen: die fehlenden Arbeitsplätze in Deutschland.
Es ist richtig, dass wir mit hohen Investitionen auch neue Arbeitsplätze geschaffen haben, dass in einer modernen Technologiegesellschaft die Zahl der industriellen Arbeitsplätze zurückgeht und dass sich das Spektrum der Arbeitsplätze insgesamt ändern wird. All das ist richtig. Aber darauf müssen wir reagieren, zum Beispiel durch eine Ausweitung des Dienstleistungssektors - darüber wurde tausendmal berichtet - und dadurch, dass wir mit öffentlichen Aufträgen mehr Arbeitsvolumen anbieten. Darauf dürfen wir aber nicht damit reagieren, dass wir einen dritten öffentlich finanzierten Beschäftigungssektor schaffen.
Das wäre nämlich eine neue Form von Staatswirtschaft.
Wenn wir jetzt davon sprechen, welche neuen Methoden der Arbeitsmarktvermittlung umgesetzt und organisiert werden müssen, dann ist es völlig richtig, auch über die Reform der Strukturen der Arbeitsverwaltung zu sprechen. Dazu möchte ich sagen, dass ich mich sehr darüber gewundert habe, wie locker Ministerin Frau Kuppe das Landesarbeitsamt für unnötig erklärt hat.
Denen, die dort arbeiten und das gelesen haben, muss es eiskalt den Rücken hinuntergelaufen sein; denn ihnen
wurde von der Ministerin bescheinigt, dass sie eigentlich umsonst dort sitzen, Geld kosten und nichts bieten.
So, denke ich, kann man das Problem beim besten Willen nicht händeln. Im Gegenteil: Ich bin sehr für Regionalisierung. Wir haben schon immer eine Erhöhung der Autonomie der Arbeitsämter gefordert.
Ihnen standen bisher schon 10 % des Finanzvolumens für Modellvorhaben zur Verfügung. Diese Kompetenz hatten sie bereits. Wir fordern bereits seit langem, dies auszuweiten.
Allerdings sind wir auch der Meinung, dass zentrale Bündelungsbehörden für diejenigen Regionen vorgehalten werden müssen, die durch ein bestimmtes Niveau der Arbeitslosigkeit gekennzeichnet sind. Das Arbeitsamt für Thüringen und Sachsen-Anhalt hat jährlich ein geschätztes Volumen von 7 Milliarden DM umzusetzen. Dieses Volumen ist abhängig von der Höhe der Arbeitslosenquote. Wenn wir versuchen, das nur noch mit einer Bundeszentrale und regionalisierten Arbeitsverwaltungsämtern zu bewerkstelligen, dann - das ist meine Sorge wird dieser Finanztransfer in die neuen Bundesländer systematisch vermindert werden. Vor allen Dingen dagegen müssen wir unsere Einwände geltend machen.
Deswegen sind wir dafür, dass es eine Regionalisierung der Arbeitsverwaltung gibt und dass deren finanzielle Ausstattung auch weiterhin von der Höhe der Arbeitslosigkeit in der Region abhängig bleibt. Man kann viel über die Effizienz nachdenken, aber nicht über eine grundsätzliche Veränderung der Strukturen.
Unsere Partei hat sich - wir mussten in der letzten Zeit mit furchtbar vielen Diffamierungen und Vorwürfen leben, die durch nichts gerechtfertigt sind - natürlich auch darüber Gedanken gemacht, wie man manches besser machen könnte. Von uns ist niemals der Vorschlag unterbreitet worden, AB-Maßnahmen abzuschaffen, niemals. Wir würden uns ins eigene Fleisch schneiden.
- Ich will genau darauf hinaus. Es gibt in einem Nebensatz die Diskussion, dass man darüber nachdenken muss. Als Herr Florian Gerster das gesagt hat, haben alle Kameraden von der SPD beschämt auf ihre Fußspitzen gesehen und gewartet, bis der Wind sich dreht. Inzwischen sagen sie nur noch: Er hat eine Botschaft an die Wirtschaft verbreitet. Wir haben es heute gerade gehört.
Wenn das aber jemand von uns in einem Nebensatz sagt, dann schießen sich alle darauf ein und wir bekommen das als parteipolitischen Vorschlag vorgehalten, obwohl es genauso war - das gibt es Gott sei Dank auch bei Ihnen -, nämlich dass jemand in Varianten gedacht hat.
- Was wir wollen, sagen wir gemeinsam. Das gilt für Sie ja auch.
Deshalb müssen wir offen sein, auch für eine Variantendiskussion. Ich wehre mich aber dagegen, dass wir uns dann in der öffentlichen Diskussion darüber, wie wir etwas verbessern können, die Vorschläge gegenseitig vorwerfen und so tun, als ob wir damit der ganzen Sache schaden wollten. Das ist die gegenwärtige Diskussionslage. Sie ist ungesund und schädigt alle, die tatsächlich in diesem Land etwas bewegen wollen.
Wir brauchen diese Reformen. Wir brauchen eine Reform der Qualifizierung der Arbeitsuchenden. Wir müssen den Menschen die Möglichkeit für eine Qualifizierung - auch durch Maßnahmen der Arbeitsverwaltung eröffnen, bevor sie arbeitslos sind.
- Nein. Das gibt es zurzeit nur als Modellvorhaben, Verehrteste. Das ist im Moment noch nicht die Regel.
Bis vor kurzem mussten die Arbeitsämter einem Betriebsinhaber, der seine eigenen Leute mit Unterstützung der Arbeitsverwaltung umqualifizieren wollte, sagen: Sie müssen erst Insolvenz anmelden, dann können Sie wiederkommen. - Das ist falsch. Zur Prophylaxe muss es auch gehören, dass schon vor einer Insolvenz, das heißt, bevor die betroffenen Personen tatsächlich de jure arbeitslos sind, solche Qualifizierungsmaßnahmen durchgeführt werden können.
- Ja gut, ich hatte ja gesagt, dass es dies als Modellvorhaben gibt. Dies muss gesetzlich ermöglicht werden.
- Als Modellvorhaben in diesem Land.
Dazu gehört weiter, dass wir im Arbeitsrecht wesentlich mehr Mobilität zulassen, als es vorläufig möglich ist. Die gesamten Maßnahmen des Arbeitsrechtes sind zurzeit erschwerend für diejenigen, die neue Arbeitsplätze anbieten wollen. Wenn wir dies nicht zur Kenntnis nehmen und wenn wir uns nicht über die Zeitarbeitsverträge, über die Teilzeitarbeitsmöglichkeiten und über die Zulassung betrieblicher Einzellösungen auch im Tarifrecht verständigen können, dann werden wir keine wesentliche Bewegung in die Arbeitsmarktpolitik hineinbekommen.
Deswegen sind das Maßnahmen, über die in der nächsten Zeit diskutiert werden muss.
Es sind auch Umgestaltungen im Sozialrecht notwendig. Es ist ja nun eine Tatsache, dass bei der Zusammensetzung der Arbeitslosen die Ausgangssituation unterschiedlich ist.
Die Arbeitsämter unterscheiden mit technischen Begriffen, die man nicht unbedingt gut finden muss. Sie ver
wenden den Begriff der so genannten Sucharbeitslosigkeit und meinen, dass davon ungefähr 70 % der Arbeitslosen betroffen sind, die tatsächlich Arbeit suchen. Die Arbeitsämter sprechen von dem Begriff der Zielgruppenarbeitslosigkeit und meinen damit die schwer vermittelbaren Arbeitslosen. Das sind etwa 20 % der Arbeitslosen, für die tatsächlich nur Sonderprogramme eine Lösung ermöglichen werden. Darüber hinaus gibt es den Begriff der so genannten Sozialarbeitslosigkeit. Das betrifft diejenigen, die den Leistungsbezug brauchen, aber selbst keine Arbeit mehr suchen. Auch das gibt es.
Ich habe selbst solche Fälle erlebt, in denen Personen ich möchte das niemandem vorwerfen - sagen: „Ich muss von Ihnen eine Unterschrift bekommen, dass ich mich beworben habe. Aber es stimmt doch, dass diese Stelle für mich nicht infrage kommt?“
Wenn das so ist, müssen wir auch den Freimut haben, darüber zu sprechen und zu sagen, wie wir für diese Menschen das Problem lösen können, ohne sie unentwegt der Arbeitsverwaltung auszusetzen, nur damit sie einen Anspruch auf Leistungen erhalten. Über diese Probleme müssen wir in Offenheit und ohne die Verdächtigungen, die in die Diskussion gekommen sind, miteinander sprechen, wenn wir überhaupt weiterkommen wollen.
Wir sind nicht bereit, darüber zu reden, durch Definitionsvorgaben die Statistik so zu verändern, dass es am Ende besser aussieht. Auch diese Probleme hat es ja gegeben.
Denn eines werden wir nicht vergessen: Der Bundeskanzler hat von sich behauptet, an der Verringerung der Arbeitslosigkeit möchte er gemessen werden, und wenn er das nicht schafft, dann hätte er es nicht verdient zu regieren. Dazu sagen wir: Recht hat er. Wir werden ihn daran erinnern. - Vielen Dank.
Ja.
Wenn Sie das Problem der Qualifizierung von Personen ansprechen, die noch nicht de jure arbeitslos sind, aber in von Insolvenz bedrohten Betrieben arbeiten und nur durch Qualifizierung den Betrieb erhalten können - dies ist bisher im Modellverfahren auf Landesebene möglich, gehört aber nicht zum Instrumentenkasten der offiziellen Arbeitsverwaltung.
Der Gesetzesvorschlag und die Organisationsdebatten beinhalten, dass das SGB III für diese Möglichkeit ganz formal geöffnet werden soll. Das ist aber nicht so einfach, weil das im Grunde genommen der Subventionierung von Wirtschaftsbetrieben verdächtigt wird. Das ist nicht so, dass man das einfach einmal locker besprechen kann. Das wissen wir. Wir sagen aber: Es sollte möglich gemacht werden, und zwar auf rechtlich korrekter Basis.
Verehrte Frau Kollegin Fischer, als wir über dieses Plakat gesprochen haben, haben wir sogar daran gedacht, dass es Menschen gibt, die das böswillig missverstehen könnten. Sie bieten mir die Bestätigung dafür.
Ich bin gern bereit, darüber zu reden. Die Tatsache, dass wir bewusst ein emotionales Plakat gemacht haben, heißt ja nicht, dass Menschen, die nicht „Papi“ sind, ausgeschlossen sind - falls Sie das meinen.
Ich möchte Ihnen aber noch eines sagen, damit Ihre Unruhe noch gesteigert wird. Ich habe Plakate gesehen, auf denen geschrieben steht: „Nur die Fakten zählen“.
Wenn das zutrifft, dann schneiden Sie wirklich noch viel schlechter ab, als Sie denken.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir werden der Ihnen jetzt vorliegenden Beschlussempfehlung nicht zustimmen, und zwar deswegen, weil es uns nicht darum geht, über eine bestimme Höhe eines bestimmten Haushaltsansatzes mit dieser Zweckbindung zu diskutieren, sondern weil es uns im Prinzip darum geht, über ein neues Instrumentarium zur Förderung von Innovation und Technologie in unserem Bundesland zu diskutieren, auch wenn das zunächst noch
ein wenig schmalbrüstig sein könnte und diese Stiftung nicht gleich wohlhabend wäre. Es geht uns darum, neue Instrumente zu schaffen.
Mit Interesse bin ich darauf gestoßen, dass unser Herr Ministerpräsident vor wenigen Tagen auf dem 1. Stiftertag in Sachsen-Anhalt über die Vorzüge von Stiftungen diskutiert und all das empfohlen hat, was wir eigentlich in diesem Zusammenhang auch diskutieren wollten.
Dabei habe ich in der offiziellen Pressemitteilung der Staatskanzlei noch etwas Interessantes gelesen - Zitat -: „Sachsen-Anhalt habe in den letzten zehn Jahren sehr gute Rahmenbedingungen für Stiftungen geschaffen, betonte der Regierungschef. Das Stiftungsgesetz sei dafür ein Musterbeispiel, ein kurzes, schlankes Regelwerk...“
Ich frage: Kennt jemand dieses Gesetz? - Wir haben kein eigenes Stiftungsgesetz beschlossen.
Wir haben das Stiftungsgesetz der letzten Volkskammer der DDR übernommen und zum Landesrecht erklärt.
Allerdings ist das ein schlankes Gesetz und es ist weniger einengend als manche Stiftungsgesetze, die ich aus den alten Bundesländern kenne. Aber den Luxus eines eigenen Gesetzes haben wir uns im Landtag bisher noch nicht geleistet. Ich halte das nicht einmal für unbedingt notwendig.
Aber wenn sich der Regierungschef damit schmückt, sollte man den Zusammenhang wenigstens einmal ganz kurz erwähnen dürfen.
Der zweite Punkt ist für uns schon wichtiger. Wir haben, wie in vielen anderen Bereichen, auch Nachholbedarf in der Förderung der Industrieforschung. Wenn es darum geht, wie viel Arbeitskraft und auch finanzielles Volumen in den einzelnen Ländern - dabei gehe ich wieder nur von dem Vergleich mit den anderen neuen Bundesländern aus - für die Industrieforschung aufgewendet wird, ist es so, dass in Sachsen 253 Beschäftigte auf 100 000 Einwohner für Forschung und Entwicklung tätig sind und in Thüringen 199. Sachsen-Anhalt liegt auch bei diesem Vergleich mit 114 pro 100 000 Einwohner an letzter Stelle im Vergleich der neuen Bundesländer.
Wir waren der Meinung, dass wir deshalb etwas tun müssen und dass es nicht darum gehen kann, diese Entwicklung mit jährlichen Haushaltsansätzen - die wir auch dann brauchen würden, wenn es diese Stiftung gäbe - zu fördern, sondern dass es uns darum gehen muss, sich nicht selbst aufzehrende Instrumente zur Wirtschaftsförderung und zur Förderung von Innovationen und von Technologie zu schaffen.
Das kann man nur mit solchen neuen Instrumentarien machen, wie das Thüringen zum Beispiel mit Privatisierungserlösen aus der Jenoptik gemacht hat. Die Thüringer Stiftung ist inzwischen zur zentralen technologischen Kompetenzstelle für das gesamte Bundesland entwickelt worden. Davon sind wir weit entfernt.
Wir haben das in die Diskussion gebracht, als es zum ersten Mal darum ging, über Privatisierungserlöse zu sprechen. Ich weiß doch auch, dass man nicht innerhalb eines Vierteljahres 47 000 ha landwirtschaftliche Nutz
fläche verkaufen kann, ohne sich selbst den Preis zu verderben. Das ist Unfug und hat auch niemand in diesem Zusammenhang gefordert. Aber ein neues Instrumentarium, das wir mit Privatisierungserlösen speisen und mit dem wir trotzdem dem Haushaltsgebot Rechnung tragen können, dass das Grundvermögen, das verkauft wird, nur für den Neuerwerb oder in anderer Weise zum Erhalt des Landesvermögens eingesetzt werden darf, kann am besten in Form einer Stiftung geschaffen werden.
Es ist eine Grundsatzfrage - weshalb wir hier darüber diskutieren -, ob wir in Zukunft die Förderung von Wirtschaft, Innovationen und Technologie nur als Staatsaufgabe betrachten wollen und in jedem Haushalt so viel Geld zur Verfügung stellen, wie wir dafür gerade eben haben, oder ob wir sagen sollten, wir müssen subsidiäre eigene Strukturen zur Selbsthilfe in der Wirtschaft schaffen. Diese können am Anfang durchaus auch klein sein, aber sie werden wachsen. Wir müssen dazu kommen, dass es nicht mehr eine alleinige Aufgabe des Staates bzw. der Landesregierung ist, diese notwendige Entwicklung zu fördern. Hierfür brauchen wir neue Strukturen.
Damit wollten wir einen Anfang machen. Sie haben das abgelehnt. Wir werden deshalb der Ablehnungsempfehlung widersprechen. - Vielen Dank.
Das wäre möglich gewesen. Wenn Sie sich erinnern und zwar nicht nur partiell -, dann werden Sie sich auch daran erinnern, dass Herr Kollege Rehhahn gesagt hat,
dieser Gedanke sei prinzipiell ein Gedanke, den auch die SPD-Fraktion weiter verfolgen wolle, aber in diesem Zusammenhang solle die Diskussion darüber abgebrochen werden.
Ich habe mir abgewöhnt, wenn mir Mehrheiten gegenübersitzen, die mit einer vorgefassten Meinung in die Diskussion gehen, meine Zeit zu verplempern und die Diskussion weiter fortzuführen.
Es blieb uns gar nichts anderes übrig.
Ich sagte: Es blieb uns gar nichts anderes übrig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin jetzt etwas in die Versuchung geraten, Sie
zu bitten, dass wir, bevor wir über einen blauen Brief sprechen, vielleicht über eine gelbe Karte nachdenken.
Meine Damen und Herren! Wir sitzen in diesem Raum, weil wir nicht einer Meinung sind und weil wir uns darüber streiten sollen, welcher Weg der beste ist. Dazu sollten wir unsere Argumente austauschen. In diesem Zusammenhang erwarte ich überhaupt nicht, dass der Finanzminister, wenn er eine andere Meinung hat, diese seine eigene Meinung nicht vertritt. Er sollte genau das sagen, was er für richtig hält. Aber, sehr verehrter Herr Finanzminister, die Art, in der Sie das tun, - das bitte ich Sie zur Kenntnis zu nehmen - ist aus der Sicht eines Parlamentariers nicht immer leicht zu ertragen.
Dieser oberlehrerhafte Gestus, jemanden wegzubürsten, kommt wirklich nicht gut an. Ich bin der Meinung, das haben wir alle, die wir uns in diesem Plenum abrackern und nach der besten Lösung für die Probleme in Sachsen-Anhalt suchen, nicht verdient.
Wir beraten über ein Bundesproblem. Die Bundesrepublik Deutschland hätte einen blauen Brief verdient und wollte ihn nicht. Das kann man alles verstehen. Das war auch früher mit blauen Briefen immer so. Nach Zeitungsberichten - das kann ich nur zitieren - hat es der Bundeskanzler - Deutschland ist ja auch der größte Nettoeinzahler der EU - ganz klar und offen mit den Worten gesagt: Die Kuh, die man melken will, soll man nicht bestrafen, sondern lieber streicheln.
Das sind begreiflicherweise Probleme, die ein französischer Minister anders sieht als der Finanzminister Österreichs oder gar der Finanzminister Portugals, dem es ähnlich geht. Das alles sind politische Tagesprobleme, bei denen ich mich nicht allzu sehr aufhalten kann.
Der Umstand, dass sich die Bundesrepublik jetzt mit einem Versprechen, das sie einhalten muss, in einer bestimmten Weise festgelegt hat, wird uns zwingen, Probleme zu lösen, die wir in Deutschland schon seit Jahren vor uns herschieben. So hat manches auch sein Gutes.
Die ganze Geschichte mit dem Solidarpakt zur Einhaltung der Konvergenzkriterien im Inneren stammt bekanntlich von Theo Waigel aus dem Jahr 1996. Seitdem wird darüber geredet, aber seitdem gibt es auch keinen Konsens darüber, wie ein solcher Solidarpakt aussehen könnte.
Wir sollten es uns nicht zu leicht machen - auch Sie, verehrter Herr Kollege Trepte, nicht - und jetzt lediglich sagen, was wir vom Bund erwarten, und die Dinge so hinstellen, als wenn der Bund gefälligst die Voraussetzungen dafür zu schaffen hätte, dass wir möglichst wenig Kredite aufnehmen müssen. Natürlich werden wir das tun. Das ist das normale Geschäft in den Beziehungen zwischen Bund und Ländern.
Ich bitte aber auch darum, an dieser Stelle darauf hinweisen zu dürfen, dass sämtliche Kommunen SachsenAnhalts von uns das Gleiche erwarten und dass manches von dem, was Sie soeben dem Bundesfinanzminister vorgeworfen bzw. von ihm gefordert haben, die Kommunen von uns, vom Plenum des Landtages und von
der Landesregierung in der gleichen Weise zu erwarten ein Recht haben.
Insofern wird dieser Stabilitätspakt nicht nur einer sein, der uns helfen soll, Probleme zu lösen. Er muss uns auch in die Lage versetzen, anderen zu helfen, für die wir Verantwortung tragen, damit die ihre Probleme lösen können.
Ich bitte Sie, sich nur an die letzten Haushaltsberatungen zu erinnern, wie da die Meinungen vermischt waren, und sich auch daran zu erinnern, wer uns von dieser Stelle aus erzählt hat, dass eine weitere Erhöhung der Kreditaufnahme nun wirklich nicht das Allerschlimmste sein könnte, wenn wir Probleme mit der Finanzierung der Aufgaben hätten, die wir lösen und finanzieren müssten.
Deswegen sage ich: Ich kann diese Verhandlungen zu einem neuen Stabilitätspakt eigentlich nur begrüßen. Für das föderalistische System der Bundesrepublik Deutschland wird das dringend notwendig.
Ich erinnere mich, auf dem Fernsehsender Phoenix ein langes Referat des Finanzministers Eichel vor dem Finanzausschuss des französischen Parlaments gehört zu haben.
Frankreich ist völlig anders strukturiert. Dort gibt es einen gnadenlos durchgezogenen Zentralismus. Die haben kein Verständnis für die Finanzhoheit einzelner Regionen oder so etwas. Das hat dazu geführt, dass der Finanzminister Mühe hatte, den französischen Parlamentariern klar zu machen, wie schwierig die Umsetzung der Konvergenzkriterien in der Bundesrepublik Deutschland ist.
Da müssen wir nun aber durch. Davon sind auch Formulierungen des Grundgesetzes und unser grundsätzliches Verständnis vom Staatsaufbau berührt. Dieser Aufgabe werden wir uns jetzt aber unter einem selbst mitgeschaffenen Druck unterziehen müssen.
Ich kann mir nicht vorstellen, wie die erhebliche Reduzierung der Kreditaufnahme und der Verschuldung bis zum Jahr 2004 entsprechend dem vom Bundesfinanzminister gemachten Versprechen umgesetzt werden soll. Wir haben uns aber selbst vorgenommen, bis zum Jahr 2006 bei uns in Sachsen-Anhalt die Kreditfinanzierung deutlich zurückzuführen. Jeder weiß und kann sich an die letzten Haushaltsberatungen erinnern, was für ein mühsamer Weg das sein wird, wenn wir das tatsächlich erreichen wollen.
Nun kommt noch dazu - das muss man auch ganz deutlich sagen -, dass die Steuerreform und der Gesetzgebungsweg dorthin - man sollte sich schon einmal daran erinnern, dass dieser mit Versprechungen und besonderen Zusagen an die Länder verbunden war, die dann am Ende doch noch zugestimmt haben und mit Geld umgestimmt worden sind - nicht das gebracht haben, was sich die Autoren davon versprochen haben.
Viele Großkonzerne zahlen jetzt fast keine Steuern mehr und bekommen sogar zum Teil in Milliardenhöhe Geld zurückerstattet. Die Einnahmen aus der Körperschaftsteuer, die im Jahr 2000 noch 23 Milliarden € betrugen, sind im Jahr 2001 auf 1,9 Milliarden € zurückgegangen. Das Gewerbesteueraufkommen der Kommunen hat sich lokal unterschiedlich um 20 bis zu 50 % verringert. Die Änderungen des Steuerrechts haben Abschreibungsmöglichkeiten möglich gemacht, die wir uns so fast nicht
hätten vorstellen können und die dazu geführt haben, dass das nicht nur eine gewisse Delle der Steuereinnahmen sein wird, sondern dass auch im Bereich der Körperschaftsteuer noch längere Zeit mit Mindereinnahmen zu rechnen sein wird.
Anders als bisher können Konzerne nun auch Mindereinnahmen aus peripheren Tochterfirmen mit den Gewinnen der Muttergesellschaft verrechnen. Davon wird Gebrauch gemacht, soweit es irgendwie geht. Anders als von der SPD damals geplant, können Konzerne Verluste, die sie in der Vergangenheit gemacht haben, nicht nur wenige Jahre, sondern unbegrenzt vor sich herschieben und dadurch Steuern sparen und die Steuerersparnis so verteilen, dass die Verluste für lange Zeit noch mit erwarteten Gewinnen gegengerechnet werden können.
Auch die Möglichkeit der Konzerne, letztmals den Wertverfall beim Wiederverkauf von Firmenbeteiligungen abzuschreiben, hat dazu geführt, dass im Grunde genommen buchhalterisch zurechtgerückte Verluste geltend gemacht werden können, die vor allen Dingen im Zusammenhang mit dem Börsencrash entstanden sind, sodass die Körperschaftsteuer erheblich zurückgegangen ist. Es ist zurzeit von niemandem, von keinem Finanzplanungsrat vorhersehbar, wie lange diese Entwicklung weitergehen wird.
Hier hat also - das sagen auch Finanzminister, die der SPD angehören - die Steuerreform Webfehler, die so nicht erwartet worden sind. In diesem Zusammenhang möchte ich in aller Offenheit auch sagen: Auch von meiner Partei werden Sie bestimmte Formulierungen nicht mehr hören, die bisher locker gesagt worden sind.
Die Forderung, die zweite Stufe der Steuerreform vorzuziehen, damit ein noch größerer Steuererlass möglich ist, in der Hoffnung, dass die Wirtschaft dadurch Impulse bekäme und irgendwann einmal im Selbstlauf praktisch das Steueraufkommen wieder steigen würde, die stellt jetzt niemand mehr, weil die Finanzminister auch bei uns darauf gedrungen haben, dass man solche Sachen erst einmal durchrechnen muss, bevor man sie in die Welt hinausposaunt. Da gibt es also durchaus einen Wandel in der Meinungsbildung, der meiner Ansicht nach aber auch für uns notwendig ist.
Die Tatsache, dass durch die Gesetzgebung der letzten Zeit höhere Ausgaben auf die Kommunen zugekommen sind - die Bürgermeisterin Frau Theil hat es gestern Abend sehr ausführlich und, wie ich denke, sachlich völlig korrekt dargestellt -, dass die Kommunen im Bereich der Entfernungspauschale, des Kindergeldes und so weiter durch die Gesetzgebung des Bundes zu höheren Ausgaben verpflichtet worden sind, ohne dass sie nach dem Konnexitätsprinzip höhere Einnahmen zur Verfügung gestellt bekommen hätten, hat die Probleme geschaffen, die dazu führen, dass es jetzt zwischen den Ebenen der politischen Entscheidungsträger in Deutschland zu einem Gärungsprozess gekommen ist und dass wir praktisch in einem Stabilitätspakt die Finanz- und Aufgabenverteilung zwischen Kommunen, Ländern und Bund grundsätzlich neu werden überdenken müssen.
Ich habe das aber deswegen so vorgetragen, weil das nicht nur eine Lösung ist, mit der wir Forderungen gegenüber anderen geltend machen und sagen können: Bund, gib uns einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer oder was auch immer, weil wir mehr Geld brauchen. Vielmehr sind wir in der Pflicht, mit den Kommunen genauso umzugehen, für die wir die Verantwortung tragen
und die diese gleiche Forderung an uns stellen. Ich kann Ihnen sagen: Da wird es noch spannend werden. Dazu war aber eine solche Aktuelle Debatte sicherlich auch unter uns einmal nötig. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, Sie haben sich mit einer Abschlusspassage an mich persönlich gewandt. Das hat mich doch ein wenig verblüfft. Ich war davon ausgegangen, dass Sie nach zwei Legislaturperioden Regierungsverantwortung eine Standortbestimmung vornehmen würden. Stattdessen haben Sie sich mit einer Art Abschiedsrede von diesem Parlament verabschiedet.
Aus dem Munde eines Ministerpräsidenten, der sich noch einmal bewirbt und nochmals antreten will, war dies - für mich wenigstens - überraschend. Das war wie alles andere, was Sie sonst gesagt haben, eigentlich zu wenig.
Sie haben eine Standortbestimmung angekündigt, diese aber nicht vorgenommen.
Sie haben uns versprochen zu sagen, was Sie tun wollen, welche Aufgaben in nächster Zeit zu lösen sind, und haben uns mit vielen Allgemeinplätzen abgespeist.
Als Sie zu Beginn Herrn Hieckmann, den Präsidenten der IHK Magdeburg, zitiert haben, ist mir eingefallen, dass ich ihm ein Goethe-Zitat verdanke, mit dem der gesamte Eindruck Ihrer heutigen Regierungserklärung umschrieben werden könnte:
„Durch Heftigkeit ersetzt der Irrende, was ihm an Weisheit und an Kräften fehlt.“
Die eigene Bilanz, nicht der Vorwurf gegen die anderen, die Absicht, Probleme aufzuzeigen und Lösungswege anzubieten, macht eigentlich eine Regierungserklärung eines amtierenden Ministerpräsidenten aus. Aber das, was Sie uns vorgetragen haben, waren die Wiederholungen jahrelang bekannter guter Absichten und die Resignation, es noch nicht geschafft zu haben.
Meine Damen und Herren! Wir kommen zum Thema. Sie haben eine politische Standortbestimmung vorgehabt und haben auf jeden Vergleich verzichtet, weil das ich zitiere - „politisch gefärbte Ländervergleiche“ wären.
Meine Damen und Herren! Ich frage Sie: Wen verdächtigen Sie mit einer solchen Formulierung, wenn wir von den Ergebnissen der Statistischen Landesämter sprechen, vom Ergebnis des Statistischen Bundesamtes, wenn wir von den Daten sprechen, die uns Eurostat zum Vergleich zur Verfügung gestellt hat? Sollen das politisch gefärbte Ländervergleiche sein?
Meine Damen und Herren! Wir wissen, dass wir nicht in der Bundesliga spielen. Wir wissen, dass wir uns in vielem noch nicht mit den alten Bundesländern vergleichen können, aber eine so genannte Regionalliga neue Bundesländer gibt es schon. Unter uns, unter Gleichen möchten wir uns schon vergleichen können, wenn wir wissen wollen, wo wir stehen und wo unser Standort ist.
Das hängt natürlich von der Perspektive ab, das hängt von der Messlatte ab, mit der wir unsere Leistungen messen. Aber, Herr Ministerpräsident, sich nur an sich selbst zu messen, sich nur mit sich selbst zu vergleichen, sich gut zu finden und damit zufrieden zu sein, das ist auch für uns in Sachsen-Anhalt zu wenig.
Ich habe Ihnen einen Satz zu verdanken - das will ich auch sagen -: Der Verlust der Macht beginnt mit dem Verlust der Wahrnehmungsfähigkeit.
Wenn wir aufhören, uns mit Gleichen zu vergleichen, um den Standort zu bestimmen, an dem wir stehen, wenn wir also nicht einmal dazu den Mut haben, dann hören wir auf, die Wahrnehmungsfähigkeit zu nutzen, um uns selbst zu beschreiben, weil wir uns vor dem Vergleich scheuen. Dazu sage ich: Das hat Sachsen-Anhalt nun auch nicht verdient!
Herr Ministerpräsident, weil Sie immer wieder die letzten Jahre bemühen, will ich es ganz deutlich auf den Punkt bringen: Ich bin bereit, mich ausdrücklich dafür zu entschuldigen, dass wir in der ersten Legislaturperiode nicht alles geschafft haben, was Sie auch in der zweiten und dritten noch nicht erreicht haben.
Das ist so in der Politik. Aber ich habe keine Lust, uns Ihre Versäumnisse noch nachträglich anhängen zu lassen.
Wenn Sie heute wieder mit Argumenten operieren, die Sie selbst uns schon im Jahre 1993 auszureden versucht haben, nämlich mit den Hinweisen auf die alten Standorte aus DDR-Zeiten, dann sage ich: Das haben Sie doch eigentlich gar nicht nötig! Dazu würden mir sogar in Ihrer Position noch andere Erklärungsversuche einfallen.
Es gibt - das weiß doch ein Mathematiker! - parteipolitisch nicht zu färbende statistische Parameter, die exakt definiert sind: die Arbeitslosenquote, die Selbständigenquote, die Insolvenzquote, die Pro-Kopf-Verschuldung, die Steuerfinanzierungsquote. Das kennen Sie doch alles. Sie kennen die Ergebnisse und wissen genauso gut wie wir, wie wir in Sachsen-Anhalt im Vergleich zu den anderen neuen Bundesländern stehen.
Sie wischen das weg und sagen, das seien politisch gefärbte Ländervergleiche, die Sie nicht nötig hätten. Damit - das bedauere ich - machen Sie sich selbst als Ministerpräsident ein wenig unglaubwürdig. Wir bekennen uns auch zu unseren Schwächen, weil wir sie ändern wollen, und verstecken sie nicht vor uns selbst.
Ich weiß auch nicht, wer Ihnen die einzelnen Redebausteine zuarbeitet. Wissen Sie, wer ein einigermaßen gutes Gedächtnis hat, dem ist manche Formulierung irgendwie aus der Erinnerung wieder aufgestoßen. Sie hätten Ihre gesamte Erklärung in drei Sätzen zusammenfassen können:
„Unser Schiff zieht seinen Kurs, fest und stolz bis zum Sieg.“
„Wir sind auf einem guten Weg, aber noch nicht am Ziel. Zu unserer Politik für das Wohl der Menschen gibt es keine Alternative.“
Wissen Sie, das habe ich alles schon gehört, vor vielen, vielen Jahren, von Leuten, die damals Verantwortung hatten. Ich sage: Wir haben es doch gar nicht mehr nötig, so miteinander umzugehen!
Wir können es uns leisten, uns auch ganz offen und freimütig zu den Problemen zu bekennen, die wir noch nicht gelöst haben. Wenn andere besser sind, sind wir auch bereit, dies zuzugeben, weil wir auch so gut werden wollen. Nur, eine Standortbeschreibung ohne
jeden Vergleich mit Gleichartigen, das allerdings hätten Sie uns nicht zumuten sollen.
Nun haben Sie in der Staatskanzlei 18 oder 19 statistische Parameter ausarbeiten lassen, eigene Berechnungen - so steht es auch darunter -, weil Sie diese selbst definiert haben und wir dabei nicht so schlecht wegkommen. Das sind zwar Parameter, die wenig aussagekräftig sind, aber einiges können wir schon auch für uns verbuchen.
Selbst die hohe Quote industrieller Investitionen pro Erwerbstätigen oder pro Einwohner ist doch etwas. Vielleicht haben Sie das nur deswegen nicht gesagt, weil Sie genauso wissen wie wir, dass wir es im Wesentlichen dem Altbundeskanzler Kohl zu verdanken haben, dass in diesem Lande investiert wurde.
Ich verlange ja nicht von Ihnen, dass Sie das sagen, aber Sie hätten wenigstens einmal etwas dazu sagen sollen, damit diese jahrelange Verleumdungskampagne endlich aufhört, weil nichts bewiesen ist. Es schadet nämlich auch dem Image des Landes Sachsen-Anhalt, wenn man dauernd versucht, Unredlichkeiten zu unterstellen. Das hätte ein Ministerpräsident dieses Landes auch einmal richtig laut und deutlich sagen können. Das gehört auch zum Selbstwertgefühl der Menschen, die hier wohnen.
Sie haben eine Reihe von Inkonsequenzen der Gedankenführung vorgetragen, über die ich mich wundere. Sie haben als Fehler der Regierung Kohl die damalige komfortable Wohnungsbauförderung mit Ankurbelung des Konjunkturmotors Bauwirtschaft verurteilt und loben einige Passagen später die beispiellose Erneuerung der Wohnsubstanz und die Entwicklung der Innenstädte bei uns.
Meine Damen und Herren! Das eine ist die Konsequenz des anderen. Das muss man doch auch zur Kenntnis nehmen. Das ist keine parteipolitisch gefärbte Sicht der Dinge. Das ist schlicht die redliche Darstellung der Wirklichkeit, wie wir sie hier gemeinsam erlebt haben.
Zu Bereichen, in denen wir einigermaßen gut sind, haben Sie gesagt: In vielen Ländervergleichen und Statistiken liegen wir vorn. Aber bei Bereichen, in denen wir nicht vorn liegen, sprechen Sie von politisch gefärbten Ländervergleichen, mit denen Sie nichts zu tun haben wollen.
Meine Damen und Herren! Das ist eine Logik, die nicht mehr nachvollziehbar ist.
Es gibt noch andere Punkte in Ihrer Rede, die Sie nur angedeutet haben, die für mich genauso inkonsequent sind. Sie haben das Vergabegesetz gelobt. Ich würde Ihnen empfehlen, den Redetext Ihres Ministerpräsidentenkollegen aus Mecklenburg-Vorpommern zu lesen, und zwar die Rede, die er im Bundesrat gehalten hat und mit der er sich deutlich von einem Vergabegesetz
distanziert hat, das alle Anbieter aus den neuen Bundesländern in den alten Bundesländern benachteiligt.
- Dann war das woanders.
Ich habe zumindest den Text bekommen und bin gern bereit, Ihnen seine Stellungnahme zum Tariftreuegesetz - das war es - zu leihen, damit Sie sie durchlesen können. Das sind Dinge, die ein Ministerpräsident eines neuen Bundeslandes einmal deutlich sagen darf.
Ich habe mich gewundert, dass Sie jetzt die Vorbereitung eines neuen Investitionsförderungsgesetzes begrüßt haben. Wissen Sie, wir hatten schon einmal eines. Damals haben Sie bei den Solidarpaktverhandlungen die investive Zweckbindung der Mittel aufgehoben,
damit wir diese bei dem letzten Haushalt nicht an die Kommunen ausreichen mussten.
Ich hielt das damals für richtig. Ich halte es auch für richtig, dass wir wieder so etwas machen. Ich halte es insbesondere für richtig, dass wir die investiven Maßnahmen, die auch im Solidarpakt II vorgesehen sind, vorziehen; denn wir brauchen jetzt die Entwicklung der Wirtschaft, wir brauchen jetzt die Aufträge in den neuen Bundesländern. Es stünde dem Ministerpräsidenten eines neuen Bundeslandes gut zu Gesicht, dies von dieser Stelle aus zu sagen; denn das sind unsere Interessen, die wir im Bereich der Bundespolitik vertreten müssen.
Ich will Ihnen noch eines sagen, weil Sie mich persönlich angesprochen haben. Ich wundere mich manchmal und frage mich, ob Sie keine richtigen Freunde mehr haben, die bereit sind, Sie auf Dinge hinzuweisen, die man mit einem Ministerpräsidenten eigentlich nicht machen sollte, egal welcher Partei er angehört.
Sie haben die EU-Problematik mit der multisektoralen Regionalbeihilfemaßnahme angesprochen, die zunächst zum 31. Dezember 2001 auslaufen sollte. Dazu gab es eine Reihe von Initiativen ostdeutscher Ministerpräsidenten - auch von Ihnen. Das wird wohl niemand abstreiten. Sie kennen die Briefe, die Ministerpräsident Vogel an die EU-Kommissare und an Bundeskanzler Schröder geschrieben hat. Dafür haben sich viele engagiert.
Das hat auch zu einem Ergebnis geführt. Schon Anfang Februar ist eine überarbeitete Beschlussvorlage vorgelegt worden. Seit dieser Zeit war bekannt, dass die Reduzierungssätze nicht verändert werden sollen, dass die Gültigkeit der bestehenden Regelung bis zum 31. Dezember 2003 verlängert werden soll. Dies wurde auch in Sachsen-Anhalt in den Medien veröffentlicht.
Dann sind Sie nach Brüssel gefahren und haben mit Herrn Monti gesprochen. Dann ist wieder das veröffentlicht worden, was zu Hause vorher schon in der Zeitung stand. Dann lassen Sie es mit sich machen, dass in einer großen Annonce geschrieben wird: Reinhard Höppner hat bei der EU erfolgreich verhandelt usw.
Sie beziehen diesen ganzen Erfolg auf sich. Es gibt nun Leute, die sagen: Hat denn der Ministerpräsident das nötig? Darauf sage ich: Das ist sein Problem, danach dürfen Sie mich nicht fragen.
Aber es gibt andere, die sagen: Hat denn das Land Sachsen-Anhalt einen solchen Ministerpräsidenten nötig, der das mit sich machen lässt?
Dann ist es ein Problem von uns allen.
Deswegen sage ich, Sie sollten ein wenig kritischer sein mit dem, was man Ihnen empfiehlt im Hinblick auf die öffentliche Darstellung der Politik des Landes SachsenAnhalt,
für die Sie heute noch die Verantwortung tragen,
und auch im Hinblick auf die Darstellung dessen, was wir erreicht haben. Das ist Ihr gutes Recht.
Das, was wir nicht erreicht haben, wollen wir ändern, und zwar von mir aus gemeinsam. Wir müssen dazu Stellung nehmen. Das empfinden Sie ja auch; ich kenne Zitate von Ihnen, in denen Sie das Problem ansprechen. Wir müssen darüber reden, weshalb die Stimmung im Land in einigen Bereichen schlechter ist, als Sie die tatsächliche Situation empfinden.
Eine solche Situation, die wir eigentlich alle beklagen sollten, entsteht dann, wenn wir öffentliche Berichte, öffentliche Vergleiche mit Dritten scheuen und negieren, wenn wir versuchen, sie durch eigene Statistikprothesen zu ersetzen, um ein fiktives Selbstbewusstsein zu erzeugen, das mit den Realitäten im Land nicht mehr kongruent ist.
Die Menschen spüren das. Dann entsteht das, was wir schlechte Stimmung nennen.
Es gibt auch andere Entscheidungen, die in diesem Zusammenhang für die Situation im Land eine Rolle spielen. Ich will Ihnen ersparen, dazu jemanden aus unserer Partei zu zitieren, weil Sie dann natürlich davon ausgehen müssen, dass wir als Opposition manches anders sehen. Es gibt ein in ganz Sachsen-Anhalt bekanntes Mitglied Ihrer Partei, das dazu Stellung genommen hat. Dieses zitiere ich einmal:
„Für die Investoren ist die Außenwirkung des Landes entscheidend, das Bild, das SachsenAnhalt vermittelt. Bei bestimmten statistischen Werten mag das Land im Vergleich zu Sachsen gar nicht mal so schlecht abschneiden. Angesichts der roten Laterne nimmt das niemand wahr. Die Ursachen dafür liegen im Magdeburger Modell.“
Meine Damen und Herren! Ich sage das deswegen, weil zur Standortbestimmung der Situation in Sachsen-Anhalt aus meiner Sicht auch gehört, zu sagen, dass die große Partei SPD in Sachsen-Anhalt nicht nur über den Ministerpräsidenten definiert werden kann. Das ist die Situation, die wir bewusst zur Kenntnis nehmen wollen, weil sie wichtig ist für die Entwicklung dieses Landes.
Wer ein anderes Klima im Land erzeugen will, ein Klima für neue Arbeitsplätze, ein Klima für mehr und neues Selbstbewusstsein, der darf nicht nur beklagen und der muss nicht nur Visionen haben und sagen, was er irgendwann einmal tun will - der muss es auch tun.
Der muss handeln und seine Vorstellungen umsetzen, konsequent, systematisch und schrittweise. Rechtfertigungsreden werden keine Aufbruchstimmung im Lande erzeugen, schon gar nicht, wenn ihnen nicht Taten folgen.
Deswegen sagen wir ganz deutlich - Herr Rahmig will das hören und ermöglicht mir damit die Überleitung -:
Wir werden Ihrer Politik Alternativen entgegensetzen. Jawohl, das werden wir tun.
Das werden wir deutlich tun.
Wenn wir sagen, dass wir eine prioritär investitionsbetonte und investitionsorientierte Politik in diesem Land brauchen, dann ist das nicht nur ein Umschichten im Haushalt, das auch notwendig sein wird.
Da ich ganz sicher weiß, dass wahrscheinlich wenigstens mehr als die Hälfte von Ihnen auch in der nächsten Legislaturperiode hier im Landtag sitzen wird und dass wir morgen früh schon die Gelegenheit haben, in einem anderen Zusammenhang über die finanzpolitischen Konsequenzen zu sprechen, sage ich Ihnen: Es wird so sein wie bei bisher allen Haushaltsverhandlungen, die wir in den letzten Jahren miterlebt haben: Wir machen Vorschläge und werden dafür von Ihnen mit Häme und Hohn abgebürstet.
Dann dauert es noch eine gewisse Zeit, bis Sie selbst merken, dass es kaum anders geht, und spätestens bei den letzten Verhandlungsrunden zum Haushalt wird ein Vorschlag nach dem anderen wieder aufgegriffen.
- Herr Bullerjahn, wir haben ja Erfahrungen miteinander. Das ist so.
Wenn wir eine investitionsbetonte Politik in diesem Land wollen - eigentlich sind wir dazu verurteilt -, dann werden wir mit den dafür notwendigen Mehrheiten auch ent
scheiden müssen, was wir uns in Sachsen-Anhalt nicht mehr leisten können. Das sagen wir ganz deutlich.
- Ich denke gar nicht daran, die Diskussion jetzt auf dieses Feld zu ziehen.
- Ich kann das machen. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Mit mir gäbe es keine Subventionen für Schulbücher, solange die Kinder mehr Geld für Zigaretten ausgeben als für Bücher. Das ist nicht notwendig.
Es gibt eine Reihe von Bereichen, zu denen wir sagen müssen: Wir müssen neue Prioritäten setzen. Wir werden das auch tun, weil wir sonst die Situation im Land nicht mehr in den Griff bekommen.
- Damit ist das Problem noch nicht gelöst. Aber Sie wollten ja ein Beispiel hören.
Ich sage Ihnen auch: Wenn wir das Problem der Arbeitslosigkeit - - In diesem Zusammenhang möchte ich nur daran erinnern, Herr Ministerpräsident, dass Sie schon im Jahr 1994 verkündet haben, wenn Sie in diesem Land Ministerpräsident werden, werden Sie im ersten Halbjahr - das ist nachlesbar - die Arbeitslosenquote um etwa 5 % senken. Ich kann Ihnen sagen: Sie können froh sein, dass sie heute nicht um 5 % höher ist als damals.
Die Situation ist so, dass Sie Recht haben, wenn Sie sagen, dass der Abbau in der Bauwirtschaft und der dort notwendige Strukturwandel, den man nicht leugnen kann, die Leistungen in anderen Bereichen in SachsenAnhalt erheblich überdeckt. Dann haben wir aber auch die Möglichkeit, notwendige Investitionen, denen wir uns überhaupt nicht mehr entziehen können, ein wenig vorzuziehen. Das bedeutet auch, dass wir mehr Geld in den Einzelplan 20 geben müssen, damit mehr Aufträge ausgelöst werden.
Das bedeutet auch, dass wir das Krankenhausfinanzierungsprogramm nicht abbrechen sollten, was Sie, was die Verpflichtungsermächtigungen betrifft, wenigstens zunächst einmal gemacht haben, sondern dass wir erreichen wollen, dass Aufträge in das Land kommen, in den Wirtschaftskreislauf in Sachsen-Anhalt, was der Bauwirtschaft zugute kommt und den notwendigen Strukturwandel wenigstens etwas über die Jahre verlängert, weil das die gesamtwirtschaftliche Situation in Sachsen-Anhalt begünstigt.
Die Forderung, die notwendige Infrastrukturentwicklung und auch die im Solidarpakt II vorgesehenen Investitionshilfen für die neuen Bundesländer vorzuziehen, ist
eine vernünftige Forderung. Hier sind Mittel vorgesehen, Herr Kollege Rahmig, die wir nicht erst im Jahr 2008, 2009 oder 2010 haben wollen, sondern die wir jetzt brauchen. Wir brauchen sie, weil die nächsten vier Jahre, etwa bis zum Jahr 2006, die wichtigsten Jahre sind, die über das weitere Schicksal der neuen Bundesländer und auch des Landes Sachsen-Anhalt entscheiden werden.
Wir haben zurzeit eine Steuerfinanzierungsquote im Haushalt von ungefähr 44 %. Wenn wir jetzt schon wissen, dass die Solidarpaktverhandlungen und die Finanzhilfen des Bundes degressiv gestaffelt sind - das wissen wir ja schon -, wenn wir jetzt schon wissen, dass EUMittel spätestens dann wegfallen werden, wenn wir nicht mehr die Förderregion I sind, dann müssen wir jetzt alles tun, um die eigene Steuerkraft zu erhöhen, damit wir dies dann aushalten und damit wir dann überhaupt noch gestaltungsfähig sind. Das ist die jetzige Aufgabe, zu der ich auch vom Ministerpräsidenten gern etwas gehört hätte.
Darauf werden wir unsere politische Prioritätensetzung konzentrieren.
Natürlich haben Sie auch Recht - ich bin dankbar, dass Sie das jetzt auch sagen -, dass das Problem der Tarifmauer in Deutschland abgebaut werden muss. Das haben wir schon vor der SPD gewusst und laut gesagt.
In diesem Zusammenhang kann ich Sie nur daran erinnern, dass wir Anfang Dezember des vorigen Jahres einen Parteitagsbeschluss gefasst haben, mit dem wir erreichen wollen, bis zum Jahr 2007 das Tarifgefälle zwischen BAT-Ost und BAT-West zu nivellieren und abzuschaffen, weil wir es ansonsten nicht durchhalten werden.
Meine Damen und Herren! Wer von Ihnen die letzten Jahrzehnte miterlebt hat, der weiß, uns sind in den Jahren 1960 und 1961 die Menschen weggelaufen. Da haben wir eine Mauer gebaut. Dann sind sie uns wieder weggelaufen. Da wurde die Mauer eingerissen. Jetzt laufen uns die Menschen wieder weg und wir müssen handeln, sonst werden wir in Sachsen-Anhalt handlungsunfähig. Dazu gehört
- bleiben Sie ganz ruhig - auch der Abbau des Tarifgefälles. Dazu sind wir schicksalhaft verpflichtet, auch wenn es uns haushaltsmäßig schwer fallen wird. Dazu sagen wir: Das ist von heute auf morgen nicht zu schaffen.
Inzwischen ist das Finanzdefizit aufgrund der Abwanderung aber wahrscheinlich größer, als es bei einer Erhöhung der Personalkosten der Fall wäre. Pro Person, die Sachsen-Anhalt verlässt oder um die sich die Einwohnerzahl vermindert, verlieren wir im innerdeutschen Finanzausgleich jährlich eine Summe, die zwischen 2 000 und 2 500 € liegt.
Die Einwohnerzahl Sachsen-Anhalts vermindert sich statistisch betrachtet an jedem Tag um 85 Personen. Das heißt, jeden Tag verlieren wir 85 mal 2 000 bis 2 500 € im innerdeutschen Finanzausgleich. Das halten wir nicht lange durch. Da müssen wir ganz konkret gegensteuern. Das werden wir nur dadurch können, dass wir das Tarifgefälle abbauen. Das sehen wir genauso.