Protokoll der Sitzung vom 22.06.2000

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hiermit eröffne ich die 40. Sitzung des Landtages von SachsenAnhalt der dritten Wahlperiode. Dazu möchte ich Sie, verehrte Anwesende, auf das herzlichste begrüßen.

Meine Damen und Herren! Mit Entsetzen, Trauer, aber auch mit Wut habe ich am vergangenen Freitag mit mehreren tausend Dessauerinnen und Dessauern auch als Repräsentant dieses Hohen Hauses Alberto Adriano gedacht, der am Pfingstwochenende von drei jugendlichen Neonazis zu Tode geprügelt wurde.

Was sind das für Menschen, die ein solches Verbrechen begehen und überdies als Motiv Haß auf Fremde angeben? In welcher Umgebung müssen sie sich wähnen, daß sie dieses Motiv ohne jede Scham nennen? Wie können, so frage ich, Sechzehnjährige - so alt waren zwei der Täter - zu solchen Einstellungen gelangen? Sie werden doch nicht als Neonazis geboren. Es kann doch nur auf ein bestimmtes, von ihrem Umfeld vermitteltes oder zumindest von ihm toleriertes Bild zurückzuführen sein.

Im Hinblick auf die Suche nach den Ursachen der verabscheuungswürdigen Tat sage ich Ihnen zugleich mit aller Entschiedenheit, daß es in diesem Kontext zehn Jahre nach der Vereinigung beider deutscher Staaten vorbei sein muß mit dem Erinnern an die Folgen des autoritären Erbes der DDR oder mit den vielleicht auch um Verständnis bemühten Hinweisen auf die besondere Last der gesellschaftlichen Umbrüche im Land.

Meine Damen und Herren! Es darf nicht mehr relativiert werden. Fremdenfeindlichkeit ist Menschenfeindlichkeit, die sich direkt und unmittelbar gegen die demokratisch verfaßte Gesellschaft richtet.

Dessau zeigt auch, daß sich in unserer Gesellschaft Tendenzen der Gewöhnung an alltäglichen Rassismus, der Gleichgültigkeit gegenüber Fremdenfeindlichkeit, gegenüber Unmenschlichkeit und sogar gegenüber ganz einfacher Alltagsgewalt breitmachen.

Die Berichte über den Alltag in Dessau, wie wir sie den Medien entnehmen konnten, in denen zumindest latente Fremdenfeindlichkeit zum Ausdruck kommt, beschämen mich, bestürzen mich, machen mich verstört und ratlos. Sicher, solche Schilderungen könnten aus vielen deutschen Gemeinden, Städten und Regionen stammen, wäre dort etwas Vergleichbares geschehen. Aber macht es das nur einen Deut besser?

Die Berichterstattung hält uns in aller Schonungslosigkeit einen Spiegel vor, in dem sich latenter bis offen zutage tretender Rassismus, der Verfall guter Sitten, der Mangel an Zivilcourage, an elementarem Bürgerbewußtsein abbilden - ein Befund, über den nicht einmal in diesem Haus völliges Einvernehmen bestehen wird. Auch und vor allem daran müssen wir arbeiten, um den Blick für die Ursachen und die Abhilfe schärfen zu können.

Allein wohlfeilem Humanismus das Wort zu reden wäre zu wenig. Menschlichkeit und Menschenwürde gibt es nie abstrakt. Sie ist immer konkret. Sie hat ein Gesicht. Sie hat einen Namen.

Ich bitte Sie, sich zum stillen Gedenken an Alberto Adriano von den Plätzen zu erheben. - Ich danke Ihnen.

Ich stelle nunmehr die Beschlußfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Frau Wiechmann hat als Vorsitzende der Fraktion der FDVP um das Wort gebeten. Bitte, Frau Wiechmann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Trauerfeier zum Gedenken an die auf der Startbahn West ermordeten Polizeibeamten Klaus Eichhöfer und Torsten Schwalm fand am 10. November 1987 im Dom zu Frankfurt am Main in Form eines ökumenischen Gottesdienstes statt. Unter der fast unübersehbaren Schar von geladenen Trauergästen befand sich auch Bundespräsident Richard von Weizsäcker. Für die öffentlichen Gebäude der Bundesrepublik Deutschland war Trauerbeflaggung wie bei einem Staatsbegräbnis angeordnet worden. Vor dem Dom hatten sich mehr als 20 000 Polizeibeamte aus allen Bundesländern eingefunden. Die Trauerreden wurden über Außenlautsprecher auf den Platz übertragen. Das war 1987.

Meine Damen und Herren! Der Innenminister des Landes Sachsen-Anhalt konnte sich nicht entschließen, Trauerbeflaggung zu verfügen. Er hat den dahin gehenden Antrag verworfen.

Der Präsident des Landtages des Landes SachsenAnhalt konnte sich gleichfalls nicht entschließen, eine Gedenkminute für die ermordeten Polizeibeamten anzuberaumen.

Beide Entschließungen, meine Damen und Herren, spiegeln eine Grundhaltung wider, die mich erschrecken läßt. Sie erscheint mir als Flucht vor dem eigenen Schatten. Wie können wir die Augen verschließen vor dem Ausmaß der Gewalttätigkeit und den Kopf in den Sand stecken? Wie können wir so tun, als sei nichts gewesen, und bald wieder zur Tagesordnung übergehen?

Wir können uns unseren allzu menschlichen Rachegedanken hingeben und den Phantasien von Gegengewalt. Wir können für Tage und Stunden sentimental werden oder depressiv.

Es ist paradox. In Dortmund und Waltrop sind wir am Ende. Schock, Ratlosigkeit, Ohnmacht, Wut - in der Tat, der Anblick des eigenen Schattens kann ängstigen. Es ist zum Davonlaufen.

(Frau Fischer, Leuna, SPD: Das ist wohl wahr!)

Wo Licht ist, fällt auch Schatten, sagen wir. Nehmen wir das Wort so ernst, daß wir nicht nur das Licht, sondern auch den Schatten wahrnehmen? Es wäre doch so einfach gewesen, all den Polizeibeamten zu danken, die wie selbstverständlich Verantwortung für unsere Lebensordnung tragen. Sie haben einen schwierigen und oft undankbaren Dienst.

Wir gedenken daher der drei ermordeten Polizeibeamten und der Verletzten in Stille. - Danke sehr.

(Beifall bei der FDVP)

Meine Damen und Herren! Das Mitglied des Landtages Herr Wulf Gallert hat heute Geburtstag. Im Namen des Hohen Hauses sowie persönlich gratuliere ich ihm dazu recht herzlich. Ich wünsche Ihnen alles Gute, insbesondere beste Gesundheit.

(Beifall im ganzen Hause - Herr Gallert, PDS: Danke!)

Ich komme zu Entschuldigungen von Mitgliedern der Landesregierung. Der Ältestenrat wurde darüber bereits informiert. Die Landesregierung hat angezeigt, daß am Freitag, dem 23. Juni möglicherweise eine Sitzung des Vermittlungsausschusses stattfinden wird, an der Ministerpräsident Dr. Höppner und Finanzminister Gerhards teilnehmen müßten. Aus diesem Grunde können beide an diesem Tag nicht bzw. nur zeitweilig an der Sitzung des Landtages teilnehmen.

Des weiteren ist am Freitag, dem 23. Juni in der Zeit von 10 Uhr bis 12 Uhr in Berlin ein Gespräch der Ministerpräsidenten der ostdeutschen Länder über die Situation der Stromwirtschaft in den neuen Bundesländern vorgesehen, an dem Ministerpräsident Dr. Höppner als amtierender Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz der ostdeutschen Länder teilnehmen wird.

Ich komme zur Tagesordnung. Meine Damen und Herren! Die Tagesordnung für die 22. Sitzungsperiode des Landtages liegt Ihnen vor.

Mit Schreiben vom 16. Juni 2000 hat die Fraktion der PDS ihren Antrag in Drs. 3/3286 - Unterstützung für den Fahrzeugbau Halberstadt, Spezialwerk der Deutschen Bahn - zurückgestellt. Der Tagesordnungspunkt 35 ist somit von der Tagesordnung abgesetzt.

Des weiteren verweise ich auf ein Schreiben der Landtagsverwaltung an die parlamentarischen Geschäftsführer. Darin wird gebeten, die Beschlußempfehlung in der Drs. 3/3298, erledigte Petitionen betreffend, auf die Tagesordnung zu nehmen.

Ihr Einverständnis voraussetzend, schlage ich die Aufnahme dieses Gegenstandes als Tagesordnungspunkt 35, jedoch eine Behandlung - aufgrund der geschäftsordnungsrechtlichen Einordnung - nach Tagesordnungspunkt 18 vor; das ist der Bericht zum gegenwärtigen Stand der Arbeit des zeitweiligen Ausschusses „Funktional- und Verwaltungsreform/Kommunale Gebietsreform“.

Die CDU-Fraktion schlägt vor, die Tagesordnungspunkte 25 und 26 zusammen zu beraten - das heißt, eine verbundene Debatte durchzuführen - und bei den Tagesordnungspunkten 27 und 28 ebenso zu verfahren.

Die Fraktionen haben sich in der Sitzung des Ältestenrates darauf verständigt, die Tagesordnungspunkte 1 sowie 21 bis 24 als erste Punkte am heutigen Donnerstag nach der Mittagspause zu behandeln.

Am Freitag früh sollen die Tagesordnungspunkte 6 und 7 behandelt werden. Die entsprechenden Hinweise finden Sie in der Tagesordnung.

Gibt es weitere Bemerkungen zur Tagesordnung? - Frau Wiechmann, bitte.

Herr Präsident! Gegen den Antrag der CDU-Fraktion, die Tagesordnungspunkte 27 und 28 zusammen zu beraten, würden wir Einspruch erheben. Wir möchten das nicht. Wir möchten diese Punkte getrennt lassen.

Darüber muß abgestimmt werden. Ich stelle den Antrag der Abgeordneten Frau Wiechmann zur Abstimmung. Wer sich dem Antrag anschließt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Bei sehr vielen Gegenstimmen ist Ihr Antrag abgelehnt, Frau Wiechmann.

Damit ist die Tagesordnung bestätigt.

Noch eine Bemerkung zum zeitlichen Ablauf der 22. Sitzungsperiode. Wir haben uns im Ältestenrat darauf verständigt, die heutige Sitzung spätestens gegen 19.45 Uhr zu beenden. Zugleich möchte ich daran erinnern, daß unser parlamentarischer Abend um 20 Uhr beginnt, und möchte Sie dazu noch einmal recht herzlich einladen. Die morgige Sitzung beginnt um 9 Uhr.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 2:

Zweite Beratung

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes

Gesetzentwurf der Fraktion der PDS - Drs. 3/1386

Beschlußempfehlung des Ausschusses für Inneres - Drs. 3/3278

Änderungsantrag der Fraktion der CDU - Drs. 3/3309

Berichterstatterin ist die Abgeordnete Frau Theil. Es folgt dann eine Fünfminutendebatte. Nach der Berichterstatterin wird für die Landesregierung der Minister des Innern Dr. Püchel sprechen. Bitte, Frau Theil, Sie haben das Wort.

Verehrter Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren Abgeordnete! Der Landtag hat den Gesetzentwurf der PDS-Fraktion nach der ersten Beratung in der 19. Sitzung am 16. April 1999 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Inneres sowie zur Mitberatung an die Ausschüsse für Finanzen sowie für Raumordnung und Umwelt überwiesen.

In seiner 20. Sitzung am 22. September 1999 verständigte sich der Innenausschuß darauf, zum vorliegenden Gesetzesentwurf am 17. November 1999 eine Anhörung durchzuführen. Zu dieser Anhörung waren neben den kommunalen Spitzenverbänden auch ausgewählte Abwasserzweckverbände, der Landesverband der Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer Sachsen-Anhalts sowie der Wasserverbandstag e. V. Bremen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt eingeladen, um ihre Positionen darzulegen.

Die Erarbeitung einer vorläufigen Beschlußempfehlung erfolgte in der 30. Sitzung des federführenden Ausschusses am 10. Mai 2000. Es wurden sowohl seitens der Einreicherfraktion als auch seitens der Fraktion der SPD schriftliche Änderungsanträge vorgelegt. Seitens der CDU-Fraktion wurde zu den vorgelegten Änderungsanträgen beantragt, eine erneute Anhörung der kommunalen Spitzenverbände durchzuführen. Dieser Antrag wurde bei 5 : 7 : 0 Stimmen abgelehnt.

Seitens der SPD-Fraktion wurde der Vorschlag unterbreitet, aufgrund des Zeitdruckes den mitberatenden Umweltausschuß zu bitten, eine nochmalige Anhörung durchzuführen und die Mitglieder des Innenausschusses hinzuzuladen, um dem Antrag der CDU-Fraktion entgegenzukommen.

Die CDU-Fraktion erklärte, eine Beschlußempfehlung könne erst dann gefaßt werden, wenn feststehe, ob die Regelungen, die zur Annahme empfohlen werden sollten, tatsächlich tragfähig seien. Die Abgeordneten der CDU-Fraktion würden sich an der Beratung des Gesetzentwurfes im Ausschuß nicht beteiligen, da diese Vor

gehensweise eine Mißachtung der kommunalen Spitzenverbände darstelle - so die Begründung der CDUFraktion.