Protokoll der Sitzung vom 15.03.2002

Meine Damen und Herren! Hiermit eröffne ich die 73. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der dritten Wahlperiode. Es hat sich wohl herumgesprochen, dass dies, wenn nicht etwas ganz Außerordentliches passiert, der letzte Sitzungstag in dieser Wahlperiode sein wird. Ich begrüße Sie herzlich zu dieser vermutlich letzten Sitzung.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Wir setzen die 39. Sitzungsperiode fort. Vereinbarungsgemäß beginnen wir mit dem Tagesordnungspunkt 12:

Beratung

Abschlussbericht der Enquetekommission „Zukunftsfähiges Sachsen-Anhalt“

Beschluss des Landtages - Drs. 3/16/1002 B

Bericht und Beschlussempfehlung der Enquetekommission „Zukunftsfähiges Sachsen-Anhalt“ - Drs. 3/5350 und Ergänzung

Berichterstatter ist der Abgeordnete Herr Oleikiewitz. Bitte schön.

Herr Oleikiewitz, Berichterstatter der Enquetekommission „Zukunftsfähiges Sachsen-Anhalt“:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann heute reden; denn ich habe meine Sachen gestern Abend schon früher gepackt.

(Heiterkeit - Herr Becker, CDU: Was Erfahrung ausmacht!)

Meine Damen und Herren! Die Ereignisse des 11. September 2001 haben die Debatte über Umwelt und Entwicklung, die seit der Konferenz in Rio 1992 - dieses Ereignis jährt sich in diesem Jahr zum zehnten Mal - geführt wird, vorübergehend an den Rand der öffentlichen Debatte verbannt.

Wenn dieser Prozess bis dahin auch nicht alle Hoffnungen der Initiatoren erfüllte, so war doch die Diskussion angeschoben; erste durchaus beachtenswerte Erfolge, insbesondere auf nationaler und lokaler Ebene, sind erreicht worden. Die Sorge um die Zukunft der Menschheit und um den Erhalt unserer Lebensgrundlagen führte Vertreter aller Länder der Erde im Anschluss an die Konferenz von Rio auch noch zu vielen weiteren Konferenzen zusammen. Vorrangige Themen waren die Klimakatastrophe, die Emissionsgrenzwerte, das Artensterben und das Waldsterben.

Der Menschheit, die am 11. September 2001 wie gebannt nach New York schaute, wurde schlagartig klar, welcher Bedrohung sie auch von einer anderen Seite her ausgesetzt ist. Nachdem die westlichen Länder im ersten Moment geradezu gelähmt und kaum einer Reaktion fähig waren, wurde ihr Handeln in den Monaten nach den Anschlägen von New York durch die Suche nach den Ursachen, nach den Hintergründen, nach den Drahtziehern bestimmt.

Mit einem Schlag zeigte sich die Verletzlichkeit unseres Systems; mit einem Schlag wurde uns bewusst, dass neben Klimakatastrophe, Arten- und Waldsterben weite

re Gefahren für die Menschheit lauern, die uns bisher in dieser brutalen Realität nicht bewusst waren.

Politische Verwerfungen, die Diskussion um die Globalisierung, der verschärfte internationale Wettbewerb, die massive Industrialisierung in den asiatischen Ländern, die Wiederkehr von Gewalt, Nationalismus und Krieg stellen die Menschheit vor völlig neue Fragen.

Der Anschlag von New York ist sicher die Tat von religiösen Fanatikern, aber solche Ereignisse sind nicht ganz von dem sich täglich verhärtenden Widerspruch zwischen Nord und Süd, zwischen Arm und Reich, zwischen Hunger, Chaos und Krieg in Arabien, Afrika und Asien und Wohlstand und Reichtum in den westlichen Industrieländern zu trennen. Gerade deshalb muss die Zukunftsdebatte heute und nicht morgen geführt werden

(Zustimmung von Frau Leppinger, SPD)

hier im Land Sachsen-Anhalt, in Deutschland, in Europa, auf der Welt. Das Überleben der Menschheit ist davon abhängig, ob wir in den nächsten Jahren und Jahrzehnten dafür die richtigen Weichen stellen können oder nicht.

Die Zukunftsdebatte über die Themen Ökologie und Nachhaltigkeit, die heute in der Gesellschaft geführt wird und die Einzug in Chefetagen, in Wirtschaftsarbeitskreise, in Gewerkschaften und Parlamente gefunden hat, darf jedoch nicht zu einem modernen Instrument für die Gewinnung zukunftsträchtiger Absatzmärkte und als Willkommenschance für neue Technologien, also vorwiegend zu einer wirtschaftlich begründeten Diskussion degradiert werden. Sie muss vor allem Antworten auf die drängenden sozialen und ökologischen Fragen finden.

Die offensichtlich genetisch vorgeprägte Eigenschaft des Menschen, das Unangenehme, das Unpopuläre, das Schwierige wegzuschieben und nach dem Motto „Heute nicht, aber morgen, morgen ganz bestimmt“ die notwendigen Entscheidungen immer weiter in die Zukunft zu schieben, hat bisher möglicherweise funktioniert. Wir ertappen uns oft selbst dabei. Sie hat funktioniert; aber sie wird in Zukunft nicht mehr funktionieren. Sie ist keineswegs eine Handlungsempfehlung für die Zukunft.

Meine Damen und Herren! Der Landtag von SachsenAnhalt hat mit der Einsetzung der Enquetekommission „Zukunftsfähiges Sachsen-Anhalt“ versucht, die Diskussion um die komplexen Zusammenhänge zwischen der wirtschaftlichen Entwicklung und den sozialen und ökologischen Anforderungen in unserem Land anzuschieben. Die Enquetekommission hat in ihrer dreijährigen Tätigkeit versucht, Antworten zu finden und Handlungsempfehlungen zu erarbeiten. Sie folgte damit der Empfehlung des Landtages der zweiten Legislaturperiode, die Diskussion um das Nachhaltigkeitsthema in der dritten Wahlperiode wieder aufzunehmen und fortzuführen.

Wie Sie wissen, hat sich die Enquetekommission der zweiten Wahlperiode diesem Thema eher vorsichtig genähert. Auch wegen der zur Verfügung stehenden Zeit hatte sich die Enquetekommission damals hauptsächlich mit dem Thema Ökologie befasst. Trotzdem fasse ich die erzielten Ergebnisse als erfolgreichen Einstieg in die Diskussion über die angesprochenen Probleme auf.

Die Schwerpunkte des Einsetzungsbeschlusses vom 11. März 1999 für die Enquetekommission, der auf der Grundlage eines SPD-Antrages gefasst wurde, waren insbesondere die Erarbeitung von Kriterien für eine zu

kunftsfähige Entwicklung auf der Grundlage der konkreten Bedingungen in Sachsen-Anhalt, die Formulierung von Indikatoren für die Messbarkeit einer zukunftsfähigen Entwicklung, die Ableitung von Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen sowie eines Leitbildes auf der Grundlage der Erfassung der aktuellen Situation in den verschiedenen Politikbereichen.

Meine Damen und Herren! Der Landtag von SachsenAnhalt, der die Enquetekommission mit der Abarbeitung der genannten Schwerpunkte beauftragte, hat diese Kommission recht bescheiden ausgestattet - wenn ich das an dieser Stelle einmal so sagen darf. Der Arbeit der Enquetekommission hat dies keinen Abbruch getan, aber sie hatte insofern unter dieser Situation zu leiden, als sie a) wenig Zeit zur Verfügung hatte, b) über eine mangelhafte materielle Ausstattung und c) über eine mangelhafte personelle Ausstattung verfügte. Das gebe ich zu.

Meine Damen und Herren! Die Konstituierung der Enquetekommission erfolgte am 15. Juli 1999. In der konstituierenden Sitzung wurden die Mitglieder vom Präsidenten des Landtages von Sachsen-Anhalt berufen. Neben den 13 Abgeordneten gehörten der Kommission fünf von den Fraktionen vorgeschlagene und vom Präsidenten des Landtages berufene Sachverständige an.

An den Sitzungen der Enquetekommission nahmen außerdem regelmäßig Vertreter der Landesregierung teil. Sie standen für Berichterstattungen sowie für Nachfragen im Rahmen der Diskussionen zur Verfügung.

Die Enquetekommission führte insgesamt 24 Sitzungen durch. In den ersten Sitzungen erfolgte eine Verständigung über die Struktur der Arbeit, insbesondere über die Reihenfolge der in die Beratung einzubeziehenden Themenschwerpunkte.

Die Mitglieder der Kommission hörten in insgesamt 14 Sitzungen Vertreter wissenschaftlicher Einrichtungen und privater Unternehmen, die sich mit Fragen der nachhaltigen Entwicklung befassen, sowie Vertreter von Behörden an.

Die Kommission verständigte sich darauf, ausgehend von den Anhörungen, für den Abschlussbericht Ausarbeitungen zu einzelnen Themenschwerpunkten von wissenschaftlichen Einrichtungen auf der Basis von Honorarvereinbarungen erstellen zu lassen. Für diese Teilberichte wurden namhafte Wissenschaftler von Universitäten und Hochschulen sowie anderen Einrichtungen gewonnen.

Diese Verfahrensweise wurde als notwendig erachtet, um zum Zeitpunkt der Vorlage des Abschlussberichtes den jeweiligen Iststand in den einzelnen Themengebieten erfassen zu können. Die Kommission hielt dies deshalb für erforderlich, weil zwischen den ersten Anhörungen und der Beratung der Themen sowie der Vorlage des Berichtes nahezu drei Jahre vergangen sind.

Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang eine Bemerkung zu der Frage der finanziellen Ausstattung für diesen Teil des Abschlussberichts. Wie Sie wissen, waren für die Enquetekommission für diesen Teil des Berichts 95 000 DM in den Haushalt eingestellt worden. In der Presse und in den anderen Medien wurde die Tatsache, dass die Enquetekommission diese Mittel verbraucht hat, kritisiert. Ich stelle an dieser Stelle fest, dass die 95 000 DM für die Arbeit der Enquetekommission bei weitem nachhaltiger angelegt sind als die

7,3 Millionen DM, die zwei Fraktionen dieses Landtages, die den nächsten Landtagen von Sachsen-Anhalt nicht mehr angehören werden, in den letzten vier Jahren verbraucht haben.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Es ist nur traurig, dass Sie, meine Damen und Herren von der CDU, sich auf diese Diskussionsebene herabgelassen haben.

(Zustimmung von Herrn Felke, SPD)

In der 20. Sitzung der Enquetekommission wurden die Ausarbeitungen zu den einzelnen Themenschwerpunkten, die mit den zur Verfügung gestellten Mitteln finanziert worden sind, von den Mitgliedern der Kommission beraten und als vertragsgerechte Leistung bestätigt.

Am 5. November 2001 fand auf Einladung des Präsidenten des Landtages und der Enquetekommission eine Konferenz im Landtag statt, bei der die Ergebnisse der Zuarbeiten zu den einzelnen Themenschwerpunkten der Öffentlichkeit vorgestellt und im Anschluss in der Kommission diskutiert wurden. Daran nahmen zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter der Wirtschaft, der Wissenschaft und anderer gesellschaftlicher Bereiche teil.

Die darauf folgenden vier Sitzungen dienten der Beratung über die inhaltlichen Aussagen der Kommission sowie der Erarbeitung von Handlungsempfehlungen für die Landespolitik.

Meine Damen und Herren! Die Ergebnisse der Tätigkeit der Enquetekommission werden in dem vorliegenden Bericht präsentiert. Dieser enthält in einem ersten Teil Aussagen zu einer Reihe von gesellschaftlichen Bereichen, wertende Bemerkungen unter Bezugnahme auf die wissenschaftlichen Zuarbeiten für die Kommission, Aussagen zu Indikatoren für eine zukunftsfähige Entwicklung des Landes sowie Empfehlungen der Kommission für eine nachhaltige Entwicklung. In den zweiten Teil des Berichts sind die Arbeiten der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aufgenommen worden; darüber hinaus ist das Protokoll der Konferenz vom 5. November 2001 beigefügt worden.

Die Kommission hat sich schwerpunktmäßig mit folgenden Themen befasst - Sie wissen dies aus früheren Berichterstattungen - bzw. hat sich zu diesen Themen wissenschaftliche Zuarbeiten anfertigen lassen:

erstens zukunftsfähige Wirtschaftsentwicklung im Rahmen der globalisierten Informationsgesellschaft,

zweitens zukunftsfähige Entwicklung des Sozialstaates soziale Gerechtigkeit,

drittens zukunftsfähige Verkehrs-, Bau- und Regionalentwicklung,

viertens nachhaltige Entwicklung der Landwirtschaft und des ländlichen Raumes,

fünftens zukunftsfähige Finanzpolitik - Abbau der Staatsverschuldung,

sechstens zukunftsfähige Entwicklung von Bildung und Wissenschaft,

siebentens zukunftsfähige Umweltpolitik und

achtens zukunftsfähige Kulturpolitik in Sachsen-Anhalt.