Protokoll der Sitzung vom 17.01.2002

Ich möchte zum vorliegenden Antrag reden. Ich werde möglicherweise, wenn ich am Ende noch Zeit habe, auch noch etwas zur CDU sagen, aber das ist nicht Hauptgegenstand meiner Rede. Mir geht es darum, wie das Arbeitsergebnis zu bewerten ist, das wir heute vor uns liegen haben.

Dieses Arbeitsergebnis, dieser gemeinsame Antrag ist Ergebnis einer ziemlich umfangreichen Diskussion, einer Diskussion in und mit der Landesregierung, in und mit dem Landtag, mit den kommunalen Spitzenverbänden, mit den Gewerkschaften, mit den Personalräten und mit einer Vielzahl von Interessenvertretungen, die jeweils von den Fachbereichen berührt sind. Dabei kamen unterschiedliche, gar nicht selten sehr gegensätzliche Interessen zum Ausdruck, die miteinander in irgendeiner Form koordiniert werden mussten.

Das Ergebnis ist also ein Ergebnis sehr vielfältiger Abwägungen. Wir können auch selbst sagen: Ja, es gab bei uns die Revision eigener Vorstellungen, auch sehr kontroverse Diskussionen innerhalb der PDS. Es gab an einigen Stellen - das dokumentiert dieser Antrag - Durchbruch von Widerständen gegen Veränderungen. Es gab an einigen Stellen gegenseitiges Nachgeben und es gab an einigen Stellen Niederlagen, die wir zu konstatieren haben.

Aber ich bin an der Stelle ausdrücklich nicht enttäuscht. Ich weiß, dass dieser Prozess, diese Komplexität genau ein solches differenziertes Ergebnis ergeben muss. Dass dieses Ergebnis so differenziert ist, führt natürlich auch dazu, dass die Bewertungen dazu sehr unterschiedlich ausfallen. Wir wissen, dass es die Möglichkeit gibt, ein Glas als halb voll oder halb leer zu bezeichnen. Aber es gibt offensichtlich an der Stelle auch die Möglichkeit zu sagen: Ein Glas ist staubtrocken oder läuft gerade über.

Sehe ich das aus der Sicht der Regierung und der Amtsleiter und aus der Sicht derjenigen, um deren Veränderung es hierbei geht, ist das Glas an vielen Stellen schon übergelaufen.

Ich sehe das aus der Sicht der kommunalen Spitzenverbände - sie beschweren sich an vielen Stellen, dass es noch staubtrocken wäre. Bei der CDU ist es so, dass sie beides tut, je nachdem, wo gerade das Publikum sitzt.

Ich habe auch Folgendes lernen müssen und viele mit mir, die diesen Prozess eingeleitet haben: Das politisch Mächtigste in diesem Land scheinen nicht die Parteien, sondern der Status quo zu sein.

Veränderungen werden immer erst einmal analysiert unter dem Aspekt des Gefahrenpotenzials, ganz, ganz selten unter dem Aspekt der Chancen.

(Zustimmung von Herrn Kasten, PDS)

Das Erste, mit dem wir konfrontiert sind, wenn wir über Veränderungen diskutieren, sind Bedrohungsszenarien. Darin kommt ein mangelndes Vertrauen in die eigene Gestaltungskraft zum Ausdruck.

Mir ist gestern beim Aufräumen meines Schreibtisches eine Petition in die Hand gefallen, die vom Oktober noch nicht älter - stammt, die klassisch genau diesen Umgang mit Veränderungen bei uns im Land charakterisiert. Das ist eine Petition von drei Apothekern gewesen. Im Nachhinein habe ich mitbekommen, dass es Landesbedienstete waren, die sich mit der Arzneimittelüberwachung in diesem Bereich beschäftigten.

Nun muss man in diesem Raum sagen, wir haben auch überlegt, das Arzneimittelüberwachungswesen und den Apothekenbereich mit zu kommunalisieren. Man muss wissen, das sind 8,8 VBE im Land. Von diesen 8,8 haben sich offensichtlich drei dazu aufgeschwungen, eine Petition einzureichen.

Was würde passieren, wenn wir diesen Schritt der Kommunalisierung gehen würden? - Liebe Anwesende, wir sind dem Untergang gerade noch entronnen.

(Heiterkeit bei der SPD)

Das Personal würde auf das Fünf- bis Sechsfache aufgebläht werden. In Krisensituationen wäre SachsenAnhalt nicht mehr in der Lage, die Gesundheit der Bevölkerung zu garantieren. Die Leute sterben uns zu Tausenden auf den Straßen weg. Internationale Verträge würden gebrochen. Die Bundesrepublik wäre nicht mehr in der Lage, Arzneimittel zu exportieren. Der Ausschluss Sachsen-Anhalts aus der EU wäre das Mindeste, was passieren würde. - Gut, wir haben diesen Schritt zurückgenommen. Ich meine, was soll man machen, bei einer solchen Argumentation?

(Heiterkeit bei der PDS)

Trotz alledem war diese Geschichte durchaus charakteristisch. Sie war an verschiedenen Stellen - das will ich auch sagen - so überzogen, dass es wirklich zur Belustigung gereichte. Das Prinzip aber war so anders in vielen Bereichen nicht.

Aber - das ist auch sehr deutlich geworden - der Handlungsdruck in Sachsen-Anhalt ist stärker als in vielen anderen Ländern. Wir sind zwar ein kleines Land, wir sind zwar ein armes Land, aber wir haben die Strukturen eines großen, sehr reichen westlichen Flächenlandes. Wir haben Institutionenwildwuchs und unklare Kompetenzabgrenzungen und daraus resultierendes Kompetenzgerangel, was gleichbedeutend ist mit Effizienzverlust.

Wir haben - das kann man auch durchaus darunter fassen - eine ausgesprochene Kleinteiligkeit von Verwaltungsstrukturen. Wir haben einen Hang zur Zentralisierung, Segmentierung und Abgrenzung der verschiedenen Fachbereiche. Wir haben eine Verwaltung, die zu distanziert gegenüber den Problemen ist. Sie ist zu langsam, sprich: sie ist zu ineffektiv.

Das war der Handlungsdruck in Sachsen-Anhalt und dieser Handlungsdruck hat uns auch zum Handeln geführt. Wir haben die in Sachsen-Anhalt in diesem Bereich existierende Not - ich möchte dieses harte Wort durchaus verwenden - als Chance begriffen. Wir haben noch relativ frische Strukturen. Die starren Verkrustungen westlicher Bundesländer sind bei uns noch nicht so weit fortgeschritten. Wir haben zwar auch hier eine hierarchische Besitzstandswahrung; das ist aber nicht zu vergleichen mit dem, was im Westen passiert. All diese Dinge sind bei uns noch überwindbar. Noch überwindbar, sage ich, wenn wir sie sehr schnell überwinden. Dies soll dieser Antrag einleiten.

Wir haben neue und auch radikale Wege eingeschlagen und vorgeschlagen. Wir haben nicht versucht, den 50 Jahre alten Zopf der bundesdeutschen Verwaltungswissenschaft und Verwaltungspraxis vollständig mit herüberzunehmen.

Interessant war hierbei in der letzten Sitzung des Ausschusses eine schon fast kuriose Diskussion um die Bewertung des so genannten Hesse-Gutachtens. Hesse ist ein honoriger Professor in der bundesdeutschen Politik- und Verwaltungswissenschaft, der uns einige Vorschläge unterbreitet hat.

Es entbrannte eine Diskussion angesichts dieses Gutachtens: Hat er nun gesagt, wir sollen alle Reformen gleichzeitig machen, oder hat er gesagt hintereinander? Ich sage ganz deutlich: Wissen Sie, wie egal das ist? Wir haben in Sachsen-Anhalt eine neue, andere Situation.

(Zuruf von Herrn Becker, CDU)

Wir haben nicht die Zeit, tausendmal Rücksicht zu nehmen. Wir müssen die Dinge anpacken, wir müssen sie schnell anpacken, konsequent und gleichzeitig anpacken.

(Beifall bei der PDS)

Da ist die Diskussion über ein Gutachten aus den westlichen Bundesländern zu Sachsen-Anhalt ziemlich sekundär.

(Herr Becker, CDU: Das Ergebnis liegt doch auf dem Tisch! Es ist doch nichts geworden, weil wir beides angepackt haben! Hesse hat Recht!)

Wir brauchen also diejenigen, die handeln, und wir brauchen nicht diejenigen, die zögern. Wir brauchen diejenigen, die bereit sind, Risiken einzugehen. Wir brauchen nicht die bürokratischen Bedenkenträger. Wir werden diese Reform auch als PDS realisieren, und zwar gegen alle Widerstände und gegen alle Zögerlichkeiten. Darüber schafft dieser Antrag Klarheit.

Ich will das Ergebnis kurz bewerten: Das Glas ist für uns halb voll und nicht halb leer. Die komplexe Aufgabenkritik unter dem Aspekt der Kommunalisierung und die Revision der Landesbehörden ist realisiert. Allerdings - das sage ich auch - mit sehr differenzierten Ergebnissen höchst unterschiedlich vor allen Dingen vor dem Hintergrund der Bereitschaft der Ministerien, an diese ganze Geschichte heranzugehen.

Ich will hier ausdrücklich einen sehr mutigen Minister loben, der sich in diesen Prozess begeben hat, und zwar wissend, welche Konflikte er sich damit auf den Tisch zieht, nämlich Minister Keller. Er hat - das sage ich ganz deutlich - im Gegensatz zu allen anderen Ministerien vor allem produktiv mitgearbeitet.

(Zustimmung von Herrn Becker, CDU)

Bei allen anderen Ministerien war zum Teil Passivität und zum Teil eine Abwehrhaltung doch eher das, was das Bild bestimmt hat.

Ich will aber auch hierbei differenzieren. Es gab bei den anderen Ministern sogar zwei, die haben die allerintelligenteste Verweigerungshaltung an den Tag gelegt. Die haben es nämlich geschafft, vor der Entscheidungsfindung die kommunalen Spitzenverbände breitzuklopfen. Das waren Herr Heyer und Herr Püchel. Auch das

muss man einmal sagen. Das muss man erst einmal schaffen.

(Heiterkeit bei der PDS - Minister Herr Dr. Püchel lacht)

Nicht schlecht, Herr Specht; wirklich wahr.

Trotzdem: Das, was letztlich herausgekommen ist, die Aufgabenpalette, die wir kommunalisieren werden, ist relativ umfangreich und rechtfertigt sehr wohl eine Gebietsreform. Außerdem enthält dieser Antrag wichtige Aussagen zu Querschnittsfragen.

Sehr wichtig ist die Geschichte zum Personal, jawohl. Die Vereinbarung, die die Landesregierung gestern unterzeichnet hat, ist ein ganz wichtiger Meilenstein für diese Geschichte.

(Zustimmung bei der PDS und von Herrn Bi- schoff, SPD)

Das ist eine Sache, die sehr viele Hürden beseitigen wird. Ich hoffe, dass andere diese Hürden nicht wieder aufbauen.

Wir haben einen Verfahrensvorschlag für die Finanzen ausgearbeitet, der zumindest vom Verfahren her eine gerechte und vernünftige Verteilung ermöglicht. Garantieren kann er sie nicht. Garantieren können wir es nur, wenn die Finanzen im Land ausreichend vorhanden sind. Der Verfahrensvorschlag, der darin steht, ist sehr wohl gut und ist auch dazu angetan, das grundsätzliche Konfliktproblem und auch die Sprachlosigkeit zwischen Kommunen und Land, was die finanzielle Ausstattung anbelangt, zu berühren.

Wir haben Aussagen zur Fördermittelvergabe gemacht. Dabei hätten wir als PDS bedeutend mehr erreichen wollen; aber wir wissen genau, wo der Konfliktpunkt liegt, nämlich in der Frage, ob man im Zuge einer solchen Funktionalreform als Land bereit ist, Kompetenzen an die Kommunen abzugeben. Darüber kann man viel reden, erst wenn es um das Geld geht, wird es interessant. Wer ist bereit, wer ist in der Lage, wer ist fähig, die Fördermittel sachgerecht auszugeben? Da sehen wir auf einmal, wie die Konflikte schärfer werden. Deswegen ist dieser Abschnitt in diesem Antrag - ich sage es vorsichtig - am unverbindlichsten.

Jawohl, dieser Antrag ist Regierungsprogramm. Dieser Antrag ist ein Antrag, der auf exekutives Handeln bis 2006 drängt, und wir tragen ihn mit.

Ich will am Ende noch etwas zu den Akteuren in diesem Spiel sagen. Zum einen - der Dank ist schon ausgesprochen worden, ich will ihn aber durchaus wiederholen geht mein Dank an die kommunalen Spitzenverbände. Auch hier saßen Leute, die den Mut hatten, Veränderungen anzugehen, die Risiken eingegangen sind in dieser Diskussion, gerade auch innerhalb der kommunalen Spitzenverbände. Mein besonderer Dank geht an beide Geschäftsführer, die dieses Risiko mit eingegangen sind, und im Besonderen - das mag den Einzelnen überraschen - an den Geschäftsführer des Landkreistages. Ich weiß, was er auszuhalten hatte, als er versucht hat, produktiv an dieser Reform mitzuarbeiten.

Darüber hinaus akzeptiere ich die Unzufriedenheit, die bei den kommunalen Spitzenverbänden im Ergebnis dieses Entschließungsantrages aufgekommen ist. Jawohl, unzufrieden sind wir auch. Aber auch wir müssen uns ehrlich in die Augen schauen und sagen: Die Kon

sequenz der Umsetzung dieser ganzen Geschichte war auch bei den kommunalen Spitzenverbänden manchmal sehr differenziert.

Klar habe ich die Stellungnahme gelesen, was passiert mit der Gewerbeaufsicht. Dazu muss man aber eben auch einmal sagen, dass der damals amtierende Präsident des Städte- und Gemeindebundes ein radikaler Gegner einer Kommunalisierung der Gewerbeaufsicht gewesen ist. Es reichte ein Satz: Die Wirtschaft ist dagegen. - Dann bin ich auch dagegen. Also gut, wenn man so in die Verhandlungsrunden geht, muss man sich nicht wundern, dass bestimmte Dinge letztlich auf der Strecke bleiben.

Nun soll das nicht ein Vorwurf sein, aber ich bitte, auch bei den kommunalen Spitzenverbänden ein ein bisschen differenzierteres Bild anzulegen. Wenn man natürlich den Forderungen und Wünschen und auch den Überredungskünsten des Innen- und des Bauministers nachkommt und sagt, im Grunde genommen habt ihr schon Recht, wie ihr euch das gedacht habt, dann muss man sich hinterher überlegen, ob man dieses Papier, das wir jetzt hier vorliegen haben, wirklich als zu dünn bezeichnet. Das ist schon differenzierter zu bewerten.

Ich will auch etwas zur SPD-Fraktion sagen. Wir wissen, dass eine solche Verwaltungsreform die Exekutive immer stärker berührt als die Legislative; dort sind die Konflikte auszuhalten. Die SPD-Fraktion sitzt in ihrer Gänze viel stärker in diesem Konflikt als die PDS-Fraktion. Deswegen - das sage ich hier ganz offen - konnten wir einige Dinge viel freier und viel radikaler formulieren, als es in der SPD-Fraktion diskutiert worden ist. Das wissen wir sehr wohl. Ich weiß aber auch, welche Konflikte es dort gegeben hat, übrigens Konflikte, die es bei uns ebenfalls gegeben hat.

Mein ausdrücklicher Dank geht an Herrn Rothe und an Herrn Brachmann, die wirklich dieses Risiko auf sich genommen haben, die wirklich diesen Mut auch in den internen Diskussionen bewiesen haben, sich einmal gegen den Wind zu stellen.