Protokoll der Sitzung vom 21.02.2002

(Zuruf von Frau Dr. Sitte, PDS)

Dann dauert es noch eine gewisse Zeit, bis Sie selbst merken, dass es kaum anders geht, und spätestens bei den letzten Verhandlungsrunden zum Haushalt wird ein Vorschlag nach dem anderen wieder aufgegriffen.

(Zuruf von Herrn Bullerjahn, SPD)

- Herr Bullerjahn, wir haben ja Erfahrungen miteinander. Das ist so.

Wenn wir eine investitionsbetonte Politik in diesem Land wollen - eigentlich sind wir dazu verurteilt -, dann werden wir mit den dafür notwendigen Mehrheiten auch ent

scheiden müssen, was wir uns in Sachsen-Anhalt nicht mehr leisten können. Das sagen wir ganz deutlich.

(Zustimmung bei der CDU - Unruhe bei der SPD und bei der PDS - Herr Rahmig, SPD: Was ist denn das? - Frau Lindemann, SPD: Sagen Sie doch mal, was Sie streichen wollen! Sagen Sie es doch endlich!)

- Ich denke gar nicht daran, die Diskussion jetzt auf dieses Feld zu ziehen.

(Lachen bei der SPD und bei der PDS - Zurufe von der SPD: Ja, ja!)

- Ich kann das machen. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Mit mir gäbe es keine Subventionen für Schulbücher, solange die Kinder mehr Geld für Zigaretten ausgeben als für Bücher. Das ist nicht notwendig.

(Lachen und Unruhe bei der SPD - Zuruf von Frau Dr. Sitte, PDS)

Es gibt eine Reihe von Bereichen, zu denen wir sagen müssen: Wir müssen neue Prioritäten setzen. Wir werden das auch tun, weil wir sonst die Situation im Land nicht mehr in den Griff bekommen.

(Zurufe von der SPD)

- Damit ist das Problem noch nicht gelöst. Aber Sie wollten ja ein Beispiel hören.

(Zurufe von und Unruhe bei der PDS)

Ich sage Ihnen auch: Wenn wir das Problem der Arbeitslosigkeit - - In diesem Zusammenhang möchte ich nur daran erinnern, Herr Ministerpräsident, dass Sie schon im Jahr 1994 verkündet haben, wenn Sie in diesem Land Ministerpräsident werden, werden Sie im ersten Halbjahr - das ist nachlesbar - die Arbeitslosenquote um etwa 5 % senken. Ich kann Ihnen sagen: Sie können froh sein, dass sie heute nicht um 5 % höher ist als damals.

(Herr Schlaak, CDU, lacht)

Die Situation ist so, dass Sie Recht haben, wenn Sie sagen, dass der Abbau in der Bauwirtschaft und der dort notwendige Strukturwandel, den man nicht leugnen kann, die Leistungen in anderen Bereichen in SachsenAnhalt erheblich überdeckt. Dann haben wir aber auch die Möglichkeit, notwendige Investitionen, denen wir uns überhaupt nicht mehr entziehen können, ein wenig vorzuziehen. Das bedeutet auch, dass wir mehr Geld in den Einzelplan 20 geben müssen, damit mehr Aufträge ausgelöst werden.

Das bedeutet auch, dass wir das Krankenhausfinanzierungsprogramm nicht abbrechen sollten, was Sie, was die Verpflichtungsermächtigungen betrifft, wenigstens zunächst einmal gemacht haben, sondern dass wir erreichen wollen, dass Aufträge in das Land kommen, in den Wirtschaftskreislauf in Sachsen-Anhalt, was der Bauwirtschaft zugute kommt und den notwendigen Strukturwandel wenigstens etwas über die Jahre verlängert, weil das die gesamtwirtschaftliche Situation in Sachsen-Anhalt begünstigt.

(Frau Dirlich, PDS: Nun müssen Sie sagen, woher das Geld kommt! - Herr Bischoff, SPD: Von Schulbüchern!)

Die Forderung, die notwendige Infrastrukturentwicklung und auch die im Solidarpakt II vorgesehenen Investitionshilfen für die neuen Bundesländer vorzuziehen, ist

eine vernünftige Forderung. Hier sind Mittel vorgesehen, Herr Kollege Rahmig, die wir nicht erst im Jahr 2008, 2009 oder 2010 haben wollen, sondern die wir jetzt brauchen. Wir brauchen sie, weil die nächsten vier Jahre, etwa bis zum Jahr 2006, die wichtigsten Jahre sind, die über das weitere Schicksal der neuen Bundesländer und auch des Landes Sachsen-Anhalt entscheiden werden.

Wir haben zurzeit eine Steuerfinanzierungsquote im Haushalt von ungefähr 44 %. Wenn wir jetzt schon wissen, dass die Solidarpaktverhandlungen und die Finanzhilfen des Bundes degressiv gestaffelt sind - das wissen wir ja schon -, wenn wir jetzt schon wissen, dass EUMittel spätestens dann wegfallen werden, wenn wir nicht mehr die Förderregion I sind, dann müssen wir jetzt alles tun, um die eigene Steuerkraft zu erhöhen, damit wir dies dann aushalten und damit wir dann überhaupt noch gestaltungsfähig sind. Das ist die jetzige Aufgabe, zu der ich auch vom Ministerpräsidenten gern etwas gehört hätte.

(Beifall bei der CDU)

Darauf werden wir unsere politische Prioritätensetzung konzentrieren.

Natürlich haben Sie auch Recht - ich bin dankbar, dass Sie das jetzt auch sagen -, dass das Problem der Tarifmauer in Deutschland abgebaut werden muss. Das haben wir schon vor der SPD gewusst und laut gesagt.

In diesem Zusammenhang kann ich Sie nur daran erinnern, dass wir Anfang Dezember des vorigen Jahres einen Parteitagsbeschluss gefasst haben, mit dem wir erreichen wollen, bis zum Jahr 2007 das Tarifgefälle zwischen BAT-Ost und BAT-West zu nivellieren und abzuschaffen, weil wir es ansonsten nicht durchhalten werden.

Meine Damen und Herren! Wer von Ihnen die letzten Jahrzehnte miterlebt hat, der weiß, uns sind in den Jahren 1960 und 1961 die Menschen weggelaufen. Da haben wir eine Mauer gebaut. Dann sind sie uns wieder weggelaufen. Da wurde die Mauer eingerissen. Jetzt laufen uns die Menschen wieder weg und wir müssen handeln, sonst werden wir in Sachsen-Anhalt handlungsunfähig. Dazu gehört

(Herr Rahmig, SPD: Das ist doch unbestritten!)

- bleiben Sie ganz ruhig - auch der Abbau des Tarifgefälles. Dazu sind wir schicksalhaft verpflichtet, auch wenn es uns haushaltsmäßig schwer fallen wird. Dazu sagen wir: Das ist von heute auf morgen nicht zu schaffen.

Inzwischen ist das Finanzdefizit aufgrund der Abwanderung aber wahrscheinlich größer, als es bei einer Erhöhung der Personalkosten der Fall wäre. Pro Person, die Sachsen-Anhalt verlässt oder um die sich die Einwohnerzahl vermindert, verlieren wir im innerdeutschen Finanzausgleich jährlich eine Summe, die zwischen 2 000 und 2 500 € liegt.

Die Einwohnerzahl Sachsen-Anhalts vermindert sich statistisch betrachtet an jedem Tag um 85 Personen. Das heißt, jeden Tag verlieren wir 85 mal 2 000 bis 2 500 € im innerdeutschen Finanzausgleich. Das halten wir nicht lange durch. Da müssen wir ganz konkret gegensteuern. Das werden wir nur dadurch können, dass wir das Tarifgefälle abbauen. Das sehen wir genauso.

Da gibt es einen solchen Handlungszwang, der aber zur Folge hat, dass bis in die Verwaltungsreform hinein in Sachsen-Anhalt gehandelt werden muss. Eine Verwaltungsreform, bei der wir uns die Probleme schönreden und jedem den Arbeitsplatz versprechen und sagen, wir kriegen alles gemeinsam hin und jeder kann sich in Sicherheit wiegen, dass sein Arbeitsplatz erhalten bleibt, und wenn wir es nicht machen, dann müssen es euch die Kommunen bezahlen, werden wir nicht durchstehen. Damit können wir die Probleme SachsenAnhalts nicht lösen.

(Beifall bei der CDU)

Diese Dinge müssen wir in aller Deutlichkeit nennen, auch wenn sie nicht immer sehr freundlich klingen und nicht populistisch verkauft werden können.

Wir brauchen auch - dazu bekennen wir uns - eine andere, nämlich eine leistungsorientierte Bildungspolitik. Wir haben dazu Vorschläge gemacht.

Wir brauchen eine Deregulierung in vielen Bereichen des Landes Sachsen-Anhalt, zu der wir jetzt auch in der Lage sind. Ich betrachte es nicht einmal als Vorwurf, weil es nicht anders ging, dass wir in den Jahren 1990 und 1991 den gesamten Gesetzgebungsrahmen, den gesamten Verordnungsrahmen und den gesamten Rechtsrahmen der alten Bundesländer übernommen haben. Wir wären nicht in der Lage gewesen, aus dem Stegreif und ohne eigene Erfahrung etwas Besseres zu machen.

Inzwischen wissen wir aber - das sagen uns alle, auch alle Beamten aus den alten Bundesländern -, dass die Damen und Herren dort in den frühen 50er-Jahren mit dieser Regelungsdichte ihr eigenes Land auch nicht hätten aufbauen können.

Wir müssen jetzt dazu in der Lage sein, an Verordnungen und Regulierungsvorschriften zurückzunehmen, was einigermaßen zurücknehmbar ist, um die Entwicklung und den Aufbau in den neuen Bundesländern in Gang zu bringen. Das gilt auch für uns in Sachsen-Anhalt, weil wir - das weiß inzwischen jeder - inzwischen nicht mehr die Besten im Vergleich mit den anderen neuen Bundesländern sind.

(Herr Dr. Heyer, SPD: Ein Beispiel!)

Wir haben eine Reihe anderer Vorschläge gemacht. Dazu gehört auch eine Neuregelung nicht nur des Finanzrahmens und des Finanzgeflechtes zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Die Solidarpaktverhandlungen, von denen jetzt wieder die Rede ist, sind nichts Neues. Es hat sie auch schon früher gegeben. Die Idee stammt meines Wissens vom früheren Bundesfinanzminister Waigel. Diese Solidarpaktverhandlungen werden dringend notwendig sein.

Wir müssen aber auch innerhalb des Landes zu mehr Verlässlichkeit in den Finanzbeziehungen kommen. Ich sage es immer wieder: Ein Finanzausgleichsgesetz, mit dem wir hier von diesem Pult aus beteuert haben, den Kommunen Gutes und Besseres tun zu wollen, und an das wir uns nicht in einem einzigen Jahr gehalten haben, ist eine Farce. Das ist keine verlässliche Politik. So kann man ein Land nicht aufbauen.

(Zustimmung bei der CDU)

Das heißt, auch in diesem Bereich müssen die Dinge in Sachsen-Anhalt neu und zukunftssicher geordnet werden. Da weiß ich, dass das keine Spielerei wird. Da weiß ich ganz genau, dass man das auch nicht mit wackligen

politischen Konstellationen schaffen kann. Wer das ernst nimmt, muss wissen, dass dies nur von relativ starken parlamentarischen Mehrheiten getragen werden kann.

Wir sagen aber: Wir sind dazu bereit. Wir brauchen eine Regierung, die nicht nur Visionen hat. Wir brauchen eine Regierung, die nicht nur die Probleme des Landes schönredet und sich selbst zum Maßstab aller Dinge macht, weil sie den Vergleich mit anderen scheut. Wir brauchen eine Regierung, die bereit ist zu handeln und die die Kraft hat, auch unpopuläre Entscheidungen durchzustehen, damit das Land Sachsen-Anhalt wieder den Platz im Vergleich mit den anderen neuen Bundesländern einnehmen kann, den es eigentlich verdient hat.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich werde immer wieder sagen, dass wir in Mitteldeutschland eine der potentesten Wirtschaftsregionen des früheren Deutschen Reiches waren. Sie kennen die dazwischen liegende Entwicklung.

(Frau Dr. Sitte, PDS: 1871!)

Es hat überhaupt keinen Zweck, jetzt so zu tun, als ob wir immer in dieser Situation bleiben müssten. Wir müssen aber die politische Kraft entwickeln, Entscheidungen zu treffen und auch Reformen im Inneren durchzuführen, die uns gestalterisch handlungsfähig machen, die uns neue Spielräume auch für die Entwicklung im investiven Bereich eröffnen und die es ermöglichen, dass wir wieder eine zukunftsfähige Region in Deutschland werden.

Wir haben alle Chancen und wir werden uns von niemandem einreden lassen, dass wir das Land schlechtreden, wenn wir sagen, dass wir zurzeit die niedrigste Selbständigenquote haben, dass wir zurzeit die höchste Insolvenzquote haben usw. Das alles gefällt uns genauso wenig wie Ihnen. Wir sind aber entschlossen, dies zu ändern, und dafür werden wir kämpfen.