Protokoll der Sitzung vom 15.03.2002

Sie haben sich eigentlich auch noch als Psychoanalytiker bewährt;

(Herr Bischoff, SPD, lacht)

denn sie haben festgestellt, dass ein unbewusstes Leitbild der Landesregierung existiere. Von diesem weiß die Landesregierung gar nicht; aber Sie haben das im Unterbewussten - nach Freuds Methode - ausgegraben.

(Zuruf von Herrn Dr. Bergner, CDU)

Das ist natürlich eine besondere Leistung.

Zweiter Punkt. Sie sagen, die Kommissionsmitglieder seien im Grunde überfordert gewesen.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Das stimmt auch!)

Das Land sei fast ohne Voraussetzungen für eine nachhaltige Entwicklung. - Vielleicht verlassen Sie deswegen die Landespolitik, um Ihre eigene Nachhaltigkeit zu erreichen.

(Heiterkeit und Zustimmung bei der SPD - Zu- stimmung von Ministerpräsident Herrn Dr. Höpp- ner und von Ministerin Frau Dr. Kuppe)

Die Skepsis der CDU sei bestätigt worden. Das ist der andere Punkt.

Dann zeigen Sie noch zwei mögliche Wege aus der Misere auf: Das Wirtschaftswachstum muss vorankommen und Wissenschaft und Forschung sowie Bildung müssen unterstützt werden.

(Zuruf von Herrn Kühn, SPD)

Das alles ist richtig, aber es stellt den Zusammenhang mit allen anderen Formen dieses Lebens in der Wirtschaft nicht her. Das will aber gerade das Prinzip der Nachhaltigkeit, und das, Herr Kollege Bergner, haben Sie offenbar immer noch nicht verstanden.

(Beifall bei der SPD - Herr Dr. Bergner, CDU: Sie waren doch nie in der Kommission! Wie kommen Sie zu solchen Urteilen? Ich wundere mich über- haupt, dass Sie reden!)

- Ich habe den sehr dicken Bericht gelesen und ich habe so viele Meinungen und Berichte darüber gehört, Herr Kollege Bergner.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Sie hätten mal Herrn Siegert reden lassen können, was er zu sagen hat! - Ah! bei der SPD)

Ich muss eines noch sagen: Als große christliche Partei, die auch der Bewahrung der Schöpfung verbunden ist, hätten Sie unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit ein klein wenig mehr einbringen können.

(Beifall bei der SPD - Herr Dr. Bergner, CDU: Also, ich lasse mich durch Sie nicht fehlinterpre- tieren!)

So weit zu dem, was die CDU zusätzlich eingebracht hat.

Das ist bei der Stellungnahme der Fraktion der PDS ganz anders. Sie hat versucht, das vermisste Leitbild aufzuzeigen. Beim Lesen dieses Textes meinte ich zunächst, eine weitere Staatsutopie vor mir zu haben, wie wir sie seit der Antike kennen. Keine konnte verwirklicht werden. Mich jedenfalls ängstigen bereits die Versuche dazu, weil wir schlechte Erfahrungen damit gemacht haben.

(Zustimmung von Herrn Dr. Sobetzko, CDU)

Das ist wohl auch der Hauptgrund, warum meine Fraktion diesen - im Einzelnen noch so wünschenswerten Zielvorstellungen nicht zustimmen konnte und wollte.

Demnach ist ein zukunftsfähiges Sachsen-Anhalt wie folgt gekennzeichnet: Die Wirtschaftsweise und die Verbrauchergewohnheiten - die Gewohnheiten! - werden entsprechend dem Ziel der Nachhaltigkeit gestaltet. Es geht auch um Lebensstile, die zu entwickeln sind, um die Ausrichtung der Forschung, um Arbeitsplatzangebote mit höchsten Ansprüchen und vieles andere, von dem jeder wissen muss, dass es so nicht geht und dass so etwas staatlicherseits nicht zu organisieren ist.

Meine Damen und Herren! Ein solches Land wird niemand von uns und niemand von unseren Nachkommen erleben. Es käme einem Idealstaat sehr nahe, es setzt allerdings auch den idealen, den vollkommenen neuen Menschen voraus. Wenn all das Kennzeichen für ein zukunftsfähiges Sachsen-Anhalt wäre, dann müsste man zu dem Schluss kommen, dass es ein zukunftsfähiges Sachsen-Anhalt in diesem Sinne nie geben wird und auch nie geben sollte.

Aber, meine Damen und Herren von der PDS, ich habe für Sie - allerdings ganz am Schluss - auch noch ein tröstendes Zitat bereit.

(Frau Bull, PDS: Das ist ja nett! - Zuruf von Frau Krause, PDS)

Es wird dann in einem weiteren Abschnitt dieses zusätzlichen Berichtsteils hinzugefügt, dass wir natürlich ein Teil des föderalen Systems seien und nur begrenzte Spielräume hätten. Dennoch wird die Illusion verfolgt ich halte es jedenfalls für eine Illusion -, dass die Handlungsspielräume, wenn wir sie voll ausschöpfen würden, einen Druck von unten auf die entwickelten Industrieländer ausüben könnten. Die erforderliche Einsicht in die Notwendigkeit müsse letztlich bei jedem einzelnen Einwohner des Landes so weit wachsen, dass diese Veränderungen demokratisch von einer breiten Mehrheit getragen würden.

Hierbei fühle ich mich ein wenig an den entscheidenden Unterschied zwischen Sozialdemokratie und Kommunismus erinnert. Die Sozialdemokraten sagen: Der Mensch ist, wie er ist; die Verhältnisse müssen so eingerichtet werden, dass die Menschen trotz ihrer Unzulänglichkeiten gut miteinander auskommen und für sich und ihre Nachkommen ein erträgliches Leben organisieren können.

Die Kommunisten sind dagegen nach dem vermeintlich durchgängigen Grundsatz „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“ davon ausgegangen, ihr Ideal so weit zu treiben, dass es letztlich nur mit einem anderen Menschen zu verwirklichen wäre. Das alles, meine Damen und Herren, geht uns als Wunschvorstellung zu weit, obwohl die einzelnen Wünsche und Forderungen wie von selbst immer wiederkehren.

Meine Damen und Herren! Die entscheidende Frage bei der Bewertung der Ergebnisse der Enquetekommission schließt sich daran an: Was ist zu tun und wer sollte etwas tun? Es ist gut, Ziele und Hoffnungen zu formulieren, aber in der Politik werden wir daran gemessen, welche Antworten wir geben und welche Vorschläge wir zur Problemlösung machen. Wünsche kann jeder äußern, Zukunftsbilder entwerfen auch; aber wir müssen versuchen, uns ihnen anzunähern. Das bedeutet, sie auf ihre Realisierbarkeit hin zu überprüfen, ehe wir diesen Versuch unternehmen. Daraufhin sind die Vorschläge kritisch abzuklopfen, um festzustellen, ob sie gehaltvoll oder ob sie hohl sind.

Zunächst muss man allerdings darauf hinweisen, dass während der dreijährigen Beratungszeit viele Forderungen zu Recht bereits in Bundes- oder Landesprogramme bzw. in europäische Programme eingeflossen sind. Dennoch sollte man sich Punkt für Punkt fragen, welche der Empfehlungen umgesetzt werden können und welche lediglich fromme Wünsche sind. Letztere sollte man davon abtrennen.

Meine Damen und Herren! Die Tätigkeit der Enquetekommission war weder der Beginn noch der Abschluss, sondern vielmehr ein wichtiger Teil der Diskussion über Zukunftsfragen. Ein Bericht löst keine Probleme, lenkt jedoch die Aufmerksamkeit darauf und schafft Ansätze für Maßnahmen zur Problemlösung. In diesem Sinne stimmen wir nicht nur zu, sondern begrüßen den Bericht ausdrücklich. Wir werden immer in einem Widerspruch stehen, weil es uns nie gelingen kann, alle widerstrebenden Interessen miteinander in Ausgleich zu bringen.

Ich möchte diese beiden Gesichtspunkte, einerseits die Warnung vor einer starken Hinwendung zu Idealen, andererseits die Begründung ihrer Notwendigkeit, abschließend durch zwei gänzlich verschiedene Zitate unterstützen. Bei Macchiavelli lesen wir:

„Zwischen dem Leben, so wie es ist, und dem Leben, so wie es sein sollte, besteht ein so großer Unterschied, dass derjenige, der nicht beachtet, was geschieht, sondern nur das, was geschehen sollte, viel eher für seinen Ruin als für seine Erhaltung sorgt.“

Das ist eine Wahrung an die Träumer. Dagegen sagt Hans Jonas:

„Der Seefahrer kommt nicht bei dem Sternbild an, nach dem er navigiert. Gleichwohl wäre seine Fahrt ohne diese Orientierung unmöglich.“

Das ist eine Ermutigung für Menschen mit Idealen.

Meine Damen und Herren! Nehmen wir den Bericht der Enquetekommission als Orientierung, die uns hilft, die beiden Forderungen - global denken und lokal handeln -, soweit es in unseren Kräften steht und unsere Kräfte es uns erlauben, in Übereinstimmung zu bringen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von der Regie- rungsbank)

Danke schön, Herr Kollege Dr. Fikentscher. - Für die Landesregierung hat jetzt das Wort der Ministerpräsident Dr. Höppner.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst - vielleicht mag das den einen oder anderen verwundern, aber ich sage das wirklich ehrlichen Herzens -, den Mitgliedern der Enquetekommission für ihre intensive Arbeit zu danken. Ich glaube, es ist eine wertvolle Arbeit gewesen, die sich gelohnt hat.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Frau Krause, PDS, und von der Regierungsbank)

Wenn man bedenkt, wie die Situation heute ist im Hinblick auf Zukunftsprognosen und auch im Hinblick auf die Versuche vorauszuschauen, wo die Entwicklung hingeht, dann war es wirklich eine enorme Herausforderung, der sich die Enquetekommission gestellt hat. Das Ergebnis kann sich auch durchaus sehen lassen.

Der Kollege Fikentscher hat dankenswerterweise darauf hingewiesen, seit wann wir diese Themen diskutieren, und hat auf die beiden Berichte an den Club of Rome hingewiesen. Das waren Zeiten, in denen wir uns in der öffentlichen Debatte noch getraut haben, Prognosen über einen Zeitraum von 30 Jahren anzustellen. Damals wurden Szenarien bis zum Jahr 2000 gezeichnet. Ich stelle fest, dass wir uns heute in einer Welt bewegen, in der sich kaum jemand noch traut, Prognosen für die nächsten 30 Jahre aufzustellen. Wer sagt denn, wie Deutschland im Jahre 2030 aussieht? Trotzdem ist es erforderlich, in dieser Richtung zu suchen.

Das Bild von dem Sternenfahrer, glaube ich, ist sehr eindrücklich. Ich kann das auch nur unterstützen und sagen: Jawohl, uns wird dieses Thema weiter begleiten

müssen. Nun mag man über die Empfehlung der Enquetekommission im Hinblick auf einen solchen Beirat oder ein solches Fachgremium unterschiedlicher Meinung sein. Ich kann nur sagen: Uns in der Landesregierung haben diese längerfristigen Trends und die Frage, was müssen wir heute tun, damit wir diesen längerfristigen Trendentwicklungen, diesen Visionen, tatsächlich näher kommen, immer beschäftigt.

Nun will ich aber auch eine kleine kritische Bemerkung einfügen: Es ist gelegentlich so, dass eine Landesregierung, wenn sie entscheiden muss, schon ein bisschen konkretere Visionen haben muss als die, die an der einen oder andere Stelle in der Enquetekommission aufgezeigt worden sind.

Herr Kollege Bergner, wenn Sie denken, dass es sich um unbewusste Leitbilder handelt - - Ich vermute, was Sie mit unbewussten Leitbildern meinen, sind nur die Papptiger, die Sie aufbauen, um gegen die Landesregierung schießen zu können.

(Beilfall bei der SPD - Herr Dr. Bergner, CDU: Das sind mindestens genau solche Pappfiguren!)

Wir haben sehr bewusste Leitbilder und haben daraus auch Konsequenzen gezogen. Ich komme im Verlauf meiner Rede noch darauf zurück.

Das Problem, vor dem wir praktisch stehen, lässt sich am besten an einem Arbeitstag von mir deutlich machen. Ich bin morgens in Dessau gewesen. Dort haben wir eines der Meisterhäuser eingeweiht. Das ist kulturelles Erbe und das ist ein Aspekt von Nachhaltigkeit, auf den wir nicht verzichten dürfen. Da gibt es etwas, was wir für unsere Kinder und Enkel zu bewahren haben. Darum geht es doch immer, um die Perspektiven unserer Kinder und Enkel.