Meine Damen und Herren! Hiermit eröffne ich die 10. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der vierten Wahlperiode. Dazu begrüße ich Sie alle herzlich.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich eine Mitteilung für Sie. Zu Beginn der gestrigen 9. Sitzung des Landtages hat der Präsident Herr Professor Spotka Sie darüber informiert, dass Frau Cornelia Pieper mit Ablauf des 6. November 2002 ihr Landtagsmandat zurückgegeben hat. Die Einspruchsfrist ist nunmehr verstrichen.
Mit Schreiben vom 14. November 2002 hat der Herr Präsident dies dem Landeswahlleiter mitgeteilt und darum gebeten, die Nachfolge für Frau Pieper zu regeln. Der Landeswahlleiter teilt mit Schreiben vom heutigen Tag mit, dass als nächstfolgende Ersatzperson des Landeswahlvorschlages der FDP Herr Friedemann Scholze die Wahl angenommen hat und somit in den Landtag einzieht.
Im Namen des Hohen Hauses begrüße ich Herrn Friedemann Scholze als neues Mitglied des Landtages. Ich wünsche Ihnen, Herr Abgeordneter Scholze, viel Erfolg in Ihrer parlamentarischen Arbeit zum Wohle des Landes Sachsen-Anhalt. Herzlich willkommen!
Nun können wir, wieder vollzählig - wenngleich im Moment nicht alle anwesend sind -, in die Tagesordnung eintreten.
Ich darf Sie daran erinnern, dass in der Aktuellen Debatte die Redezeit je Fraktion und ebenso die der Landesregierung zehn Minuten beträgt. Zunächst bitte ich Frau Ute Fischer, für die beantragende Fraktion das Wort zu nehmen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Umsetzung des Hartz-Konzepts ist ein zentrales Reformprojekt der Bundesregierung. Dabei wird der konsequente Weg einer präventiv ausgerichteten Arbeitsmarktpolitik verfolgt. Der mit dem Job-Aqtiv-Gesetz eingeschlagene Weg wird fortgesetzt. Das heißt, die Zielrichtungen Aktivieren, Qualifizieren, Trainieren, Investieren und Vermitteln gelten weiterhin und stehen im Vordergrund.
Der Hartz-Kommission ist es gelungen, einen Kompromiss über die Parteigrenzen hinweg und jenseits der üblichen Haltungen der Lobbyverbände zu finden. Hartz hat es geschafft, die wirtschaftlichen Bedürfnisse in Bezug auf Flexibilität mit dem Anspruch des Einzelnen auf soziale Sicherheit zu verbinden.
Ich möchte nicht auf alle 13 Module dieses Konzepts eingehen, aber an dieser Stelle durchaus betonen: Es gibt nicht mehr den Arbeitslosen der Stadt X oder des Landes Y, sondern es ist eine gesellschaftliche Gesamtaufgabe, alles für mehr Beschäftigung zu tun. Alle, die Bundesanstalt für Arbeit, die Arbeitslosen, die Wirtschaft, die Politik und auch wir als Abgeordnete sind aufgerufen, ihr bzw. unser Scherflein dazu beizutragen, unter anderem durch öffentliche Diskussionen und Gespräche mit den unterschiedlichsten Partnern.
Dabei werden die unterschiedlichen Erwartungen der Betroffenen, von den Arbeitslosen über die Gewerkschaften bis hin zur Wirtschaft, schnell offenbar. Es geht aber bei aller notwendigen Diskussion im Endeffekt darum, dass Deutschland wieder auf einen nachhaltigen Wachstumspfad kommen muss. Dafür sind flankierende Maßnahmen der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik notwendig. Eine weitreichende Reform erfordert eine breite gesellschaftliche Akzeptanz, die Aufrechterhaltung der sozialen Balance und das aktive Engagement aller beschäftigungspolitisch Verantwortlichen.
Dazu möchte die SPD-Fraktion in dieser Debatte beitragen. Es geht uns darum, einerseits diese Akzeptanz zu schaffen und andererseits alle Kräfte zu mobilisieren, um eine rasche Umsetzung der Hartz-Vorschläge zu ermöglichen. Die Wirtschaftsförderung und eine aktive Arbeitsmarktpolitik haben auch in Sachsen-Anhalt dank guter Programme und pfiffiger Akteure in erheblichem Umfang zur Verbesserung der Wirtschaftsstruktur beigetragen. Aber leider hat dies alles noch nicht zu einem ausreichenden Arbeitsplatzangebot geführt. Weitere Unterstützungsmaßnahmen sind dringend erforderlich.
Mit dem Hartz-Konzept werden umfassende und qualifizierte Instrumente zur Verfügung gestellt, zum Beispiel durch eine schnellere Vermittlung. Die Erhöhung der Vermittlungsgeschwindigkeit soll durch eine frühzeitige Mitarbeit aller erreicht werden. Das heißt, dass die Meldung beim Arbeitsamt sofort nach der Kündigung erfolgen muss, nicht erst am ersten Tag der Arbeitslosigkeit; denn von Arbeit in neue Arbeit zu vermitteln ist die am meisten Erfolg versprechende Variante.
Bei mehr Vermittlungsservice der Arbeitsämter, zum Beispiel über Jobcenter, wird auch mehr Eigeninitiative der Arbeitslosen erwartet sowie die Bereitschaft zum Ortswechsel gerade bei ungebundenen jungen Menschen, wenn es die Familiensituation erlaubt.
Die Gefahr einer weiteren Abwanderung von jungen Fachleuten von Ost gen West sehen wir sehr wohl. Wie von Herrn Staatssekretär Dr. Haseloff im Ausschuss angekündigt, erwarten und unterstützen wir alle Maßnahmen des Gegensteuerns.
Mit der Einrichtung von Personalserviceagenturen in jedem Arbeitsamtsbezirk werden die Potenziale der Zeitarbeitsfirmen als Einstiegschance für Arbeitslose und auch für Langzeitarbeitslose, verbunden mit der zusätzlichen Möglichkeit zur betriebsnahen Qualifizierung, genutzt. Mit der Orientierung auf Tarifverträge werden die Arbeitsbedingungen in diesem Bereich verbessert, was meines Erachtens auch dringend geboten ist.
Gleichzeitig soll das Arbeitsnehmerüberlassungsgesetz, wie lange gefordert, geändert werden. Das heißt, Beschränkungen der Dauer der Überlassung, Wiedereinstellungsverbot, Befristungsverbot und Abwerbeverbot werden verschwinden. Die langjährige Forderung der Wirtschaft nach Deregulierung wird mit der langjährigen Forderung der Gewerkschaften nach Nichtdiskriminierung verbunden.
Neben der Beschäftigungsbrücke Zeitarbeit sind die Brücke in die Selbstständigkeit über Ich-AG und Familien-AG sowie die Brücke zu neuen Jobs in privaten Haushalten realistische Alternativen. Über die zeitliche Ausgestaltung der steuerlichen Absetzbarkeit wird noch verhandelt. Schwarzarbeit wird man allerdings mit diesen Modellen nicht vollständig ausschließen können.
Die Strategien zur Förderung der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sind zwar löblich und anerkennenswert, aber für ostdeutsche Einkommens- und Finanzsituationen meines Erachtens unrealistisch. Eine Aufnahme des Programms „Aktiv zur Rente“ wäre für die neuen Bundesländer eine bessere Variante gewesen. Insgesamt begrüßen wir es selbstverständlich, wenn Ältere mit den vorgeschlagenen neuen Regularien bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt bekommen.
Die Hartz-Vorschläge sind zum Teil mit Einsparvorschlägen verbunden. Interessant ist aber auch, was man mit den eingesparten Mitteln dann macht. Wir, die SPDFraktion, regen an, dass die Haushaltsmittel des Bundes, die ab 2003 nicht mehr an die Bundesanstalt fließen, für beschäftigungswirksame Programme in Regionen mit überdurchschnittlich hoher Arbeitslosigkeit eingesetzt werden. Dafür wollen wir uns auch in Berlin einsetzen.
Sehr geehrte Damen und Herren! Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist, wie ich anfangs betont habe, eine gemeinsame Aufgabe. Ich habe mit Freude vernommen, Herr Ministerpräsident, dass Sie im Haushaltsplanentwurf 2003 neben der Haushaltskonsolidierung genau dieses Ziel verfolgen. Dass zarte Pflänzchen des Aufwuchses im Bereich der Arbeitsmarktpolitik ist dabei durchaus ein positives Signal. Ich kann Sie an dieser Stelle nur auffordern, nicht dabei stehen zu bleiben.
Es liegen sinnvolle Vorschläge auf dem Tisch; einige davon hat die CDU in der Vergangenheit selbst gemacht. Nun haben Sie die einmalige Chance, einen Teil dieser Forderungen umzusetzen. Das Einzige, was Sie dafür tun müssen, ist, im Bundesrat den zustimmungspflichtigen Gesetzen Ihre Stimme nicht zu verweigern. Also bitte, nutzen Sie auch diese Chance. Verweigern Sie sich nicht aus parteipolitischen Gründen sinnvollen und, meine Damen und Herren, eben auch notwendigen Änderungen. Dafür ist dieses Thema für uns alle zu wichtig.
Darüber hinaus müssen natürlich die Hausaufgaben in Sachsen-Anhalt erledigt werden. Die Landesregierung ist aufgefordert, so schnell wie möglich die Bedingungen für eine Umsetzung der Regelung zu schaffen, die im Bundestag verabschiedet wird - ich denke, heute - und am 1. Januar 2003 in Kraft treten soll. Ich bin diesbezüglich relativ optimistisch, da mit Herrn Staatssekretär Dr. Haseloff als ehemaligem Arbeitsamtsdirektor ein ausgewiesener Fachmann für diesen Bereich zuständig ist.
Wir möchten die Landesregierung auffordern, parallel zu der Umstrukturierung der Arbeitsämter bei der Wirtschaft für eine enge Zusammenarbeit mit den Personalserviceagenturen und den Jobcentern zu werben. Nur wenn sich die Arbeitsämter als Dienstleister für Arbeitsuchende und für die Wirtschaft begreifen und die Wirtschaft diese Dienstleistung auch nutzt, kann das Hartz-Konzept erfolgreich umgesetzt werden.
Gestern war in der „Bild“-Zeitung ein Beitrag über einen Arbeitslosen zu lesen, der das Arbeitsamt Merseburg mit einer Schreckschusspistole aufmischen wollte. Das Beispiel zeigt, wie viel Verständigungsarbeit zu leisten ist, bis Arbeitslose das Arbeitsamt als Hilfe begreifen, und zwar nicht in erster Linie um ihre Leistungen zu bekommen, sondern auch um in Beschäftigung zu kommen.
Auf der anderen Seite kenne ich die mühseligen kleinen Schritte des Arbeitsamtsdirektors in Merseburg, eine fruchtbare Zusammenarbeit mit den Unternehmen der Region aufzubauen. Verhärtete Fronten brauchen neben neuen Ansätzen und Instrumenten auch eine gute Moderation, und darum möchten wir die Landesregierung bitten. - Danke schön.
Vielen Dank, Frau Fischer. - Den letzten Satz aufnehmend, spricht jetzt der Minister für Wirtschaft und Arbeit Herr Dr. Rehberger. Bitte schön, Herr Minister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eines muss man Bundeskanzler Schröder neidlos zugestehen: Die Hartz-Kommission war von Anfang an eine perfekte PR-Inszenierung.
Bevor die Kommission überhaupt förmliche Ergebnisse erzielt hatte, wurden alle möglichen Teilergebnisse bekannt gegeben und anschließend auch wieder einkassiert. Bis zum heutigen Tage gibt es eine ganze Reihe von Punkten, zu denen heute dieses und morgen jenes verkündet wird.
Nichtsdestotrotz ist in den Vorschlägen dieser Kommission sicherlich eine Reihe von Punkten enthalten, die unsere Zustimmung finden können. Das gilt zum Beispiel für den Vorschlag, alle erwerbsfähigen Leistungsbezieher im Bereich der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe zusammenzufassen und einheitlich zu betreuen oder die individuellen Zumutbarkeitsregelungen für Arbeitslose zu verschärfen oder Anreize für eine frühzeitige Arbeitlosmeldung zu setzen.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, so sehr man das eine oder andere gut und andere Positionen zumindest diskutabel finden mag, gibt es doch weithin, insbesondere bei denen, die das ganz nüchtern und sachlich beurteilen, wie etwa Wissenschaftlern, die eindeutige Aussage, dass die Vorschläge der Hartz-Kommission für Ostdeutschland kaum greifen werden.
Denn, meine Damen und Herren, der eigentliche Kern des Problems liegt nicht darin, dass in Ostdeutschland
die Organisation der Arbeitsvermittlung insuffizient wäre und durch eine Verbesserung die Arbeitslosen in großer Zahl zu Jobs kommen könnten. Unser Problem liegt darin, dass es keine Arbeitsplätze gibt. Und wenn man keine Arbeitsplätze hat, kann man auch keine vermitteln.
Deswegen, meine ich, ist diese permanente Diskussion über die Vorschläge der Hartz-Kommission gerade bei uns eigentlich ein Nebenkriegsschauplatz, wenn es überhaupt ein solcher sein sollte. Das eigentliche Thema ist, ob es der Bundesregierung gelingt, eine Politik zu betreiben, die Wirtschaftswachstum ermöglicht und damit die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze herbeiführt.
Genau auf diesem Sektor, meine Damen und Herren, haben die letzten Wochen eine totale Ernüchterung gebracht. Nehmen Sie die gestrigen Schlagzeilen in der Presse: „Schwarzer Tag für rot-grüne Koalition“, stand in der „Volksstimme“ als Schlagzeile. „Tief im Dreck“, titelt die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“. „Verfall eines Staates - Wie die Regierung uns bestiehlt“, heißt es in der „FAZ“ in der Schlagzeile. „Verschätzt - Hans Eichels Finanzpolitik ist grandios gescheitert“, schreibt die „Financial Times“. Ich könnte noch unendlich viele weitere derartige Zitate anfügen.
Sehen Sie, das ist der eigentliche Kern, über den wir uns hier vor allem unterhalten müssen. Was jetzt etwa im Bereich der Steuer- und Abgabenpolitik in Berlin beschlossen worden ist, meine Damen und Herren, schafft nicht zusätzliche Jobs, sondern vernichtet Arbeitsplätze auch und gerade in unserem Land.
Die überfällige und für ein Wirtschaftswachstum unverzichtbare Steuersenkung für den Mittelstand ist bekanntlich um ein Jahr verschoben worden, tritt also zum 1. Januar des kommenden Jahres nicht in Kraft. Mehrbelastungen für den Mittelstand, verglichen mit der Rechtslage davor: 7,1 Milliarden €.