Protokoll der Sitzung vom 12.12.2002

(Widerspruch bei der CDU und bei der FDP)

Noch einen Satz zur Vermögensteuer an Herrn Paqué und an Herrn Tullner. Wir sagen: Bei diesen knappen Kassen können die, die sehr viel haben, etwas dazu beitragen, dass dieser Staat weiterleben kann.

(Beifall bei der SPD)

Sie nehmen das Geld lieber von Blinden und von den Armen.

(Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der CDU und bei der FDP)

Sie sparen das Geld lieber bei den Polizisten und bei den Feuerwehrleuten bei der freien Heilfürsorge. Das ist Ihr Ansatz.

(Herr Kurze, CDU: Wer hat denn die Karre in den Dreck gefahren?)

- Ach, fangen Sie nicht wieder damit an, Herr Kurze. Das ist eher die Konsequenz einer Blockadepolitik, auf die Sie derzeit zusteuern, wenn Sie die Steuerpläne der Bundesregierung im Bundesrat ablehnen.

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Ich jedenfalls kann nur an Sie appellieren: Schließen Sie sich nicht dem fundamentalistischen Oppositionskurs von Herrn Merz und Frau Merkel an! Wahren Sie die Interessen des Landes Sachsen-Anhalt!

Wenn ich schon bei Frau Merkel bin, ist Herr Stoiber auch nicht weit. Was wäre denn gewesen, meine Damen und Herren von der CDU und von der FDP, wenn Sie die Bundestageswahl gewonnen hätten?

(Zurufe von der CDU und von der FDP: Das wäre besser! - Das wäre gut! - Heiterkeit und Zustim- mung bei der CDU und bei der FDP)

- Warten Sie mal! - Da Sie die Bundesregierung wegen ihrer Wahlaussagen vor den Untersuchungsausschuss zerren wollen und ein total reines Gewissen haben, kann ich davon ausgehen, dass Sie Ihre Wahlversprechen 1 : 1 sofort umgesetzt hätten. Aber welche finanziellen Auswirkungen hätte das wohl auf unser Land gehabt? - Hätten Sie die Bundestagswahl gewonnen, hätten wir neben dem Altlastenfonds einen CDU/CSU-FDP-Neulastenfonds auflegen müssen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Sie wollten die Staatsquote bekanntermaßen auf unter 40 % bzw. gar unter 35 % senken. Derzeit liegt sie bei 48,5 %. Allein eine Rückführung auf 40 % würde bedeuten, dass 170 Milliarden € weniger in allen öffentlichen Kassen zur Verfügung stehen würden. 170 Milliarden €! Zum Vergleich: Das Volumen des Bundeshaushaltes umfasst im Jahr 2002 rund 250 Milliarden €.

Dann will ich noch auf einige ausgabenwirksame Programmpunkte der CDU eingehen, die uns ebenfalls belastet hätten. Allein der Verzicht auf die letzte Stufe der Ökosteuer würde Mindereinnahmen in der Größenordnung von rund 2,5 Milliarden € pro Jahr verursachen. Wird die Ökosteuer gänzlich abgeschafft, resultierten daraus für den Bund, falls er die Finanzierungslücke der Rentenversicherung auffangen würde, Mindereinnahmen von rund 16 Milliarden € pro Jahr.

(Zuruf von Frau Liebrecht, CDU)

Durch die stufenweise Ersetzung des Kinder- und des Erziehungsgeldes ab 2004 durch ein Familiengeld würden die Belastungen von ca. 10 Milliarden € im Jahr 2004 auf ca. 31 Milliarden € im Jahr 2006 ansteigen. Der Kinderbonus zur Entlastung der Eltern bei den Sozialbeiträgen würde einen weiteren Zuschussbedarf von bis zu 2,6 Milliarden € ergeben. Die Abschaffung aller Budgetierungen im Gesundheitssystem würde Milliarden kosten und Risiken für die Krankenkassen mit sich bringen, sofern keine gleichwertigen Kosten dämpfenden Instrumente an deren Stelle treten.

Und wie das 20-Milliarden-€-Sofortprogramm von Herrn Stoiber finanziert werden sollte, wage ich gar nicht zu hinterfragen. Darauf haben Sie wahrscheinlich auch gar keine Antwort.

(Frau Liebrecht, CDU: Darüber müssen Sie sich doch keine Gedanken machen!)

Man stelle sich einmal vor, Herr Stoiber hätte mit seinen Attacken gegen den Osten Erfolg gehabt oder die FDP hätte sich mit ihren 35 % durchgesetzt! Dann würden wir heute in diesem Landtag ganz andere Debatten über die Auswirkungen der Politik der Bundesregierung auf die Landesfinanzen führen müssen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Wer hat denn gegen den Länderfinanzausgleich geklagt? Wer hat gegen den Solidarpakt II gestimmt? Wer klagt immer noch gegen den Risikostrukturausgleich? Es sind Ihre Parteifreunde, Herr Professor Böhmer.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von Herrn Kurze, CDU)

Diese Parteifreunde brechen heute in Berlin eine populistische Debatte vom Zaum, ohne auch nur ansatzweise mit eigenen seriös durchgerechneten Konzepten zu kommen. Das sind die Fakten. An diesen kommen Sie mit Ihren Ablenkungsmanövern nicht vorbei.

Meine Damen und Herren! Ich komme zum Schluss. Wer mich kennt, weiß, dass ich immer alles halte, was ich verspreche. Lieber Herr Paqué - vielleicht könnten Sie mal einen kleinen Augenblick zuhören -, in der letzten Landtagssitzung hatte ich Ihnen als Weihnachtsgeschenk eine CD für die Intensivierung Ihres autogenen Trainings versprochen. Hier ist sie.

(Heiterkeit und Zustimmung bei der SPD)

Legen Sie sie auf, wenn Sie sich über einen Fehler ärgern, den Sie selbst verursacht haben oder den die FDP oder die CDU verursacht hat. Beim Hören des Liedes wird Ihnen dann sofort klar: Schuld sind nur die anderen, nicht wir selbst. Schuld daran ist nur die SPD.

(Heiterkeit bei der CDU und bei der FDP)

Das reicht dann wieder für die nächsten 24 Stunden. Die Heldentenöre präsentieren: Und schuld daran ist nur die SPD.

(Herr Dr. Püchel, SPD, überreicht Minister Herrn Prof. Dr. Paqué eine Compactdisc - Zustimmung bei der SPD - Zuruf von Herrn Schröder, CDU)

Vielen Dank im doppelten Sinne, Herr Dr. Püchel. - Für die FDP-Fraktion erteile ich dem Abgeordneten Herrn Lukowitz das Wort. Bitte sehr, Herr Lukowitz.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Püchel hat eben an den fast legendär gewordenen Steuersong erinnert. Zum Ersten: Darin sind viele Wahrheiten enthalten.

(Heiterkeit bei der FDP und bei der CDU)

Zum Zweiten, Herr Püchel, werfen Sie uns vor, dass wir jetzt zu sehr nach Berlin gucken würden. Ich erinnere mich, wenn ich die Politik in Sachsen-Anhalt in den letzten acht Jahren richtig verfolgt habe, dass die SPD das mindestens acht Jahre lang gemacht hat. Nun erlauben Sie uns das wenigstens ein paar Wochen lang.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU - Zu- ruf von der CDU: Ja!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundesfinanzminister musste mit der Einbringung des Nachtragshaushalts in der vergangenen Woche für die Bundesrepublik Deutschland die Störung des gesamtgesellschaftlichen Gleichgewichts erklären.

(Unruhe bei der SPD - Herr Dr. Püchel, SPD: Nicht gesellschaftlich, wirtschaftlich!)

- Ja. - Die Volkswirte beschreiben das bekanntlich so: Das so genannte magische Viereck, bestehend aus Wirtschaftswachstum, Beschäftigungsstand, Preisstabilität und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht, ist aus den Fugen geraten.

Ich sage dazu ohne Häme: Das ist für niemanden eine gute Botschaft, nicht für die politische Opposition im Deutschen Bundestag und erst recht nicht für die Menschen in Sachsen-Anhalt. Trotzdem, meine Damen und Herren, kommt diese Botschaft für viele im Lande, Bürger, Wirtschaft und Gemeinwesen, nicht mehr überraschend. Nach monatelangem Vertuschen vieler Sachzwänge und der wirklichen Haushaltslage ist die Not so groß geworden und sind die Fakten so unbestechlich und erdrückend, dass die rot-grüne Bundesregierung um die Wahrheit nicht mehr herumkommen konnte.

Leider ist darüber der Wahltermin zum Deutschen Bundestag vergangen. Doch die nachträgliche Enttäuschung vieler Menschen in Deutschland sitzt tief, sitzt sehr tief. Das zeigen auch die letzten Umfragen. Wenn man über Ursachen und Gründe von Politikverdrossenheit diskutieren wollte, dann bietet die alte und neue Regierung Schröder/Eichel/Fischer mehr als reichlich Stoff, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Diese Betrachtung reizt mich zu einem kurzen Rückblick nach Sachsen-Anhalt. Als Minister Paqué sehr bald nach unserer Regierungsübernahme und der dann erarbeiteten Kenntnis der desaströsen Finanzlage in Sach

sen-Anhalt im Sinne von Wahrheit und Klarheit die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts feststellen musste, gab es ein riesiges Geschrei auf den Bänken der Opposition. Begriffsbildungen wie „unglaublich“, „empörend“, „maßlos“ usw. sind mir noch in guter Erinnerung. Herr Gallert überschlug sich mehrfach mit Antipodenreden und einer Unzahl von Pressemitteilungen. Die SPD ging noch weiter und baute mit einem erheblichen Aufwand die Drohfront einer Verfassungsklage. auf. Selbst der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst des Landtages wurde damit befasst.

Man tat so, als sei Sachsen-Anhalt eine Oase in der bundesrepublikanischen Wüste. Heute ist es urplötzlich vor dem Hintergrund der Noterklärung der Bundesregierung sehr still geworden zu diesem Thema. Und ich hielte es für mehr als angemessen und korrekt, sehr geehrter Herr Püchel, wenn Sie Ihre Irrungen und Wirrungen von vor ein paar Monaten einmal öffentlich korrigierten und Ihre unhaltbaren Vorwürfe gegenüber der Landesregierung und der CDU und der FDP mit dem gebotenen politischen Anstand zurücknehmen würden.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Zurück zur Berliner Aktualität. Ich bleibe also in Berlin. Ich möchte meine Beurteilung der Gesamtlage deutlich machen: Deutschland befindet sich in einer handfesten krisenhaften Situation. Es ist keine Konjunkturdelle, wie der Kanzler noch zu Beginn dieses Jahres die Situation schöngeredet hat und damit die hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland zu begründen versuchte.

Die Schuld allein auf die kränkelnde Weltwirtschaft, auf eine allgemeine Rezession, auf börsenpolitische Turbulenzen zu verkürzen, geht nicht nur an der Sache vorbei, sondern ist auch ein Davonstehlen der rot-grünen Bundesregierung aus der eigenen Verantwortung, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der FDP)

Deutschland hat in den letzten vier Jahren nicht nur bezogen auf die Pisa-Studie und das Thema Bildung seine Hausaufgaben nicht gemacht. Die deutsche Regierungspolitik schiebt einen gewaltigen Reformstau mit einer immer gewaltiger werdenden Bugwelle vor sich her.

Dabei werden die Schwächeren - dazu zählt bekannterweise auch Sachsen-Anhalt - zuallererst und mit der ganzen negativen Energie getroffen. Selbst die sozialdemokratische Spitze in Sachsen-Anhalt - das fand ich sehr interessant und Püchel-ehrlich - sprach in der Presse von einem verpatzten Start des Bundeskanzlers. Mir ist klar, dass Sie damit sehr weit gegangen sind. Manche sagen auch: Der Kanzler wird müde. Er muss zur Jagd getragen werden. Vorgestern soll er sogar mit Rücktritt gedroht haben.