Protokoll der Sitzung vom 13.12.2002

Wir treten nun in das Abstimmungsverfahren zu der Drs. 4/400 ein. Es geht zunächst um die Überweisung des Gesetzentwurfes in die Ausschüsse. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit ist der Gesetzentwurf bei Gegenstimmen der PDS in die Ausschüsse überwiesen worden.

Es geht nun um die Ausschüsse im Einzelnen. Es wurde der Innenausschuss angesprochen. Welcher Ausschuss soll noch beteiligt werden?

(Herr Dr. Püchel, SPD: Recht und Verfassung und Gleichstellung!)

- Die Ausschüsse für Recht und Verfassung und für Gleichstellung. Ist das strittig?

(Zuruf: Gleichstellung nicht!)

- Dann müssen wir wieder einzeln abstimmen. Zunächst über die Überweisung in den Innenausschuss. Wer ist dafür? - Der Gesetzentwurf ist in den Innenausschuss überwiesen worden.

Überweisung in den Gleichstellungsausschuss. Wer ist dafür? - Die Überweisung ist abgelehnt, würde ich sagen. - Wer ist dagegen? - Dann war das Erste doch die Mehrheit. Also auch in den Gleichstellungsausschuss überwiesen.

Überweisung in den Ausschuss für Recht und Verfassung. Wer ist dafür? - Wer ist dagegen? - Auch in den Ausschuss für Recht und Verfassung überwiesen.

Die Federführung soll unstrittig beim Innenausschuss liegen. Wir stimmen lieber ab. Wer ist für die Federführung durch den Innenausschuss? - Damit ist der Gesetzentwurf bei Federführung durch den Innenausschuss in die Ausschüsse für Gleichstellung, für Recht und Verfassung und für Inneres überwiesen worden. Wir schließen somit den Tagesordnungspunkt 9 ab.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:

Beratung

Qualität der Betreuung sichern - Ehrenamt stärken

Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 4/393

Änderungsantrag der Fraktion der CDU - Drs. 4/423

Einbringerin ist die Abgeordnete Frau Grimm-Benne für die SPD.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Lassen Sie mich mit einem Beispiel beginnen: Ein alter Mann muss sich einer Operation unterziehen, nach der er lange Zeit nicht ansprechbar ist. Seine Frau will Geld von seinem Girokonto abheben, um den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Liegt keine Vorsorgevollmacht vor, muss die Frau anstrengen, sich für ihren Mann als Betreuerin bestellen zu lassen.

Nun zu dem aufwendigen Verfahren, das die Frau bestreiten muss: Das Vormundschaftsgericht ist verpflich

tet, einen Sozialbericht der Betreuungsbehörde einzuholen, einen Verfahrenspfleger zu bestellen und die Eheleute gegebenenfalls anzuhören. - Die meisten Menschen gehen davon aus, dass sich die Eheleute in Notsituationen gegenseitig vertreten können. Das ist aber nicht so, wie der soeben geschilderte Fall zeigt.

Die SPD-Fraktion will mit diesem Antrag zum einen die Qualität der Betreuung verbessern und zum anderen Einsparungen im Landeshaushalt erreichen.

In Deutschland gibt es zurzeit rund eine Million Betreuungsfälle. In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Fälle verdoppelt. Allein in Sachsen-Anhalt gab es im Jahr 2000 29 709 Betreuungsverfahren im Gegensatz zu 18 358 Verfahren im Jahr 1985. Dementsprechend sind auch die Kosten in den letzten Jahren gestiegen: von der schon erheblichen Summe von 9,2 Millionen € im Jahr 1999 auf 15,4 Millionen € im Jahr 2002. Der Ansatz für das Jahr 2003 beträgt wiederum 15,4 Millionen €, obwohl wir bereits im Ausschuss für Recht und Verfassung gesagt haben, dass bei einer realistischen Abschätzung die Kosten weiter ansteigen werden.

Dies ist zum einen auf die demografische Entwicklung zurückzuführen, aber auch möglicherweise auf ein falsches Verständnis des Betreuungsrechts. Bei der Diskussion über den Antrag innerhalb unserer eigenen Fraktion wurde bereits deutlich, dass sich die meisten mit diesem Thema noch nicht intensiv auseinander gesetzt haben. Dabei ist es wirklich ein wichtiges Thema für jeden Einzelnen, und der Fall einer Betreuung kann jeden von uns treffen, sowohl als Betreuer als auch als zu Betreuender.

Es geht nicht um Fälle, in denen jemand zum Beispiel nicht mehr seinen Haushalt bewältigen kann. Dies rechtfertigt in der Regel noch nicht die Bestellung eines Betreuers. Von der Anordnung der Betreuung sind vielmehr Erwachsene betroffen, die aufgrund einer psychischen Erkrankung oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung ihre Angelegenheiten nicht mehr erledigen können.

Fragen wir uns doch einmal selbst, wer von uns Vorsorge für den Fall der Betreuung getroffen hat. - Es gibt aber Möglichkeiten der Vorsorge. Dies muss man in der Bevölkerung noch mehr publik machen.

Zum einen gibt es die Vorsorgevollmacht. Hiermit erteilt man einer anderen Person die Vollmacht, in bestimmten Angelegenheiten rechtliche Erklärungen abgeben zu können. Ist eine Vorsorgevollmacht wirksam errichtet, bedarf es keiner Anordnung einer Betreuung. Diese Vorsorgevollmacht bedarf auch keiner besonderen Form, sollte jedoch schriftlich verfasst werden, damit im Einzelfall nachgewiesen werden kann, was gewollt wurde.

Es gibt des Weiteren die Möglichkeit einer Betreuungsverfügung. In dieser Betreuungsverfügung können Wünsche für den Fall einer Betreuung festgehalten werden. Es kann zum Beispiel genannt werden, in welches Alten- und Pflegeheim eine Einweisung erfolgen soll. Das Vormundschaftsgericht ist grundsätzlich an diese Verfügung gebunden.

Es ist ein erster und wichtiger Schritt, dies ins Bewusstsein der Bevölkerung zu rufen. Mit unserem Antrag soll eine öffentliche Diskussion in Sachsen-Anhalt anfangen.

Durch die bereits geschilderten Möglichkeiten der Vorsorge wird auch noch ein anderer Effekt eintreten: Es

würden mehr ehrenamtliche Betreuer eingesetzt, die aus dem unmittelbaren sozialen Umfeld des zu Betreuenden stammen. Damit wird die Akzeptanz des Betreuers und das Vertrauensverhältnis gestärkt und, so meinen wir, die Qualität der Betreuung erhöht.

Bereits im Jahr 1990 fand eine wesentliche Veränderung des Betreuungsrechts statt, die im Jahr 1992 in Kraft trat. Es muss festgehalten werden, dass diese Reform des Betreuungsrechts eine wesentliche Verbesserung für die betreuten Personen bedeutete. Bis zu diesem Zeitpunkt existierten die Vormundschaft, der eine Entmündigung der Person vorausging, und die Gebrechlichkeitspflegschaft.

Die Anordnung der Betreuung erfolgt durch das Vormundschaftsgericht. Eine Überprüfung der Betreuung erfolgt spätestens nach fünf Jahren. Nach dieser Überprüfung muss über die Aufhebung oder Verlängerung einer Betreuung entscheiden werden.

Grundsätzlich sollen Betreuungen ehrenamtlich und somit unentgeltlich erfolgen. Lediglich notwendige Aufwendungen werden ersetzt. Im Fall eines Berufsbetreuers erfolgt jedoch eine Vergütung. Diese Kosten sollen von dem zu Betreuenden gezahlt werden. Ist dieser mittellos, tritt für die Kosten die Staatskasse ein. Wie bereits gesagt, belaufen sich die Kosten jährlich auf über 15 Millionen € im Land Sachsen-Anhalt.

Es ist über das Abrechnungssystem der Betreuer zu debattieren. Anzuregen ist, dass in diesem Bereich ähnlich wie bei Rechtsanwälten zum Beispiel eine Vergütung erstellt wird bzw. eine Pauschalabrechnung erfolgt. Über all dies sollte in naher Zukunft beraten und diskutiert werden, und es sollten Ergebnisse gefunden werden.

Wie auch in der Begründung zu dem Antrag bereits angeführt, hat der Landesrechnungshof in seinem Jahresbericht 2001 im Teil 1 festgestellt, dass die Kosten für das Betreuungswesen immer weiter angestiegen sind. Der Landesrechnungshof hat die Abrechnungspraxis beanstandet und Vorschläge zur Verbesserung unterbreitet, die in der Diskussion beachtet werden sollten.

Ich möchte zum Ausdruck bringen, dass dieser Antrag nicht als ein generelles Misstrauen gegen Berufsbetreuer zu verstehen ist. Ich bin aber davon überzeugt, dass ehrenamtliche Betreuer aus dem näheren Umfeld des zu Betreuenden diese Aufgabe qualitativ besser erfüllen können. Der Antrag soll der Anstoß für eine breite Diskussion zu diesem Thema sein, und diese Thematik in das Bewusstsein der Bevölkerung rufen.

Ich freue mich ausdrücklich, dass die CDU-FDP-Koalition einen Änderungsantrag eingebracht hat, der eigentlich mehr ein Ergänzungsantrag ist, der einen Punkt 4 beinhaltet, den wir inhaltlich voll unterstützen, und dass sie unsere Begründung übernommen hat. - Ich danke Ihnen.

(Zustimmung bei der SPD)

Danke, Frau Abgeordnete Grimm-Benne. - Bevor wir in die Fünfminutendebatte eintreten, weise ich darauf hin, dass man sich fraktionsübergreifend darauf verständigt hat, aufgrund der Zeitverzögerung auf die Mittagspause zu verzichten. Ich bitte Sie, sich darauf einzustellen, auch im Hinblick auf die Veränderung der Beratungszeitpunkte.

Wir treten in die Debatte ein. Zuerst hat für die Landesregierung der Minister der Justiz Herr Becker um das Wort gebeten.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie haben mir mit diesem Antrag wirklich ein Weihnachtsgeschenk gemacht, Frau Grimm-Benne. Ich danke der CDU-Fraktion und der FDP-Fraktion, dass sie diesen Antrag noch abgerundet haben; denn diesbezüglich laufen Sie in der Tat bei der Landesregierung offene Türen ein.

Ich bin dankbar dafür, dass dieses Thema von Ihnen auf die Tagesordnung gebracht wurde. Ich bin auch dafür dankbar, dass Sie zugesagt haben, uns bei unseren Bemühungen, etwa wenn es um die Vorsorgevollmacht und Ähnliches geht, zu unterstützen; denn in diesem Bereich besteht in der Tat dringender Handlungsbedarf.

Der Gesetzgeber - es war der Bundesgesetzgeber - hat im Jahr 1990 versucht, das alte Vormundschaftswesen auf neue Beine zu stellen. In Deutschland war die Erkenntnis gereift, dass das Vormundschaftsrecht, wie man es zum 1. Januar 1900 im BGB eingeführt hatte, weiterentwickelt werden muss, da in unserer Gesellschaft immer mehr Menschen älter werden, aber eben nach ihren Möglichkeiten am Leben teilnehmen wollen, und nachdem in unserer Gesellschaft immer mehr behinderten Mitbürgern ein menschenwürdiges Dasein garantiert werden soll. Da muss dann eben auch Vorsorge dafür getroffen werden, dass die Rechtsstellung dieser Menschen gesichert ist.

Deshalb wurde im Jahr 1990 dieses Gesetz geändert. Das alte BGB wurde auf diesem Gebiet entstaubt. Man hat das neue Betreuungsrecht eingeführt. Nach inzwischen zehn Jahren ist es natürlich richtig, Frau GrimmBenne und die Antragsteller von der CDU-FDP-Koalition, dass man die Dinge einfach einmal hinterfragt.

Wir haben uns auch auf der Ebene der Justizministerkonferenz dieses Themas angenommen. Es besteht eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter der Federführung Nordrhein-Westfalens, die bereits auf der Justizministerkonferenz im Juni dieses Jahres in Weimar das erste Zwischenergebnis vorgelegt hat und die auf mein Betreiben hin dann im Herbst dieses Jahres auf der Justizministerkonferenz in Berlin den Auftrag bekam, den Abschlussbericht, der im Sommer des kommenden Jahres vorgelegt werden soll, nicht nur als einen Bericht vorzulegen, sondern gleichzeitig unterhalb der Ebene des Gesetzes Handlungsanleitungen zu erarbeiten und einen Entwurf zur Änderung des Betreuungsrechts aus dem Jahr 1990 der Justizministerkonferenz zu präsentieren, damit wir dann im Bundesrat dort tätig werden können, wo wir Handlungsbedarf sehen.

Insoweit ist diese Diskussion heute gut und richtig. Meines Erachtens aber - das wäre mein Vorschlag - sollte man heute über diesen Antrag gleich entscheiden. Ich würde Ihnen meinerseits zusagen, dass wir Sie im Ausschuss über den weiteren Fortgang unterrichten. Sie können aber natürlich auch - das ist dem Hohen Haus unbenommen - die Sache in den Ausschuss überweisen. Aber wenn so viel Klarheit besteht, dann sollte man der Exekutive den Befehl geben: Dort musst du aufgrund des Beschlusses des Landtages weiterarbeiten.

Ich könnte jetzt auf alle diese Punkte eingehen. Ich möchte das aber aus Zeitgründen nicht, weil ich der Auffassung bin, es ist an dieser Stelle - -

(Zuruf)

- Ich dachte, Sie wollten alle heute etwas zeitig nach Hause kommen.

(Herr Dr. Püchel, SPD: So ist der Minister!)

Ich kann das deshalb nur unterstreichen, was an dieser Stelle gesagt worden ist. Wir müssen da auch in diesem Land herangehen.

Sie haben einen wichtigen Punkt angesprochen: die Kosten. Der nordrhein-westfälische Justizminister und jetzige Finanzminister Dieckmann hat in Weimar gesagt, die laufen ihm davon. Das haben unisono alle anderen 15 Justizminister in Weimar bestätigt.

Bei uns ist es so, dass wir jetzt bei ungefähr 15 Millionen € liegen, aber dass wir - das habe ich im Fachausschuss im Rahmen der Haushaltsberatungen gesagt - eigentlich für das nächste Jahr mehr haben müssten. Da wir uns das jedoch nicht leisten können, müssen wir jetzt versuchen, den eigentlich notwendigen Aufwuchs einzufangen. Dazu wird uns einiges einfallen müssen.