Protokoll der Sitzung vom 13.12.2002

Bei uns ist es so, dass wir jetzt bei ungefähr 15 Millionen € liegen, aber dass wir - das habe ich im Fachausschuss im Rahmen der Haushaltsberatungen gesagt - eigentlich für das nächste Jahr mehr haben müssten. Da wir uns das jedoch nicht leisten können, müssen wir jetzt versuchen, den eigentlich notwendigen Aufwuchs einzufangen. Dazu wird uns einiges einfallen müssen.

Ich freue mich, dass wir aufgrund des vorliegenden Antrags Möglichkeiten haben, uns dazu einiges einfallen zu lassen. Ich bin dankbar für diesen Antrag und bitte das Hohe Haus um Unterstützung der Landesregierung in der Frage der Qualität der Betreuung und der sehr wichtigen Frage der Stärkung des Ehrenamtes. Dies ist ein weites Betätigungsfeld für viele Mitbürger in unserem Land. Das sind wir vor allem den älteren und den behinderten Menschen schuldig.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Danke, Herr Minister. - Als erster Debattenrednerin erteile ich der Abgeordneten Frau Liebrecht das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Nach § 1867 Abs. 6 BGB kann ein Berufsbetreuer grundsätzlich nur dann bestellt werden, wenn kein geeigneter Betreuer zur Verfügung steht, der die Betreuung ehrenamtlich durchführt. Der Betreuer wird vom Vormundschaftsgericht bestellt.

Die Praxis in den ostdeutschen Bundesländern, auch in Sachsen-Anhalt, hat sich gegen dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis entwickelt. Die meisten Betreuungsverhältnisse werden von Betreuungsvereinen mit hauptamtlichen Betreuern durchgeführt. Die professionellen Betreuer erhalten aus der Staatskasse je nach Qualifikation einen Betrag von 17,50 bis 30 € pro Stunde.

Infolgedessen schlagen sich die Kosten für die hauptamtlichen Betreuer im Justizhaushalt mit einer zunehmenden Kostenbelastung nieder, die hier wiederholt dargestellt worden ist. Im Jahr 2002 waren es 9,2 Millionen €. Inzwischen sind wir bei 15,4 Millionen €, und zwar, wie wir gehört haben, mit steigender Tendenz.

Der Justizminister hat soeben gesagt, die Kosten laufen uns davon. Das ist wirklich wahr, denn bei alledem sind die Kosten, die durch das Gerichtsverfahren bzw. den

gesamten Verwaltungsaufwand entstehen, noch nicht berücksichtigt. Diese müssen wir also noch einbeziehen. Wir müssen also mindestens denselben Betrag aufsatteln, wenn nicht noch mehr.

Nicht ohne Grund ist im Betreuungsrecht deshalb der Vorrang der ehrenamtlichen vor der beruflichen Betreuung postuliert worden. Je mehr ehrenamtliche Betreuer durch die Betreuungsvereine gewonnen und fachlich begleitet werden, desto weniger teure Berufsbetreuer sind erforderlich.

Den Inhalt des SPD-Antrages unterstützen wir. Ich freue mich über die Tatsache, dass in der SPD die Erkenntnis gereift ist, die wir in den vergangenen Jahren stetig vertreten haben und um die wir auch gekämpft haben. Verwunderlich ist, dass die SPD in Sachsen-Anhalt vier Jahre gebraucht hat, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen; denn bereits im Mai 1998 gab es im Deutschen Bundestag einen Entschließungsantrag, der von CDU/CSU, FDP und SPD einstimmig beschlossen wurde. Dieser Entschließungsantrag hatte im Kern genau das zum Inhalt, was in Ihrem Antrag bzw. unserem Änderungsantrag ausgeführt wird.

Der Justizminister hat bereits darauf hingewiesen, dass sich inzwischen auch die Justizministerkonferenz mit der Kostenexplosion im Betreuungswesen wiederholt befasst hat und einstimmig den Beschluss gefasst hat, dass die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Betreuungsrecht“ bis zur Frühjahrskonferenz 2003 einen Abschlussbericht mit Handlungsempfehlungen für die Länder mit dem Ziel vorzulegen hat, die Betreuungsleistungen auf das Erforderliche zu beschränken und die Kosten wesentlich zu senken und bis zur Herbstkonferenz im November 2003 dazu einen Gesetzentwurf vorzulegen. Damit sind wesentliche Schritte getan bzw. eingeleitet.

Da der gestellte Antrag der Intention von CDU und FDP nicht erst seit heute entspricht, können wir ihn unterstützen, möchten ihn allerdings mit unserem Änderungsantrag erweitern, der das Ziel verfolgt, zukünftig eine Abkehr vom Primat der Justiz im Betreuungsrecht hin zur stärkeren Betonung der sozialen Rolle des Betreuungsrechts zu erreichen.

Ich bitte Sie, der erweiterten Fassung in unserem Änderungsantrag zuzustimmen, und bedanke mich.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Danke, Frau Abgeordnete Liebrecht. - Für die PDS-Fraktion erteile ich dem Abgeordneten Herrn Dr. Eckert das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem Antrag greift die SPD-Fraktion sicherlich ein wichtiges und im Umfang zunehmendes Problem auf. Immer mehr Menschen benötigen aus den unterschiedlichsten Gründen Betreuung und Hilfe. Zu ihnen gehören Behinderte und Ältere, aber auch Jüngere, Kranke und sozial benachteiligte Menschen.

Die im Antrag aufgeführten Handlungsschwerpunkte stellen schon seit Jahren eine Aufgabe dar und sind in ihrer Bedeutung unumstritten. Unklar ist aber, wie durch den vorliegenden Antrag die Situation der betreuten Menschen verbessert, die Qualität der Betreuung erhöht

sowie die Effektivität der eingesetzten Ressourcen gesteigert werden kann. Die der Landesregierung mit dem Antrag aufgegebenen Maßnahmen können aus unserer Sicht bestenfalls zu einer verstärkten Fachaufsicht über die laut Gesetz mit der Durchführung betrauten Behörden führen. Er läuft letztlich darauf hinaus, die Landesregierung aufzufordern, das Gesetz nunmehr ordentlich umzusetzen.

Frau Grimm-Benne, Sie wiesen darauf hin, dass Sie irgendwo nicht die richtige Formulierung hätten. Ich habe Ihrem Antrag entnommen, dass dieser von einem tiefen Misstrauen gegenüber den in der Betreuung tätigen Menschen, den Betreuungsvereinen und den Gerichten geprägt ist.

So heißt es unter Punkt 1 des Antrages, dass die Betreuung vermieden werden soll, soweit diese nicht erforderlich ist. Das steht, glaube ich, auch so im Gesetz. Dabei wird unterstellt, dass die Gerichte scheinbar nicht erforderliche Betreuungen und das auch noch in Größenordnungen veranlassen. Ich frage Sie, ob Ihnen nicht bekannt ist, dass das Gericht vor der Beschlussfassung - Frau Liebrecht hat es noch einmal zitiert - prüfen muss, ob eine ehrenamtliche Betreuung möglich ist, und erst nach dieser Prüfung der familiären, beruflichen und auch persönlichen Voraussetzungen und Bedingungen entscheidet.

Nicht gefragt wird von den Antragstellern nach den Entwicklungstendenzen, nach den Bedingungen, unter denen die Betreuung erfolgt, und wie die Bestimmungen des Betreuungsgesetzes umgesetzt werden, welche Wirkungen sie entfalten. Das wäre doch die Voraussetzung, um über eine verbesserte und effizientere Betreuung nachdenken zu können.

Oder nehmen wir den Punkt 3 des Antrages. Danach sollen ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer verstärkt zum Einsatz gelangen. Das ist natürlich zu unterstützen und mit allen Kräften zu fördern. Genau deshalb hat die PDS in den vergangenen Jahren für finanzielle Mittel für die Querschnittsaufgaben der Vereine gestritten.

Zu klären ist vor allem, was gegenwärtig die ehrenamtliche Tätigkeit erschwert oder sie gar verhindert. Wirken in diesem Bereich vielleicht auch Verordnungen der Bundesregierung in die gegenteilige Richtung?

Interessant ist auch, was in diesem Antrag nicht aufgegriffen wird, was aber unserer Meinung nach wert ist, dargestellt zu werden. Unter welchen Rahmenbedingungen wirken denn die Vereine? Welche rechtlichen, organisatorischen und materiellen Möglichkeiten haben sie, um das Ehrenamt, um die Qualifizierung und Weiterbildung ihrer haupt- und ehrenamtlichen Betreuerinnen und Betreuer zu unterstützen? Reichen beispielsweise unter den Bedingungen tendenziell komplizierter werdender Betreuungen die Jahresentschädigungen von 300 € zum Ausgleich der Aufwendungen für das Ehrenamt aus? Haben die Vereine die Möglichkeit und, wenn ja, welche, für das Ehrenamt entsprechend den Notwendigkeiten zu motivieren und zu unterstützen? Was muss getan werden, um den wachsenden sozialen Betreuungsbedarf zu befriedigen?

Wichtig wäre meiner Meinung nach auch, den hohen bürokratischen Aufwand für die Betreuerinnen und Betreuer zu verringern und zugleich darüber nachzudenken, wie die Transparenz der Kosten verbessert werden

kann. Zu prüfen wäre auch, wie das umfangreiche - ich betone: umfangreiche - Gutachterwesen eingedämmt und damit auch Kosten reduziert werden können. Man muss wissen, dass beinahe jede Änderung in der Betreuung ein entsprechendes ärztliches Gutachten zur Voraussetzung hat.

Die PDS akzeptiert und unterstützt die im Antrag formulierten Schwerpunkte als solche. Zugleich meinen wir aber, dass der Landtag der Landesregierung konkrete Aufgaben, die in ihrer unmittelbaren Kompetenz liegen, stellen sollte. Vielleicht wäre die Durchführung einer Anhörung Betroffener zunächst sinnvoller, um konkrete Handlungsoptionen für die Landesregierung herauszuarbeiten.

Der Änderungsantrag ist eigentlich eine Ergänzung um den Punkt 4. Es ist immer sinnvoll, bestehende Angebote zu vernetzen. Insofern findet er unsere Unterstützung. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der PDS)

Danke, Herr Abgeordneter Dr. Eckert. - Für die FDPFraktion rufe ich den Abgeordneten Herrn Wolpert auf.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Antrag der SPD-Fraktion greift ein Thema auf, das zwar nicht brachliegt, aber wichtig genug ist, um hier erörtert zu werden.

Das seit 1992 geltende Betreuungsrecht ersetzt die bis dahin geltenden Regelungen zur Entmündigung beim Vorliegen der Kriterien der Geistesschwäche, der Geisteskrankheit oder der verschiedenen Suchtformen. Diese sind dem alleinigen Kriterium der Hilfsbedürftigkeit gewichen. Der Minister hat bereits darauf hingewiesen, dass man an dieser Stelle ein anderes Weltbild in Gesetzesform gegossen hat.

Der Umfang und die Dauer der Betreuung richtet sich dabei nach den im Einzelfall konkret festzustellenden Umständen. Dabei sind private und andere Hilfen sowie eigene Vorsorgemaßnahmen des Betroffenen vorrangig zu berücksichtigen.

Sehr geehrter Herr Kollege von der PDS, dort setzen wir an. Die Erforderlichkeit sollte nicht erst vom Gericht geprüft werden. Die Prüfung der Erforderlichkeit einer Betreuung erübrigt sich nämlich, wenn man eine Vorsorgevollmacht vorliegen hat. Dann ist zwar in der Sache selbst, im Materiellen, ein Betreuungsbedarf gegeben, aber die öffentlich bestellte und bezahlte Betreuung fällt dadurch weg.

Nach der Einführung des Betreuungsrechts musste festgestellt werden, dass sich die Hoffnung des Gesetzgebers, die Zahl der Betreuungsfälle würde zurückgehen, nicht erfüllt hat, sondern das Gegenteil eintrat. Begleitet wird dieser Umstand durch eine regelrechte Kostenexplosion, von der wir gehört haben, dass sie mittlerweile auf 15,4 Millionen € in diesem Jahr angestiegen ist. Eine weitere Erhöhung der Kosten ist zu erwarten.

Die Entwicklung ist mehreren Faktoren geschuldet. So werden bei der Prüfung der Erforderlichkeit andere soziale Alternativen oft nicht ausreichend berücksichtigt oder ergründet. Die Aufgaben des Betreuers werden

- das kritisiere ich am meisten - nicht eindeutig genug begrenzt. Daran sind nicht die Richter schuld. Dies ist vielmehr dem Umstand geschuldet, dass das Betreuungsrecht geschichtlich gesehen zwar bei der Justiz angesiedelt ist, inzwischen aber eigentlich eher in den Sozialbereich gehört.

Die Justiz, vertreten durch die Richter vor Ort, verfügt oftmals nicht über die Kompetenz, die Erforderlichkeit der Betreuung vollständig zu beurteilen. Die Folge ist die kostenintensive Heranziehung von Sachverständigen. Fast bei jeder Entscheidung glaubt man ein ärztliches Gutachten zu benötigen. Ein weiteres Problem ist, dass die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Betreuung nicht immer ernsthaft bzw. nicht rechtzeitig in Betracht gezogen werden.

Folgt man dem Bericht des Landesrechnungshofes, so ist bei erfolgter Betreuung zu beobachten, dass zum einen die Vergütung der Betreuer zum Regelfall geworden ist, obwohl ein Vergütungsrecht nicht grundsätzlich gegeben ist. Zum anderen fehlt eine ausreichende Kostentransparenz, sodass zweifelhafte Abrechnungen möglich sind.

Das aufgeführte Beispiel eines Betreuers, der 338 Tage im Jahr jeweils mit elf Stunden nur in der Betreuung tätig gewesen sein wollte, wirft berechtigte Frage auf. Bei einem Kostenaufwand von 120 000 € jährlich ist die Frage berechtigt, ob demjenigen, der die Betreuung durchführt, in dem Betreuungsbeschluss nicht klar gemacht worden ist, worin seine eigentliche Aufgabe besteht. Fahrten zum Arzt oder andere Hilfen zur Gestaltung des Alltages gehören nicht zu den Aufgaben eines Betreuers. Er ist nur für die rechtliche Betreuung zuständig.

Die Überprüfung wird offensichtlich dadurch erschwert, dass bei der Abrechnung amtsgerichtsbezirksübergreifender Betreuer kein Abgleich der Daten bei den prüfenden Rechtspflegern vorgesehen ist. So können Doppelabrechnungen bereits aufgrund der strukturellen Anlage nicht entdeckt werden.

Ein weiterer Effekt ist sicherlich auch dem Umstand geschuldet, dass ein beruflicher Betreuer an einer Vergütung sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach ein stärkeres Interesse hat als ein ehrenamtlicher Betreuer, der damit nicht seinen Lebensunterhalt bestreitet.

Die Abrechnungsprüfung selbst ist mit einem erheblichen Aufwand verbunden und bis ins Detail letztlich nicht führbar. Der Effekt ist eine ungenaue Prüfung mit einem sehr hohen Verwaltungsaufwand.

Meine Damen und Herren! Im Antrag der SPD-Fraktion werden die richtigen Konsequenzen aus diesen Erkenntnissen gezogen. Die Anordnung von Betreuung darf nur erfolgen, wenn keine Alternativen ersichtlich sind. Die Betreuung muss auf das nötige Maß beschränkt werden. Dabei sind die inhaltlichen und Zeitlichen Grenzen aufzuzeigen. Insgesamt muss der Grundsatz „Ehrenamt vor Berufsbetreuung“ stärker beachtet werden.

Schließlich sollten die Bürger und Bürgerinnen über die Möglichkeit der eigenen Maßnahmen aufgeklärt werden, die die Erforderlichkeit von vornherein ausschließen. Zu ergänzen ist nach dem Änderungsantrag auch, dass man die Vernetzung prüfen und Möglichkeiten finden sollte, wie die sozialrechtlichen Instrumentarien anders genutzt werden können. Das ist übrigens eine Forderung der SPD auf der Bundesebene. - Danke schön.

(Zustimmung bei der FDP)

Danke, Herr Wolpert. - Zum Schluss der Debatte hat noch einmal Frau Grimm-Benne für die Antragstellerin das Wort.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte es kurz machen. Die SPD-Fraktion wird dem Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP und dem Ansinnen des Ministers, direkt abzustimmen, folgen.

Ich möchte aber der Landesregierung mit auf den Weg geben, folgende Gesichtspunkte weiterhin zu berücksichtigen. Ich finde es wichtig, dass man über die Einführung einer gesetzlichen Vertretungsmacht von Angehörigen nachdenkt, insbesondere gegenüber den Sozialbehörden, soweit dies in Bezug auf Rechtsfragen für ihre hilfsbedürftigen Angehörigen erforderlich ist.

Des Weiteren wurde bereits die Stärkung der inhaltlichen Kontrollmöglichkeiten der Vormundschaftsgerichte angesprochen, ferner die Schaffung einer Verpflichtung für die Betreuer, die aus Anlass einer Betreuung entstandenen wesentlichen Teile ihrer Akten innerhalb bestimmter Fristen aufzubewahren. Schließlich gilt es, die gegenwärtige Praxis der Einsetzung von Verfahrenspflegschaften zu überprüfen.