Danke, Herr Abgeordneter Rothe. - Wir treten jetzt in die Debatte ein. Für die PDS-Fraktion erteile ich der Abgeordneten Frau Tiedge das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich werde meine Rede nicht zu Protokoll geben, weil mir das The
Nach meiner Kenntnis ist es das erste Mal in der Geschichte des Landtages von Sachsen-Anhalt, dass eine Stellungnahme zu einem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht abgegeben wird, und das bei einem Thema, bei dem die Auffassungen der Juristen nicht weiter auseinander gehen könnten.
Umso unbefriedigender ist es nun für unsere Fraktion, dass es bei einem so brisanten und rechtlich umstrittenen Thema keine Minderheitenmeinung gegenüber dem Bundesverfassungsgericht geben wird. Wir sahen uns deshalb veranlasst, zu diesem Thema zu sprechen, da auch die Protokolle zum Bundesverfassungsgericht geschickt werden. Daher möchte ich heute noch einmal auf unsere anders lautende Rechtsauffassung hinweisen.
Das Gesetz über die Unterbringung besonders rückfallgefährdeter Personen zur Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Ordnung ist in dreierlei Hinsicht verfassungswidrig.
Erstens. Das Land hat keine Gesetzgebungskompetenz. Eine Sicherungsverwahrung mit strafrechtlichem Charakter unterfällt als strafrechtliche Norm dem Bundesrecht. Ein Lavieren zwischen strafrechtlichen und polizeirechtlichen Maßnahmen und damit eine Kompetenzverlagerung hin zu der Möglichkeit einer landesrechtlichen Gesetzgebung ist rechtlich nicht machbar.
Ein Unterbringungsgewahrsam bzw. eine Vorbeugehaft nach Polizeirecht - um so etwas würde es sich im vorliegenden Fall handeln - ist genau definiert - ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, Rolf Gössner -:
„Da es sich hier um Präventivhaft handelt, besteht gegen die Betroffenen in der Regel kein Straftatverdacht. Die Prognoseentscheidung der Polizei, die betreffende Person könne künftig Straftaten oder bestimmte Ordnungswidrigkeiten begehen, ist kaum verifizierbar. Ein Unterbringungsgewahrsam ist also Präventivhaft gegen Unschuldige. Deshalb wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur der Unterbringungsgewahrsam als kurzfristige und vorläufige Maßnahme charakterisiert, als Ultima-Ratio-Regelung, die nur zur Verhinderung einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr bzw. Straftat zulässig ist.“
An all dem fehlt es bei der Begründung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung. Die Sicherungsverwahrung kann nur unter der Bedingung eines Strafausspruchs und damit einer Schuldfeststellung erfolgen. Wir kommen damit zum zweiten Grund unserer Ablehnung.
Dieses Gesetz widerspricht dem Schuldprinzip. Die Belastung der schuldlos Verwahrten ist gravierend, insbesondere auch deshalb, weil der Vollzug von Strafe und Sicherungsverwahrung in derselben Einrichtung erfolgt und die Verwahrungsdauer wegen der Abhängigkeit von sehr bestimmten und damit fragwürdigen Kriterien nicht genau bestimmbar ist. Der Grundsatz „Keine Strafe ohne Schuld“ hat den Rang eines Verfassungsgrundsatzes.
Im Grundgesetz ist festgeschrieben, dass der Täter nicht zum bloßen Objekt der Verbrechensbekämpfung und der Verletzung seines verfassungsrechtlich geschützten sozialen Wert- und Achtungsanspruches gemacht werden darf. Ein Verstoß dagegen wäre verfassungswidrig, da gegen das Rechtsstaatsprinzip der Verhältnismäßig
keit verstoßen werden würde. Dazu käme praktisch, dass jeder von nachträglicher Sicherungsverwahrung Bedrohte alles daransetzen würde, in ein Bundesland verlegt zu werden, in dem es diese Regelung nicht gibt.
Zum Dritten verstößt das gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, der die Bundesrepublik durch Bundesgesetz zugestimmt hat. Dort heißt es in Artikel 5, dass eine Freiheitsentziehung nur an ein Strafurteil geknüpft sein darf. Man verweist auf die eingeschränkte Möglichkeit der Präventivhaft, zu der ich bereits zu Beginn Ausführungen gemacht habe. Eine Freiheitsentziehung aufgrund eines allgemeinen Gefährdungspotenzials lässt auch die Menschenrechtskonvention nicht zu.
Ich muss noch einmal mit aller Deutlichkeit sagen, dass Sie mit diesem Gesetz keine 100-prozentige Sicherheit erzielen werden, zumal dazu noch die zeitliche Begrenzung kommt. Therapieunwilligkeit bzw. erfolglos verlaufende Therapieversuche, die bei diesen Straftätern in der Regel bereits mehrere Jahre umfassen können, lassen sich nicht in Monaten verändern. Dann seien Sie lieber konsequent und sagen Sie gleich lebenslänglich und ohne Urteil wegsperren. Damit würden Sie den Kritikern von Sicherungsverwahrung Recht geben, die sagen - ich zitiere -, „dass mit der Sicherungsverwahrung Verbrecher wie unbrauchbares Material behandelt und unschädlich gemacht werden sollen.“
Das kann und darf nicht das Ziel einer bürgernahen und sozialen Rechtspolitik sein, bei der es uns - das möchte ich unmissverständlich betonen, bevor es wieder zu Irritationen kommt - darum geht, die Menschen vor schweren Straftaten zu schützen. Mit Gesetzen, die aus unserer Sicht verfassungswidrig sind, gelingt Ihnen das nicht. Aus diesem Grund werden wir der Beschlussempfehlung nicht zustimmen.
Danke, Frau Abgeordnete Tiedge. - Für die FDP-Fraktion erteile ich dem Abgeordneten Herrn Wolpert das Wort.
Der Abgeordnete Herr Wolpert verzichtet. Die SPD-Fraktion hat keinen Debattenredner angekündigt. Somit rufe ich als Debattenredner für die CDU-Fraktion Herrn Stahlknecht auf.
Danke. - Damit ist die Debatte abgeschlossen. Wir treten in das Abstimmungsverfahren zur Drs. 4/516 ein. Wer mit dieser Beschlussempfehlung einverstanden ist, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Wer ist dagegen? - Gegen die Stimmen der PDS-Fraktion ist die Beschlussempfehlung angenommen worden.
- Gut. Wir treten noch einmal in die Abstimmung über die Drs. 4/516 ein. Wer ist dafür? - Das sind die Stimmen von SPD- und CDU-Fraktion. Wer ist dagegen? - Das sind die Stimmen der PDS-Fraktion. Wer enthält sich der Stimme? - Das sind die Stimmen der FDP-Fraktion. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen worden.
Einbringerin des Antrags der Fraktion der SPD ist die Abgeordnete Frau Mittendorf. Einbringerin des Antrags der Fraktion der PDS ist die Abgeordnete Frau Dr. Hein. Zunächst erteile ich der Abgeordneten Frau Mittendorf das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir können uns, glaube ich, sehr gut daran erinnern, dass wir uns vor einigen Wochen zur Frage der Fortsetzung des Lehrertarifvertrages verständigt und darüber teilweise sehr kontrovers diskutiert haben. Jeder, der sich seit längerer Zeit mit dem Thema des Lehrerpersonals an unseren Schulen befasst - auch vor dem Hintergrund der demografischen Krise - und die Diskussion in der Öffentlichkeit über angeblich zu viele Lehrer verfolgt, weiß inzwischen, dass wir gar nicht zu viele Lehrer haben. Im Zusammenhang mit dem Lehrertarifvertrag wurde immer über einen Einstellungskorridor diskutiert, der sich als notwendig erweist, um a) die unterschiedlichen Fächerspektren abzudecken und um b) für eine mehr oder weniger gesunde Altersstruktur beim Lehrerpersonal an den Schulen in allen Schulformen zu sorgen.
Es scheint etwas widersprüchlich zu sein, wenn man vor dem Hintergrund dieser Diskussion feststellt, dass wir aufgrund der Entwicklung des Altersstrukturbaumes beim Lehrerpersonal schon heute wissen, dass uns in allen Schulformen und de facto in allen Fächern in den nächsten sechs, acht, maximal zehn Jahren der Nachwuchs an Lehrerinnen und Lehrern fehlt.
Die SPD-Fraktion hat diesen Antrag in Abstimmung mit und auf der Grundlage einer Initiative der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft eingebracht, was nicht ehrenrührig ist. Wir wissen, dass diese Gewerkschaft durchaus eine Reihe wichtiger Dinge nicht nur rechtzeitig erkennt, sondern sie auch punktgenau benennt. Wir haben diese Initiative aufgegriffen, weil - wie vielleicht einigen in diesem Haus bekannt sein dürfte - im Sommer letzten Jahres eine Veranstaltung zu diesem Thema stattfand. Auf dieser Veranstaltung wurde das Kultus
ministerium gebeten, sich mit diesem Thema intensiv auseinander zu setzen und möglichst politische Schritte einzuleiten, um dieses Problem kurz- und mittelfristig einer Lösung zuzuführen.
Die Insider wissen, dass es in allen Schulformen zu einem Lehrermangel kommen wird. Alle wissen, dass die Fächerstruktur insgesamt besetzt werden und dass dieses Thema rechtzeitig angegangen werden muss. Wir wissen alle, dass das Studium für ein Lehramt in den zwei Phasen, wie sie in der Lehrerausbildung heutzutage üblich sind - ob das eine gute Regelung ist, darüber kann man trefflich streiten -, doch einer Reihe von Jahren bedarf. Wir müssen jetzt beginnen, junge Leute - ungeachtet der öffentlichen Diskussion über angeblich zu viele Lehrer - davon zu überzeugen, ein Lehramtstudium aufzunehmen und sich mittel- oder langfristig auf den sehr schönen, aber auch sehr schwierigen Beruf einer Lehrerin oder eines Lehrers vorzubereiten.
Ich will jetzt nicht über mögliche Zahlen der nächsten Jahre diskutieren; darüber sollte im Ausschuss beraten werden.
Ich gehe kurz auf die anderen vorliegenden Anträge, den Änderungsantrag der Fraktion der CDU und den Antrag der PDS-Fraktion, ein. Ich denke, im Wesentlichen ergänzen sich diese drei Anträge. Es ist kein Problem, die im Antrag der PDS-Fraktion enthaltenen Punkte unter den Antrag der Fraktion der SPD zu subsumieren. Wenn man beide Anträge genauer anschaut, ist das durchaus möglich. Über die von der CDU aufgegriffenen Themen, etwa die Vorschläge der Kultusministerkonferenz, sollte man diskutieren. Vielleicht kann man die Anträge dann zusammenführen.
Ich möchte im Folgenden auf einige Punkte eingehen, in denen eine gewisse Brisanz steckt, die möglicherweise auf den ersten Blick nicht zu erkennen ist.
Zu Punkt 1. Die Werbekampagne für den Lehrerberuf an den Gymnasien muss schnell erfolgen, weil die Zeit drängt.
In Punkt 2 geht es um die Sicherung einer quantitativ bedarfsgerechten und qualitativ guten Lehrerausbildung an den Universitäten und an den Ausbildungsseminaren. Ich will zu diesem Punkt ergänzend einige Ausführungen machen, insbesondere vor dem Hintergrund der gestrigen Diskussion über die Entwicklung und die Perspektiven der Hochschulen. Diesbezüglich ist die Frage der Standorte der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung durchaus von großer Bedeutung.
Über die Frage, wie die Lehrerausbildung im Land Sachsen-Anhalt erfolgen soll, muss man diskutieren, wenn man bereits weiß, dass man bis zu 1 000 Studierende im Jahr bräuchte. Das ist sowohl eine Frage der Kapazität, also der Quantität, als auch eine Frage der Qualität der Ausbildung. Angesichts der Diskussion über die Finanzen und die Strukturen gestern im Bildungsausschuss werden wir uns genau über diese Problematik noch trefflich auseinander setzen müssen.
Ähnliches gilt für die Ausbildungsseminare. Das ist der Bereich, der für die zweite Phase der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung zuständig ist. Auch diesbezüglich wird vor dem Hintergrund der momentanen Nichtauslastung über die Verringerung der Zahl der Standorte diskutiert. Das sind Fragen, die im Prozess betrachtet werden müssen und zu denen der Landtag und die Landesregierung perspektivisch angelegte und kluge Entscheidungen treffen müssen.
Punkt 3 behandelt die Frage der Reform der Lehreraus-, -fort- und -weiterbildung. Dabei geht es zum einen um die Standorte an den Universitäten und zum anderen um die inhaltliche und strukturelle Ausbildung der Lehrer. Im Übrigen muss man berücksichtigen, dass die Ausbildung der Lehrer nicht nach dem Studium als beendet angesehen werden kann. Kaum ein Beruf bedarf einer derart permanenten Fort- und Weiterbildung wie der des Lehrers.
(Minister Herr Dr. Daehre: Man muss das nicht übertreiben! Man muss sich auch in naturwissen- schaftlichen Berufen weiterbilden!)
- Ich habe gesagt, kaum ein anderer Beruf; ich habe die Notwendigkeit der Weiterbildung in anderen Berufen nicht ausgeschlossen. Das mag durchaus auch sein.