Protokoll der Sitzung vom 13.03.2003

Vielleicht hatte man aber auch „Goodbye Lenin“ gesehen.

(Heiterkeit bei der SPD)

Da rufen CDU-Landtagsabgeordnete die Bürger dazu auf, Vorschläge dafür zu unterbreiten, welche Gesetze und Verordnungen abgeschafft werden könnten. Als Belohnung gibt es einen Kasten Bier oder eine Prämie.

(Heiterkeit bei der SPD - Zuruf von Herrn Kos- mehl, FDP)

Der Justizminister ruft sogar die Bürger im Rundfunk zum Mitmachen beim Bürokratieabbau auf.

(Unruhe bei der CDU)

Ja, aber war denn dieser Mann nicht zwölf Jahre Oberbürgermeister einer Stadt, müsste er nicht schon lange wissen, wo der Schuh drückt, wo zu viel oder an der falschen Stelle geregelt worden ist, welche Regelungen überflüssig sind?

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS - Unruhe bei der CDU)

Aber er packt es nicht selbst an, sondern richtet über den Äther Hilferufe ans Volk.

(Heiterkeit bei der SPD)

Aber vielleicht ist das wieder eine neue Form plebiszitärer Elemente. Oder handelt es sich um eine Wiederbelebung der MMM-Bewegung?

(Frau Mittendorf, SPD, lacht)

Es stellt sich nur die Frage, wo die „Meister von morgen“ sind.

Meine Damen und Herren! Schaut man sich die Handlungsmöglichkeiten von Landespolitik nüchtern an, so stellt man fest, in der Bildungs-, in der Innen- und teilweise in der Wirtschaftspolitik hat das Land die größten gestalterischen Möglichkeiten. Was die Schulpolitik betrifft, steht die eigentliche Reaktion auf Pisa noch aus.

(Zustimmung bei der SPD und von Frau Dr. Paschke, PDS)

In diesem Zusammenhang muss die innere Schulreform vorangetrieben werden. Die mit der achten Novelle zum Schulgesetz vorgenommenen Strukturreformen helfen den Schulen nicht bei der Bewältigung der durch die Pisa-Studie aufgezeigten Probleme. Sie verschärfen sie eher noch, wenn man die Ergebnisse ernst nimmt und über den deutschen Tellerrand hinausschaut.

(Herr Scharf, CDU: Wer hat Ihnen das aufge- schrieben?)

- Lesen Sie die „taz“ von gestern.

(Minister Herr Dr. Daehre: Die „taz!“ - Zuruf von Herrn Scharf, CDU)

Der Koordinator der Pisa-Studie Jürgen Baumert hat in der „taz“ von gestern - Herr Scharf, Sie kennen ihn vielleicht nicht - noch einmal eindringlich darauf hin

gewiesen, dass eine stärkere Trennung der Schüler in verschiedenen Schulformen die Probleme verstärkt.

(Zustimmung bei der SPD)

Wörtlich sagte er:

„Es spricht vieles dafür, die institutionelle Differenzierung der deutschen Schule eher zurückzunehmen und sie nicht weiter voranzutreiben.“

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Wer also ernsthaft meint, die Wiedereinführung der Hauptschule und die frühe Festlegung der Bildungswege seien eine innovative Reform, der verfährt nach dem Motto: Zurück in die Zukunft. Das funktioniert aber nur im Film.

(Zustimmung bei der SPD - Zuruf von der CDU)

Noch warten wir also auf echte, zukunftsweisende Reformansätze für unsere Schulen. Was die Hochschullandschaft anbetrifft, haben Sie eine hervorragende von uns geerbt.

(Herr Scharf, CDU, meldet sich zu einer Zwi- schenfrage)

- Am Ende.

(Unruhe bei der CDU)

Jetzt sind Sie auf dem besten Wege, dieses Erbe zu verspielen.

(Zustimmung von Frau Dr. Kuppe, SPD)

Natürlich ist noch nicht alles perfekt. Selbstverständlich sieht auch die SPD-Landtagsfraktion Möglichkeiten zur Steigerung der Effizienz an den Hochschulen. Aber auch hierbei gilt: Die Strukturen bedingen die finanziellen Mittel, und nicht: Die finanziellen Mittel bedingen die Strukturen. Ihre aktuelle Politik mit dem Rechenschieber oder mit dem Rasenmäher gefährdet die Entwicklung unserer Hochschulen, sie mindert das Innovationspotenzial und gefährdet so den Wirtschaftsstandort Sachsen-Anhalt.

(Zustimmung bei der SPD)

Kommen wir zur Innenpolitik. Was die Reform der Landesverwaltung anbetrifft, vollziehen Sie in weiten Teilen die von uns angelegten Reformschritte einfach nach - übrigens entgegen Ihren Äußerungen im Wahlkampf.

(Herr Scharf, CDU: Legende!)

- Das ist keine Legende. - Das beste Beispiel hierfür sind Ihre Vorstellungen zum Landesverwaltungsamt.

(Frau Budde, SPD: Ja!)

Sie kopieren unsere Reformpläne und verkaufen dies als eigene Leistung. Aber warum nicht? Solange die Richtung stimmt.

(Zustimmung bei der SPD - Zurufe von der CDU: Nein! - Unruhe)

- Natürlich. Leider habe ich zu wenig Zeit, sonst würde ich genauer darauf eingehen.

Keine Richtung, kein Konzept aber haben Sie bei der wohl wichtigsten Reform in unserem Lande, einer Reform, die unser Nachbarland Brandenburg mit einem CDU-Innenminister soeben abgeschlossen hat. Ich spreche von der Kommunalreform. - Keine Angst, ich werde

mein Leib-und-Magen-Thema nicht über Gebühr auswalzen.

(Frau Dr. Hüskens, FDP, lacht - Zustimmung von Herrn Kosmehl, FDP)

Aber wenn wir heute über Reformen sprechen, kann dieses Thema nicht ausgespart werden, zumal Sie sich, Herr Ministerpräsident, ausführlich dazu geäußert haben.

Eines Ihrer ersten Gesetze war das berüchtigte Gesetz zur Wiederherstellung der kommunalen Selbstverwaltung. Damit haben Sie eines der wichtigsten Reformvorhaben in diesem Land gestoppt.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Frau Theil, PDS)

Die Menschen im Land waren aber reformwillig, sie waren klüger als die neue Landesregierung, sie hatten begriffen, dass unser Land eine Kommunalreform dringend benötigt.

Herr Ministerpräsident, als ich die Ankündigung zur Regierungserklärung las, dachte ich im ersten Augenblick: Ist er endlich zur Besinnung gekommen und greift die Reform endlich auf? Doch Sie haben diese Chance heute wieder verpasst. Ihre Ausführungen zeigen, dass Sie sich noch nicht entscheiden können. Einerseits erkennen Sie die Notwendigkeit der Reform - ich zitiere -:

„Für die Trägerschaft bestimmter kommunaler Aufgaben ist eine Mindesteinwohnerzahl unerlässlich.“