Protokoll der Sitzung vom 16.05.2003

Bornstedts Bürgermeister Arnecke, wie Mewes kein Parteimann, erinnerte an ein Treffen mit Landrat Webel und Minister Jeziorsky vor wenigen Wochen, wo es hieß, an den 5 000 Einwohnern für die Verwaltungsgemeinschaf

ten in dünn besiedelten Gebieten werde sich nichts ändern. Wörtlich:

„Und nun zieht Herr Scharf nicht einmal ein Jahr nach der Wahl los und kippt das Wahlversprechen. Das ist moralisch höchst verwerflich. Die Landesregierung muss doch vollends gewissenlos sein. Dann hätten wir doch gleich die Reform mit Püchel durchziehen können.“

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Da ich recht früh aufgestanden bin, habe ich mir Gedanken über folgende Äußerung des Kollegen Gürth in der heutigen Ausgabe der „Volksstimme“ machen können.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Der ist gar nicht mehr drin! - Herr Bullerjahn, SPD: Er wird schon wis- sen, warum!)

- Ja, Herr Gürth ist leider nicht da. Ich würde ihn gern persönlich ansprechen. - Herr Gürth sagt in der „Volksstimme“ heute:

„Wir halten uns an unsere klare Wahlaussage: Bis 2006 wird es keine Zwangszusammenlegung von Gemeinden und keine kommunale Gebietsreform gegen den Willen der Betroffenen geben.“

Das ist so nicht korrekt. Richtig ist, dass es Äußerungen von CDU-Politikern gibt, die eine Gebietsreform der Landkreise für die Zeit nach dem Jahr 2006 nicht ausschließen. Eine Zwangszusammenlegung von Gemeinden hat die Landes-CDU auch für die Zeit nach dem Jahr 2006 nicht in Betracht gezogen, sondern stets kategorisch ausgeschlossen.

In den zehn Thesen zur Fortentwicklung der kommunalen Selbstverwaltung in Sachsen-Anhalt, die die CDULandtagsfraktion im September 2000 einstimmig beschlossen hat, heißt es:

„Eine Zerschlagung der über 1 000 identitätsstiftenden Gemeinden kommt für die CDU nicht in Betracht. Ziel einer Kommunalreform sollte vielmehr eine Verbesserung der übergemeindlichen Zusammenarbeit sein.“

Ich bringe noch wenige Beispiele aus dem Wahlkreis Aschersleben, in dem Herr Gürth und ich zu Hause sind. Einem Bericht der „Volksstimme“ vom 27. November 2000 zufolge forderte der damalige innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Herr Becker, anlässlich der Nominierung des CDU-Landratskandidaten in Schackenthal:

„Hände weg von den kleinen Gemeinden!“

(Beifall bei der CDU - Zuruf von Minister Herrn Becker - Zuruf von Herrn Gallert, PDS)

Laut „General-Anzeiger“ vom folgenden Tag erklärte Herr Gürth, dass man durch die Verheiratung dreier armer Gemeinden rein logisch keine reiche Einheitsgemeinde erhalten könne. Er formulierte den neuen Schlachtruf der CDU wörtlich wie folgt:

„Hände weg von den Kommunen!“

Am 13. Oktober 2001 berichtete die „Mitteldeutsche Zeitung“ über eine Einwohnerversammlung mit Herrn Becker in Mehringen. Dort erläuterte er, die CDU sei - Zitat - „gegen das Festlegen jeder Zielgröße vom Landkreis bis zu den Gemeinden, wie es im Zweiten Vorschaltgesetz beschlossen wurde.“ Herr Becker erklärte

weiter: „Wir wollen die kleinen Gemeinden erhalten.“ - Ein Teilnehmer unterbrach ihn: „Ist das ein Wahlversprechen?“ - „Ja!“, so die eindeutige Antwort laut dem „MZ“-Bericht.

(Frau Feußner, CDU: Stimmt doch!)

In ihrer Informationszeitung zur Landtagswahl 2002 behauptete die Ascherslebener CDU, die PDS habe den Verlust des Kreisstadt-Status vorgeschlagen und die SPD sei einverstanden. - Richtig ist, meine Damen und Herren, dass es einen Vorschlag aus der PDS-Landtagsfraktion gab, der beinhaltete, dass die drei Landkreise Aschersleben-Staßfurt, Bernburg und Schönebeck sich vereinigen. Er enthielt keine Aussage zum künftigen Kreissitz.

Herr Gürth wurde in der CDU-Zeitung mit den Worten zitiert:

„Wer zur Landtagswahl SPD und PDS wählt, beendet damit die Geschichte Ascherslebens als Kreisstadt.“

Das Thema nimmt überhaupt in dieser Zeitung breiten Raum ein. Eine Andeutung, dass eine Kreisgebietsreform nach dem Jahr 2006 kommen kann, hat Herr Gürth sich dort verkniffen.

Eine Woche vor der Landtagswahl erschien im „Super Sonntag“ Aschersleben eine Anzeige mit folgendem Inhalt:

„SPD und PDS wollen den Landkreis auflösen. Ich halte das für falsch, teuer und gefährlich. - Thomas Leimbach.“

(Zurufe von der CDU)

Herr Professor Böhmer, wenn Sie gestatten, möchte ich Sie einmal persönlich ansprechen. Sie haben anlässlich Ihrer Wahl zum Ministerpräsidenten heute vor einem Jahr hier an diesem Pult von einem „fairen und problemorientierten Wahlkampf“ gesprochen. Mich würde sehr interessieren, ob Sie diese Bewertung aufrechterhalten.

(Frau Budde, SPD: Oh, oh! - Ministerpräsident Herr Prof. Dr. Böhmer: Eindeutig ja! - Lebhafter Beifall bei der CDU)

- Das ist eine klare Auskunft.

Und, Herr Professor Böhmer, mich würde interessieren, wie Sie sich angesichts des Auseinanderfallens Ihrer Landtagsfraktion positionieren.

(Zustimmung bei der SPD - Oh! bei und Zurufe von der CDU)

Mein Eindruck ist, Herr Böhmer: Sie sind persönlich längst zu der Einsicht gelangt, dass eine kommunale Gebietsreform mit einer staatlichen Phase sowohl auf der Landkreis- als auch auf der Gemeindeebene notwendig ist.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Frau Bull, PDS: Ja!)

Dazu gab es schon vor der Landtagswahl Andeutungen von Ihnen, die aber nicht so deutlich waren, dass sie geeignet gewesen wären, die grobschlächtigen Aussagen Ihrer Wahlkampfmatadoren zu konterkarieren.

(Zustimmung bei der SPD - Herr Bischoff, SPD, lacht)

Ich erwähne, Herr Böhmer, Ihre Aussage in der Landtagsdebatte vom 17. Januar 2002, die Kosteneffizienz der Selbstverwaltung müsse die Entscheidungsprämisse sein. In der Debatte wurde von mir eine Äußerung des sächsischen Innenministers Hardraht zitiert, der sich auf seinen Kollegen Püchel und die Notwendigkeit einer positiven Haushaltsführung im kommunalen wie im staatlichen Bereich bezogen hatte. Hardraht:

„Unter den zwingenden Gesichtspunkten halte ich eine solche Reform, wie sie jetzt auch in Sachsen-Anhalt durchgeführt wird, für zwingend erforderlich.“

Im Stenografischen Bericht, Herr Ministerpräsident, ist Ihre Reaktion auf dieses Zitat festgehalten. Sie riefen: „Alles klar!“

Ich vermute, dass Herr Scharf, der wie Sie gelernter Finanzpolitiker und auch kein Hasardeur ist, sich mit Ihnen in dieser Einschätzung einig weiß und dass er deshalb seinen Vorstoß unternommen hat.

Herr Scharf verkündete laut „MZ“ vom 3. Mai 2003, die Forderung nach Mindestgrößen für Gemeinden sei kein Tabu mehr und: „Wir müssen in der kommunalen Familie effektiver werden.“ Zugleich bot er der SPD-Opposition Gespräche an. Herr Scharf sagte, er wolle die SPDOpposition ins Boot holen.

Lieber Herr Scharf, das wird schwierig. Sie werden meine Einschätzung teilen, dass Ihr Boot heute kieloben im Wasser treibt.

(Heiterkeit und starker Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Wir werfen der CDU-Fraktion unseren Gesetzentwurf als Rettungsring zu.

(Heiterkeit bei der SPD und bei der PDS - Lachen bei der CDU - Herr Schröder, CDU: So eine Ar- roganz!)

Wir wissen, die Pflicht zur Rettung aus Seenot besteht auch denen gegenüber, die sich selbst in ihre verzweifelte Lage gebracht haben.

(Heiterkeit und lebhafter Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Ein weiterer Rettungsring ist der Antrag der PDS, den zeitweiligen Ausschuss wieder einzurichten. Sie können in Ihrer jetzigen Lage mehr als einen Rettungsring brauchen.

(Zustimmung bei der SPD)

Bei der Umsetzung der Leitbildes, so wie es in den drei Vorschaltgesetzen seinen Niederschlag gefunden hat, werden wir Sie unterstützen. Wir nehmen Ihr Gesprächsangebot gerne an, Herr Scharf, und zwar im Rahmen eines zeitweiligen Ausschusses, wie von der PDS-Fraktion beantragt.

(Zuruf von Herrn Kurze, CDU)

Kein geeignetes Instrument, den Reformprozess im parlamentarischen Raum zu verankern, dürfte die Arbeitsgruppe sein, in die laut „MZ“ vom 10. Mai 2003 die Herren Scharf, Stahlknecht, Madl und Kolze berufen wurden, wo sie gemeinsam mit dem Innenminister Vorschläge zur Gebietsreform erarbeiten sollen. Der Zweck dieser Unionsarbeitsgruppe besteht wohl eher darin, den