Kein geeignetes Instrument, den Reformprozess im parlamentarischen Raum zu verankern, dürfte die Arbeitsgruppe sein, in die laut „MZ“ vom 10. Mai 2003 die Herren Scharf, Stahlknecht, Madl und Kolze berufen wurden, wo sie gemeinsam mit dem Innenminister Vorschläge zur Gebietsreform erarbeiten sollen. Der Zweck dieser Unionsarbeitsgruppe besteht wohl eher darin, den
Herrn Innenminister zum Jagen zu tragen. Man könnte auch von brutalstmöglicher Unterstützung sprechen.
(Heiterkeit und lebhafter Beifall bei der SPD und bei der PDS - Herr Dr. Schellenberger, CDU: Sind Sie im Schützenverein, oder was?)
Sie haben im Vertrauen auf die Wahlversprechen der CDU Ihr schönes Amt als Landrat aufgegeben und das Ministeramt angetreten. In dem Prozess, der Ihnen jetzt aufgezwungen wird, drohen Sie zur tragischen Figur zu werden. Am Ende müssen Sie selbst entscheiden, was Sie sich zumuten.
Wie ist der Stand Ihrer Gesetzesinitiativen? - Im Hochgefühl des Wahlsieges haben CDU und FDP das Leitbild gestürmt, indem sie den Entwurf eines Gesetzes zur Wiederherstellung der kommunalen Selbstverwaltung einbrachten und die drei Vorschaltgesetze aufhoben. Es folgte das monumentale Verwaltungsmodernisierungsgrundsätzegesetz.
Mit Schreiben vom 6. März 2003 hat die Landesregierung dem Landtag nun einen Gesetzentwurf über die Fortentwicklung der Verwaltungsgemeinschaften vorab übermittelt. Darin gibt es plötzlich Mindesteinwohnerzahlen, wenn auch noch nicht für die Mitgliedsgemeinden, so doch für die Verwaltungsgemeinschaften. Die Reaktionen zeigen, dass dieser Entwurf in wesentlichen Punkten nicht die Zustimmung der Anzuhörenden findet, insbesondere nicht die des Städte- und Gemeindebundes.
Herr Innenminister, ich frage Sie: Was wird nun aus diesem Gesetzentwurf, den die Landesregierung im März zur Anhörung freigegeben hat? - Stehen Sie dazu? Liegt der Entwurf noch auf dem Tisch oder haben Sie ihn zurückgezogen? Wie wollen Sie den Konflikt auflösen, der sich daraus ergibt, dass die Übertragung substanzieller Aufgaben eine entsprechende demokratische Legitimation des Gemeinschaftsorgans erfordert und umgekehrt?
Der Städte- und Gemeindebund trat bereits mit seiner richtungweisenden Stellungnahme vom 8. Mai 2000 für eine unmittelbare demokratische Legitimation des Kollegialorgans ein; das tun wir auch, aber nicht für eine so halbgewalkte Lösung wie die von Bürgermeistern, die entsprechend der Mitgliederzahl im Gemeinderat dann dort wie im Bundesrat Stimmen abgeben sollen.
Schlimm wäre es, Herr Minister, wenn Sie vor der Übertragung von Aufgaben des eigenen Wirkungskreises zurückschreckten und diese Absicht wieder aufgäben. Sie würden sogar hinter den Gesetzentwurf zurückfallen, den die CDU-Fraktion mit der Drs. 3/453 in der letzten Legislaturperiode eingebracht hatte.
Die Frage nach der Einheitsgemeinde ist eine Scheinkontroverse. Mancher, der gegen die Vorstellungen der SPD agierte, fordert jetzt scheinheilig Einheitsgemeinden. Ich denke, die qualifizierte Verwaltungsgemeinschaft lässt sich als Zwischenschritt zur Einheitsgemeinde begreifen, aber auch als Alternative für diejenigen, die diesen weiteren Schritt vermeiden wollen. Ich bin
sicher, dass sich am Ende die Einheitsgemeinde auf freiwilligem Wege flächendeckend durchsetzen wird.
Meine Damen und Herren! Wir legen dieses Gesetzentwurf auf den Tisch, damit wir hier im Landtag etwas zu verhandeln haben. Der Landtag darf nicht länger hingehalten werden. Deshalb hege ich die Erwartung, dass auch die Koalitionsfraktionen einer Überweisung zustimmen, damit wir an diesem Thema konkret arbeiten können.
Es bietet sich an, den Gesetzentwurf in dem von der PDS-Fraktion beantragten zeitweiligen Ausschuss zu behandeln. Ein solcher Ausschuss bietet die Chance, das Parlament einzubeziehen, insbesondere die Opposition. Ein solcher Ausschuss bietet die Chance, die Dinge im Zusammenhang zu beraten. Funktional- und Gebietsreform gehören zusammen. Auch Gemeinde- und Kreisebene sind im Zusammenhang zu betrachten. Ein solcher Ausschuss eignet sich als Ansprechpartner für alle Ressorts, um deren Beiträge zur Funktionalreform einzufordern, während der Innenausschuss auf das Innenressort fixiert ist.
Herr Präsident, ich rege an, am Ende dieser verbundenen Debatte vor der Abstimmung über unseren Gesetzentwurf über den PDS-Antrag abzustimmen, damit der Ausschuss, wenn es um die Überweisung des Gesetzentwurfs geht, bereits zur Verfügung steht. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Rothe. - Meine Damen und Herren! Im Rahmen der verbundenen Debatte erteile ich nun zur Einbringung des Antrages der PDS-Fraktion dem Abgeordneten Herrn Gallert das Wort. Bitte, Herr Gallert.
Danke, Herr Präsident. - Ich kann die eben erfolgte Reaktion der Koalitionsfraktionen durchaus verstehen. Das alles tut weh - das glaube ich Ihnen gern -, aber es muss schon sein.
Ich danke meinem Vorredner ausdrücklich; er hat ganz hervorragend gezeigt, wie viele lustige Seiten man einem klassischen Schiffbruch abgewinnen kann. Das war wirklich beeindruckend, Herr Rothe.
Ich werde jetzt nicht versuchen, das noch zu toppen, denn das würde wahrscheinlich die Schmerzgrenze im rechten Flügel dieses Parlaments überschreiten. Vielmehr werde ich versuchen, die Emotionen ein bisschen auf den Boden zurückzuholen, um dieses Problem, das ja in seiner Komplexität von meinem Vorredner sehr deutlich dargestellt worden ist, vielleicht ein Stück weit nach vorn aufzumachen. Die Frage ist ja, wie man nach einem Schiffbruch zumindest wieder an Land kommt.
Die landespolitischen Spielräume sind aufgrund der finanziellen Rahmenbedingungen in dieser Bundesrepublik außerordentlich beschränkt; das wissen wir inzwischen. Wir erfahren es schmerzhaft entweder bei Haushaltsverhandlungen oder eben wie gestern aus der Presse. Da stellt sich die Frage: Welche Spielräume haben wir überhaupt noch in Sachsen-Anhalt, um auf Ent
wicklungen zu reagieren, die offensichtlich im europäischen oder im bundespolitischen Kontext so dominant sind?
Einer dieser Punkte - damit beziehe ich mich auf den Ministerpräsidenten dieses Landes - ist ganz offensichtlich die Verwaltungsreform. Hier gibt es noch Landesspielräume; das ist eben die Exekutive, an der man das verändern und effizienter machen kann, was man in vielen anderen Bereichen leider in dieser Bundesrepublik politisch nicht mehr gestalten kann. So sagte zu Beginn der Legislaturperiode eben auch der Ministerpräsident dieses Landes, diese Verwaltungsreform wäre ein zentrales Anliegen der Politik im Land. Wenn dies ein zentrales Anliegen der Politik im Land ist, dann muss an dieser Stelle wohl auch der Landtag ganz wesentlich mit in die Pflicht genommen werden, dann ist es ganz wesentlich seine Aufgabe, diesen Prozess mitzugestalten.
Was ist seitdem aber passiert? - Seitdem sind die Vorschaltgesetze, die in einem dreijährigen und vielseitigen Arbeitsprozess in der letzten Legislaturperiode erarbeitet worden sind, inklusive eines entsprechenden Antrags zur Funktionalreform faktisch aufgehoben worden bzw. im Papierkorb gelandet. Entsprechende Vereinbarungen mit den Landesbediensteten in diesem Land sind im Papierkorb gelandet. Es gab zunächst einmal den totalen Stopp aller Bemühungen, und zwar sehr wohl bezogen auf die entsprechenden Wahlversprechen, die die CDU im Wahlkampf gemacht hat.
Mein Vorredner hat die entsprechenden Äußerungen aus der Verwaltungsgemeinschaft Nördliche Börde zitiert. Es wird vielleicht den einen oder anderen nicht verwundern, dass dies Reaktionen auf einen Besuch von PDS-Vertretern in eben dieser Verwaltungsgemeinschaft gewesen sind, wo der Vorwurf des knallharten und skrupellosen Wahlbetruges in noch viel schärferer Form von CDU-Mitgliedern und Parteilosen vorgebracht wurde, als es hier von Herrn Rothe zitiert worden ist. Wir haben es also in Bezug auf die Äußerungen, die es in den letzten Wochen gab, nicht nur hier im Land mit einer ziemlich desolaten Situation zu tun.
Das müssen Sie sich einmal überlegen: Von all diesen Dingen sind in diesen Orten Zehntausende Menschen betroffen. Sie kriegen permanent extrem widersprüchliche, ja sozusagen sich gegenseitig ausschließende Positionen von Mitgliedern der Koalitionsfraktionen und der Regierung mit. Bei ihnen entsteht wirklich ein heilloses Chaos, weil sie nicht mehr wissen, was überhaupt noch umgesetzt werden soll.
Wir meinen, in dieser Situation ist der Landtag in der Pflicht, hier einzugreifen und entsprechende Änderungen vorzunehmen, wieder eine Linie zu erarbeiten, die man dann auch erkennen kann. Ich will Ihnen nur ein einziges Beispiel noch einmal aufzeigen, weil es den Ministerpräsidenten dieses Landes betrifft.
Offensichtlich ist nicht nur der Kollege Scharf mit seinem Boot zur Gebietsreform in dieser Woche gekentert, nein auch dem Ministerpräsidenten widerfuhr dies. Dazu lese ich Ihnen zwei Überschriften aus der „Volksstimme“ vom heutigen Tag vor, die eine in der Lokalausgabe Osterburg/Seehausen mit Bezug auf die Rede, die der Ministerpräsident vorgestern dort hielt; die andere Überschrift bezieht sich offensichtlich auf die Fraktionsentscheidung.
Die erste Überschrift von heute kennen alle: „Reformgegner in der CDU stoppen Gemeindereform“. In derselben Zeitung, fünf Seiten weiter, steht: „Kein Zweifel:
Nun kommt die Gebietsreform doch“; auch dort beruft man sich auf Zitate des Ministerpräsidenten. Dies steht am gleichen Tag in der Zeitung.
Was meinen Sie wohl, welche Wirkung solche Meldungen bei den Betroffenen auslösen? - Wir kommen ja irgendwo immer noch mit dieser Situation zurecht. Wir können uns in den verschiedenen Gremien darüber unterhalten, aber diejenigen, die von diesem Prozess letztlich betroffen sind, sind natürlich in eine Situation gebracht worden, die man schlichtweg als unverantwortlich bezeichnen muss, ja, die dieses Land in seiner Substanz langsam zu gefährden beginnt.
Ein weiterer Effekt kommt hinzu: Wir haben es inzwischen gerade im kommunalen Bereich auch mit einer massiven Enttäuschung zu tun, und zwar von allen Seiten. Da gibt es dieses typische Beispiel der Verwaltungsgemeinschaft Nördliche Börde, wo uns als PDS-Vertretern gesagt wurde: Wir haben dafür gesorgt, dass Sie abgewählt werden, weil wir Ihre Verwaltungsreform nicht wollten. Jetzt machen die, die wir deswegen zu Regierungsparteien gemacht haben, letztlich genau dasselbe. - Was meinen Sie, welche politische Tiefenwirkung dies haben wird?
Die andere Seite, diejenigen, die sich in den letzten Jahren gerade im kommunalen Bereich und in den Verwaltungsinstitutionen des Landes intensiv und produktiv an diesem Prozess beteiligt haben, die diese Dinge vorbereitet haben, fragen: Was soll denn das nun? Wir haben uns hier zweieinhalb Jahre lang in den Diskussionen blutige Nasen geholt. Wir haben Energie darauf verwendet, einen Prozess voranzubringen, der dann radikal gestoppt worden ist. Und nach einem Jahr sollen wir wieder an der Stelle anfangen, an der wir vor drei Jahren schon einmal angefangen haben? Das machen wir nicht mehr mit.
Also die Situation ist verfahren und sie ist auf der kommunalen Ebene nur noch mit einem Kopfschütteln gegenüber dem Land verbunden. Das ist nun einmal so; das müssen Sie ebenfalls zur Kenntnis nehmen.
Da das Schiff bei der Kommunalreform nun offensichtlich endgültig auf Grund gelaufen ist, versucht man, sich auf die Landesverwaltungsreform zu stürzen.
Aber genau das ist das Problem. Ich kann die Landesverwaltung nicht wirklich reformieren, wenn ich nicht weiß, welche kommunale Struktur in diesem Land existiert.
Wie will ich denn über Aufgaben, die ich vielleicht auf die kommunale Ebene hinuntergebe, entscheiden, wenn ich nicht weiß, wie dieser kommunale Bereich aussieht? Wie will ich denn Aufgaben in diesem Land in der Fläche verteilen, wenn ich nicht weiß, wie die Fläche in der Struktur durch kommunale Verwaltungen überhaupt verwaltet wird? - Das geht nicht; das funktioniert nicht.
Wenn Sie das Problem der Gebietsreform nicht lösen, dann werden Sie auch keine Landesverwaltungsreform realisieren können.
Deshalb stehen die Dinge im Zusammenhang. Deshalb wollen wir diesen Ausschuss haben, der diese Dinge auch im Zusammenhang diskutiert.
Die Dinge gehen aber noch viel weiter. Wir haben als Landtag in vielerlei Beziehung kaum noch die Möglichkeit, in die entsprechenden Verfahren einzugreifen, und zwar deshalb nicht, weil wir oft durch Zufall - entweder durch Beschäftigte oder aus der Zeitung oder aus was weiß ich für Quellen - erfahren, was die Landesregierung nun gerade vorhat oder worüber diskutiert wird.
Beispiel Katasterverwaltung. Diese Problematik kennen die meisten, die in diesem Hause sitzen. Die Umstrukturierungspläne werden in den Zeitungen vorgestellt. Vertreter der PDS-Fraktion versuchen mit Betroffenen in der Katasterverwaltung zu reden und bekommen die Antwort: Nein, machen wir nicht, dürfen wir nicht; die Dinge sind im Grunde genommen noch nicht ausgereift. - Ja, klar, wenn sie ausgereift sind, brauche ich mit den Leuten nicht mehr darüber zu reden. Ich will aber als Landtagsabgeordneter mein Recht wahrnehmen, in diesen Prozess mit eingreifen zu können.