Protokoll der Sitzung vom 12.06.2003

Beratung

a) Konzept zum Erhalt und zum Ausbau der Polizeipräsenz in der Fläche

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 4/790

b) Personalentwicklung der Landespolizei

Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 4/796

Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 4/828

Den Antrag in Drs. 4/790 bringt Herr Gärtner für die PDS-Fraktion ein. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es herrscht Unruhe unter den Polizistinnen und Polizisten und den Verwaltungsangestellten in den Polizeidirektionen im Land. Im Wochenrhythmus erreichen sie zurzeit die Hiobsbotschaften von der Landesregierung aus Magdeburg.

Meine Damen und Herren! Zeit ist es, dass wieder Ruhe in die Polizeiarbeit des Landes kommt; denn es geht nicht um irgendetwas, sondern es geht um die öffentliche Sicherheit in unserem Land.

An diesem Vorgang besonders bemerkenswert in negativer Hinsicht ist, dass man von Stellenabbauplänen der Landesregierung bei der öffentlichen Verwaltung und damit auch bei der Polizei zwar regelmäßig etwas in der Zeitung lesen kann, die Berufsverbände wie auch das Parlament dabei allerdings außen vor bleiben. Das war auch schon bei der Auflösung des Bereitschaftspolizeistandortes Halle der Fall.

(Herr Gürth, CDU: Ist das Ihre Rede?)

Ich sage Ihnen, neben den inhaltlichen Punkten ist das, sehr geehrter Herr Innenminister, schlechter Stil und hätte zu Ihren Oppositionszeiten zu außerordentlich viel Unmut geführt. Ich sehe den damaligen innenpolitischen Sprecher der CDU-Fraktion und heutigen Justizminister Becker an dieser Stelle immer bildlich vor mir. Weil es ein Thema des Parlaments sein muss, haben wir und die SPD-Fraktion dazu entsprechende Anträge in den Landtag eingebracht.

Meine Damen und Herren! Wir wollten schon während der Haushaltsberatungen das eingeforderte Konzept zum Stellenabbau bei der Polizei endlich auf den Tisch gelegt bekommen. Der in der Öffentlichkeit bekannte Plan sieht vor, bis Ende 2004 im Vollzug 1 147 und in der Verwaltung 1 110 Stellen abzubauen. Diese neuen Zahlen gehen weit über die Vereinbarung hinaus, die im Rahmen des Bündnisses für Arbeit in der Polizei in der letzten Legislaturperiode abgeschlossen wurde. Danach sollten bis 2010 im Verwaltungsbereich 1 000 Stellen abgebaut werden.

Derzeit kommt auf ungefähr 315 Einwohnerinnen und Einwohner ein Polizist. Als eigentliche Richtgröße war damals ein Polizist für 340 Einwohnerinnen und Einwohner vorgesehen. Nun hat die Landesregierung willkürlich die Zielmarge geändert. Ein Polizist soll auf 365 Einwohnerinnen und Einwohner kommen. Aus welchen inhaltlichen Gründen das passiert, bleibt bislang das Geheimnis der Landesregierung, des Innenministers.

(Herr Gürth, CDU: Sind Sie für mehr oder für we- niger Polizei?)

Die Veränderung dieser Zielmarge war auch schon im Herbst bekannt. Insofern war ich sehr überrascht zu lesen, dass in der Altmark beim Abgeordneten Schulz große Aufregung vorhanden ist, weil es zu einer Ausdünnung der Polizei in der Fläche kommen soll. - Das ist ein ganz logischer Schritt, wenn man diese Veränderung der Zielgröße vornimmt. Das haben Sie selbst mitbeschlossen. Insofern müssen Sie keine Anfrage an die Landesregierung stellen. Das ist die logische Konsequenz Ihrer Politik.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren! Die Landesregierung hat ohne Not den Konsens zwischen Regierung, Parlament und Berufsverbänden aufgekündigt. Im Übrigen macht das eines deutlich: Offenbar ist es nicht mehr der Innenminister, der für die Polizei zuständig ist, sondern es ist der Finanzminister Paqué. Die PDS befürchtet als Folge des Personalabbaus nach dem Rasenmäherprinzip eine Einschränkung der Flächenpräsenz der Polizei, eine Verschlechterung der Aufklärungsquote und einen Anstieg der Kriminalität.

Mit der Regelung, dass die im Vollzugsbereich beschäftigten Beamten ab dem 50. Lebensjahr von großzügigen Abfindungs- und Altersteilzeitregelungen Gebrauch machen können, wird aus unserer Sicht ein großer Fehler

begangen. Mit einem Schlag verlieren wir fast die gesamte mittlere Führungsebene der Polizei. Wie das ausgefüllt werden soll, kann momentan niemand sagen. Ich halte das für die Führungsarbeit in der Polizei für außerordentlich verhängnisvoll.

Es liegen Informationen vor, dass beispielsweise im Verwaltungsbereich der Polizeidirektion Dessau von derzeit 353 Angestellten 193 Stellen wegfallen bzw. Leute entlassen werden sollen. Wie das am Ende kompensiert werden soll, ist auch hier völlig offen; denn die Arbeit bleibt, nur die Leute sind weg. Das heißt in der Übersetzung: Das, was der Polizist bislang auf der Straße an Zeit verbringen konnte, muss er dann wieder mehr am Schreibtisch verbringen. Das kann nicht Sinn und Zweck der Maßnahme sein.

Unter anderem soll auch der Pkw- und Technikbereich privatisiert werden. Das wurde bereits in anderen Ländern erprobt, ist dort gescheitert und wird zum Teil wieder rückgängig gemacht; denn Polizeifahrzeuge und Polizeitechnik müssen jederzeit einsatzbereit sein. Dies hat sich in der Praxis in diesen Ländern gezeigt.

Eines wird offensichtlich: Bei der Stellenplanung für die Polizei spielen Inhalte zurzeit keine Rolle. Offenbar soll gespart werden, und zwar um jeden Preis.

Genau aus diesem Grund haben wir heute diesen Antrag gestellt. Wir fordern die Landesregierung auf, umgehend ein detailliertes Konzept zur Umsetzung der beabsichtigten Polizeistrukturreform einschließlich des geplanten Personalstellenabbaus bei der Landespolizei im Vollzugs- wie im Verwaltungsbereich vorzulegen.

In diesem Zusammenhang ist darzustellen, wie sich der Stellenabbau im Polizeivollzug und in der Polizeiverwaltung auf die Flächenpräsenz und damit auf die praktische Handlungsfähigkeit unserer Polizei in SachsenAnhalt einschließlich der Folgen für die öffentliche Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger auswirkt. Außerdem fordern wir eine Darstellung der Umsetzung des Konzeptes unter dem Aspekt der Berücksichtigung von sozialverträglichen Lösungen beim Personalabbau.

Zudem halten wir angesichts der Brisanz des Themas eine Anhörung der Berufsverbände und der Polizeipräsidenten im Ausschuss für Inneres noch vor der parlamentarischen Sommerpause für dringend geboten.

Meine Damen und Herren! Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag bzw. beantrage zunächst die Überweisung aller Anträge, die bislang vorliegen, in den Innenausschuss, in dem eine detaillierte Beratung möglich ist. - Vielen Dank.

Danke, Herr Abgeordneter Gärtner. - Den Antrag der SPD-Fraktion in Drs. 4/796 wird der Abgeordnete Herr Rothe einbringen.

Zuvor möchte ich mich etwas korrigieren. Wenn abzusehen ist, dass wir mit dem Tagesordnungspunkt 17 noch deutlich vor halb acht - ich sage einmal: spätestens um 19.15 Uhr - fertig werden, dann würden wir diesen Tagesordnungspunkt noch am heutigen Abend behandeln. - Herr Rothe, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Während der eben von Herrn Gärtner vorgestellte

Antrag der PDS-Fraktion Festlegungen inhaltlicher Art enthält, beschränkt sich unser Antrag auf eine Berichterstattung in den Ausschüssen für Inneres und für Finanzen zu dem Thema Personalentwicklung bei der Landespolizei. Nur in den Ausschüssen reicht die Zeit für eine gründliche Erörterung der vielen Fragen, die offen sind. Um das deutlich zu machen, will ich Ihnen die Fragen aus unserem Antrag vortragen:

Erstens. Welcher Einstellungskorridor ist vorgesehen, um eine homogene Altersstruktur des Personalkörpers im Polizeivollzugsdienst und einen kontinuierlichen Ausbildungsbetrieb an der Fachhochschule der Polizei zu gewährleisten?

Zweitens. Wie gedenkt die Landesregierung mit den aufgrund der Änderung des Landesbeamtengesetzes gestellten Anträgen auf Altersteilzeit umzugehen?

Drittens. Wie soll der Abbau der in der Titelgruppe 96 veranschlagten Stellen vonstatten gehen, in welchen Jahresscheiben soll dies geschehen?

Viertens. Wie verteilt sich der Abbau auf die zentralen und dezentralen Dienststellen der Landespolizei mit ihren Untergliederungen? Wie wird unter diesen Umständen die von der Landesregierung betonte Präsenz in der Fläche aufrechterhalten?

Fünftens. Welche Anstrengungen unternimmt die Landesregierung, im Dialog mit den Partnern im Bündnis für Arbeit in der Polizei Sachsen-Anhalts Lösungen zu verhandeln, die den Stellenabbau sozialverträglich gestalten und die betriebsbedingte Kündigungen weitestmöglich entbehrlich machen?

Sechstens. Durch welches neue Personalkonzept will die Landesregierung das Konzept der Vorgängerregierung „KOPPS 2010“ ersetzen und wie fügt sich dieses Konzept in ein sicherheitspolitisches Gesamtkonzept ein?

Meine Damen und Herren! Beim Thema Personalentwicklung geht es um mehr als um die Bewirtschaftung der im Haushaltsplan veranschlagten Stellen und Mittel. Es geht um die Entwicklung des Personalkörpers insgesamt, aber auch um die Entwicklung jedes einzelnen Angehörigen der Landespolizei.

Eine zentrale Einrichtung der Personalentwicklung ist die Fachhochschule der Polizei. Sie ist zuständig für die Erstausbildung der Beamtinnen und Beamten des Polizeivollzugsdienstes, für die Aufstiegsausbildung und auch für die Maßnahmen im Zusammenhang mit dem prüfungsfreien Aufstieg lebensälterer Vollzugsbeamter. Ein ausreichendes Bewerberaufkommen ist, zumal angesichts des Geburtenrückgangs, nur erreichbar, wenn die Attraktivität des Studiums und des sich anschließenden Berufsweges gewährleistet ist.

Ein Mitglied des Senats der Fachhochschule der Polizei hat mir einen Erlass des Innenministeriums vom 8. Mai 2003 zukommen lassen, der vom Leiter der Polizeiabteilung gezeichnet ist. In diesem Erlass wird ein Beschluss des Senats der Fachhochschule vom 1. April 2003 zitiert, der da lautet:

„Der Senat der FH Polizei bittet das MI, möglichst frühzeitig eine Entscheidung der Landesregierung darüber herbeizuführen, dass Laufbahnbewerber auch in Zukunft unmittelbar nach der Laufbahnprüfung in den Landesdienst übernommen werden. Darüber hinaus sollte dafür Sorge

getragen werden, dass die bisherige Verfahrensweise der sofortigen Ernennung von Aufstiegsbeamten beibehalten wird.“

In dem Erlass des Innenministeriums an die Fachhochschule heißt es zu diesem Senatsbeschluss:

„Ich bitte um Erläuterung, inwieweit es Aufgabe des Senats der FH Polizei ist, zur oben genannten Angelegenheit Stellung zu nehmen. Darüber hinaus bitte ich um Erläuterung, welche Mitglieder des Senats in der Sitzung am 1. April 2003 an der einstimmig ausgefallenen Beschlussfassung beteiligt waren.“

(Herr Dr. Püchel, SPD: Skandal!)

Wie ich gehört habe, hat der Staatssekretär des Innenministeriums, als sich die Hochschulleitung wegen dieses Erlasses an ihn wandte, diesen letzten Satz fernmündlich aufgehoben. Beantworten musste die Fachhochschule jedoch die Frage, ob aufgrund einer Versammlung am 16. April 2003 auf dem Domplatz, an der viele Studentinnen und Studenten teilnahmen, Unterricht ausgefallen ist bzw. warum und auf wessen Veranlassung der Unterricht verschoben wurde. - Letzteres ist auf Bitten der Studenten geschehen.

Leider, meine Damen und Herren, ist dieser Erlass symptomatisch für den Umgang des Ministeriums mit der Fachhochschule, die zur gleichen Zeit einen Personalabbau im Umfang von mehr als 100 Stellen verkraften muss.

Am gleichen Tage, an dem die Versammlung auf dem Domplatz stattfand, hatte der Herr Innenminister im Innenausschuss eingeräumt, dass nach der dort erfolgten Anhörung eines Professors zur Änderung des SOG die Hochschulleitung von Mitarbeitern seines Hauses angesprochen worden sei, ohne dass es jedoch eine Sanktionierung oder Maßregelung gegeben habe.

Meine Damen und Herren! Als vor sechs Jahren die Fachhochschule der Polizei als selbständige Körperschaft des öffentlichen Rechts errichtet wurde, ging es nicht zuletzt darum, für die Polizei dem Leitbild des mündigen Staatsbürgers zur Geltung zu verhelfen. Wenn dann diese Studenten auf dem Domplatz demonstrieren, sollte man das mit Gelassenheit ertragen, auch wenn es einen nicht freut.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

In der Koalitionsvereinbarung von CDU und FDP vom Mai letzten Jahres ist zu lesen, die Konstruktion einer eigenständigen Fachhochschule habe sich in der Praxis nicht bewährt und daher werde die Koalition das Gesetz über die Fachhochschule mit dem Ziel ändern, diese wieder zu einer internen Hochschule zu machen. Künftig wäre in allen Tätigkeitsbereichen der Fachhochschule nicht nur eine Rechtsaufsicht, sondern eine Fachaufsicht des Innenministeriums gegeben.