Protokoll der Sitzung vom 13.06.2003

Wir treten nun in die Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP ein. Wer dem Änderungsantrag in der Drs. 4/826 seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Zeichen mit der Stimmkarte. - Zustimmung bei den Fraktionen der CDU und der FDP. Gegenstimmen? - Bei der PDS- und der SPDFraktion. Enthaltungen? - Sehe ich nicht. Damit ist der Änderungsantrag angenommen worden.

Wir stimmen nun über den Antrag unter Berücksichtigung des Änderungsantrages in der Drs. 4/826 ab. Wer dem so geänderten Antrag seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Zeichen mit der Stimmkarte. - Zustimmung bei den Fraktionen der CDU und der FDP. Gegenstimmen? - Bei der PDS- und der SPD-Fraktion. Enthaltungen? - Sehe ich nicht. Damit ist der Antrag in der durch den Änderungsantrag in der Drs. 4/826 geänderten Fassung angenommen worden. - Herzlichen Dank.

Meine Damen und Herren! Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:

Beratung

Standortfaktoren für die regionale wirtschaftliche Entwicklung

Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 4/794

Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 4/833

Einbringer für die SPD-Fraktion ist die Abgeordnete Frau Budde. Bitte sehr, Frau Budde.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich brauche ich den Antrag wohl gar nicht mehr einzubringen; denn wenn ich gesehen habe, was in der vorherigen Debatte passiert ist, dann vermute ich, dass diesen Antrag das gleiche Schicksal ereilen wird.

Wenn ich mir Ihren Änderungsantrag ansehe, zu dem ich erst reden werde, wenn Sie ihn eingebracht und begründet haben werden, dann komme ich zu dem Schluss, dass darin wohl nicht viel Inhaltliches enthalten ist.

(Herr Tullner, CDU: Nicht so pessimistisch!)

Ich will es trotzdem mit einigen sachlichen Argumenten versuchen. - Das Land Sachsen-Anhalt hat einen relativ großen Aufholbedarf, insbesondere in der wirtschaftlichen Entwicklung, die immer noch nicht so ist, dass man sie als selbsttragende Entwicklung bezeichnen könnte.

Wir versuchen seit Jahren, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mit einer Vielzahl von Programmen und politischen Begleitmaßnahmen so zu verändern, dass die wirtschaftliche Entwicklung vorangeht. Man sollte meinen, dass eine Landesregierung, insbesondere vor dem genannten Hintergrund, dann so klug ist, die wenigen Entwicklungskerne, die vorhanden sind, zu unterstützen. Ich denke, dass die Universitäten und die Fachhochschulen genau solche Entwicklungskerne sind.

Wer diese angreift - das tun Sie mit Ihren Plänen, jedenfalls mit denen, die uns bisher zugänglich sind; etwas anderes als Ihre Planungsanstöße kennen wir nicht -,

der verspielt damit auch ein Stück der Zukunft unseres Landes. Sie sollten die Hochschulen, die für die Wirtschaft in diesem Land in vieler Hinsicht von großer Bedeutung sind, eher unterstützen und entwickeln. Davon habe ich bisher wenig gehört.

Das, was Sie bisher tun, ist genau das Gegenteil. Dort, wo es funktionierende regionale Strukturen gibt, stellen Sie diese mit Ihren jetzigen Ansätzen - soweit sie uns bekannt sind - infrage.

Ich spreche mich nicht gegen notwendige Veränderungen aus. Profilierungen in der Sache und Reformen tun natürlich auch Not. Das ist an sich nichts Schlechtes. So weit, so gut. Wenn aber anstelle des Inhalts an erster Stelle das Geld oder - besser gesagt - die Geldnot steht - -

(Minister Herr Prof. Dr. Paqué und Minister Herr Dr. Rehberger sprechen miteinander)

- Vielleicht verhandeln Herr Paqué und Herr Minister Rehberger jetzt gerade darüber, wie man im Sinne der wirtschaftlichen Entwicklung vielleicht doch ein paar finanzielle Mittel lockermachen kann. Herr Minister, ich gehe davon aus, dass Sie das im Sinne der wirtschaftlichen Entwicklung unterstützen werden.

Wenn man in der Debatte an die erste Stelle die Geldnot stellt, nicht den Inhalt, dann ist das mit Sicherheit der falsche Ansatz. In Bezug auf das Thema Hochschullandschaft und Hochschulqualität wird das ganz sicher kein guter Ratgeber sein.

Der Ministerpräsident hat gestern in der Aktuellen Debatte zu den Perspektiven junger Menschen nachdrücklich darauf hingewiesen, wie wichtig die Zuwanderung junger Menschen auch als Studenten ist. Noch wichtiger ist es, dass wir sie hier behalten. Das muss selbstverständlich sein.

Herr Dr. Püchel hat bereits gestern darauf hingewiesen, dass das ABC des Wahlkampfes bisher noch nicht aufgegangen sei. Von „Arbeit“, „Bildung“ und „Conni“ ist noch nichts eingelöst worden; davon ist sozusagen bildlich gesagt nichts gelaufen, außer Frau Pieper. Sie ist in der Tat davongelaufen; aber vielleicht war sie auch eine der unabhängigen Gutachter und Bewerter von außerhalb und hat die Plakate selbst nicht richtig verstanden.

Die Bildung soll abgebaut werden. Das ist jetzt das Kredo. Arbeit ist noch nicht vorhanden - jedenfalls noch nicht in dem Maße, wie Sie es angekündigt haben -, um die Studenten in unseren Unternehmen zu halten. - Vielleicht habe ich mich auch nur geirrt und es war damals schon eine Kombination aus FDP- und CDU-Plakaten; denn eigentlich sollte nur für Papi Arbeit da sein und die weiblichen Studenten wollen wir vielleicht gar nicht im Land halten.

Es braucht 15 bis 20 Jahre, damit sich die Hochschulen direkt und in großem Umfang zu arbeitsplatzwirksamen Existenzgründungskernen entwickeln können. Das haben wir noch lange nicht hinter uns. Jeder, der den Strukturwandel in Nordrhein-Westfalen beobachtet oder begleitet hat, weiß, dass diese Zeithorizonte notwendig sind.

Herr Minister Rehberger hat gestern hier im Hause auf die schlechte Selbständigenquote hingewiesen. Das Land Sachsen-Anhalt belegt im Bundesvergleich immer noch den letzten Platz. Gleichzeitig haben Sie, Herr Minister, Ihrer Hoffnung Ausdruck verliehen, dass die Hochschulen mehr für eine bessere Quote tun könnten.

Einmal davon abgesehen, dass ich das Prinzip Hoffnung oder Glaube-Liebe-Hoffnung nicht unbedingt für eine Spielregel oder ein Prinzip der Politik halte, reicht es mit Sicherheit nicht aus, um das gewünschte Ergebnis zu erreichen.

Ich frage Sie, Herr Minister Rehberger: Wie soll das bitte schön funktionieren, wenn Sie die Entwicklung der Hochschulen, der Fachhochschulen und der Universitäten einschränken, anstatt sie zu befördern? Wie passen Ihre öffentlichen Ankündigungen und Verlautbarungen mit Ihrem tatsächlichen Handeln zusammen? Warum schweigen Sie, der sonst immer etwas zu erzählen hat, in dieser Diskussion? - Ich habe Ihre Stimme überhaupt noch nicht gehört.

Wir haben bewusst das Thema der wirtschaftlichen Entwicklung und der Chancen, die an den Hochschulstandorten bestehen, sowohl für Neugründungen als auch für die Entwicklung der mittelständischen Wirtschaft, von dem allgemeinen Thema der Entwicklung der Hochschulen im Land abgetrennt, weil es in der Tat ein Kernproblem und ein Sonderproblem ist, das auftreten wird, wenn Sie das tun, was in Ihren Planungsansätzen steht.

Die Hochschullandschaft - darin werden Sie mir sicherlich zustimmen - hat sich zu einem wichtigen regionalen Standortfaktor entwickelt. Das ist, glaube ich, unbestritten. Überall bestehen zahlreiche und enge Verbindungen zur regionalen Wirtschaft. Die regionale Wirtschaft profitiert auch davon.

Sie haben zu Recht, Herr Minister Rehberger, darauf hingewiesen, dass der Mittelstand - unsere Wirtschaftslandschaft ist insbesondere mittelständisch und sehr klein mittelständisch geprägt - die Ergebnisse aus Forschung und Entwicklung schnell und effektiv in wirtschaftlichen Nutzen und damit in qualitativ hochwertige Arbeitsplätze umsetzen kann. Das ist so.

Warum nehmen Sie jetzt dieser Entwicklung eine Grundlage? Es sei denn, Sie haben Ihre Planungsanstöße verändert. Das ist möglich, aber davon weiß das Parlament nichts. So wie ich Sie in der letzten Debatte verstanden habe, soll das Parlament davon auch nichts wissen, sondern es soll im Grunde genommen erst beteiligt werden, wenn der Gesetzentwurf vorliegt.

Eine inhaltlich vorausgehende Debatte findet im Parlament nicht statt. Was Sie mit Gesetzentwürfen machen, meine Damen und Herren, haben wir an den Gesetzentwürfen, die Sie bisher eingebracht haben, gesehen.

(Herr Gürth, CDU: Das ist ein ganz normales par- lamentarisches Verfahren!)

Sie führen, wenn überhaupt, eine Anhörung durch, machen die Beschlussempfehlung und dann stimmen Sie ab.

(Herr Gürth, CDU: Das ist doch Quatsch!)

Oder das Gesetz ist handwerklich so schlecht gemacht wie das Zweite Investitionserleichterungsgesetz, sodass Sie sich fünfmal in Ihren Formulierungen revidieren müssen. Inhaltlich ist aber selten etwas zu machen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Minister, falls Sie sich in den Sachverhalt noch nicht genug vertieft haben, will ich Ihnen ein paar Beispiele nennen, etwa den Bereich Gestaltung und Industriedesign der Fachhochschule Magdburg-Stendal. Die Fachhochschule beweist ihre Verbindung zur regionalen

und überregionalen sowie zur internationalen Wirtschaft in exzellenter Weise. Alle anderen Hochschulstandorte können das ebenso nachweisen; aber ich kann die ganze Liste nicht vortragen, das würde die Redezeit bei weitem überschreiten.

Für den Bereich Gestaltung und Design, der seit zwei Jahren existiert, entstehen in der Wirtschaft Partner wie die Annaberger Nutzfahrzeuge, die FuelCon AG in Barleben, das FER, die Magdeburger Werkzeugmaschinen AG, Lundin Filter und viele andere mehr. Für die internationale und die überregionale Zusammenarbeit steht die Zusammenarbeit mit der Charité in Berlin und mit Volkswagen. Das zeigt unter anderem auch die gewonnene Ausschreibung zur Schulung chinesischer Ingenieure für Volkswagen nicht etwa in Niedersachsen, sondern hier in Magdeburg, an unserem Standort.

In nur zwei Jahren haben sich vier Unternehmen gegründet, darunter Icubic und Egomind. Der Fachbereich Chemie und Pharmatechnik der Fachhochschule Magdeburg-Stendal hat in diesem Jahr zwei neue Kooperationsverträge mit einer Pharmafirma und einer Biotechnologiefirma abgeschlossen.

Lassen wir doch einfach die Wirtschaft selbst reden: Die Biotechnologiefirma Vivotec konnte bislang schon sechs Studenten einen Forschungsplatz bieten. Praktikanten, Diplomanden und studentische Hilfskräfte können so frühzeitig praktische Erfahrungen sammeln und die jungen Leute müssen nicht weggehen.

Davon ist ihr Gründer Nilius überzeugt. Seine Firma profitiere sehr von der ausgezeichneten Zusammenarbeit mit den Forschern an der Hochschule. Diesen Trend dürfe man nicht einfach abwürgen. Manfred Nilius baut auf das wirtschaftliche Verständnis der Landesregierung.

Dass der Standort Magdeburg für die Ausbildung von Studenten der Chemie und Pharmatechnik politisch gefährdet sei, kann er nicht nachvollziehen. Vielmehr müsse doch die Saat hochgepäppelt werden. Der Zugewinn an Wissen und Arbeitsplätzen sei schließlich in dieser Region besonders wichtig. - So weit der Geschäftsführer der Vivotec, Herr Nilius.

Haben Sie diese Wirtschaftsvertreter auch um eine Stellungnahme gebeten? Sie haben gestern in der Antwort auf die Frage in der Fragestunde nur allgemein gesagt, dass Sie Stellungnahmen eingeholt hätten. Von wem diese Stellungnahmen eingeholt wurden, welchen Inhalt und welche Ergebnisse sie hatten, darüber wollten Sie - auch auf Nachfrage - keine Auskunft geben.

Gleiches gilt natürlich auch für alle anderen Standorte. Die Beispiele sind vielfältig. Die Beispiele für regionale Verknüpfungen, die ich ganz bewusst an diesen beiden Stellen gewählt habe, stehen in den jetzigen Planungsanstößen zur Disposition. Sie sollten gründlich mit ihren Ministerkollegen darüber reden und prüfen, ob das der wirtschaftlichen Entwicklung gut tut oder nicht.

Derzeit werden gut ausgelastete Fachbereiche in den Planungsanstößen zur Disposition gestellt. Fragen wir uns einmal, ob ein Wirtschaftsunternehmen so handeln würde. Würde eine Wirtschaftsunternehmen ein gut eingeführtes Produkt mit hohen Absatzzahlen herunterfahren? Sie würden uns wirtschaftlichen Unverstand vorwerfen, wenn wir dieses auch nur ansatzweise diskutieren würden.

Die Innovationskraft des Landes wird in hohem Maße mit durch die Forschungs- und Wissenschaftslandschaft

geprägt. Das sind nun einmal auch unsere Universitäten und Fachhochschulen.

Jetzt als Prognose für das Jahr 2012 wegen zurückgehender Studentenzahlen Personal abzubauen hieße, neun Jahre Entwicklung aufs Spiel zu setzen. Gerade dann, wenn die Anzahl der jungen Leute zurückgeht und sie sich noch intensiver um die Wahl des Studienstandortes kümmern, müssen wir extrem gut qualifizierte und interessante Standorte haben, wie sie jetzt vorhanden sind. Das ist wichtig, damit wir dann mit der Konkurrenz mithalten können und somit wiederum einen hohen Stand an jungen und gut ausgebildeten Fachkräften haben, um sie unseren Unternehmen, die hoffentlich dann weiter entwickelt sind, zur Verfügung stellen zu können.

(Beifall bei der SPD)