Protokoll der Sitzung vom 04.07.2003

Wo war der Kommunalminister in den letzten Wochen und Monaten?

(Herr Gürth, CDU: Das ist doch Staatsfetischis- mus, was Sie hier betreiben!)

Ihr Pressesprecher jedenfalls sieht die Möglichkeiten der Städte und Gemeinden auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge mit dem neuen Gesetzentwurf eingeschränkt. „Kommunen“, sagt er, „müssen die Möglichkeit haben, sich wirtschaftlich zu betätigen, um leben zu können.“ Dazu müssen sie fair behandelt werden. Fairness ist hier nicht mehr im Spiel. Die kommunalen Spitzenverbände gehen davon aus, dass die Verschärfung der Subsidiaritätsklausel einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht mehr standhält. Ziehen Sie die Notbremse, Herr Minister Jeziorsky!

(Zustimmung bei der SPD)

Wir ziehen sie jedenfalls mit unserem Änderungsantrag. Wir wollen den gelungenen Kompromiss zwischen kommunalen Unternehmen und privater Wirtschaft nicht ohne nachvollziehbare Gründe geopfert wissen.

Wenn Sie unserem Änderungsantrag nicht zustimmen, wovon leider auszugehen ist, will ich Ihnen einmal die Prozedur darstellen, die ein kommunales Unternehmen nach Ihren neuen Regelungen durchlaufen muss. Mal ein anderes Beispiel als die Stadtwerke: Ein regionales

Unternehmen der Wohnungswirtschaft - das haben Sie angeführt, Herr Scharf - will zum Beispiel im Rahmen des Stadtumbaus unprofitable Aufgaben für den Abriss dadurch kompensieren, dass es auf den Abrissgrundstücken, auf denen möglicherweise wegen fehlender Gelder ohne Förderung abgerissen werden muss, Einfamilienhäuser bauen will. Es will möglicherweise als Vorhaben- und Erschließungsträger auftreten, also eine neue Tätigkeit ausführen.

Nach Ihrem Willen muss das Unternehmen nun der Kommunalaufsicht Preisvergleiche mit anderen Privatunternehmen vorlegen, aus denen hervorgeht, dass die beabsichtigte Tätigkeit von ihm wirtschaftlicher und besser durchgeführt werden kann als von einem anderen Unternehmen. Somit dürfte unser Unternehmen der Wohnungswirtschaft dazu verpflichtet sein, Angebote Dritter einzuholen oder gar eine Ausschreibung durchzuführen, um den erforderlichen Nachweis führen zu können. Das bedeutet zusätzliche Bürokratisierung und hätte von „Baumann und Clausen“ sein können.

(Beifall bei der SPD)

Mit Deregulierung hat das nichts zu tun. Ich erzähle Ihnen wohl kein Ammenmärchen, wenn ich behaupte, dass der Private wirtschaftlicher ist; er muss ja nicht den Abriss finanzieren. Wollen Sie das so, Herr Minister Dr. Daehre? Ihre Fraktion hat jedenfalls mehrfach in den Ausschüssen, wenn ihr die Argumente ausgingen, erwidert: Das ist so gewollt. - Die kommunale Wohnungsgesellschaft macht also den Abriss und geht Pleite; der private Erschließungsträger macht den lukrativen Eigenheimbau. Ist das die von Ihnen gewollte Investitionserleichterung?

(Zustimmung bei der SPD - Widerspruch bei der CDU)

- Nicht so viel Aufregung.

Die Stadtwerke fordern nun in ihrem offenen Brief alle Abgeordneten auf

(Zurufe von der CDU)

- bitte noch ein bisschen zuhören, Sie können dann ja abstimmen -, wenigstens zum Bestandsschutz des ursprünglichen Regierungsentwurfs zurückzukehren. Davon erhoffen sie sich Bestandsschutz für ihre bereits vor In-Kraft-Treten der neuen Gemeindeordnung bestehenden Unternehmen und hoffen möglicherweise darauf, dass mit dieser Regelung auch neue wirtschaftliche Betätigungen unter dem Unternehmensbegriff geschützt werden. Aber das, das ist gerade nicht gewollt.

Mit den Kollegen der FDP haben wir das im Ausschuss herauf und herunter diskutiert; bei den Kollegen der CDU merkte man schon ein leichtes Unbehagen. Aber man ist ja in einer Koalition und da kann man nicht immer so, wie man will.

(Lachen bei der FDP)

Lieber Herr Kollege Stahlknecht, Sie haben den tollen Satz geprägt: „Was wir machen, machen wir richtig.“ Dann machen Sie das endlich auch.

Verlassen wir nun den Artikel 2 des Investitionserleichterungsgesetzes und kommen zu einem weiteren angeblichen Investitionshemmnis, dem Bildungsfreistellungsgesetz. Es soll nun doch nicht abgeschafft werden, wie zwischenzeitlich beabsichtigt. Das sei als Entgegenkommen gegenüber den Gewerkschaften zu werten, konnte

man in Tickermeldungen lesen, also bloß eine Goodwillhandlung und kein Einsehen, dass die Qualifizierung von Arbeitnehmern ein Standortvorteil für unser Land sein könnte.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS)

Dann, meine Damen und Herren von der CDU, versuchen Sie noch, die SPD in der Öffentlichkeit zu verunglimpfen und als Verhinderer der Wiederaufnahme des Bildungsfreistellungsgesetzes darzustellen. Sie verbreiten, dass Herr Rothe und ich dagegen gestimmt hätten. Dazu kann man nur sagen: Erst machen Sie das Gesetz ganz kaputt, dann nur halb und dann sollen wir noch freudig zustimmen. - Mit unserem Änderungsantrag zeigen wir, wie wichtig uns eine umfassende Weiterbildung ist.

Auch das Wassergesetz haben Sie unter der Überschrift „Investitionserleichterung“ geändert. Der Gesetzentwurf der Landesregierung sah zunächst vor, die Pflichtaufgabe der Trinkwasserversorgung der Kommunen ganz aus dem Wassergesetz zu streichen. Die Innenministerkonferenz hatte sich erst im Mai dieses Jahres dafür ausgesprochen, dass die Bereiche Trinkwasser und Abwasser zum Kernbestand der gemeindlichen Selbstverwaltung und zum klassischen Bereich der Daseinsvorsorge gehören. Wahrscheinlich muss sich Innenminister Jeziorsky daran erinnert haben, dass auch er dafür seine Hand gehoben hat, und man besann sich, wenigstens die Vorschrift als Bestandteil des Gesetzes weiterhin beizubehalten.

Die neue Regelung zur Übertragung der Trinkwasserversorgung ist allerdings nach wie vor kritisch zu beurteilen. Es sind Folgen für die Trinkwasserqualität und den Gesundheitsschutz, den Schutz der Ressource Wasser und die Versorgungssicherheit zu erwarten.

(Zuruf von der CDU: Quatsch!)

Meine Damen und Herren! Es verstärkt sich auch bei dem gutgläubigsten Betrachter das Gefühl, dass unter der Überschrift „Investitionserleichterung“ momentan fast alles verkauft werden kann. Nur so ist zu verstehen, dass mit Artikel 1 des Gesetzentwurfs die Regelung aufgegeben wird, dass bei der öffentlichen Auftragsvergabe Unternehmen bevorzugt werden sollen, die Chancengleichheit und Familienförderung verwirklichen, oder in Artikel 5 des Gesetzentwurfs die Streichung der Verpflichtung zum barrierefreien Bauen im Bereich der Gaststätten und Beherbergungsbetriebe.

Über Artikel 10 des Gesetzentwurfs wird der Landesentwicklungsplan nicht mehr durch Gesetz, sondern von der Landesregierung aufgestellt. Der Landtag scheint also investitionshemmend zu sein, sodass man seine Rechte einschränken muss.

(Beifall bei der SPD)

Die Liste ließe sich ohne Ende fortsetzen.

Sehr geehrte Damen und Herren von der CDU und von der FDP, zum Schluss möchte ich Ihnen wenigstens ein Kompliment aussprechen: Was Sie mit der Bauordnung ändern, ist wirklich zukunftsweisend. Zukünftig können Imbiss- und Verkaufswagen auf öffentlichen Verkehrsflächen genehmigungsfrei aufgestellt werden. Herr Rothe und ich sind so begeistert, dass wir planen, auf dem Domplatz Halberstädter Würstchen zu verkaufen.

(Heiterkeit und Zustimmung bei der SPD)

Was noch genialer ist, ist die zukünftige Genehmigungsfreiheit für Garagen mit einer Grundfläche bis zu 50 m².

(Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Da haben sich wohl die Initiatoren dieser Regelung von erfolgreichen Leuten wie Bill Gates oder HewlettPackard leiten lassen, die in Garagen ihre ersten Produkte entwickelt haben und heute führende Unternehmen der Welt sind.

(Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU)

Meine Damen und Herren! Sie werden nicht an Ihren Worten gemessen, sondern an Ihren Erfolgen. Auch durch ein Zweites oder weiteres Investitionserleichterungsgesetz dieser Qualität werden Sie nichts verbessern. Im Gegenteil, Ihre Glaubwürdigkeit bei der Bevölkerung wird weiter sinken. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Danke, Frau Abgeordnete Grimm-Benne. - Meine Damen und Herren! Unsere interessante und angeregte Debatte wird mit Interesse verfolgt von den Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums am Thie in Blankenburg. Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause - Frau Dr. Hüskens, FDP: Ich hatte eine Nachfrage!)

- Frau Dr. Hüskens hatte eine Frage. Wir haben Frau Dr. Hüskens Wortmeldung nicht gesehen. Wenn Frau Grimm-Benne noch antworten würde, könnten wir dies jetzt nachholen.

(Frau Grimm-Benne, SPD: Ich habe das auch übersehen!)

Bitte sehr.

Frau Grimm-Benne, ich muss natürlich damit leben, dass Sie eine andere Auffassung zum Investitionserleichterungsgesetz haben als wir. Sie haben in einem Nebensatz ausgeführt, dass die Änderung des Wassergesetzes dazu führen würde, dass eine Gefahr für die Gesundheit entstehen würde. Zu dem Punkt möchte ich gern fragen, durch welche rechtliche Änderung Sie die Gesundheit der Menschen gefährdet sehen, die im Land mit Trinkwasser versorgt werden.

Ich sehe die Trinkwasserversorgung anders als Sie - - Sie nennen es nicht einmal mehr Daseinsvorsorge, sondern eine weitere Aufgabe der Kommunen. Ich gehe zunächst davon aus, dass Trinkwasser nach wie vor ein Lebensmittel ist.

(Herr Dr. Daehre, CDU: Werden Lebensmittel nicht privat produziert? - Weitere Zurufe von der CDU und von der FDP)

- Aber Sie, Frau Kollegin und Frau Ministerin, privatisieren und machen - ich wollte das nicht so sehr juristisch ausführen - Verträge mit Dritten, bei denen Sie nicht unbedingt die Gewähr dafür haben, dass das tatsächlich so eingehalten wird.

(Lachen bei und Zurufe von der CDU und von der FDP)

Meine Damen und Herren! Ich hatte Frau Dr. Hüskens vorhin nicht gesehen. Ich sehe jetzt, dass es zahlreiche weitere Nachfragen gibt.

(Zuruf von Frau Fischer, Merseburg, CDU)

Ich würde die Debatte jetzt nur ungern noch einmal aufmachen wollen. Frau Dr. Hüskens erhält jedoch noch einmal die Möglichkeit, eine Nachfrage zu stellen.

Frau Grimm-Benne, trinken Sie nur Mineralwasser, das aus staatlichen Abfüllanlagen kommt?