Protokoll der Sitzung vom 18.09.2003

Fraktion einmal einen Beschluss fassen wird und wohin die zukünftige Finanzierung der Musikschulen in Gänze tendiert.

Es gibt gute Gründe, bei dem von der Landesregierung vorgeschlagenen Verfahren zu bleiben, und es gibt gute Gründe, dies am Beispiel der Musikschulen anders zu bewerkstelligen. Der Abwägungsprozess läuft noch und wir werden sicherlich bis zur konkreten Verhandlung im Kulturausschuss zu einem Ergebnis gekommen sein. Wir werden dabei aber auch auf die Mithilfe der Landesregierung angewiesen sein und werden deshalb dem Antrag der PDS-Fraktion auf Unterrichtung im Ausschuss zustimmen. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei allen Fraktionen)

Danke, Herr Abgeordneter Schomburg. - Herr Abgeordneter Gebhardt, möchten Sie noch einmal erwidern? - Er verzichtet.

Damit steigen wir in das Abstimmungsverfahren zur Drs. 4/998 ein. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? Damit ist der Antrag einstimmig angenommen worden und wir verlassen den Tagesordnungspunkt 12.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 13:

Beratung

Künftige Gestaltung des Arbeitslosengeldes II

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 4/999

Einbringerin ist die Abgeordnete Frau Bull.

Meine Damen und Herren! Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe wird eine neue Leistung zutage fördern, die Grundsicherung für Arbeitslose in Form einer Kombination eines Arbeitslosengelds II. Sie wird sich wiederfinden in einem künftigen Sozialgesetzbuch II.

Dies ist quantitativ zum einen eine erhebliche „Hausnummer“ für die Beteiligten, es wird aber auch und vor allem qualitativ eine Wende damit sichtbar.

In Sachsen-Anhalt gibt es derzeit rund 170 000 Arbeitslosenhilfeempfänger. Der Sozialstatistik ist zu entnehmen, dass ca. 9 000 der Bedarfsgemeinschaften, die bereits jetzt Sozialhilfe in Anspruch nehmen, auch vom Arbeitsamt Geld bekommen. Selbst wenn ich davon ausgehe, dass in diesen Bedarfsgemeinschaften beide Erwachsene Arbeitslosenhilfeempfänger sind, dann bleiben es unter dem Strich 150 000 Menschen in SachsenAnhalt, die jetzt Arbeitslosenhilfe über der Sozialhilfe beziehen und die dann mit dem Arbeitslosengeld II erhebliche Einkommenseinbußen in Kauf nehmen müssen, nicht selten zwischen 300 und 400 € monatlich. Das sind in Sachsen-Anhalt ungefähr 88 % der jetzigen Arbeitslosenhilfeempfängerinnen und -empfänger, die dann zur Kasse gebeten werden.

Die durchschnittliche Höhe der Arbeitslosenhilfe im Osten liegt derzeit bei 465 €. Einer Studie des DGB zufolge sind es ca. 65 % der Betroffenen, die momentan zwischen 300 und 600 € an Arbeitslosenhilfe beziehen.

33 % derer beziehen über 600 €, aber auch bereits 12 % unter 300 €. Das sind diejenigen, die auf ergänzende Sozialhilfe angewiesen sind.

Das stimmt in etwa mit den Zahlen in Sachsen-Anhalt überein. Hier sind es 88 % der Betroffenen, die zum großen Teil erheblich schlechter gestellt werden.

Der Kaufkraftverlust wird enorm sein. Er wird von den Arbeitsministern Ost auf ca. 1 Milliarde € beziffert. Genau das hat auch die ostdeutschen Arbeitsminister auf den Plan gerufen.

Aber Kaufkraft hat nicht nur eine wirtschaftspolitische Komponente; es ist auch eine sozialpolitische Frage. Durchschnittlich 1 000 € für eine dreiköpfige Familie einschließlich Kindergeld, einschließlich Kinderzuschlag - und wir, die wir hier sitzen, mit ca. 5 000 € Bruttoeinkommen sollten schon einmal beginnen, darüber nachzudenken, wo wir in diesem Falle beginnen würden, Abstriche zu machen.

Wir haben an dieser Stelle schon sehr oft über den Zusammenhang diskutiert zwischen Armut und Bildung, Armut und Ausbildung und Armut und Gesundheit - diese Reihe ließe sich beliebig fortsetzen.

Die Armutsquote in Sachsen-Anhalt lag im Jahr 1998 - das ist jetzt schon reichlich vier Jahre her - bei 18 %. Wir können hier alle miteinander Prognosen darüber anstellen, wo die Armutsquote in Sachsen-Anhalt im Jahr 2005 liegen wird. Die Armutsquote bei Erwerbslosen liegt jetzt schon bei 32 %.

Dass beide Leistungssysteme reformiert und damit auch zusammengelegt werden müssen bzw. neu geordnet werden müssen, ist zwischen allen Parteien lange Konsens. Dieser Teil der Gesetzesbegründung ist durchaus unumstritten. Aber für das Ausmaß der Leistungseinschränkung kann, meine Damen und Herren - ich kann es keine Nummer kleiner formulieren -, nur eine Ideologie herhalten, nämlich die: Wenn man Arbeitslose nur ordentlich unter Druck setzt, sie sozusagen zwangsmotiviert, bekommt man es schon irgendwie hin, dass Arbeitslose und freie Arbeitsplätze irgendwie zueinander finden.

Jeder hier im Hause kennt ganz sicherlich um zwei oder drei Ecken Menschen, deren Arbeitslosenhilfe hoch genug ist, die sich sagen: Arbeiten gehen würde mich teurer kommen, als die Transferleistungen in Anspruch zu nehmen. Das sind die kühlen Rechner um des eigenen Vorteils willen. Das ist ärgerlich, meine Damen und Herren, aber es ist menschentypisch.

Nun fangen die kühlen Rechner an zu rechnen und kommen zu dem Ergebnis, dass sie mehr verdienen, wenn sie arbeiten gehen. Es bleibt nur noch die Frage zu klären, wohin sie denn arbeiten gehen sollen.

Ich möchte Ihnen ganz gern auch noch einmal die Realität vor Augen halten: Im August 2003 gab es in Sachsen-Anhalt 263 846 Arbeitslose und 10 441 freie Plätze. Ich habe es mir geschenkt, an der Stelle die Prozente auszurechnen.

Wo wollen wir also 160 000 Arbeitslosenhilfeempfänger - da sind noch nicht einmal die dabei, die Arbeitslosengeld empfangen - hinmotivieren? Genau an dieser Stelle wird eine vielbemühte Strategie zur Ideologie, die durch ständige Wiederholung einfach nicht wahrer wird. Es geht, so muss man konstatieren, nicht um den Kampf gegen Arbeitslosigkeit, sondern es geht um den Kampf gegen Arbeitslose an sich.

Ich möchte an dieser Stelle eine Sozialdemokratin zitieren, die ich sehr schätze:

„Wer sich nicht traut, grundlegende Reformen in Gang zu bringen“

- ich will dabei betonen: durchaus realistische Reformen -

„im Sinne zukunftsträchtiger Gestaltung von Erwerbsgesellschaft,“

- dass die in der Krise ist, das wissen wir alle miteinander, und dass auch kein Wirtschaftswachstum, sei es noch so stark, diese Krise beseitigen kann, das wissen wir ebenso alle miteinander -

„wer dazu den Mut nicht findet, der kann den Mangel und die Misere nur immer wieder nach unten reichen.“

Ich sage nur, wer die Körperschaftsteuer zur Subvention umwandelt, dem bleibt letzten Endes nicht viel weiter übrig, als bei den untersten Einkommensschichten einzukassieren.

(Zustimmung von Herrn Krause, PDS)

Wenn ich das in den Kontext dessen stelle, das heißt, wenn ich die Reform des SGB II in den Kontext dessen stelle, was im SGB XII auf behinderte Menschen und auf Menschen in sozialen Konfliktlagen jetzt zukommt, dann kann ich nur fragen, ob Sie eine Vorstellung davon haben, welche Sozialstruktur sich hier in diesem Lande abzeichnet und mit welchen sozialen Konflikten wir künftig miteinander zu tun haben werden.

Ich will auch klar sagen, dass es mir auf der Zunge lag, heute früh bei der Aussprache zur Großen Anfrage genau das zu fragen.

Meine Damen und Herren von der CDU, wenn ich mir die brutalstmöglichen Konzepte der hessischen CDU reinziehe, dann beschleichen mich noch ganz eigenwillige Wünsche. Dann fange ich an, mir über das politische Leben von Frau Merkel Gedanken zu machen.

(Zurufe von Herrn Tullner, CDU, und von Frau Weiß, CDU)

Und ich wünsche ihr eines: dass sie über das Jahr 2006 hinausgeht, und zwar als Parteichefin einer zugegebenermaßen nicht ganz kleinen Oppositionspartei. Auf die gesellschaftlichen Konzepte eines Herrn Koch sollte eine demokratische, liberale, modernisierte Gesellschaft verzichten.

(Beifall bei der PDS - Herr Tullner, CDU: Wir sind in Sachsen-Anhalt, nicht in Hessen!)

Danke, Frau Abgeordnete Bull, für die Einbringung. - Es ist eine Debatte mit fünf Minuten Redezeit je Fraktion vereinbart worden. Als erster Debattenrednerin erteile ich der Abgeordneten - -

(Minister Herr Dr. Rehberger: Ich melde mich für die Landesregierung!)

- Bitte sehr, Herr Minister Rehberger, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einer meiner besonders tüchtigen Mitarbeiter hat

mir angesichts des PDS-Antrages ein Wort von Theodor W. Adorno, dessen 100. Geburtstag wir in diesen Tagen gefeiert haben, aufgeschrieben, das wie folgt lautet, verehrte Frau Kollegin Bull:

„Nichts auf der Erde und nichts im leeren Himmel ist dadurch zu retten, dass man es verteidigt.“

Er wollte damit zum Ausdruck bringen, dass es wenig Zweck hat, eine Reform durchzuführen, die das Ziel der Reform nicht erreichen kann, indem man alles, was bisher existiert, mehr oder weniger erhalten will.

(Frau Bull, PDS: So ein Quatsch!)

Es ist völlig unstreitig - ich hoffe es zumindest -, dass das jetzige System von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe nicht zu retten ist,

(Frau Bull, PDS: Das war mein erster Satz!)

und zwar aus drei Gründen. Erstens. Im gegenwärtigen System von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe werden Personen in ähnlichen Lebenslagen bezüglich der passiven und aktiven Leistungen unterschiedlich behandelt. Das ist ungerecht und durch ein einheitliches Leistungsrecht und gleiche Zugangschancen zur Aktivierung für die betreffenden Zielgruppen zu ersetzen.

Zweitens. Im derzeitigen System gibt es unwirtschaftliche Doppelstrukturen und institutionelle Fehlanreize zur Kostenverlagerung. Das ist ineffizient und durch eine einheitliche Kostenträgerschaft und Aufgabenverantwortung zu ersetzen.