Protokoll der Sitzung vom 18.09.2003

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Zur Funktionalreform hat die Landesregierung im November 2002 erklärt, Leitlinie für die Übertragung von Aufgaben auf die kommunale Ebene sei der in der Großen Anfrage der PDS-Fraktion zitierte Beschluss des Landtages vom 17. Januar des letzten Jahres. Nach der Auffassung der Landesregierung sind die Landkreise für die zusätzlichen Aufgaben groß genug.

Meine Damen und Herren! In Sachen Funktionalreform schlägt der Landesregierung jetzt die Stunde der Wahrheit. Statt beispielsweise im Bereich des Immissionsschutzes Aufgaben aus den Regierungspräsidien auf die Landkreise zu übertragen, kasernieren Sie die Immissionsschützer, aus dem ganzen Land kommend, in Halle. Dafür müssen in der Fliederwegkaserne Räume teuer hergerichtet werden, die nicht benötigt würden, wenn man die Umweltexperten in die Landratsämter versetzt.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Das kostet Geld! - Zurufe von Herrn Gürth, CDU, und von Minister Herrn Dr. Daehre)

- So ist es. - Weil bei Ihnen die Funktionalreform ausfällt und weil Sie zu viele Sonderbehörden in das Landesverwaltungsamt eingliedern, wird daraus eine Mammutbehörde.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von Minister Herrn Becker)

- Herr Minister Becker, das Konzept, das Sie und Herr Jeziorsky als Abgeordnete uns als „Mammutbehörde“ vorgeworfen haben, sah eine sehr viel schlankere, mit dem Thüringer Landesverwaltungsamt vergleichbare Behörde vor.

Ich sage Ihnen jetzt die entsprechenden Zahlen. Ihren Angaben zufolge werden 1 550 Personen aus den bisherigen Regierungspräsidien im Landesverwaltungsamt beschäftigt sein. Dabei ist bereits eine Reduzierung der

Zahl der dort bisher vorhandenen Beschäftigten um 159 berücksichtigt. Hinzu kommen die Beschäftigten der Versorgungs- und Sozialverwaltung des Landes. Zurzeit sind das 722. Mit den 391 Beschäftigten der staatlichen Schulämter hat das Landesverwaltungsamt 2 663 Mitarbeiter. Die Lehramtsseminare sind noch nicht eingerechnet.

Zum Vergleich: Das Thüringer Landesverwaltungsamt hat 750 Beschäftigte, verfügt also nur über ein Drittel der Beschäftigten, die das Landesverwaltungsamt SachsenAnhalt nach der Realisierung der eben vom Innenminister genannten Einsparung von 400 Stellen haben wird.

(Herr Gürth, CDU: Dafür hätten Sie mehr Son- derbehörden gehabt!)

Das ist ein Unterschied von eins zu drei.

(Herr Scharf, CDU: Was besagt denn das?)

- Das besagt, dass Sie eine Mammutbehörde schaffen, Herr Kollege Scharf,

(Herr Gürth, CDU: Dafür hätten Sie mehr Son- derbehörden gehabt! - Zuruf von Minister Herrn Becker)

und dass wir bei einer anderen Größenordnung gelandet wären.

Die SPD-Fraktion will das Landesverwaltungsamt nicht um alle möglichen Sonderbehörden aufblähen. Wir wollen die Zahl der staatlichen Schulämter reduzieren und sie damit der sinkenden Schülerzahl anpassen. Das ist mit einem entsprechenden Personalabbau verbunden. Zu jedem Schulaufsichtsamt sollte ein Lehrerseminar gehören. Wir sehen aber keine Bündelungsrelevanz, die es rechtfertigt, diese Behörden in das Landesverwaltungsamt zu integrieren. Geschieht dies doch, darf das nicht zu einer Verschlechterung der Mitbestimmung führen.

(Zustimmung von Frau Mittendorf, SPD)

Die Landesregierung will im Schulgesetz die Vorschrift streichen, wonach der schulpsychologische Dienst seine Aufgaben möglichst schulortnah wahrzunehmen hat. Wir fordern von der Regierung, dass sie eine Kommunalisierung des schulpsychologischen Dienstes prüft, nachdem dies auch der jüngst veröffentlichte Jahresbericht des Landesrechnungshofs nahe legt.

In der Begründung zu dem Gesetzentwurf treffen Sie zur überörtlichen Sozialhilfe immerhin die Aussage, dass diese nur vorübergehend in das Landesverwaltungsamt übergeleitet wird und so weit wie möglich kommunalisiert werden soll. Als Modelle für den Träger der überörtlichen Sozialhilfe benennen Sie einen kommunalen Pflichtzweckverband, eine Anstalt des öffentlichen Rechts oder eine Sozialagentur in privatrechtlicher Form. Eine Anstalt des öffentlichen Rechts unter Beteiligung der Landkreise setzt eine Änderung des Anstaltsgesetzes voraus, die Sie in dem umfangreichen Artikelgesetz jedoch nicht vorsehen. Was soll dann die Verordnungsermächtigung? - Diese zielt ins Leere. Wie es scheint, ist diese Lösung also nicht gewollt.

Als umsetzbar bezeichnen Sie in der Begründung zu dem Gesetzentwurf einen kommunalen Pflichtzweckverband. Zu diesem Modell heißt es jedoch in dem Papier des Sozialministeriums vom 3. September 2003, das das Ministerium den Wohlfahrtsverbänden zugeleitet hat und mit ihnen erörtert, ein kommunaler Zweckverband

sei rechtlich nicht gestaltbar und scheide damit als mögliche Lösung für die Neuordnung des Bereiches Sozialhilfe aus.

(Frau Dr. Kuppe, SPD: Hört, hört! - Herr Dr. Pü- chel, SPD: Makulatur!)

Hat der Gesetzentwurf der Landesregierung ein ordentliches Mitzeichnungsverfahren durchlaufen? - Wohl kaum. Frau Bull hat das regierungsseitige Chaos anschaulich beschrieben. Die Aussagen der Regierung sind widersprüchlich und irreführend. Sie können nicht als Grundlage für eine verantwortungsvolle Beratung im Landtag dienen.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Jetzt haben sich die Fraktionen der CDU und der FDP mit einem gemeinsamen Vorschlag zum Anhörungsverfahren an den Innenausschuss gewandt. In dieser Sache können wir durchaus mitgehen. Das Schreiben der beiden Fraktionen vom 12. September 2003 schließt mit dem Satz: „Wegen der Dringlichkeit des Gesetzgebungsverfahrens bitten wir Sie, die Möglichkeiten einer gestrafften und Zeit sparenden Behandlung zu prüfen.“ - Ja, wenn die Landesregierung ihre Hausaufgaben gemacht hätte, meine Damen und Herren.

Liebe Kollegen, haben Sie ein solches Schreiben nur an den Innenausschuss gerichtet, oder auch schon einmal an den Sozialminister, den Innenminister und den Staatsminister? - Ich verstehe, dass Sie den Ministerpräsidenten nicht mit so etwas inkommodieren wollen.

Bei dem Ensemblespiel der Koalitionäre drängt sich mir die Frage auf: Warum engagiert Professor Böhmer extra noch Udo Lindenbergs Panik-Orchester?

(Heiterkeit bei der SPD)

Will er Ihnen einen Spiegel vorhalten, meine Damen und Herren?

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

- Herr Kollege Gürth!

(Herr Tullner, CDU: Nena kommt auch noch! - Herr Dr. Püchel, SPD: Mit 99 Luftballons!)

- Bei mich gibt es das nicht.

(Heiterkeit bei der SPD und bei der PDS)

In dem von der Landesregierung am 12. August 2003 beschlossenen und zur Anhörung freigegebenen Gesetzentwurf war vorgesehen, das Beamtengesetz nur insoweit zu ändern, dass der künftige Präsident des Landesverwaltungsamtes zu den so genannten politischen Beamten gehört, also jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden kann.

Am 27. August 2003 war in der „Mitteldeutschen Zeitung“ zu lesen, dass sich der Koalitionsausschuss bereits auf den Regierungsdirektor Reichelt aus dem Aufbaustab des Landesverwaltungsamtes als künftigen Vizepräsidenten geeinigt hat.

Am 2. September 2003 hat das Kabinett daraufhin den Gesetzentwurf zur Neuordnung der Landesverwaltung in der Form gebilligt, wie er uns als Drucksache unter dem Datum 9. September 2003 vorliegt. Nunmehr soll das Beamtengesetz in einem weiteren Punkt geändert werden, nämlich dahin gehend, dass die Pflicht zur Stellenausschreibung nicht mehr für stellvertretende Leiter

nachgeordneter Behörden gilt, soweit sie der Besoldungsgruppe B angehören. Das ist eine Lex Reichelt.

(Herr Scharf, CDU: Ach Quatsch!)

Nach der bisherigen Rechtslage ist die Stelle des Vizepräsidenten einer nachgeordneten Behörde auszuschreiben. Das gilt übrigens gemäß dem Thüringer Beamtengesetz auch für die Stelle des Vizepräsidenten des dortigen Landesverwaltungsamtes, eine ebenfalls mit der Besoldungsgruppe B 4 bewertete Stelle.

Die Aufhebung der Pflicht zur Stellenausschreibung durch die Gesetzesänderung ist für die Landesregierung der einzige Weg, um aus der rechtswidrigen Situation herauszukommen, dass der Koalitionsausschuss über die Besetzung einer Vizepräsidentenstelle entschieden hat, die erst durch das eben eingebrachte Gesetz geschaffen werden soll, für deren Besetzung der Koalitionsausschuss unzuständig ist und die - das ist der entscheidende Punkt - nach geltendem Recht nur im Wege einer Ausschreibung besetzt werden darf.

Die Koalitionsabgeordneten haben infolge der im Koalitionsausschuss bereits getroffenen Personalentscheidung politisch gar keine andere Wahl, als der Aufhebung der Ausschreibungspflicht zuzustimmen. Ich nenne das eine Missachtung des Parlaments durch die Landesregierung.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Erpressung! - Zustim- mung bei der SPD)

Die Koalition handelt so, als wollte sie die These illustrieren, dass sich die Parteien den Staat zur Beute machen. Das hat Bundespräsident Richard von Weizsäcker festgestellt, als Helmut Kohl Bundeskanzler war.

(Herr Tullner, CDU: Moment!)

Das Grundgesetz gebietet es, öffentliche Ämter nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung zu vergeben. Ein pfleglicher Umgang mit dem Berufsbeamtentum ist wohl das Mindeste, was man von einer konservativen Regierung erwarten darf, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der SPD - Unruhe bei der CDU)

Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, eine Frage der Abgeordneten Frau Dr. Hüskens zu beantworten.

Gern, Herr Präsident.

Frau Dr. Hüskens, Sie können Ihre Frage stellen.