Ich glaube Ihnen gern, dass Sie ein guter Wissenschaftler sind. Nur: Die Methode „Versuch und Irrtum“ können Sie auf Ihre wissenschaftlichen Untersuchungen anwenden, aber nicht auf zweieinhalb Millionen Menschen.
Meine Damen und Herren! Natürlich ist die Situation für alle öffentlichen Haushalte äußerst schwierig. Ehrgeizige Ziele mussten in allen Gebietskörperschaften begraben werden. Sie haben objektiv mit schwierigen Rahmenbedingungen zu kämpfen und sind selbstverständlich nicht für alle Probleme bei der Haushaltsaufstellung verant
wortlich. Aber dann hören Sie doch bitte schön endlich auf, von Konsolidierung und Schuldenabbau zu reden. Warum geben Sie nicht zu, dass Sie die Konsolidierung der Landesfinanzen de facto auf Eis gelegt haben?
Sie haben mit Ihren drei Haushaltsentwürfen, die wir bisher von Ihnen vorgelegt bekommen haben, insgesamt fast 3,5 Milliarden € neuer Schulden aufgenommen bzw. eingeplant. Das ist mehr, als die Vorgängerregierung in den Jahren von 1998 bis 2001, also in vier Jahren, aufnehmen musste. Seien Sie froh, dass wir in Euro rechnen. In D-Mark wäre uns allen bei diesen Zahlen schwindlig geworden.
(Zustimmung bei der SPD - Herr Tullner, CDU: Nun aber! - Herr Gürth, CDU: Da müssten Sie jetzt eigentlich rot werden, wenn Sie es nicht schon wären!)
Der Finanzminister hat einen Kurswechsel vollzogen, aber nicht in Richtung Sanierung und Konsolidierung, sondern in die entgegengesetzte Richtung, in Richtung zusätzliche Verschuldung. Das ist die Wahrheit, das sind die Fakten, und ich wäre froh, wenn Sie endlich einmal dazu stünden und nicht immer das Gegenteil behaupten würden.
Wenn es schon um Wahrheit geht: Ein Trick ist Ihnen nicht aufgegangen, nämlich der mit der Horrormeldung, dass das Land aufgrund der Mai-Schätzung im nächsten Jahr 470 Millionen € weniger zur Verfügung hätte. Sie sind eben darauf eingegangen. Herr Paqué, Sie vergaßen damals, zu erläutern, dass sich diese Verringerung auf die mittelfristige Finanzplanung und nicht auf das reale Steueraufkommen bezog, welches tatsächlich ungefähr konstant geblieben ist. Ich hätte gern einmal gewusst, ob Ihnen Ihre Kabinettskolleginnen und -kollegen dabei auf den Leim gegangen sind. Aber seien Sie beruhigt: Wenn wir es nicht aufgegriffen hätten, dann hätten es Ihnen die kommunalen Spitzenverbände garantiert noch vorgehalten.
Meine Damen und Herren! Wir brauchen einen Finanzminister, der realistisch auf die kommenden Jahre schaut und uns sowie die Öffentlichkeit nicht mit dubiosen Prognosen im Ungewissen hält. Herr Paqué, gemessen an diesen für einen Finanzminister selbstverständlichen Ansprüchen haben Sie mich bisher enttäuscht. Das können Sie auch nicht durch noch so massive Angriffe auf die Bundesregierung oder durch Verweise auf angebliche Erblasten der Vorgängerregierung übertünchen. Die Platte brauchen Sie nicht mehr aufzulegen. Die ist zerkratzt und die will auch keiner mehr hören.
Sie sind der Verantwortliche für neue Erblasten. Sie sind in Ihrem Amt innerhalb kürzester Zeit zum Schuldenprofessor mutiert. Während der Beratungen über den Nachtragshaushalt im letzten Jahr habe ich Ihnen den großen „Schluck aus der Flasche“ vorgeworfen. Sie und der Ministerpräsident haben mit dem Argument gekontert, dass man die zusätzlichen Schulden aufgrund der Haushaltsrisiken sowieso hätte aufnehmen müssen.
Das war Unsinn; denn erstens hat der Haushaltsvollzug gezeigt, dass längst nicht alle Risiken zu tatsächlichen Ausfällen geführt haben. Zweitens haben Sie gleich zu Beginn Ihrer Amtszeit Chancen verpasst, um wirklich zu sparen.
Damals wurden Sie von geneigter Stelle noch dafür gelobt und auch in Schutz genommen. Man gönnte Ihnen
einen sauberen Start ohne so genannte Erblasten. Das kostete das Land im letzten Jahr 1 Milliarde € an zusätzlicher Verschuldung. Um politisch zu punkten, haben Sie unter den Schlagworten „Abschlussbilanz“ und „Eröffnungsbilanz“ sämtlichen Spardruck herausgenommen und im Haushaltsjahr 2002 alle Leinen losgelassen. Es ist doch klar, dass niemand ans Sparen denkt, wenn er 1,5 Milliarden € an neuer Nettokreditaufnahme im Rücken hat. Der Schluck aus der Verschuldungspulle im letzten Jahr hat Sie wahrscheinlich süchtig gemacht.
Ihre zweite Chance haben Sie auch verpasst. Eigentlich war es schon die letzte. Das hatten Sie auch selbst so gesehen. Wie haben Sie im Herbst 2002 mit Blick auf den Haushalt 2003 noch getönt? - Grundsätzliches Umsteuern, die Wende hin zu echter Konsolidierung, strukturelle Veränderungen. - Das waren Ihre Schlagworte.
Es folgte Akt Nr. 2 dieses finanzpolitischen Trauerspiels. In dem Bewusstsein, dass Ihnen die angekündigte Halbierung der Neuverschuldung nicht gelingen würde, sind Sie auf den Trick mit der Beleihung des Altlastenfonds verfallen. Es wurden zusätzliche Schulden in Höhe von 150 Millionen € gemacht, die aber in keiner offiziellen Statistik auftauchen. „Effekten-Lombard-Vereinbarung“ hieß das Zauberwort der Zeit.
Deshalb steht das Land Sachsen-Anhalt in den Übersichten, die Zeitungen zur Illustration der allgemeinen Finanznot veröffentlicht haben, gar nicht so schlecht da. Aber die Neuverschuldung betrug eben nicht 750 Millionen €, sondern 900 Millionen €.
Dass Ihnen Ihr angekündigtes „strukturelles Umsteuern“ nicht gelingen würde, war spätestens zu diesem Zeitpunkt klar. Mit dem Haushaltsplanentwurf 2004 wird diese Einschätzung bestätigt. 949 Millionen € an neuen Schulden sprechen eine deutliche Sprache.
Natürlich ist mir klar, dass Sachsen-Anhalt mit dieser Strategie bundesweit nicht allein steht. Der Bund und alle Länder mussten ihre Finanzplanung aufgrund des mangelnden Wirtschaftswachstums und aufgrund des stagnierenden oder sogar zurückgehenden Steueraufkommens erheblich korrigieren.
Aber im Land Sachsen-Anhalt gibt es eine besondere Situation. Ich nenne Ihnen dazu eine Zahl. Die SPD-geführte Vorgängerregierung hat es geschafft, die Höhe der in den Jahren 1998 bis 2001 neu aufgenommenen Kredite von 937 Millionen € auf 712 Millionen € zurückzuführen. Dies geschah in Zeiten, in denen die Steuereinnahmen auch nicht in der erhofften Höhe sprudelten.
(Herr Tullner, CDU: Oh! - Minister Herr Prof. Dr. Paqué: Oh! - Weitere Zurufe von und Lachen bei der CDU)
Und dann kommen Sie. Wissen Sie, ich habe eben von Ihnen einen wunderbaren Vergleich gehört. Er stellt alles in den Schatten, was ich je erlebt habe. Wie kann ein Finanzminister in einem der neuen Bundesländer, der nun wirklich über alles Bescheid weiß, unsere Investitionsquote mit der Investitionsquote in den alten Ländern vergleichen? Peinlich, peinlich.
Ende des Jahres 2002 sind wir wieder dort angekommen, wo wir im Jahr 1997 schon einmal waren. Das ist das eigentlich Enttäuschende an Ihrer Politik. Damit und nicht mit angeblichen Konsolidierungserfolgen werden Sie, Herr Paqué, in die Geschichte der Finanzpolitik dieses Landes eingehen.
Meine Damen und Herren! Schauen wir auf den vorliegenden Haushaltsplanentwurf. Er ist ein Dokument der Planlosigkeit und nicht dafür geeignet, unser Land voranzubringen.
Irgendwie findet sich in diesem Haushaltsplanentwurf die Handschrift des Ministerpräsidenten wieder. Sie, Herr Professor Böhmer, haben in einem Interview in der Zeitung die Bevölkerung zu einer Diskussion darüber aufgefordert, wofür Sachsen-Anhalt zukünftig sein Geld ausgeben soll. Sie haben dies im Zusammenhang mit dem Volksbegehren zur Kinderbetreuung getan und die rhetorische Frage gestellt, ob lieber Fachhochschulen oder Theater geschlossen werden sollten oder ob wir nicht doch die Kürzung bei der Kinderbetreuung akzeptieren sollten. - Teile und herrsche. Im Prinzip heißt die Alternative für Sie wirklich: Kinder oder Theater.
Herr Ministerpräsident, dieser Aufruf war ein Armutszeugnis eines Politikers, der uns vor eineinhalb Jahren noch von Plakaten mit dem Spruch entgegenlächelte:
Damals haben Sie den Eindruck erweckt, als wüssten Sie ganz genau, wie Sachsen-Anhalt in kürzester Zeit vorangebracht werden kann.
Sie haben den Menschen eingeredet, dass Sie über Konzepte verfügen, dass Sie klare Vorstellungen von den notwendigen politischen Maßnahmen haben und dass Sie über die Kompetenz verfügen, um Ihre Vorstellungen umzusetzen. - Sie haben das Kind nicht geschaukelt. Sie haben alle verschaukelt.
Auch wenn es manche nicht mehr hören wollen, erinnere ich Sie immer wieder an Ihre Sprüche: Rote Laterne abwählen. Höppner geht, die Arbeit kommt. ABC - Arbeit, Bildung, Conny. Damit mein Papi hier bleibt. Wir werden das Kind schon schaukeln. Mehr Polizei. Mehr Geld für die Kommunen.
Keine Abstriche bei der Kinderbetreuung, Herr Gürth. Ein letztes kostenloses Jahr im Kindergarten. Abbau von 12 000 Stellen im Landesdienst innerhalb von drei Jahren. - Was ist davon übrig geblieben? - Nichts.
Herr Ministerpräsident, in einem Interview haben Sie sich kürzlich über die schlechte Stimmung im Land beschwert. Was erwarten Sie eigentlich von den Menschen? Sie wurden nicht wegen Ihrer Augen gewählt, sondern wegen dieser Wahlaussagen. Nach einem Jahr ist dies alles nur noch Makulatur. Deshalb dürfen Sie sich auch nicht über die schlechte Stimmung beschweren.
Ich erinnere Sie nur an Ihre eigene Aussage vom Tag nach der Landtagswahl, nachzulesen in der „MZ“: Wenn bis Weihnachten keine erlebbaren Fortschritte passiert
Ich prophezeie eines: Der Tag ist nicht mehr fern, an dem man Sie alle, wie Sie hier sitzen, fragen wird, was aus Ihren Versprechungen geworden ist und wo die vielen Arbeitsplätze geblieben sind, die Sie versprochen haben. So schnell vergessen die Menschen nicht.
Sie vergessen zum Beispiel auch die Aktivitäten des ehemaligen Direktors des Dom-Gymnasiums nicht. Was hat er nicht alles auf die Beine gestellt, als die alte Landesregierung im Jahr 1999 die Mittel für die Schulen in freier Trägerschaft kürzen wollte. Wie schrieb er doch damals: ungerechtfertigt, unsozial, Verstöße gegen die Grundsätze politischer Logik. Nun tut er selbst ungerechtfertigte Dinge, ist unsozial und verstößt gegen die politische Logik. Aber was soll es, wen interessiert schon das Geschwätz von gestern? Der Finanzminister ist - das habe ich hier mitbekommen - ohnehin ein Spätgeborener, den das alles nichts angeht, was in diesem Hause vor der Wahl im Jahr 2002 gesagt wurde.
Meine Damen und Herren! In der Debatte über das Landesverwaltungsamt sagte Herr Rothe in der vergangenen Woche, dass es dazu passen würde, wenn am 3. Oktober 2003 Udo Lindenberg mit seinem PanikOrchester nach Magdeburg kommen würde.
Dazu sage ich nur: Genau richtig. 99 Luftballons, Heißluftballons. Oder der Rufer dachte in seinem Kinderglauben vielleicht an das Lied „Wunder geschehen“.
Herr Ministerpräsident, haben Sie klare Vorstellungen von der Zukunft unseres Landes, vor allem auch solche, die umsetzbar sind? Wie sieht es mit der Initiative Mitteldeutschland in der Praxis aus?