Protokoll der Sitzung vom 23.10.2003

Der für die Durchführung dieses Gesetzes vorgegebene Zeitplan erscheint mit der Beendigung der Schaffung der Strukturen bis zum 31. Dezember 2004 relativ straff. Das ist allerdings deshalb möglich, weil die notwendigen Diskussionen aufgrund der Vorschaltgesetze bereits seit mehreren Jahren laufen und die Argumente im Wesentlichen gefunden und ausgetauscht sind. Die letztendliche Abstimmung wird deshalb innerhalb kürzester Zeit möglich sein.

Die Frist zum 31. März 2004 wird meines Erachtens fälschlicherweise als Freiwilligkeitsphase bezeichnet. Es ist nämlich nicht so, dass nach dem Ablauf dieser Frist ein freiwilliger Zusammenschluss nicht mehr möglich sein wird. Dem Innenministerium ist jedoch die Möglichkeit eröffnet worden, begleitend in diesen Prozess einzugreifen.

Meine Damen und Herren! Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes ist ein wichtiger Mosaikstein in das gesamte Reformvorhaben bezüglich der Verwaltung des Landes eingefügt worden. Durch die Umsetzung des Gesetzes werden Verwaltungsstrukturen geschaffen, die zukunftssicher sind und mittelfristig eine hohe Effektivität gewährleisten. Ich bitte Sie deshalb um Ihre Zustimmung. - Danke schön.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)

Danke, Herr Abgeordneter Wolpert. - Herr Dr. Püchel, Sie können Ihre Frage stellen.

Herr Kollege, Sie führten sinngemäß aus, dass die Räte in den kleinen Mitgliedsgemeinden nichts mehr zu entscheiden hätten, wenn Aufgabenübertragungen von den Mitgliedsgemeinden auf die Verwaltungsgemeinschaft vorgenommen werden.

(Zurufe)

Erinnern Sie sich, dass es zwischenzeitlich sogar einen Gesetzentwurf gegeben hat, der von der Landesregierung zur Anhörung freigegeben worden war, in dem genau dieses vorgesehen war, eine konsequente Aufgabenübertragung von den Mitgliedsgemeinden auf die Verwaltungsgemeinschaften? Dieser wurde nur deshalb zurückgezogen, weil es verfassungsrechtliche Bedenken gab. Ansonsten hätten Sie dies heute vertreten, aber in einem völlig anderen Sinne.

Sehen Sie, Herr Dr. Püchel, ich arbeite anders als Sie. Ich unterstelle nicht; ich gebe einfach einen Sachverhalt kund und beurteile ihn.

Die Unterstellung, dass ich etwas, was verfassungsrechtlich bedenklich ist, zu vertreten hätte, ist völlig aus der Luft gegriffen. Nur weil der Innenminister einen solchen Gesetzentwurf zur Anhörung freigegeben hat, heißt das noch lange nicht, dass ich solche Dinge tue. Das ist das eine.

(Herr Dr. Püchel, SPD, lacht)

- Darüber mögen Sie sich freuen, wie Sie wollen.

Das andere haben Sie nicht richtig verstanden. Ich habe nicht gesagt, dass die Bürger keine Lust hätten, in einen Rat hineinzugehen, wenn die Aufgaben von unten nach oben übertragen würden.

Ich habe gesagt, dass sie keine Lust haben, in einen Rat hineinzugehen, wenn vorgegeben ist, dass innerhalb der Verbandsgemeinde im Ortschaftsrat nichts mehr zu entscheiden ist, außer vielleicht die Frage, welche Farbe ein Straßenschild haben kann. Dazu werden Sie kaum noch jemanden finden. Sie finden schon jetzt kaum noch jemanden, der sich für das Ehrenamt bereit erklärt. Das ist doch die Problematik.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Weil Sie den Kommunen das Geld weggenommen haben!)

- Wir? - Das ist auch wieder eine Unterstellung, die nicht richtig ist. Das wissen Sie doch selbst.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Gucken Sie sich mal den Haushalt an!)

Aber die Kommunalfinanzen sind etwas anderes; darüber wird nachher noch extra debattiert.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Peinlich, peinlich!)

Wir können auch darüber sprechen, aber die Verantwortlichkeiten für die desolaten Kommunalfinanzen liegen doch nicht beim Land allein. Das wissen Sie doch. Fragen Sie doch einmal, wer in die Gewerbesteuer eingegriffen hat. Der Bund oder das Land? - Danke schön.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)

Danke, Herr Abgeordneter Wolpert. - Für die PDS-Fraktion spricht die Abgeordnete Frau Theil. Bitte sehr.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Das Gesetz zur Fortentwicklung der Verwaltungsgemeinschaften und zur Stärkung der gemeindlichen Verwaltungstätigkeit bleibt in seiner jetzigen Fassung selbst hinter dem Gesetzentwurf zurück, den der Abgeordnete Becker in der vergangenen Wahlperiode als Gegenstück zu den Vorstellungen zur kommunalen Gebietsreform von SPD und PDS in den Landtag eingebracht hatte.

Ich habe den Versuch unternommen, anhand dieses Gesetzentwurfes zu hinterfragen, welche Entwicklung nun für die Verwaltungsgemeinschaften im Speziellen festgeschrieben ist. Ich finde eigentlich nur einen Punkt: Maßstabsvergrößerung. Es ist eine Maßstabsvergrößerung, die eigentlich nur ein Ziel verfolgt: die magische Zahl von 10 000 Einwohnern pro Verwaltungsgemeinschaft zu erreichen und eventuell auch zu überschreiten.

Die von der CDU damals geforderte Aufgabenübertragung, etwa hinsichtlich der Flächennutzungsplanung, die Übernahme von Kindertagesstätten sowie die Übernahme der Grundschulen und überregionalen Einrichtungen als Pflichtaufgabe der Verwaltungsgemeinschaften finden wir nicht wieder.

Die Gemeindeordnung von Sachsen-Anhalt schreibt in § 10 Abs. 1 zwei Grundmodelle an der unteren kommunalen Ebene fest. Wenn wir aber von diesen zwei Modellen ausgehen und die Überschrift des Gesetzentwurfes der Verwaltungsgemeinschaft das Prä einräumt, dann verlangt das auch die Konsequenz, dass beide Modelle annähernd die gleiche Aufgabenstruktur erlangen. Diese Forderung erfüllt dieses Gesetz nicht, und es ist auch nicht gewollt.

Auf meine Anfrage im Innenausschuss an die beiden regierungstragenden Parteien, wie sie zwei gleichrangige Modelle für die Kommunen erreichen wollen, erhielt ich von Herrn Kolze von der CDU-Fraktion die Auskunft, dass es gar nicht ihr Wille sei, die zwei Modelle gleichrangig auszustatten. Sie präferieren die Einheitsgemeinde und wenn dann die Mitgliedsgemeinden der Verwaltungsgemeinschaften an ihre finanziellen Grenzen stoßen würden, dann müssten sie selbst sehen, wie sie mit diesem Problem klarkämen. - Das ist auch eine Logik, aber nicht unsere. Ich denke, das ist im Hinblick auf dieses Gesetz etwas verantwortungslos.

Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Diskussion, die wir im vergangenen Jahr im Zusammenhang mit der Abschaffung der Vorschaltgesetze in diesem Hause geführt haben. Herr Innenminister Jeziorsky, ich

hatte Ihnen am 21. Juni 2002 in meinem Redebeitrag angekündigt, dass ich Sie zu gegebener Zeit an Ihre Aussagen erinnern werde. Ihre Aussage:

„Zur Freiwilligkeit eines: Wir haben darüber geredet, dass wir einen Zwang bei kommunalen Veränderungen nicht wollen.“

(Minister Herr Jeziorsky: Machen wir doch nicht!)

Herr Wolpert von der FDP-Fraktion legte noch eines drauf:

„Wir wollen in diesem Gesetz jegliche Vorgaben hinsichtlich der Erreichung der Mindestgrößen, staatlicher Zwangsphasen und damit einhergehender zeitlicher Abfolgen beseitigen, die der kommunalen Selbstverwaltung die Luft zum Atmen nehmen.“

(Herr Dr. Püchel, SPD: Ein wunderbares Zitat!)

Dies, Herr Wolpert, ließ Hoffnung keimen. Aber ich glaube, hiermit hat sich der kleine Koalitionsbruder etwas überhoben.

Herr Kolze sprach klar von Plebisziten, die man ausrichten müsse. Sie seien für zielführende und konstruktive Anregungen aufgeschlossen. Er warf uns vor, dass wir mit der Verbandsgemeinde Verwirrung in den Köpfen unserer Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker hervorgerufen hätten.

Einen Charme hatte dieses Modell, wenngleich es nicht mein Favorit war: Wir hatten die Kleinteiligkeit überwunden. Aufgrund dieses Modellvorschlages haben viele Gemeinderäte den Schritt zur Bildung einer Einheitsgemeinde gewagt. Diesen Willen kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr feststellen.

Eine flächendeckende Diskussion zum Topmodell Einheitsgemeinde - auf diesen Begriff haben wir uns im Ausschuss als einzigen Punkt verständigen können - finde ich nicht. Selbst die Gemeinden, die ihre Bürger bereits dazu befragt hatten und eigentlich ein deutliches Veto für die Einheitsgemeinde erhalten haben, ziehen in Anbetracht des Inhalts des vorliegenden Gesetzentwurfs ihre Entscheidung zurück.

Nun treten unsere Landräte auf den Plan. Sie sind zum Gespräch beim Innenminister geladen und dort entwickeln sie ihre Visionen. Dass Landräte in diese Verantwortung eintreten, ist nicht zu bemängeln, es ist zu begrüßen. Zu bemängeln ist aber, dass die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister dazu vorher überhaupt nicht gehört wurden.

Da werden Karten in der Presse abgedruckt und Fusionsmodelle entwickelt, angesichts deren den Praktikern vor Ort die Haare zu Berge stehen. Da werden Verwaltungsgemeinschaften mit 17 und mehr Mitgliedsgemeinden in Größenordnungen von 140 km² zusammengeschlossen. Für ein solches Gebilde sind ordnungspolitische und baurechtliche Aufgaben kaum zu leisten.

Nun kommen wir zu dem Reformwillen. Diese Reform soll Modelle schaffen, die in der Lage sind, Aufgaben zu übernehmen und Bürgernähe zu garantieren. Diese Reform soll darüber hinaus zur Kosteneinsparung führen und soll Arbeitsvolumen in den Landkreisen freisetzen. Dies alles wird mit dem Gesetz nicht geleistet.

Stattdessen wollen Sie so wenig wie möglich Veränderung: keinen Zerfall von Verwaltungsgemeinschaften, am besten nur Vollfusionen, keine Kreisüberschreitung - dagegen protestiert der Landkreistag, und mit Recht, wenn es keine Kreisgebietsreform gibt. Kriterien zur Leistungsfähigkeit außer der Einwohnerzahl wolle man nicht nennen, da es von Fall zu Fall in jeder Verwaltungsgemeinschaft anders zu bewerten sei.

Zurzeit beraten die Kreistage in ihren Ausschüssen über die mittelfristige Schulentwicklungsplanung. Diese Diskussionen gehen am Gesetz zur Fortentwicklung der Verwaltungsgemeinschaften vorbei. Diese neu zu schaffenden Modelle spielen bei der Diskussion um die Schullandschaft in Sachsen-Anhalt nur eine untergeordnete Rolle. Ich fordere unseren Kultusminister auf, diese Diskussion mindestens bis zum 31. März 2004 auszusetzen. Dann muss klar sein, wohin die Entwicklung vor Ort geht.

Vertreter des Städte- und Gemeindebundes und Vertreter der Arbeitsgemeinschaft Kommunales der Verwaltungsamtleiter haben während einer Anhörung im Innenausschuss alle für die Gemeinden relevanten Probleme angesprochen und auf viele notwendige Korrekturen aufmerksam gemacht. Sie haben als Interessenvertretung der Gebietskörperschaften, Landkreise und Gemeinden, Vorschläge und Bedenken artikuliert. - Es war eigentlich vergeblich.

In den vier Jahren der letzten Wahlperiode habe ich in unzähligen Diskussionen immer wieder von der damaligen Opposition den Vorwurf an die SPD gehört, dass sie im Umgang mit Problemen arrogant und überheblich auftrete. Der Begriff „Arroganz der Macht“ wurde in jeder Landtagssitzung immer wieder in den Raum gestellt.

Sie, werte Damen und Herren der Regierungsparteien, die sich mit dieser Problematik befasst haben, haben sich Ohrstöpsel angebracht. Sie waren nicht einmal bereit, sich den Argumenten Ihrer eigenen Parteimitglieder zu öffnen.

Ein Verwaltungsamtsleiter des Burgenlandkreises hat Sie darauf aufmerksam gemacht, dass ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Kernaufgaben einer Gemeinde klar umrissen hat, Herr Wolpert, und dass damit die Möglichkeit besteht, bestimmte Aufgaben als Erfüllungsaufgaben der Verwaltungsgemeinschaft zuzuordnen. Auch diese Argumente verflogen wie Schall und Rauch.

Wenn man nun den Zeitfaktor betrachtet, in dem sich dieser ganze Prozess abspielen soll, dann sind im Hinblick auf die bevorstehenden Kommunalwahlen im nächsten Jahr durchaus Bedenken angesagt. Wenn es in Einzelfällen zu keiner einvernehmlichen Lösung auf freiwilliger Basis kommt, dann schreitet das Ministerium des Innern in Person des Innenministers zur Tat. Dafür steht die Zeit vom 1. April 2004 bis 13. Juni 2004 zur Verfügung, vorausgesetzt dass feststeht, für welches Modell und für welchen Wahlbereich die Kandidaten aufgestellt und gewählt werden sollen.

Als einen positiven Aspekt werten wir § 77, der die 100%-Beschlussklausel zur Übertragung von Aufgaben als Erfüllungsaufgaben an die Verwaltungsgemeinschaft aufhebt. Trotzdem geht auch dieser Paragraf am wirklichen Leben vorbei. Nur in wenigen Gemeinden einer Verwaltungsgemeinschaft werden noch Kindertagesstätten und Grundschulen vorgehalten und schon lange leis

ten die Gemeinden Umlanddienste für die anderen. Die finanzielle Last bleibt jedoch bei den Trägerkommunen, auch wenn wir die Kinderzahlen gegeneinander aufrechnen.

Wenn wir nun die Kommunalfinanzen und die Vorstellungen der Landesregierung für das Jahr 2004 ansehen, wobei man wiederum 100 Millionen € von den kommunalen Zuweisungen wegspart, können wir heute schon sagen, dass Investitionen in die sächliche Ausstattung der Einrichtungen nicht mehr erfolgen können.