Protokoll der Sitzung vom 23.10.2003

(Zustimmung bei der PDS)

Vielen Dank, Frau Dr. Sitte. - Herr Dr. Püchel, Sie haben die Möglichkeit für eine Erwiderung. Bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von uns wird immer Zurückhaltung gefordert. Wir sollen uns zurückhalten. Wir sollen nicht polemisch werden. Was ich in diesem Hause acht Jahre lang erlebt habe, spottet jeder Beschreibung.

(Beifall bei der SPD - Unruhe bei der CDU)

Es war gnadenlos, was in der Vergangenheit hier passiert ist. Ich komme noch zu einigen Beispielen. Es sind gnadenlos Minister vorgeführt worden. Dagegen ist das, was ich heute sagte, harmlos. Das war zurückhaltend.

(Zustimmung bei der SPD - Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Jetzt zu Herrn Lukowitz. Nachdem der Ministerpräsident gesprochen hat, habe ich die Möglichkeit, etwas zu Herrn Lukowitz zu sagen. Herr Kollege Lukowitz, ich schätze Sie sehr. Aber Sie sagten erstens: Erst wird verurteilt, dann wird aufgeklärt. Darauf sage ich Ihnen: Ich komme auf das zu sprechen, was hier acht Jahre lang abgelaufen ist. Damals ist das in einem ganz anderen Maße abgelaufen.

Zweitens. Sie sagten, ich begäbe mich auf das Niveau

(Zurufe von der SPD)

billigster politischer, inhaltsleerer Polemik. Lesen Sie einmal die Protokolle der letzten Untersuchungsausschüsse.

(Zurufe von der CDU)

- Warten Sie einen Augenblick, ich komme genau auf den Punkt.

(Herr Gürth, CDU: Ist das jetzt eine Rache oder so etwas?)

Herr Lukowitz, Sie erwähnten den ersten Untersuchungsausschuss. Das hätte ich an Ihrer Stelle nicht getan. Sie haben eines dabei vergessen - vielleicht weiß es Herr Rauls noch -: Der Vorsitzende des ersten Untersuchungsausschusses hat einen Abschlussbericht vorgelegt, dem zum Entsetzen der CDU-Fraktion die FDPFraktion zugestimmt hat. Das sollten Sie sich überlegen. Sie haben das mitgetragen, was ich damals vorgelegt habe.

Drittens. Ich habe fast den Eindruck, als seien wir es gewesen, die damals den Rücktritt von Herrn Rehberger verursacht haben. Das war Ihre Partei; sie hat ihn aufgefordert zurückzutreten. Das hat die Regierungskrise im Jahr 1993 ausgelöst.

Jetzt zu dem, was der Ministerpräsident gesagt hat. Herr Professor Böhmer, spätestens seit heute ist es für mich keine Angelegenheit Becker mehr, sondern eine Angelegenheit Professor Böhmer.

(Lachen bei der CDU und bei der FDP)

Sie haben mit der Bagatellisierung begonnen, als Sie sagten, es sei nur ein Brief von einem Vorgänger an den Nachfolger. Sie haben gestern eine sehr zurückhaltende Pressemitteilung herausgegeben, von der ich bis heute nicht weiß, was sie bedeutet. Vielleicht bin ich zu naiv oder zu einfältig, um das zu verstehen. Sie äußern sich in der dritten Person und so undurchsichtig, dass man sich fragt: Steht er noch zu dem Minister oder steht er nicht mehr zu ihm?

Dann haben Sie eben andeutungsweise gesagt - -

(Herr Gürth, CDU: Er hat das klargestellt!)

- Sie kriegen von mir auch noch etwas zu hören.

(Lachen bei der CDU und bei der FDP)

Sie haben andeutungsweise gesagt: Na ja, ein halbes Jahr lang war Ruhe, jetzt kommt etwas. Sie meinten damit - ich übersetze das einmal -: Ab jetzt wird zurückgeschlagen; der Becker hat sich gegen die Richter geäußert, jetzt schlagen sie zurück.

Die Reaktion der Richter ist aber nicht die Ursache. Die Ursache ist der Brief vom März, das dürfen Sie nicht vergessen. Hierbei werden Ursache und Wirkung verwechselt.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Herr Ministerpräsident, Sie sind mit hehren Ansprüchen angetreten. Sie treten hier manchmal als moralische Instanz auf - Sie machen alles richtig.

(Ministerpräsident Herr Prof. Dr. Böhmer: Sie machen alles richtig!)

Ich habe meine Fehler. Die kenne ich selbst zur Genüge, die muss ich an dieser Stelle nicht erläutern,

(Lachen bei der CDU und bei der FDP - Minister- präsident Herr Prof. Dr. Böhmer lacht)

um Ihnen noch Munition zu liefern. Ich könnte Fehler auflisten.

Ich finde es schon interessant, wie Sie mit diesem Land umgehen. Erstens. Da wird ein Vizepräsident für ein Landesverwaltungsamt bestimmt - ich weiß nicht, wie weit das Verfahren gediehen ist - ohne Ausschreibung. Dabei gibt es Vizepräsidenten mit der Besoldungsgruppe B 3, die dafür an erster Stelle infrage kämen. Dafür kommt ein Beamter der Besoldungsgruppe A 15 und wird, weil er der FDP angehört, eingesetzt. Das ist mein Land, das ist unser Land, wir machen das.

Zweitens. Da wird ein neuer Abteilungsleiter in der Landesvertretung in Berlin eingesetzt. Dabei ging es nicht nach Eignung, Leistung und Befähigung, sondern es musste ein FDP-Mann sein. Das wurde offen gesagt.

(Herr Kosmehl, FDP: Was?)

Es gibt ein Beamtenrecht.

(Unruhe bei der FDP)

Drittens. In diesem Land soll einmal eine Landesinvestitionsbank gegründet werden. Seit Wochen steht fest, wer der Direktor wird. Es gibt aber noch nicht einmal ein Gesetz dazu.

(Frau Feußner, CDU: Lassen Sie hier Ihren Frust ab, weil Sie nicht mehr in der Regierung sind?)

- Bleiben Sie doch einmal ruhig. - Über das, was aus Ihren Wahlversprechen geworden ist, will ich gar nicht erst reden.

Jetzt ist der Begriff „unappetitliche Argumentationskette“ gefallen. Dazu sage ich Ihnen eines: Herr Ministerpräsident, Sie haben in Ihrer Zeit als Abgeordneter drei Untersuchungsausschüsse mitgetragen. Sie haben mitgetragen, dass ein Abgeordneter Gürth einen Minister im Ausschuss nach seinem Intimleben gefragt hat. Unappetitliche Dinge sind abgelaufen, nicht während unserer Regierungszeit, sondern während Ihrer Regierungszeit. Das haben Sie mitgetragen. - Peinlich!

(Starker Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Sie haben drei Untersuchungsausschüsse angezettelt, zu Minister Rehhahn, zu Minister Heyer, zur „Möwe“. Die „Möwe“ - das war ja ein wahnsinniger Skandal. Dann erinnere ich mich an die Einweihung, bei der auch Herr Gürth anwesend war - warum, weiß ich bis heute nicht; denn es war kein Abgeordneter eingeladen worden -, bei der alles gelobt wurde. Es wird einfach vergessen, dass es dazu einen Untersuchungsausschuss gab. Plötzlich ist alles, was Sie vorher noch kritisiert haben, wunderbar.

Legen Sie bitte heute die gleichen Maßstäbe an, die Sie damals angelegt haben.

(Beifall bei der SPD)

Noch ein Satz zu Herrn Minister Becker. Herr Becker ist eigentlich Oberbürgermeister geblieben. Er liebt seine Stadt Naumburg. Aber Liebe kann blind machen und das ist gefährlich. Ich glaube nicht, dass er sich in solchen

Fällen genauso für Salzwedel und Stendal eingesetzt hätte wie für Naumburg.

(Frau Feußner, CDU: Das ist schon hart! - Un- ruhe bei der CDU)

Damit so etwas in Zukunft nicht noch einmal passiert, falls er im Amt bleiben sollte, schlage ich dem Ministerpräsidenten vor, jemanden an die Seite von Herrn Becker zu setzen, der ihn vor solchen Ausrutschern schützt.

(Herr Gürth, CDU: Das wird ja immer schlimmer!)

Der Rest wird, wie gesagt, im Untersuchungsausschuss geklärt werden. Wir kommen nicht mehr darum herum. Ich glaube, alle sind daran interessiert, diesen einzusetzen.

(Herr Gürth, CDU: Was wollen Sie da klären?)

Auch Folgendes ist klar - ich weiß nicht, in welche Richtung der Vorwurf ging -: Auch ich halte Richter nicht für bestechlich; keiner in unserer Fraktion tut dies. Mit dieser Frage muss sehr sensibel umgegangen werden.