Protokoll der Sitzung vom 24.10.2003

(Zuruf von Herrn Dr. Püchel, SPD - Unruhe bei der SPD)

wir wissen doch alle, dass all diese Instrumente, die in diesem arbeitsmarktpolitischen Raum zur Anwendung kommen, eine positive Seite und auch eine problematische Seite haben. Herr Dr. Püchel, das würden doch auch Sie nicht bestreiten.

(Zuruf von Frau Jahr, SPD)

Wir bewegen uns in dem Spannungsfeld, zwischen dieser positiven und dieser problematischen Seite abwägen zu müssen.

(Zuruf von Frau Jahr, SPD)

Die ersten Zahlen zu den Ich-AGs zeigen, dass dieses Instrument quantitativ in der Tat gut angenommen wird. Das ist überhaupt keine Frage. Das habe ich nicht bestritten. Das steht auch in der Beantwortung der Großen Anfrage. Aber wir müssen selbstverständlich abwarten und möglichst beobachten, inwieweit es hierdurch zu Konkurrenzbeziehungen zu existierenden Unternehmen kommt.

Ich glaube nicht, dass man die Problematik bestreiten kann: Wenn man zusätzliche Existenzgründungen von vormals Arbeitslosen fördert, dann geht man selbstverständlich auch gewisse Erfolgsrisiken ein und schafft eine zusätzliche Konkurrenz für bereits existierende Unternehmen. Nur darauf habe ich hingewiesen und nur daraus begründet sich eine gewisse Vorsicht in der Beurteilung dieses Instruments.

Wir werden in ein, zwei Jahren erheblich mehr wissen. Dann können wir diese Frage präziser beantworten. Aber ich kann an dieser Stelle deutlich sagen: Herr Dr. Rehberger hätte die Frage genau so, wie ich es jetzt getan habe, beantwortet. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU - Zu- ruf von Frau Budde, SPD)

Danke, Herr Minister. - Für die FDP-Fraktion erteile ich der Abgeordneten Frau Röder das Wort. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schönen guten Morgen allerseits! Ich hoffe, inzwischen sind alle aufgewacht.

(Frau Budde, SPD: Was soll denn das? - Zuruf von Frau Bull, PDS)

Die Große Anfrage der PDS-Fraktion zur Arbeitsmarktpolitik zielt auf verschiedene Bereiche ab. Die Daten und die Fakten hat Frau Dirlich bereits umfänglich dargelegt. Dem muss ich nichts hinzufügen.

Aus der Sicht der FDP-Fraktion möchte ich nur einige wenige Punkte ergänzen. Für uns war von Anfang an, also bereits vor mehr als einem Jahr, relativ klar, dass mit dem Hartz-Konzept kaum der große Umbruch am ostdeutschen Arbeitsmarkt erreicht werden kann, da es eben auf eine schnellere und bessere Vermittlung abzielt, aber die Strukturen am Arbeitsmarkt nicht aufbrechen sollte. Das war nicht Ziel dieses Konzeptes. Deshalb konnte es in Ostdeutschland und damit auch in Sachsen-Anhalt nicht zu großen Umbrüchen führen. Dies bestätigen die Zahlen, die die Landesregierung vorgelegt hat.

Zu den einzelnen Instrumenten hat Professor Paqué schon einiges gesagt. Ich möchte etwas zu den Personalserviceagenturen ausführen. Diese arbeiten in Sachsen-Anhalt sehr unterschiedlich, manche arbeiten schlecht, manche arbeiten gar nicht. Die Ergebnisse sind, gemessen an den Erwartungen, in der Tat höchst unbefriedigend.

Aber einen Punkt muss ich in Sachsen-Anhalt loben. Beim Landesarbeitsamt, bei den hiesigen Arbeitsämtern sind nämlich keine arbeitsamtseigenen PSA entstanden; vielmehr sind private Zeitarbeitsfirmen damit beauftragt worden. Es ist also keine staatliche Konkurrenz zu den Privaten aufgebaut worden. Das halte ich durchaus für einen positiven Aspekt bei der Umsetzung der HartzKonzepte in Sachsen-Anhalt.

Einen kurzen Blick in die Zukunft. In diesem Jahr wird das Hartz-IV-Gesetz im Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag landen. Bei der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe gibt es auch aus der Sicht der FDP-Fraktion noch einige Punkte zu beachten. Herr Professor Paqué hat schon gesagt, dass die Zuverdienstmöglichkeiten bei denjenigen ausgeweitet werden müssen, die dann Arbeitslosengeld II erhalten werden.

Aus unserer Sicht muss hinzukommen, dass die Altersvorsorge nicht allzu stark angerechnet wird, dass also den Betroffenen ein gewisses Polster, das sie als Altersvorsorge für ihren Lebensabend angespart haben, belassen wird. Es kann nicht sein, dass jemandem sein kleines Einfamilienhäuschen genommen wird oder jemand gezwungen wird, es zu verkaufen. Das würde die Altersarmut begünstigen. Deshalb muss man diesbezüglich ausgewogene Regelungen finden.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Wer will denn wem ein Haus wegnehmen?)

In Bezug auf die Organisation der Trägerschaft muss ich noch ein paar Punkte anführen. Es sind verschiedene Modell im Gespräch, ob dies bei der Bundesanstalt für Arbeit oder ob bei den Landkreisen angesiedelt sein soll. Aus der Sicht der FDP-Fraktion ist es sehr wichtig, dass die Landkreise möglichst stark eingebunden werden. Ich habe in den letzten Wochen Arbeitsämter und Landkreise besucht und bin zu diesem Schluss gekommen. Die Landkreise haben bei der Betreuung der jetzigen Sozialhilfeempfänger umfangreiche Erfahrungen; sie haben sich weitgehend eingebracht; sie kennen den lokalen Arbeitsmarkt und sie zeigen sehr viel Engagement. Dar

auf sollte man auf keinen Fall verzichten. - Das war es aus meiner Sicht. Ich danke Ihnen.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Danke, Frau Abgeordnete Röder. - Für die SPD-Fraktion erteile ich der Abgeordneten Frau Ute Fischer das Wort. Bitte sehr.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Große Anfrage ist ein guter Anlass, die notwendige Debatte über die Arbeitsmarktpolitik zu führen. Insofern bedanke ich mich bei der PDS-Fraktion für die Anfrage und bei dem Wirtschaftsministerium für die umfangreiche Statistik.

Im Landtag haben Anträge von SPD und PDS schon zu mehreren Debatten über die Umsetzung und die Begleitung der Hartz-Gesetze durch die Landesregierung geführt. Leider wurden diese Themen aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Hohen Hause im Endeffekt nicht zur Debatte in den Fachausschuss überwiesen. Gleichwohl sind wir der Meinung, dass wir dank des Fachmanns und Staatssekretärs Herrn Haseloff dort zu einem effektiven Erfahrungsaustausch und sicherlich zu einer abgestimmten Strategie für das Land Sachsen-Anhalt kommen könnten.

(Zustimmung bei der SPD, von Frau Fischer, Merseburg, CDU, von Herrn Schröder, CDU, und von Frau Wybrands, CDU)

Die Entwicklung des Arbeitsmarktes ist selbstverständlich von der Entwicklung der Wirtschaft insgesamt abhängig. Allerdings betrifft das alle neuen Bundesländer. Angesichts der aktuellen Zahlen in Sachsen-Anhalt ist eine aktive Arbeitsmarktpolitik als Teilelement einer beschäftigungspolitischen Gesamtstrategie unverzichtbar.

Ich möchte nur einige wenige Daten anführen, die das auch begründen: Sachsen-Anhalt hat noch immer die höchste Arbeitslosenquote in Deutschland. Gegenüber dem Monat September des Vorjahres stieg sie um einen Prozentpunkt auf inzwischen 19,8 %. Mehr als 45 % der Arbeitslosen sind bereits länger als ein Jahr arbeitslos und zählen daher zu den Langzeitarbeitslosen. Alarmierend ist, dass immer mehr Jüngere von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind.

Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten dagegen ist innerhalb eines Jahres um 22 000 gesunken. Besserung ist nicht in Sicht.

Das Bruttoinlandsprodukt sank in Sachsen-Anhalt im ersten Halbjahr 2003 real um 0,2 %. In Sachsen dagegen stieg es um 1,4 %, in Thüringen um 0,8 %. Bedenklich stimmt insbesondere der Vergleich mit dem Jahr 2002. Im Jahr 2002 lag Sachsen-Anhalt mit einer Steigerung des Bruttoinlandsprodukts um 0,1 % noch gleichauf mit Sachsen und deutlich vor Thüringen, dessen Bruttoinlandsprodukt um 0,6 % sank.

Herr Paqué, Ihrer Gesamteinschätzung zur Wirtschaftslage in Sachsen-Anhalt kann sich unsere Fraktion demzufolge nicht anschließen. Der Haushaltplanentwurf 2004 bietet mit seiner historisch niedrigen Investitionsquote, die inzwischen auch von der Wirtschaft gerügt wird, wenige Perspektiven, um diesen Negativtrend zu stoppen.

Das bedeutet für uns, wir werden in absehbarer Zeit auf den so genannten zweiten Arbeitsmarkt mit seiner Auffang- und Pufferfunktion nicht verzichten können. Die Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitslosen muss noch für einen längeren Zeitraum erhalten und verbessert werden.

Ich freue mich, dass auch die Landesregierung dies erkannt hat. Es ist schon eine interessante Wende, dass ausgerechnet ein liberaler Wirtschaftsminister und ein liberaler Finanzminister vom Bund mehr Mittel für den Arbeitsmarkt fordern, nachdem noch im Wahlkampf der zweite Arbeitsmarkt geradezu verteufelt worden ist. So ändern sich Ansichten, wenn man Verantwortung trägt.

(Beifall bei der SPD)

Sie fragen sich eventuell, was das mit der Großen Anfrage zu tun hat.

(Herr Bullerjahn, SPD: Genau! - Minister Herr Prof. Dr. Paqué: Sehe ich genauso!)

Aber nachdem Arbeitsmarktpolitik nun zum Bereich der Wirtschaft gehört und die Arbeit längst gekommen sein müsste, sei mir dieser Schwenk gestattet.

Uns steht nunmehr ein umfangreiches Paket statistischen Materials - maßgeblich aufgrund der Gesetze „Hartz I“ und „Hartz II“ - zur Verfügung. Mir fehlt eine politische Wertung und Schwerpunktsetzung durch die Landesregierung in Begleitung der Umsetzung der Gesetze und der Entwicklung neuer Strategien und Impulse. Die PDS-Fraktion hat leider die Chance vertan, die Landesregierung zu politischen Aussagen und Schlussfolgerungen zu zwingen. Wenn ich aber die Vorbemerkung richtig verstehe, dann wird nun die PDS-Fraktion selbst Schlussfolgerungen ziehen wollen.

Während sich der Arbeitsmarkt in Sachsen-Anhalt konstant in der Krise befindet, fällt auf, dass der Bereich Arbeitsmarktpolitik im Bund von großer Dynamik geprägt ist.

(Lachen und Unruhe bei der CDU und bei der FDP)

Während sich die Große Anfrage noch auf „Hartz I“ und „Hartz II“ bezieht, sind inzwischen im Bundestag mit „Hartz III“ und „Hartz IV“ zwei neue Gesetze verabschiedet worden. Als Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikerin bin ich sicherlich nicht mit allem, was in diesem Gesetz steht, glücklich, aber die Bundesregierung packt das an, was lange Zeit -

(Beifall bei der SPD - Oh! bei der CDU - Wider- spruch bei der CDU und bei der FDP)

schon zu Zeiten Helmut Kohls - anzupacken versäumt wurde. Eine Blockadepolitik der CDU im Bundesrat wäre daher nicht gerechtfertigt und wäre für den Wirtschaftsstandort Deutschland sicherlich schädlich.

(Beifall bei der SPD - Herr Gürth, CDU: Ach ja?)

Wir sind gespannt, wie sich das Land Sachsen-Anhalt zum Beispiel in Bezug auf die Zuständigkeit für das neu geschaffene Arbeitslosengeld II verhalten wird. Wichtig wäre es, dass die beiden neuen Gesetze wie geplant in Kraft treten. Ein erfolgreiches Umsteuern in der Arbeitsmarktpolitik ist nur mit allen neuen Instrumenten, mit einer neuen Geschäftspolitik der Arbeitsämter, mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, mit funktionsfähigen Job-Centern und mit eingearbeiteten Fallmanagern möglich.

Ein „Weiter so wie bisher“ - das ist an die Adresse der PDS-Fraktion gerichtet - hilft uns nicht. Wir haben immer Reformen gefordert. Nun sind sie da und wir müssen schauen, dass daraus das Beste gemacht wird. Jetzt kommt es auf eine entsprechende Ausgestaltung an.

Auf einige neue Ansätze möchte ich eingehen. Das Programm „Kapital für Arbeit“ ist sicherlich ein richtiger Ansatz. Leider spielen nicht alle Banken mit. Die Unternehmer haben große Not, zu diesem Geld zu kommen, wenn sie neue Arbeitskräfte einstellen wollen. Zurzeit haben wir in Sachsen-Anhalt 500 neue Stellen. Das bedeutet, 36 Millionen € sind über die Kreditanstalt für Wiederaufbau ausgezahlt worden.

Die Personalserviceagenturen arbeiten sicherlich noch nicht so, wie es eigentlich sein sollte. Der Arbeitskräfteverleih hat noch immer ein Negativimage. Der neue, andere Ansatz der Personalserviceagenturen ist leider noch nicht so richtig durchgedrungen. Die Unternehmen und die Arbeitsuchenden scheuen sich noch immer, über diese Agenturen Arbeitskräfte einzustellen bzw. sich über diese einstellen zu lassen.

Zu den Ich-AGs möchte ich nur so viel sagen: Herr Paqué, mich würde interessieren, wonach Sie beurteilen, ob ein Gründer zu den Verdrängern oder zu den Innovativen gehört, die sich am Markt behaupten werden.

(Beifall bei der SPD - Zurufe von Herrn Dr. Pü- chel, SPD, und von Frau Budde, SPD)

Das können wir vielleicht mit einer Kleinen Anfrage erkunden.