Eine ähnliche Situation haben wir im Bereich der Wohnungswirtschaft. Bei rund 200 000 leer stehenden Wohnungen, von denen die meisten früher einmal ganz oder teilweise mit öffentlichen Mitteln gebaut wurden, werden jetzt im Rahmen eines Programms „Stadtumbau Ost“ erneut öffentliche Mittel für Abrissprogramme gefordert. Die Landesregierung muss sich diesem Problem stellen. Dazu müssen Konzepte für eine nachhaltige, aber auch wirtschaftlich sinnvolle Entwicklung erarbeitet werden.
Bei all diesen Forderungen brauchen wir einen mentalen Wandel im Hinblick auf die bisher praktizierte öffentliche Förderpolitik. Wir sind dankbar dafür, dass seit der Wiedervereinigung Deutschlands der notwendige wirtschaftliche Transformationsprozess durch eine in der deutschen Geschichte einmalige Solidarleistung unterstützt und gefördert wurde. Immer mehr müssen wir die Lösung unserer Probleme aber in die eigenen Hände nehmen. Wenn wir die Probleme der Zukunft lösen wollen, brauchen wir deshalb auch eine andere Haltung zur Leistungsgesellschaft.
Das trifft zumindest auf jene unserer Bürgerinnen und Bürger zu, die durch die Staatsdoktrin unserer Vergangenheit geprägt wurden. Um sie wird fast von allen Parteien mit dem Zielbegriff soziale Gerechtigkeit geworben. Alle reden davon, doch niemand konnte bisher definieren, was damit gemeint ist.
Wenn damit Gerechtigkeit im sozialen Zusammenleben gemeint ist, kann dies nur Chancengleichheit bedeuten.
Viel häufiger wird damit aber Verteilungsgerechtigkeit gemeint, weil wir angeblich nicht bereit seien, unsere Ungleichheit zu akzeptieren oder anzunehmen. Dabei ist es doch eigentlich die Ungleichheit, die unterschiedliche Lebensentwürfe und unterschiedliche Leistungsergebnisse erst möglich macht.
Staatliche Aufgabe muss es aus unserer Sicht sein, mit unterschiedlichen Angeboten die unterschiedlichen Talente und Fähigkeiten zu fördern und zu entwickeln und nicht jedem irgendeine, sondern eine ihm gemäße Chance anzubieten.
Die immer kompliziertere technologische Entwicklung verlangt immer höher qualifizierte Arbeitnehmer. Wir sind aber auch denen eine Chance schuldig, die dazu nicht in der Lage sind. Wenn die dafür erforderlichen weniger qualifizierten Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich entstehen sollen, dann brauchen wir andere Menschen, die solche Dienstleistungen einkaufen wollen und können.
Soziale Gerechtigkeit erreichen wir also nicht durch weniger, sondern durch mehr Differenzierung unter uns. Das bedeutet eine konsequente Umsetzung des Leistungsprinzips. Ein Staat schuldet seinen Bürgern nicht die Erfüllung ihrer Wünsche, aber er sollte ihnen die Möglichkeit bieten, sich durch eigene Leistung möglichst viele der eigenen Wünsche selbst erfüllen zu können.
Im Hinblick auf die politische Gestaltung heißt das für uns aber auch: Fördermittel sollen in allen Bereichen nur noch Hilfe zur Selbsthilfe sein; sonst führen sie zur Sucht nach Dauersubventionierung. Wir werden nämlich nicht umhin kommen, in Leistungsgesetze einzugreifen.
Diejenigen, die unsere Finanzmisere verschuldet und uns letztlich dazu gezwungen haben, werden die Ersten sein, die von einer neuen Klassengesellschaft reden und nach angeblich mehr sozialer Gerechtigkeit rufen.
Nicht durch immer neue Umverteilungsforderungen, sondern nur durch konsequent geförderte Leistungsbereitschaft werden wir den Wettbewerb mit anderen bestehen. Daran muss sich unsere Politik in allen Bereichen orientieren.
Das trifft zunächst auf die Bildungspolitik zu. Es dürfte im deutschen Schulwesen einmalig sein, dass eine Landesregierung durch Tarifvertrag einen im Haushalt nicht ausgewiesenen Kredit von über 300 Millionen € bei den eigenen Lehrern aufgenommen hat. Notwendige Personalentwicklungsmaßnahmen werden dadurch erheblich erschwert.
Die Sinnhaftigkeit von 13 Schuljahren bis zum Abitur wird inzwischen auch von denjenigen bezweifelt, die das 13. Schuljahr vor wenigen Jahren eingeführt haben.
Die Landesregierung wird in den nächsten Wochen ein Konzept vorlegen, wie die Ausbildungsdauer zum Abitur ohne Nachteile für die betroffenen Jahrgänge wieder auf zwölf Jahre verkürzt werden kann.
Wir geben viel Geld für die Schulbildung aus, mehr als unsere Nachbarländer. Sowohl in den Haupt- und Realschulen als auch in den Gymnasien sind die durchschnittlichen Schülerzahlen je Klasse im Ländervergleich in Sachsen-Anhalt die niedrigsten.
Wenn zwischen Klassenstärke und Leistungsergebnis überhaupt ein Zusammenhang besteht oder bestünde, müssten wir eigentlich die Besten sein. Die Regionalisierung der Ergebnisse der so genannten Pisa-Studie macht uns da allerdings wenig Hoffnung. Manche behaupten sogar, uns würde das Gegenteil bewiesen werden.
Mit durchschnittlich 8 930 Unterrichtsstunden von Klasse 1 bis 9 liegen wir deutlich niedriger als die meisten anderen Bundesländer. Innere Reformen an allen Schulformen sind notwendig. Erreicht werden soll dies durch eine Betonung der expliziten Lernfunktion aller Schulen mit einem Bekenntnis zur Erziehung, durch ein eigenes Profil für die Sekundarschule und durch eine Umgestaltung der gymnasialen Oberstufe mit Kernfächern im Klassenverband.
Wir werden uns an der Entwicklung von Bildungsstandards beteiligen, die zwischen den Bundesländern abgestimmt werden müssen. Während der letzten gemeinsamen Sitzung aller Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler wurde einstimmig beschlossen, in Deutschland eine Wertedebatte zu führen mit dem Ziel, Kindern und Jugendlichen während ihrer Erziehung und Ausbildung in Familie und Schule ein stabiles und tragfähiges Wertefundament zu vermitteln. Daran werden wir uns aktiv beteiligen.
Das ist aber auch ein Zeichen dafür, dass in den letzten Jahrzehnten offensichtlich vieles verloren gegangen ist oder in Zweifel gezogen wurde, was eigentlich seit alttestamentarischen Zeiten zum Wertekanon jeder Zivilisationsgesellschaft gehört hat.
Meine Damen und Herren! Familie besteht für uns dort, wo Verantwortung für Kinder gelebt wird. Wir werden uns auch an neue Strukturen gewöhnen müssen; sie müssen vereinbar sein mit Berufstätigkeit und eigener Persönlichkeitsentwicklung, auch der Mütter. Darüber waren wir uns in diesem Teil Deutschlands übrigens schon einmal einig.
Nichts diffamiert die Erziehungsleistung mehr, als Kinder und Kochtopf in einem Atemzug zu nennen und den Vorwand zu unterstellen, wir wollten Frauen angeblich nur in die Küche verbannen.
Wir werden diese Funktion aber trotzdem nicht abschaffen. Wir werden eine eigene zusätzliche Projektgruppe einrichten mit der Aufgabe, in allen Bereichen die Folgen
natürlicher Ungleichheit auszugleichen, die Leistungen für Familie und Erziehung aufzuwerten und nach neuen Lösungen dafür zu suchen, dass junge Frauen Mutterschaft und Berufstätigkeit besser als bisher miteinander vereinbaren können.
Und weil ich mich dafür auch aus ganz persönlichen Gründen, die Sie kennen könnten, engagieren möchte, wird diese Projektgruppe in der Staatskanzlei eingerichtet werden.
In Anbetracht der gegenwärtigen und der vorhersehbaren zukünftigen Finanzsituation werden größte Anstrengungen notwendig werden, um den gegenwärtigen Stand der Zuwendungsfinanzierung in möglichst allen Bereichen wenigstens aufrechterhalten zu können.
Unsere Hochschulen brauchen einen größeren Grad an Autonomie, um über die knappen Mittel eigenverantwortlich freier entscheiden zu können. Sie müssen das Recht bekommen, sich selbst Geld verdienen zu können und damit selbst gestalten zu dürfen.
Die Studiengeldfreiheit für berufsbildende Studiengänge in der Regelstudienzeit steht dabei nicht zur Disposition. Fort- und Weiterbildungsangebote für Dritte oder unverhältnismäßig viele Zusatzsemester zur Selbstfindung müssen aber nicht unbedingt vom Steuerzahler finanziert werden.
Die Abstimmung der Hochschulen untereinander und die Vernetzung mit den außeruniversitären wissenschaftlichen Einrichtungen nützt diesen und kann helfen, mit knappen finanziellen Ressourcen auszukommen.
Das gilt auch für die Finanzierung der Stiftungen, der Vielzahl der Denkmäler, Musikschulen, Orchester, Museen und aller kulturellen Institutionen, deren Lebensfähigkeit von der institutionellen Förderung abhängt. Eine Überlebensgarantie für alle und alles kann es nicht geben.
Wo Parallel- oder Doppelentwicklungen gefördert werden, muss es Strukturentscheidungen geben. Darüber kann aber immer nur im Einzelfall und nach Anhörung der Betroffenen entschieden werden. Dabei wird derjenige die besten Chancen haben, der nachweist, dass er finanzielle Hilfe nur vorübergehend braucht, um endlich davon unabhängig zu werden.
Meine Damen und Herren! Wir müssen endlich auch einmal die Verwaltungsstrukturen in unserem Land erneuern. Über die schon im Jahr 1993 als notwendig erkannte Reform der Landesverwaltung ist inzwischen in vielen Kommissionen, Gutachten und Arbeitsgruppen gestritten worden. Einiges ist bereits getan und versucht worden. Nun muss sie endlich durchgeführt und zu Ende gebracht werden.
In einem Gesetzentwurf werden wir Ihnen vorschlagen, die drei Regierungspräsidien aufzulösen und durch ein
dezentral strukturiertes Landesverwaltungsamt mit Bündelungs- und Koordinierungsfunktion zu ersetzen.