Protokoll der Sitzung vom 20.06.2002

Eine Verwaltungsreform, die nicht auch zu einer Verminderung der Personalstärke führt, wäre wahrscheinlich schlechter als gar keine. Notwendige Tarifanhebungen, auf die wir aus anderen Gründen nicht verzichten können, müssen mit einer Personalreduzierung verbunden werden.

Wir werden Konsequenzen ziehen und Entscheidungen treffen müssen, die weder uns noch anderen gefallen. Wenn es jedoch darum geht, dieses Land zu sanieren, werden wir sie durchtragen müssen. Wir werden jedes Leistungsgesetz unseres Landes daraufhin prüfen müssen, ob wir uns das noch leisten können. Das Ergebnis muss ein Gesetz zur Haushaltssanierung sein.

Niemand nützt uns, der zur Lösung seiner Probleme mehr Geld haben will. Jeder aber hilft uns, der uns aufzeigt, wie man mit weniger Geld vielleicht doch mehr bewegen könnte.

Wenn wir Zuwendungen reduzieren müssen, dann müssen wir den Betroffenen einen größeren eigenen Entscheidungsfreiraum zubilligen. Wir geben sehr viel Geld

aus, weil wir uns notorisch misstrauen und ein nur auf Misstrauen aufgebautes Zuwendungsrecht haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Dass es Veruntreuungen gegeben hat, meine Damen und Herren, das wissen wir alle. Sie sind aber eher selten und müssen natürlich auch geahndet werden. Aber jede Abweichung vom kleinlich-detailliert beschriebenen Verwendungszweck ist dann kein Missbrauch, wenn infolge der Finanznot zur Erreichung des Zieles vom Empfänger andere Prioritäten gesetzt worden sind.

Wir werden deshalb zusammen mit dem Landesrechnungshof eine deutliche Vereinfachung des Zuwendungsrechts anstreben. Dabei wollen wir uns an der Erreichung des gemeinsamen Zieles orientieren, für das die Mittel ausgereicht werden, und dem Empfänger auch mehr Eigenverantwortung zutrauen.

Förderpolitik außerhalb der Finanzierung staatlicher Leistungen soll in allen Bereichen, im Sozialbereich, im kulturellen Bereich und natürlich auch in der Wirtschaft, immer nur Hilfe zur Selbsthilfe sein. Wenn sich eigene Leistung nicht lohnt, verführt jede Förderhilfe zum Anspruch auf Dauersubvention. Damit werden wir unsere Probleme nicht lösen.

Auch bei der Fehlbedarfsfinanzierung darf eigene Tüchtigkeit nicht durch sofortiges Gegenrechnen bestraft werden; sie muss aber im nächsten Jahr einen geringeren Zuwendungsbedarf begründen. Nur dadurch fördern wir die eigene Leistungsbereitschaft und nicht verfestigtes Anspruchsdenken.

Dass Not der beste Lehrmeister ist, meine Damen und Herren, gilt auch für uns. Nur wenn wir eisern sparen und die Landesfinanzen sanieren, werden wir überhaupt handlungsfähig bleiben. Das wenige verfügbare Geld muss als Anreiz für die eigene Leistungsfähigkeit eingesetzt werden, wenn wir trotzdem gestalten wollen. Dazu sind Kreativität und Innovation auch von uns gefordert. Wir wollen uns dieser Aufgabe stellen und werden Ihnen, dem Gesetzgeber, dazu Vorschläge unterbreiten.

Ein zweites, für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes ebenso gravierendes Problem ist der chronische Bevölkerungsschwund. Wir haben ein reproduktives Defizit und eine negative Wanderungsbilanz. Da während der letzten Jahre ca. 60 % der Fortziehenden junge Frauen im Alter von 18 bis 25 Jahren waren, vergrößert sich das reproduktive Defizit immer mehr.

Seit 1999 besteht wieder ein sprunghaft beschleunigter Abwanderungstrend. Das korreliert insofern mit der wirtschaftlichen Entwicklung, als genau seit dieser Zeit das Wirtschaftswachstum in den neuen Bundesländern wieder dem in den alten Bundesländern hinterherhinkt.

Diese Entwicklung belastet alle neuen Bundesländer, traf uns aber am stärksten. Zwischen 1995 und 1999 waren bei uns die Bevölkerungsverluste am größten und sie sind es immer noch. Nach einem Bericht von Eurostat, dem Statistischen Amt der Europäischen Union, ist Sachsen-Anhalt in Europa die Region mit dem stärksten Bevölkerungsrückgang. Die Zahl der Einwohner unseres Landes sinkt täglich im statistischen Durchschnitt um etwa 85 Personen. Die Bilanzzahlen kennen Sie aus den statistischen Berichten.

Das hat auch negative Auswirkungen auf die Steuerverteilung im innerdeutschen Finanzausgleich und hat zur Folge, dass Steuerausfälle bei uns fast immer höher

ausfallen als in anderen neuen Bundesländern. Außerdem führt diese Entwicklung zu einer demografischen Entschichtung mit einem überproportionalen relativen Anstieg derjenigen Jahrgänge, die nicht mehr im arbeitsfähigen Alter sind. Für die an Ländergrenzen orientierten Sozialkassen hat diese Entwicklung nahezu katastrophale Folgen.

Mit allen uns zur Verfügung stehenden und möglichen Mitteln muss dieser Entwicklung gegengesteuert werden. Die jungen Menschen werden uns dann nicht mehr davonlaufen, wenn wir ihnen hier bei uns Entwicklungschancen und einen Arbeitsplatz anbieten können. Dazu gehört auch gleicher Lohn für gleiche Arbeit, wenigstens in einem überschaubaren Zeitraum.

Dabei beklagen wir nicht die Mobilität der jungen Leute in einer gewollt weltoffenen Gesellschaft, sondern eigentlich nur die Tatsache, dass uns täglich mehr verlassen, als zu uns kommen, also die negative Wanderungsbilanz.

Wir haben hervorragende Hochschulen. Nicht wenige unserer Professoren sind stolz darauf, dass ihre Studenten schon vor dem letzten Examen einen Arbeitsplatz haben - allerdings nicht bei uns, sondern in einem der alten Bundesländer. Für uns bedeutet das, dass wir die Studenten mit hohen finanziellen Aufwendungen ausbilden, dass diese dann aber ihre Lohnsteuer in einem alten Bundesland entrichten. Das ist eine Aufbauhilfe für die alten Bundesländer, die wir uns auf Dauer einfach nicht leisten können.

Aber diese Entwicklung können wir auch nur dadurch korrigieren, dass wir den Absolventen unserer Hochschulen möglichst bei uns Arbeitsplätze anbieten. Das wiederum bedeutet, in der wirtschaftlichen Entwicklung die Prioritäten für die nächsten Jahre zu setzen.

Parallel dazu müssen wir über neue Wege in der Familienpolitik nachdenken, die es jungen Frauen besser als bisher ermöglichen, ihre persönliche berufliche Entwicklung mit der Bildung einer Familie zu vereinbaren.

(Zustimmung bei der CDU und von Herrn Dr. Volk, FDP)

Nach unserer Rechtsordnung ist dies ein bundespolitisches Problem. Aber ich sage auch: Wir in den neuen Bundesländern haben dabei gute Erfahrungen aus unserer eigenen Vergangenheit, die wir in eine zukünftige Familienpolitik in Deutschland einbringen müssen und einbringen werden.

(Zustimmung bei der CDU)

Große Teile des Landes Sachsen-Anhalt waren früher einmal ein Teil des mitteldeutschen Wirtschaftsraumes. In der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts war dies die modernste und leistungsfähigste Wirtschaftsregion des damaligen Deutschen Reiches.

Wir können auf bedeutende Traditionen und Innovationen in der jüngeren Wirtschaftsgeschichte verweisen. Zum Beispiel: Das erste Ganzmetallflugzeug wurde in den Junckers-Werken in Dessau gebaut; Magdeburg war ein Zentrum des innovativen Maschinenbaus seit dem 19. Jahrhundert; der erste Farbfilm wurde bei Agfa in Wolfen entwickelt; die erste industrielle Produktion von synthetischem Kautschuk wurde von den BunaWerken in Leuna aufgebaut und die erste industrielle Anlage zur Produktion von Stickstoffdünger hatten die Bayerischen Stickstoffwerke in Piesteritz errichtet.

Es waren diese technologischen und industriellen Innovationen, durch die Sachsen-Anhalt in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts zu einem bedeutenden Wirtschaftsraum wurde. Und nur mit neuen Innovationen werden wir zu Beginn dieses Jahrhunderts eine ähnliche Entwicklung wiederholen können. Wenn wir nur nachmachen, was andere auch schon tun, werden wir keine neuen Märkte erschließen und in einer Überflussgesellschaft keine Chance haben.

Die gegenwärtige Wirtschaftslage im Land SachsenAnhalt ist eher deprimierend. Es ist richtig, dass wir die höchste Summe an ausländischen Direktinvestitionen aller neuen Bundesländer haben. Aber trotzdem sind wir seit 1994 dasjenige Bundesland mit dem niedrigsten erwirtschafteten Bruttoinlandsprodukt je Einwohner. Dieses ist zwar in den letzten Jahren leicht angestiegen, liegt aber immer noch bei der Hälfte des Landes Hessen und unterhalb der anderen neuen Bundesländer.

Seit Mitte der 90er-Jahre haben wir die niedrigste Selbständigenquote aller neuen Bundesländer. Wir sind das einzige Bundesland, in dem seit 1999 regelmäßig die Salden der Gewerbeanmeldungen und -abmeldungen negativ sind. Im Jahr 2001 hatten wir 770 Gewerbeabmeldungen mehr als Gewerbeanmeldungen. Und seit 1997 haben wir noch immer die niedrigste Exportquote aller neuen Bundesländer.

Die Konjunkturberichte der IHK Halle-Dessau und der IHK Magdeburg für das Frühjahr 2002 berichten von einem absoluten Tiefpunkt des Geschäftsklimas über alle Branchen hinweg. Es wird von den schlechtesten Indexwerten seit 1992 berichtet. Die Auftragslage und der Arbeitskräftebedarf seien per saldo unverändert rückläufig, wenn auch in den einzelnen Branchen unterschiedlich.

Wen wundert es da noch, dass wir mit 397,7 Erwerbstätigen je 1 000 Einwohner im statistischen Durchschnitt die niedrigste Erwerbsdichte aller deutschen Bundesländer haben?

Das ist die gegenwärtige Lage, aus der wir heraus wollen. Wir sind auch dasjenige neue Bundesland mit der niedrigsten Investitionsquote im Landeshaushalt. Im Rahmen der Haushaltskonsolidierung muss diese spätestens mit dem nächsten Haushalt für 2003 wieder höher werden. Aber allein dadurch werden wir die Auftragslage im Land kaum wesentlich verbessern. Und den Kommunen im Land geht es auch nicht besser.

Natürlich werden auch wir um jeden potenziellen Investor werben, der auch nur die Absicht erkennen lässt, bei uns eventuell investieren zu wollen. Dafür werden wir mehr tun, als hier vorgestellt werden kann und soll. Damit allein aber werden wir unsere Probleme auch noch nicht lösen können.

Wir müssen denen helfen und Schwierigkeiten jenen aus dem Weg räumen, die zum eigenen Vorteil, aber zu unser aller Nutzen bei uns investieren und Arbeitsplätze schaffen wollen. Das werden wir mit einem ersten Investitionserleichterungsgesetz beginnen. Das von der Absicht her gut gemeinte Vergabegesetz hat sich schon jetzt als Investitionsbremse erwiesen und sollte abgeschafft werden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Mithilfe anderer gesetzlicher Vorschriften müssen wir die Entscheidungsgänge erleichtern. Wirtschaftsförderung durch Subventionswettbewerb macht keinen Sinn. Wir

wären außerdem die Ersten, die dabei verlören. Wirtschaftsförderung durch Genehmigungswettbewerb ist dagegen unsere Chance. Wir werden der Bundesratsinitiative Sachsens und Thüringens, die ein Forderungssicherungsgesetz zum Gegenstand hat, beitreten und die Vorschläge unserer Vorgängerregierung dabei ebenfalls überprüfen und einzubringen versuchen.

Es macht auch keinen Sinn, den eigenen Zuständigkeitsbereich als eigenständigen Wirtschaftsraum zu begreifen. Um größere Investitionen wollen wir uns gemeinsam mit dem einen oder anderen Nachbarland bewerben. Dazu gehört die gemeinsam mit Sachsen erfolgende Bewerbung als Standort für die europäische Spallationsneutronenquelle im Raum Halle/Leipzig.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustim- mung von Minister Herrn Dr. Daehre)

Gemeinsam mit Sachsen und Thüringen wollen wir den mitteldeutschen Wirtschaftsraum wieder entwickeln und zu einem Markenbegriff machen. Die wirtschaftliche Entwicklung innerhalb der Europäischen Union organisiert sich jetzt schon nach Regionen. Aus unserer Tradition heraus und von unserer geografischen Lage her haben wir sogar gute Chancen, dabei zu sein, und wir sind entschlossen, diese zu nutzen.

Mit der Einbindung des Bereichs Arbeitsmarkt in das Wirtschaftsministerium werden wir einerseits die Umsetzung arbeitmarktpolitischer Instrumente zur Wirtschaftsförderung verbessern und andererseits bezeugen, dass die Wirtschaftspolitik dem gesellschaftspolitischen Ziel dienen soll, möglichst allen einen Arbeitsplatz anzubieten.

Die zentrale Lage Sachsen-Anhalts hat zur Folge, dass viele Bundesstraßen, Wasserwege und Bundesbahnlinien unser Land durchqueren. In diesem Bereich ist während der letzten Jahre sehr viel investiert worden. Nicht wir als Land, sondern der Bund hat die meisten Straßen bei uns gebaut, aber dafür sind wir dankbar.

Die verkehrsmäßige Erschließung muss weitergehen. Für die Verlängerung der A 14 werden jetzt endlich alle notwendigen Entscheidungen abgestimmt und getroffen. Jeder weiß, dass das nicht ganz einfach ist. Da der Bund finanziert, wird er auch über den Baubeginn entscheiden. Dieser sollte so früh wie möglich terminiert werden. Zur Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplanes hat Sachsen-Anhalt inzwischen 125 Projekte angemeldet.

Beim Ausbau der Landesstraßen stoßen wir an unsere finanziellen Grenzen. Trotzdem bleiben wir auch weiter in der Pflicht, jährlich etwas dafür zu tun. Das zuständige Ministerium bereitet zurzeit ein Landesverkehrskonzept vor, in dem und mit dem Prioritäten dafür gesetzt werden müssen.

Der Ausbau der Wasserstraßen Elbe und Saale wird umweltverträglich fortgeführt. Das ist für die Erschließung des Landes als Wirtschaftsstandort unverzichtbar.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustim- mung von der Regierungsbank)

Besondere Aufmerksamkeit beansprucht der schienengebundene Verkehr. Wir sind uns mit dem Vorstand der Bahn AG einig, dass seit Anfang dieses Jahres ein vertragsloser Zustand besteht. Beide Seiten sind an dem baldigen Abschluss eines Verkehrsvertrages interessiert. Dabei haben wir im Interesse des Landes besondere Forderungen zu berücksichtigen.

Die einzelnen Streckenbereiche innerhalb des Landes sind betriebswirtschaftlich unterschiedlich rentabel; einige davon sind auch ausgesprochen unrentabel, wenigstens zurzeit. Es sind so genannte Zuschussstrecken, auf die wir im Interesse einer ausgewogenen Entwicklung des gesamten Landes aber nicht verzichten wollen. Sie sind einem Betreiber nur zuzumuten, wenn er sie in einem Verbund mit profitablen Strecken übernimmt, damit es zu einem Defizitausgleich kommen kann. Ein Herauslösen einzelner Verkehrsbereiche kann also nur insoweit infrage kommen, als dadurch andere Regionen des Landes nicht benachteiligt werden.

Wir wissen außerdem, dass im Bahnbereich noch erhebliche Sanierungsinvestitionen notwendig sind. Kein Vertragspartner wird dazu bereit sein, wenn diese Investitionen nicht durch langfristige Verträge rentabel werden. Unabhängig von juristischen Vorgaben und Vergabevorschriften müssen wir dieses Eigeninteresse unseres Landes bei den Entscheidungen berücksichtigen. Das günstigste Angebot muss daher nicht das eventuell billigste für einen Teilbereich sein, sondern wird jenes sein, das das Landesinteresse am besten berücksichtigt.

Wenn wir noch in diesem Jahr ein überarbeitetes Luftverkehrskonzept vorlegen, dann sollen damit bisher strittige Probleme gelöst werden. Die Landesregierung wird alles unternehmen, damit die in Cochstedt bereits investierten Gelder rentierlich angelegt sind. Die Entwicklung anderer Flugplätze innerhalb der Wirtschaftsregion muss eingeplant werden, wenn wir unrentable Investitionen vermeiden wollen. Das heißt, es besteht ein erheblicher Abstimmungsbedarf auch mit den umliegenden Regionen.

Eine ähnliche Situation haben wir im Bereich der Wohnungswirtschaft. Bei rund 200 000 leer stehenden Wohnungen, von denen die meisten früher einmal ganz oder teilweise mit öffentlichen Mitteln gebaut wurden, werden jetzt im Rahmen eines Programms „Stadtumbau Ost“ erneut öffentliche Mittel für Abrissprogramme gefordert. Die Landesregierung muss sich diesem Problem stellen. Dazu müssen Konzepte für eine nachhaltige, aber auch wirtschaftlich sinnvolle Entwicklung erarbeitet werden.