Protokoll der Sitzung vom 20.06.2002

Aus weiblicher Sicht gesprochen: Das Gebären eines Kindes ist biologisch bedingt, das Anwerfen der Waschtrommel schon nicht mehr. Oder etwas seriöser ausgedrückt: Es gibt ein biologisches Geschlecht und es gibt ein soziales Geschlecht. Die Differenz zwischen beiden ist des Pudelweibchens Kern. Aber da lässt die deutsche Sprache uns leider im Stich. Für beides gibt es leider nur ein einziges Wort, das eben jene Differenz verschweigt.

Bereits die Weltfrauenkonferenz in Peking hat 1995 den Gedanken des Gender-Mainstreamings zum Konzept erhoben. Die Europäische Union hat das Mitte der 90er

Jahre aufgegriffen, hat es verstanden und in Strategien umzusetzen begonnen. Zuerst in Leit- und Förderrichtlinien und zuletzt im Amsterdamer Vertrag wurde dieses Konzept zur rechtlichen Grundlage aller politischen Vorhaben der Mitgliedsländer.

Was will Gender-Mainstreaming? Im Grundsatz geht es darum, alle politischen Projekte und Leitlinien auf ihre differenzierten Wirkungen jeweils auf Frauen und auf Männer zu hinterfragen. - Das steht im Übrigen auch in Ihrer Koalitionsvereinbarung.

(Herr Gürth, CDU: Warum stellen Sie dann einen Antrag?)

Um dies leisten zu können, bedarf es zunächst einer fundierten Datenbasis in allen Bereichen des Lebens und der Gesellschaft. Wie viele allein erziehende Mütter stehen eigentlich allein erziehenden Vätern gegenüber? Wie viele Frauen stehen wie vielen Männern in Führungspositionen gegenüber? In welchen Studiengängen und Berufsausbildungen ist die Zahl der jungen Männer signifikant höher als die der jungen Frauen?

Der nächste Schritt wäre der zu fragen: Warum? Weshalb ist physische Gewalt vor allem männlich und psychische Gewalt vor allem eher weiblich? Weshalb nimmt die Zahl männlicher Pädagogen mit steigendem Bildungsgang und Kindesalter zu, die der Frauen dagegen eher ab? Weshalb haben es Männer schwer, im Falle einer Scheidung das Sorgerecht für ihre Kinder zu bekommen? Wo liegen die Ursachen für die Geschlechtertrennung in den Hörsälen Deutschlands?

Wie nun soll der Gender in den Mainstreaming kommen oder anders, umgänglicher formuliert, einfacher strukturiert: Wie gelingt eine Sensibilisierung von Politik und Verwaltung für das Ziel partnerschaftlicher und gerechter Geschlechterverhältnisse in allen Bereichen, auf allen Ebenen und bei allen Akteuren?

Gender-Mainstreaming ist nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine Methode, eine Strategie sozusagen, Staub in den patriarchalen Verhältnissen aufzuwühlen, emanzipierten Staub zugegebenermaßen. Und dabei nützt der Wunsch des Sozialministers wenig, die Frauenpolitik aus der Emanzipationsecke herausführen zu wollen, wenngleich ich zugegebenermaßen gewisse Aver- sionen kenne und auch teile.

Emanzipation - das sollte ein Liberaler wissen - heißt nicht mehr und nicht weniger als Selbstbestimmung, und in dieser Ecke ist die Frauenfrage gut aufgehoben, meine Damen und Herren.

Was dort allerdings noch schmerzlich vermisst wird, ist die Männerpolitik, und zwar eine moderne, emanzipierte Männerpolitik.

Meine Damen und Herren! Methodisch ist Folgendes notwendig:

Erstens bedarf es einer fundierten geschlechterdifferenzierten Datenbasis für alle Bereiche in Politik und Gesellschaft, um die Schieflagen, entweder die zulasten der Frauen oder die zulasten der Männer, sichtbar zu machen. Dabei gibt es eine Reihe von strukturellen Problemen und es wird auch ganz sicher nicht ohne Geld gehen.

Zweitens bedarf es Organisations- und Verwaltungsstrukturen, die über die Erklärung zum guten Willen hinaus Durchlässigkeit und Interventionsmöglichkeiten für die Geschlechterfrage ermöglichen. Es geht nicht ohne

Personal und es geht auch nicht ohne Regeln. Ein bisschen weh tun muss es schon.

Ob Sie mit einer Projektgruppe in der Staatskanzlei ressortübergreifende Strukturen tatsächlich zulassen, inwieweit solche Strukturen bissfest und effizient handeln, bleibt abzuwarten.

Meine Damen und Herren! Die Geschlechterfrage lauert überall. Was moderne Geschlechterpolitik im Ergebnis anbelangt, so präsentieren sich bisher beide Parteien - zumindest im parlamentarischen Bereich - als exterritoriales Gebiet. Sie bilden mit dieser Zusammensetzung eine Karikatur.

Meine Dame und liebe Herren, Sie wissen es sehr gut - die eine mehr und der andere weniger -, auf diesem Gebiet sind Sie blutige Anfänger und haben obendrein - das will ich ehrlich sagen - eine starke Vorlage in der Form Ihrer Vorgängerin, Herr Minister. - Er ist aber nicht da.

(Zustimmung von Frau Fischer, Leuna, SPD)

Mit tapferer Ignoranz wird es nicht zu reißen sein. Lassen Sie sich darauf ein. Männer werden gewinnen, Frauen werden gewinnen, Politik wird gewinnen. - Danke.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Bull. - Für die Landesregierung spricht Herr Minister Robra. Bitte schön.

Herr Robra, Minister und Chef der Staatskanzlei:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Lassen Sie mich zunächst sagen, dass ich als jemand, der auch schon in der zweiten Reihe gesessen hat, es als Freude und Ehre gleichermaßen empfinde, vor diesem Hohen Hause sprechen zu dürfen.

Meine Damen und Herren Abgeordneten von der PDS, mit diesem Ihrem Antrag tragen Sie - Frau Bull hat es gesagt; es steht in den Koalitionsvereinbarungen - Eulen nach Athen oder - Genius Loci - Halbkugeln nach Magdeburg.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Frau Ferchland, PDS: Na ja! Abwarten!)

Gender-Mainstreaming ist eine gleichstellungspolitische Strategie, die mit dem Amsterdamer Vertrag gesetzlich verankert wurde. Die Mitgliedsstaaten haben sich damit zu einer konsequenten Umsetzung von Gender-Mainstreaming verpflichtet.

Selbstverständlich sieht sich damit auch Sachsen-Anhalt und die sachsen-anhaltische Landesregierung in der Pflicht. Sichtbarer Ausdruck dessen ist die Festschreibung von Gender-Mainstreaming im Koalitionsvertrag mit dem Ziel, die Chancengleichheit von Frauen und Männern in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zu realisieren.

(Herr Gürth, CDU: Genau so ist es!)

Es gibt einen Beschluss der bisherigen Landesregierung vom 5. März 2002 zum ersten Bericht über die Umsetzung des Konzepts der Landesregierung bezüglich der systematischen Einbeziehung des Ziels der Chancengleichheit von Frauen und Männern in sämtliche Politikbereiche. In diesem Bericht haben die Fachministerien

ihre Erfahrungen mit dem Umsetzungsinstrument von Gender-Mainstreaming ausgewertet und Sinn und Machbarkeit des Umsetzungskonzepts grundsätzlich bestätigt. Diese Landesregierung wird hieran anknüpfen, um die Realisierung von Gender-Mainstreaming in SachsenAnhalt aktiv zu gestalten und zu verbessern.

In Ihrem Antrag, meine Damen und Herren von der PDS-Fraktion, fordern Sie, dass neben der Formulierung des guten Willens zum Verändern immer auch konkrete Ziele und Maßnahmen der schrittweisen Umsetzung konzipiert und umgesetzt werden sollen. Wer wird dies bestreiten wollen?

An der Substanz der Beispiele, die Sie in dem Antrag und in dem Redebeitrag anbringen, hat sich bedauerlicherweise nichts geändert. Ich habe mich lange gefragt: Was hat das mit Gender-Mainstreaming zu tun? Wenn nicht am Ende doch noch der Bogen geschlagen worden wäre, würde die Frage nach wie vor im Raum stehen.

Die Beispiele, die in dem Antrag aufgezählt worden sind, sind alles andere als konkret und verlieren sich in Allgemeinplätzen, die niemanden - in Sachsen-Anhalt schon gar nicht - weiterführen.

(Frau Bull, PDS: Das ist Ihre Aufgabe!)

- Das machen wir ja auch.

(Zuruf von Herrn Kühn, SPD)

Dabei ist die Landesregierung mit den aktuellen Vorhaben schon ein ganzes Stück weiter.

(Zustimmung von Herrn Gürth, CDU - Zuruf von Frau Bull, PDS)

Ich will beispielhaft sagen - der Herr Ministerpräsident hat das heute Morgen in der Regierungserklärung dargelegt -, dass in der Staatskanzlei eine - ich betone: bissfeste - Projektgruppe Gender-Mainstreaming eingerichtet wird,

(Zustimmung bei der CDU)

um so dem in der Tat ressortübergreifenden Ansatz von Gender-Mainstreaming wirklich gerecht werden zu können.

Ein inhaltlicher Schwerpunkt für die nächsten zwei Jahre wird es sein, Gender-Mainstreaming im Rahmen konkreter fachpolitischer Aufgaben weiter zu erproben. Auf diesem Weg wird es uns auch gelingen, Qualifizierungsmaßnahmen zielorientierter und nachhaltiger zu gestalten.

Wir werden auch im Anschluss an frühere Aktivitäten, die Frau Ministerin Kuppe maßgeblich begleitet hat, dafür sorgen, dass in jedem Ressort Gender-Mainstreaming-Anwendungsprojekte durchgeführt und evaluiert werden, um zu verdeutlichen, wie konkret solche Projekte sein müssen, wenn Gender-Mainstreaming keine leere Worthülse bleiben soll.

Lassen Sie mich abschließend zwei Beispiele nennen. Im Sozialministerium soll ein wichtiges Projekt im Bereich des Arbeitsschutzes umgesetzt werden. Im Zuge einer landesweiten geschlechterdifferenzierten Untersuchung über die Gefahrstoffexposition am Arbeitsplatz ist erkennbar geworden, dass werdende Mütter an Arbeitsplätzen, an denen mit Gefahrstoffen umgegangen wird, besonderer Aufmerksamkeit bedürfen. Es geht zum einen darum, Unsicherheit über mögliche Gefahren

bei den werdenden Müttern abzubauen, zum anderen soll der Informationsstand der Arbeitgeber über die im Einzelfall sehr komplexe Problematik verbessert werden.

An der Umsetzung dieses Vorhabens beteiligen sich alle Abteilungen des Sozialministeriums. So hat die Sozialabteilung Informationen zum Umlageverfahren der Krankenkasse zusammengestellt. Die Gesundheitsabteilung will gemeinsam mit der Ärztekammer daran arbeiten, die Gynäkologinnen und Gynäkologen zu qualifizieren, damit diese zum Beispiel schon bei der Aushändigung des Mutterpasses die Schwangeren entsprechend beraten. Die Familienabteilung trägt schließlich Sorge dafür, dass in den Schwangerschafts- und Familienberatungsstellen die betroffenen Schwangeren auf Gefahren, aber eben auch auf Lösungsmöglichkeiten, die sich dabei ergeben, hingewiesen werden.

Im Bereich des Kultusministeriums ist das Institut für Hochschulforschung beauftragt worden, Prozesse in Gang zu bringen, wie Gender-Mainstreaming bei der Einführung der leistungsorientierten Budgetierung an den Fachhochschulen verwirklicht werden kann. Wir sorgen auch hierbei insofern für Kontinuität, als Professor Olbertz - der jetzige Minister - seinerzeit in der Hochschule mit diesem Projekt maßgeblich befasst gewesen ist und nicht etwa wie ein Blinder von der Farbe darüber reden wird.

(Zustimmung bei der CDU - Frau Feußner, CDU: Prima!)

In der Projektgruppe arbeiten Vertreterinnen und Vertreter der Hochschulleitung mit den zuständigen Kolleginnen und Kollegen aus dem Kultusministerium und dem Frauenressort zusammen. Die Gruppe hat bereits ein interessantes, weil flexibles Berechnungsmodell entwickelt, welches gegenwärtig in den Hochschulen diskutiert wird.

Solche Ressortaktivitäten, von denen es etliche andere gibt und viele weitere in den nächsten Jahren initiiert werden, gut miteinander zu vernetzen und besser zu koordinieren, wird Aufgabe unserer Projektgruppe sein.