Protokoll der Sitzung vom 21.11.2003

An dieser Stelle hat die Landesregierung um das Wort gebeten. Herr Kultusminister Professor Dr. Olbertz, bitte sehr.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Über die mittelfristige Schulentwicklungsplanung, über die schulischen Mindestgrößen im ländlichen Raum sowie über die in Rede stehenden Entwürfe zur Änderung des Schulgesetzes haben wir am 23. Oktober 2003 schon einmal ausführlich diskutiert. Dabei ging es um die Gründe, die die Landesregierung veranlassen, nicht von den - von Ihnen - festgelegten schulischen Mindestgrößen abzuweichen.

Gestatten Sie mir den erneuten Hinweis, dass mein Amtsvorgänger, Herr Dr. Harms, im Dezember 2000 zum selben Gegenstand nichts anderes gesagt hat. Er konnte es auch nicht, weil die inzwischen eingetretene und weiterhin zu erwartende Reduzierung der Schülerzahlen schon damals mit allen Folgen abzusehen war und Gegenstand der Planungen gewesen ist.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Hätten Sie, sehr verehrte Damen und Herren von der Opposition, Regierungsverantwortung, so würden wir heute von Ihnen auch nichts anderes hören.

(Herr Reck, SPD: Das stimmt nicht! - Frau Mitten- dorf, SPD: Das stimmt nicht! Hausgemachte Probleme!)

An der Situation hat sich einfach nichts geändert. Das demografische Problem, vor dem wir stehen, wird sich in den nächsten Jahren sogar noch zuspitzen. Das wissen Sie genau. Der Schülermangel kumuliert, indem die älteren, noch geburtenstarken Jahrgänge das System verlassen und die schwachen Jahrgänge durch alle Stufen hindurch aufwachsen.

Überbrückungslösungen sind hierbei untauglich, weil es nichts zu überbrücken gibt. Die Geburtenraten der letzten Jahre zeigen, dass sich alle künftigen Schuljahrgänge, abgesehen von geringfügigen Schwankungen, auf dem niedrigen Stand, den wir im Moment zu beklagen haben, einpegeln werden. An dieser Tatsache kommen wir einfach nicht vorbei.

Das Protokoll der Debatte, die wir vor vier Wochen geführt haben, steht Ihnen allen zur Verfügung. Darum möchte ich nicht alle Argumente wiederholen. Dennoch sei noch einmal auf das Wesentliche hingewiesen. Die geltenden Mindestgrößen stellen nicht etwa ein pädagogisches Optimum dar, sondern eine Untergrenze, die die teilweise geringe Bevölkerungsdichte in einigen Landesteilen und die dramatische Entwicklung der Schülerzahlen bereits berücksichtigt.

Wir müssen auch bedenken, dass eine bestimmte Schulgröße mit dem Spektrum an Wahlfächern, Arbeitsgemeinschaften und Förderkursen zusammenhängt. Eben deshalb ist die Schulgröße nicht von dem Qualitätsanspruch einer guten Schule zu trennen. Das ist mit

so einfachen Sätzen wie: Eine gute Schule hängt nicht nur von dem Angebotsspektrum ab, sondern auch vom Klima, überhaupt nicht gesagt.

Zunächst einmal hängt eine gute Schule von dem Angebotsspektrum ab, von dem, was wir den Schülern an ordentlichem Fachunterricht und hinreichenden Wahlkursen gemäß den Lehrplänen schuldig sind. Das ist im Übrigen die Basis für ein Schulklima; denn ich kann mir ein Schulklima ohne Unterricht nicht recht vorstellen.

(Zustimmung bei der CDU und von Herrn Dr. Volk, FDP)

Eben deshalb können wir die Größe nicht von dem Qualitätsanspruch trennen, ganz zu schweigen, Frau Mittendorf, von der Unterrichtsversorgung in den Mangelfächern. Das Problem schlägt nämlich umso stärker durch, je mehr wir kleine, möglicherweise sogar kleinste Schulen und Klassen haben.

(Herr Gallert, PDS: Deshalb schließen wir in Magdeburg Sekundarschulen! - Zuruf von Frau Mittendorf, SPD - Weitere Zurufe von der SPD)

Eine weitere Verzögerung der Entscheidungen würde überdies zu einer anhaltenden Unsicherheit bei Eltern und Schülern führen, die bei allem verständlichen Einsatz für den Bestand einer bestimmten Schule zu Recht

(Unruhe bei der SPD)

- Sie brauchen mir nicht zuzuhören; ich werde das trotzdem zu Ende ausführen - Auskunft darüber fordern, in welche Schule ihr Kind künftig geht,

(Herr Dr. Püchel, SPD, auf Ministerin Frau Wer- nicke und Herrn Tullner, CDU, weisend: Hier wird erzählt!)

ob und wann es dort den Abschluss machen kann und wie sie zu erreichen ist. Wir sind es den Eltern schuldig, schnellstmöglich konstante und verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen.

(Zuruf von Herrn Dr. Püchel, SPD)

Überflüssige Schulwechsel müssen auf jeden Fall vermieden werden.

(Zustimmung von Frau Weiß, CDU)

Eine langfristig bestandsfähige Schule ist eine wesentliche Voraussetzung für ein lebendiges Schulleben, ein gutes Schulklima und die erfolgreiche Arbeit an Schulprogrammen.

Sie, Frau Mittendorf, haben beim letzten Mal mehr Schulprogramme für fragile Schulen gefordert. Das funktioniert doch überhaupt nicht.

(Zustimmung bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank - Zuruf von Frau Mittendorf, SPD)

Schulen, die in ihrem Bestand ständig infrage gestellt werden, haben es gerade in dieser Beziehung besonders schwer.

(Herr Gallert, PDS, und Frau Mittendorf, SPD: Wer will denn das! - Weitere Zurufe von der SPD)

Natürlich sind die Beratungen über die mittelfristige Schulentwicklungsplanung in den Gremien der Planungsträger konfliktgeladen - das weiß ich sehr wohl -, weil dort sehr schwierige Entscheidungen getroffen werden müssen. Aber nicht die Probleme wachsen, Frau

Mittendorf, wohl aber - das ist für diejenigen, die Verantwortung tragen, wichtig - das Bewusstsein für die Problematik. Das Bewusstsein wächst in der Tat, weil der Zeitpunkt der Entscheidung herangekommen ist, nachdem wir ihn um ein volles Jahr verschoben haben. Leider wächst bei einigen auch das Motiv, die Situation politisch auszubeuten.

(Zustimmung bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Aber wird denn ein Problem dadurch kleiner, dass man seine Lösung weiter vor sich her schiebt und Entscheidungen vertagt?

(Zurufe von der SPD - Herr Dr. Schellenberger, CDU: Können Sie sich mal beruhigen?)

Genau das Gegenteil ist doch der Fall. Manche Entscheidung, die nun ansteht, fällt gerade deswegen so schwer, weil zu lange nicht angemessen reagiert wurde. Mit jeder Terminverschiebung wird sich das Problem zuspitzen. Abgesehen davon ist es - für mich jedenfalls; ich bin nun kein Laie mehr - irgendwie auch durchsichtig, wie Sie den Termin der Fristverlängerung gelegt haben, nämlich knapp vor die Kommunalwahlen.

(Ach! bei der CDU - Zurufe von der SPD)

- Wenn Sie sagen, Sie wollen das noch vier Monate lang aussetzen, dann kommt genau das zustande.

(Frau Budde, SPD: Das ist Unsinn! - Frau Mitten- dorf, SPD: Herr Olbertz, Sie kennen die prak- tischen Prozesse vor Ort nicht!)

Im Übrigen wäre das, meine Damen und Herren von der Opposition, die Fortsetzung Ihres Politikstils der letzten Jahre - ich sage das ganz offen -: Entscheidungen umgehen, vertagen, ihnen ausweichen.

(Zustimmung bei der CDU - Zurufe von Herrn Tögel, SPD, und von Frau Mittendorf, SPD)

Gerade bei der Planung eines stabilen, konstanten und verlässlichen Schulnetzes wären die Folgen verheerend. Jede durch Fristverlängerung oder Ausnahmeregelung erhaltene Schule mit Bestandsproblemen zieht eine weitere fragile Schule nach sich. Das hängt schlicht mit Mathematik zusammen.

(Frau Mittendorf, SPD: Dann müssen Sie einmal den Text lesen!)

Ich will auch nicht weiter ausmalen, was dies für die Entwicklung der jeweiligen Schulprofile, -programme, für das Lernklima, für die Motivation usw. bedeutet.

Ich nenne Ihnen einmal ein Beispiel. Unter den 60 bei Stichproben zufällig ausgewählten Schulen für die aktuelle Pisa-Studie, an denen vor kurzem die Untersuchungen liefen, ist allein ein Drittel bestandsgefährdet. Mir kann niemand erzählen, dass diese Situation keinen Einfluss auf die Leistungsbereitschaft und die Motivation der Schülerinnen und Schüler habe. Ich fürchte inzwischen, Sie würden selbst das in Kauf nehmen für die politische Gunst des Augenblicks.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Jetzt reicht es aber lang- sam! - Weitere Zurufe von der SPD)

Unter verantwortlicher Politik stelle ich mir jedenfalls etwas anderes vor.

(Zurufe von der SPD und von der PDS)

Lassen Sie mich folgende Frage stellen: Warum bleiben Sie nicht einfach auf dem Weg, den Sie selbst vor drei Jahren in verantwortlicher Weise eingeschlagen haben und auf den wir eingeschwenkt sind?

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank - Minister Herr Dr. Daehre: Rich- tig!)

Diese Frage bitte ich Sie, Frau Mittendorf, zu beantworten.

(Frau Kachel, SPD, und Frau Mittendorf, SPD: Aber nicht so!)

Warum bleiben Sie nicht auf dem Weg, den Sie selbst nach sehr sorgfältigen und verantwortungsvoll durchgeführten Analysen eingeschlagen haben? Wir sind auf diesen Weg eingeschwenkt.