Protokoll der Sitzung vom 21.11.2003

Warum bleiben Sie nicht auf dem Weg, den Sie selbst nach sehr sorgfältigen und verantwortungsvoll durchgeführten Analysen eingeschlagen haben? Wir sind auf diesen Weg eingeschwenkt.

(Zuruf von Frau Mittendorf, SPD)

- Es nützt überhaupt nichts, dass Sie schreien. Ich stelle eine Frage und erbitte eine Antwort.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Herr Bischoff, SPD: Sie schreien doch auch! - Weitere Zurufe von der SPD)

Mir ist es einfach wichtig, die Öffentlichkeit über diesen Gang der Dinge zu unterrichten. Ich fürchte nämlich, dass man sonst schnell vergesslich wird. Wir planen nach Ihren Parametern. Diese sind vernünftig, wohl überlegt und ihnen liegen verantwortungsvoll erstellte Analysen und Prognosen zugrunde. Das ist ein Kompliment.

(Zustimmung bei der CDU - Frau Bull, PDS: Wenn Sie es wiederholen, wird das, was Sie sagen, auch nicht besser!)

Eines wollte noch sagen: Zahlreiche Menschen im Land, die viel unmittelbarer als Sie im Landtag von der Situation betroffen sind, haben sich der Verantwortung gestellt. Wirft man einen Blick auf die in den einzelnen Gebietskörperschaften bisher geleistete Arbeit zur mittelfristigen Schulentwicklungsplanung für den Zeitraum 2004/ 2005 bis 2008/2009, so kann man feststellen, dass ausnahmslos alle Planungsträger Entwürfe vorgelegt haben. Diese Entwürfe sind überwiegend von einer hohen Qualität, sodass sie ganz oder zum größten Teil anstandslos genehmigungsfähig wären.

Für diese gute Arbeit verdienen die Landräte, die Oberbürgermeister und ihre Verwaltungen - sie tragen die Konflikte sehr unmittelbar aus - zunächst einmal Anerkennung und Respekt. Das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich sagen.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

In 21 der 24 Gebietskörperschaften, die gemäß § 22 des Schulgesetzes Träger der Schulentwicklungsplanung sind, liegen die Termine zur Entscheidung in den beschließenden Gremien im November und Dezember 2003. Lediglich drei Gebietskörperschaften haben den Termin auf Januar 2004 verlegt. Ein Landkreis hat den Schulentwicklungsplan bereits beschlossen. Vor dem Hintergrund der geleisteten Planungsarbeit gibt es also keinen sachlichen Grund, die Beschlussfassung gerade jetzt, wo vernünftige Entscheidungen zustande kommen, auszusetzen oder gar zu verweigern.

So erfreulich dieser Arbeitsstand ist - das räume ich gern ein -, so wenig ist er dazu geeignet, die Situation schönzureden. Ich wäre der Letzte, der das täte. Sie ist geprägt von nahezu einer Halbierung der Schülerzahlen im Laufe eines guten Jahrzehnts und wird es auf Dauer bleiben.

Wir haben die Aufgabe, in und trotz dieser Lage ein langfristig bestandsfähiges Schulnetz mit einem regional ausgeglichenen Bildungsangebot zu schaffen, das für viele weitere Entscheidungen die erforderliche verlässliche Grundlage bietet. Ich nenne an dieser Stelle beispielsweise die anstehenden Entscheidungen im Rahmen des so genannte Ganztagsschulprogramms, wie wir es kurz bezeichnen, und der damit verbundenen Investitionen.

Meine Damen und Herren! In Kenntnis der vorliegenden Entwürfe der Planungsträger und im Ergebnis verschiedener Gespräche mit allen Landräten und Oberbürgermeistern sowie der im Landtag geführten Debatten hat das Kultusministeriums inzwischen an den Schulstandorten Entlastung geschaffen, an denen die Richtwerte zur Bildung von Eingangsklassen nicht in jedem einzelnen Schuljahr innerhalb des Planungszeitraums erreicht werden, aber die Regelzügigkeit über den Gesamtplanungszeitraum erfüllt ist.

Dies wurde den Trägern am 29. Oktober in einem Schreiben mitgeteilt. Der Ausschuss für Bildung und Wissenschaft ist auch unterrichtet worden. Im Grunde haben wir hierbei eine Ausnahmeregelung deshalb auf Dauer stellen können, weil wir gesagt haben: Solange die Gesamtschülerzahl der Schule im Planungszeitraum konstant ist, können wir eine gewisse Variabilität bei den Eingangsklassen zulassen, also das, was in diesem Jahr schon als Ausnahme möglich gewesen ist.

Die Reaktionen im Ausschuss und in der Presse zeigen, dass diese Regelung im Sinne einer Übergangsregelung für die besonders geburtenschwachen Jahrgänge auch auf die Zustimmung vieler Abgeordneter stieß. Und, lieber Herr Püchel, das haben wir auch nicht klammheimlich, sondern ganz offen gemacht.

Es ist in diesem Zusammenhang auch noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass die Aussage der Landesregierung, Ausnahmen von den schulischen Mindestgrößen dann zu prüfen, wenn die zumutbare Schulwegzeit nachweisbar erheblich überschritten ist, selbstverständlich weiterhin Gültigkeit besitzt. Darum ist es auch nicht notwendig, in einem Gesetz Ausnahmen von den schulischen Mindestgrößen für die wie auch immer definierten ländlichen Räume zu beschreiben, da wir in der Praxis die unmittelbaren Folgen der dünnen Besiedelung, nämlich die Länge der Schulwege, ohnehin heranziehen.

Lassen Sie mich zusammenfassen. Die Landesregierung lehnt es ab, den Termin zur Vorlage der Schulentwicklungspläne ein weiteres Mal zu verschieben. Wir haben sie um ein volles Jahr verschoben.

(Zustimmung bei der CDU)

Die Gründe hatte ich Ihnen, die schulischen Mindestgrößen betreffend, bereits in der Landtagssitzung im Oktober erläutert. Der Stand des Verfahrens insgesamt beweist, dass solch eine Verschiebung auch nicht notwendig ist. Ich appelliere hier an Sie, sehr geehrte Abgeordnete, auch der Opposition, diese Entscheidungen, so schwer sie auch fallen werden, mitzutragen.

Es ist nicht Aufgabe verantwortlicher Politik, die Dinge vor sich herzuschieben und letzten Endes alle Beteiligten dadurch in eine schwierigere Situation zu bringen. Denn die Probleme werden sich zuspitzen, die Schülerzahlen werden zunächst einmal weiter sinken, obwohl die Geburtenraten konstant sind. Dies hängt mit der Dynamik der Jahrgänge zusammen.

Dass Sie womöglich Ihre eigene Konzeption für die politische Gunst des Augenblicks aufgeben, ist für mich jedenfalls schwer zu vermitteln. Dabei können wir im Falle der Schulentwicklungsplanung gemeinsam ein Beispiel dafür abgeben, dass verantwortlich gestaltete und verlässliche Politik in der Tat parteiübergreifend möglich ist. Aus diesem Grund sind die Regierungsfraktionen auf Ihren Kurs, wie gesagt, eingeschwenkt. Und nötig haben wir eine solche parteiübergreifende Behandlung dieser schwierigen Probleme allemal. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP und von der Regierungsbank)

Danke, Herr Kultusminister. Würden Sie noch eine Frage von Frau Mittendorf beantworten?

(Frau Mittendorf, SPD: Eine Intervention!)

- Aha. Bitte sehr.

Herr Minister Olbertz! Meine Damen und Herren! Ich möchte erklären, dass die SPD-Fraktion als ehemals regierungstragende Fraktion ihre eigene Konzeption und ihre ehemaligen Wege nicht verlässt, eben wegen der Verlässlichkeit. Diese Wege, die wir beschritten haben wegen der Notwendigkeit einer Schulentwicklungsplanung zum Jahr 2000, die dann auch in den Kreisen beschlossen wurde, standen unter massiver Kritik gerade der damaligen Oppositionsparteien CDU und FDP. Schauen Sie in den Protokollen nach.

Was sich in den Kreistagen abgespielt hat - das kann ich Ihnen als Kreistagsfraktionsvorsitzende sagen; das können auch andere aus den Kreistagen bestätigen -, war zum Teil sehr schlimm und mündete in der Aussage: Wenn wir erst einmal regieren, werden wir nicht eine einzige Schule schließen.

(Heiterkeit bei der SPD - Herr Dr. Püchel, SPD: Was ist denn das? - Unruhe)

Ich will dem nur hinzufügen, dass ich Ihr Lob, Herr Minister Olbertz, für die Kreistage und Landräte durchaus nachdrücklich unterstütze; denn es war eine äußerst schwierige Aufgabe, diese Schulentwicklungsplanung im Jahr 2000 zu beschließen. Man hätte sie eigentlich gar nicht wieder aufmachen müssen; das hat mit uns eigentlich überhaupt nichts zu tun.

Der Grund der Öffnung ist, dass Sie die Geschäftsgrundlagen verändert haben, nämlich durch die achte Schulgesetznovelle, durch die erneute Einführung der frühen Bildungswegetrennung, durch die Verschärfung einer Eingangsklassenverordnung, die das Ganze auf die Spitze brachte, und das - das ist der dritte Eckpunkt - ausgerechnet in einer Zeit, in der das Schülertal am tiefsten ist. Und das wollen Sie uns jetzt unterschieben? Das halte ich schon für unerhört.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS - Unruhe)

Abschließend möchte ich hinzufügen, dass wir diese Terminverschiebung nicht vor dem Kommunalwahltermin im politischen Sinne sehen, sondern weil wir wollen, Herr Olbertz, dass die Entscheidung noch fällt. Denn die Vorarbeiten sind geleistet, veränderte Planungsgrößen sind schnell umzusetzen. Ich sage Ihnen auch aus der Erfahrung - das haben etliche Personen in den Kreisen bestätigt -: Es gibt Kreise, wo bis zu 50 % der Sekundarschulen geschlossen werden. Oder nennen wir mal eine Zahl: Es gibt Kreise, wo von 13 Sekundarschulen sieben oder acht geschlossen werden.

Frau Mittendorf, kommen Sie dann bitte zum Schluss?

Ja. - Wenn man veränderte Parameter ansetzt, führt das in den Kreisen nicht dazu, dass plötzlich von 13 Sekundarschulen zwölf nicht mehr geschlossen werden, sondern höchstens zwei werden nicht mehr geschlossen. Also hören Sie auf mit solchen Schulzuweisungen. Das ist nicht korrekt.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS)

Als nächsten Debattenredner rufe ich auf den Abgeordneten Herrn Dr. Volk für die FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man musste wirklich keine Prophet sein, um vorhersagen zu können, dass auch nach der Landtagsitzung vor einem Monat keine Versachlichung in der Diskussion um die Schulentwicklungsplanung eintreten würde. Dazu waren und sind die Absichten der Opposition zu durchsichtig. Sie, meine Damen und Herren von der SPD und der PDS, sahen die Chance, aus notwendigen, aber schwierigen Entscheidungen vieler Kreistage parteipolitisches Kapital zu schlagen, und Sie sehen es offensichtlich immer noch.

(Frau Fischer, Naumburg, SPD: Quatsch!)

Wenn die heutige Aktuelle Debatte mit der Begründung beantragt wird, dass den Landtag Resolutionen zu diesem Problem erreichen, dann sollte man auch sagen, wer in den allermeisten Fällen der Urheber dieser Beschlüsse ist: Die PDS und die SPD in einigen Kreistagen, manchmal auch beide gemeinsam, beantragten die Resolutionen. Man begründet also die heutige Debatte mit dem Ergebnis eigenen Handelns.

Meine Damen und Herren! Sie vollziehen einen Zirkelschluss, der alles andere als ernsthafte Politik ist. Hier geht es nur um eine symbolische Geste, mit der Sie sich als SPD und PDS als Retter der Schulen im Lande profilieren wollen.

(Zustimmung von Minister Herrn Prof. Dr. Ol- bertz)

Auch die Aussagekraft des Bürgerwillens, der sich in der Initiative „Schule vor Ort“ ausdrückt, ist schwächer, als es auf den ersten Blick scheint. Wenn man sich die Informationen und Veröffentlichungen der Initiative etwas genauer ansieht, fällt auf, dass die Akteure nahezu ausschließlich aus dem Blickwinkel einer durch Schülermangel bedrohten Schule argumentieren. Natürlich ist

es für die betroffenen Schüler, Eltern und Kommunalpolitiker nicht einfach, wenn mit der Schule vermeintlich ein Stück Leben aus dem Ort verschwindet. Rein menschlich kann ich die Betroffenheit nachvollziehen.

Um es klarzustellen: Die Elterninitiative „Schule vor Ort“ nimmt ihr legitimes Recht auf Artikulation und Durchsetzung ihrer Interessen wahr. Das ist nach demokratischen Grundregeln erwünscht. Wir dürfen in dieser Frage jedoch nicht vergessen, dass die Elterninitiative, wie andere Bürgerinitiativen auch, nur ein eingegrenztes Interesse - in diesem Fall das Interesse am Erhalt ihrer Schule - vertritt. Als Landtagsabgeordnete sind wir aber nicht nur bestimmten Partikularinteressen verpflichtet.

Ich habe in den letzten Wochen viele Diskussionsrunden besucht und viele Gespräche geführt und musste feststellen, dass es für einen Landtagsabgeordneten angenehmere Termine und angenehmere Fragestunden gibt.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Aha!)

Aber man kann es sich auch einfach machen und man schiebt die Schuld, so wie Sie, auf die Regierungsparteien oder noch besser auf die Bildungspolitiker der Regierungsparteien.

Meine Damen und Herren! Wir nehmen die Bedenken ernst. Deshalb haben wir im Bildungsausschuss am Mittwoch eine öffentliche Anhörung durchgeführt und deshalb befasst sich der Landtag immer wieder mit dieser Thematik. Sie denken sicherlich dabei: Steter Tropfen höhlt den Stein - für uns ist es die demokratische Wahrnehmung einer Verantwortung.

Meine Damen und Herren! Mit der Schulentwicklungsplanung formulieren wir gemeinsam mit den Schulträgern Rahmenbedingungen, die die Bildungsqualität sichern sollen. Hierauf liegt der Schwerpunkt unserer Bildungspolitik.

Wenn der Vorsitzende einer sich immer und bei dieser Thematik besonders kämpferisch gebärdenden Lehrergewerkschaft in der letzten öffentlichen Anhörung die Meinung vertritt, mit 150 Schülern könne man halbwegs gute Schule machen, dann bestätigt mich das im Festhalten an einem Grenzwert, der nicht nur halbwegs gute Schule garantiert, sondern gute Bildung in Sachsen-Anhalt. Diese gute Bildung macht sich eben auch an Schulgrößen fest.

Man kann es nur immer wieder betonen, dass die Bildungspolitik, dass die Diskussion um die Schulentwicklungsplanung und die Ursache der notwendigen Neugestaltung der Schullandschaft auf der demografischen Entwicklung beruhen.