Protokoll der Sitzung vom 21.11.2003

Man kann es nur immer wieder betonen, dass die Bildungspolitik, dass die Diskussion um die Schulentwicklungsplanung und die Ursache der notwendigen Neugestaltung der Schullandschaft auf der demografischen Entwicklung beruhen.

An dieser Stelle nur eine kleine Nebenbemerkung: Wir müssen uns im politischen Raum, in der politischen Diskussion viel intensiver mit dem gesamten Phänomen der Bevölkerungsentwicklung im Land beschäftigen; denn vieles, was in Sachsen-Anhalt politisch zu behandeln ist, wird hiervon unmittelbar beeinflusst.

Die zurückgehenden Schülerzahlen sind ein Ergebnis des Geburtenrückganges, der seit den 90er-Jahren in allen Bundesländern zu verzeichnen ist. Mit sechsjähriger Verzögerung erreichte er die Grundschulen und macht sich nach zehn Jahren an den Sekundarschulen und Gymnasien bemerkbar. Dabei zeichnet sich momentan eher eine Stabilisierung auf niedrigem Niveau ab. Ein bemerkenswerter Anstieg der Geburtenzahl ist nicht auszumachen und dieser wird zum Teil durch die Abwanderung sogar noch aufgehoben.

In diesem Jahr wurden in Sachsen-Anhalt rund 15 000 Schüler in die 1. Klasse aufgenommen, vor zehn Jahren waren es noch 38 000 Schüler. Es liegt nun auf der Hand, dass ein Rückgang der Zahl der Einschulungen und damit auch der Schülerzahlen auf weniger als 40 % dramatische Auswirkungen auf eine Schullandschaft haben muss. Im Grundschulbereich stabilisiert sich die Zahl der Schulen im Land. Dass die geringen Schülerzahlen auch Auswirkungen auf die Gymnasien und Sekundarschulen haben würden, war eigentlich schon lange absehbar.

Kinder, die in diesem Jahr geboren werden, sind im Jahr 2009 und im Jahr 2010 in der 1. Klasse und ab dem Jahr 2013 in der 5. Klasse. Es sind also schon alle Grundschüler des Jahres 2010 und sämtliche Sekundarschüler und Gymnasiasten des Jahres 2013 geboren.

Man kann auf dieser Grundlage die Schulentwicklungsplanung durchführen. Ebenso hätte man die aktuelle Diskussion bereits vor fünf Jahren führen und auch auf die Einhaltung der Richtzahlen dringen können.

Als dann im Jahr 1999 die Verordnung zur mittelfristigen Schulentwicklungsplanung verabschiedet wurde, handhabte man das Instrumentarium der Ausnahmeregelungen so exzessiv, wohl wissend, dass man damit nur ein Sterben auf Raten einläutet. Es gebietet jedoch die Fairness gegenüber Schülern und Eltern, aber auch gegenüber den Schulträgern, den Gemeinden und Landkreisen, die Schulentwicklungsplanung verlässlich und berechenbar zu machen.

Wenn im Dezember 2003 die Landkreise die Planung abgeschlossen haben werden - die aktuellen Übersichten zeigen, dass die Kreistage ihre Verantwortung wahrnehmen -, dann weiß jeder, welche Standorte Zukunft haben werden. Dann ist verantwortungsbewusst über Investitionsentscheidungen der Kommunen, aber auch über die Schulwege zu entscheiden. Die Schüler können eine Identifikation mit ihrer Schule aufbauen und die Schule kann ein Schulprofil entwickeln. Die Alternative wäre eine lang anhaltende Unsicherheit über Schulstandorte, Klassen und Schulwege, an der niemand ein Interesse haben kann.

Eine besondere Verantwortung tragen dabei die Kreistage und die Stadträte der kreisfreien Städte. Sie kennen die örtlichen Gegebenheiten und können diese bei ihren Entscheidung über einzelne Schulstandorte einbeziehen. Ich weiß, dass die Abgeordneten der Kreistage in den nächsten Tagen und Wochen verantwortungsbewusst entscheiden werden, und zwar trotz scharfer Resolutionen, und dass die Sacharbeit, das heißt die Suche nach gut erreichbaren und gut ausgestatteten Schulstandorten, im Mittelpunkt der kommunalen Arbeit stehen wird.

Auch nach dem Abschluss der kommunalen Schulentwicklungsplanung sehe ich weitere Aufgaben, wie die perspektivische Öffnung von Schuleinzugsbereichen laut der Schulprofilierung und vor allem die Optimierung des Schülerverkehrs. Die Schüler stellen für viele Verkehrsunternehmen die größte Kundengruppe dar. Wenn sich Linienführung und Fahrplangestaltung konsequent an den Bedürfnissen dieser größten Kundengruppe orientieren, müssen längere Schulwege nicht zwangsläufig längere Fahrzeiten bedeuten. Die Landkreise haben als Träger des Nahverkehrs erheblichen Einfluss, den sie im Sinne der Schüler nutzen sollten.

Sehen wir also den Tatsachen ins Auge und hören wir damit auf, die Träger der Schulentwicklungsplanung zu verunsichern, indem wir hier Luftschlösser aufbauen, die in der Realität keinen Bestand haben. Lassen Sie uns gemeinsam gute und nicht nur halbwegs gute Schule machen in diesem Land. - Besten Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zustim- mung von der Regierungsbank)

Danke, Herr Dr. Volk. - Für die PDS-Fraktion erteile ich der Abgeordneten Frau Dr. Hein das Wort. Bitte sehr.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

(Zurufe von der SPD: Präsidentin!)

- Entschuldigung, Frau Präsidentin. So früh habe ich Sie noch nicht erwartet.

(Heiterkeit bei allen Fraktionen)

- Ja, ansonsten ist Sie immer als Zweite dran, ganz einfach.

Wohl kaum einen kann die Diskussion von Eltern, Schülerinnen und Lehrerinnen, ganzen Kreistagen und anderen kommunalen Mandatsträgerinnen, die derzeit in den Städten und Landkreisen abläuft, unberührt lassen. Das unterstelle ich auch niemandem. Gerade auch kommunale Mandatsträger der CDU und der FDP haben dort ein schweres Los, wollen sie die Entscheidungen der Landesregierung in den Kommunen vertreten. Das ist in Zeiten großer Umbrüche - vor einem solchen stehen wir unweigerlich - wohl auch nicht anders zu haben. Aber man kann solche Prozesse mit Augenmaß oder mit dem Holzhammer betreiben.

(Beifall bei der PDS)

Die derzeitige Verordnung zur Schulentwicklungsplanung nimmt nun noch stärker als die aus dem Jahr 1999 alle Tiefen der Entwicklung mit. Sie ist unflexibel, eben wie ein Holzhammer, und damit wenig zukunftsfähig.

Die Frage, die uns auch vorgestern in der Anhörung zu den beiden Schulgesetzen gestellt wurde, ist, ob wir bereit sind, den öffentlichen Protest aufzunehmen und uns im Landtag und als Landtag zu bewegen. Um keinen Irrtum aufkommen zu lassen: Ich bin der Auffassung, dass sich in dieser Situation jede Landesregierung würde bewegen müssen, gleich welche Partei sie stellt und gleich was man vorher beschlossen hat.

Es geht darum, meine Damen und Herren, sich zu korrigieren, um nichts mehr und nichts weniger. Ich finde, das ist in einer solchen Situation, wenn man die Ausmaße und den Umfang von Entscheidungen abzuschätzen vermag, keine Schande, sondern gute, demokratische Politik.

(Beifall bei der PDS)

Es geht keinesfalls darum, alles so zu lassen, wie es jetzt ist. Das fordert auch keiner - vielleicht einige schon.

In der Mehrzahl der Veranstaltungen, die ich besucht habe, habe ich viel Vernünftiges, Nachdenkliches und viele Einsichten vorgefunden, dass es angesichts der Dramatik der Entwicklung der Schülerzahlen in den weiterfüh

renden Schulen in den nächsten Jahren sehr schmerzliche Einschnitte geben wird und geben muss. So genau wurden das Schulgesetz und seine Verordnungen wohl noch nie gelesen, nur um eine Lösung zu finden, die halbwegs den Interessen der Beteiligten gerecht wird.

Ich war übrigens auch dem Schulleiter des GerhartHauptmann-Gymnasiums in Wernigerode auf einer Veranstaltung in Ilsenburg kürzlich sehr dankbar dafür, dass er ausdrücklich den Zusammenhang zwischen schulfachlichen, pädagogischen und unterrichtsorganisatorischen Aspekten dem wünschenswerten Ringen um den Erhalt von Schulstandorten hinzugefügt hat, einen Aspekt, den vorgestern auch der Vertreter des Philologenverbandes und der Landesschülerrat angeführt haben. Manchmal wird das in der Debatte in den Kommunen vergessen und nur die kommunale Sicht gesehen. Ich halte das für falsch. Beide Aspekte gehören zusammen und wir können und dürfen sie nicht gegeneinander ausspielen oder aus dem Zusammenhang gerissen betrachten.

Dass es eine Anerkennung dieser Notwendigkeiten gibt, wurde in der Anhörung übrigens auch in den Äußerungen des Landeselternrates, der Lehrerverbände und auch der Initiative „Schule vor Ort“ deutlich.

Die einzige Darstellung, die ich nicht so recht nachvollziehen konnte, war die Stellungnahme des Städte- und Gemeindebundes. Sie widersprach nämlich in wesentlichen Punkten den Berechnungen in den Kreisen, die eben durch die Konzentration der Schulstandorte im ländlichen Raum keinen Finanzvorteil für die Kommunen ausmachen konnten. Dass sie zudem oftmals auch noch auf den zum Teil frisch renovierten Gebäuden sitzen bleiben, macht die Sache noch schlimmer. Im Übrigen wurde uns vor einigen Jahren, als wir das erste Mal über solche Maßzahlen gesprochen haben, aus den Kreisen genau die gegenteilige Rechnung aufgemacht.

Wenn nun erst ein Kreistag - in der Anhörung war noch von zweien die Rede; es wird sicherlich eins von beiden stimmen -

(Heiterkeit bei allen Fraktionen)

einen einvernehmlichen oder wenigstens mehrheitsfähigen Beschluss fassen konnte, dann zeigt das eben, wie schwierig die Lage ist. Offensichtlich ist es so, dass es nicht in allen Landkreisen mit den von der Regierung gemachten Vorgaben derartige Schwierigkeiten gibt. Das ist auch gut so. Aber wenn ganze Kreistage sich der Beschlussfassung verweigern, weil sie mit dem Ergebnis nicht leben können,

(Frau Feußner, CDU: Dann haben die vielleicht eine schlechte Kreisverwaltung!)

dann berücksichtigt die Verordnung eben nicht hinreichend die unterschiedlichen räumlichen Bedingungen.

Was wird nun von uns erwartet? - Es wird erwartet, dass wir angesichts der dramatischen Entwicklung der Schülerzahlen Regelungen treffen, die auch in Zukunft ein stabiles und ein möglichst dichtes Schulnetz sichern, das allen Kindern dieses Landes angemessene gleiche Bedingungen bietet, um jeden aus ihrer Sicht erstrebenswerten Bildungsgang erreichen und nutzen zu können.

Gerade bei Sekundarschulen und Gymnasien gehört es dazu, dass die Beförderungsmöglichkeiten auch an späten Nachmittagen gegeben sein müssen, um die auch von uns gewünschte Vielfalt der Angebote wahrnehmen

zu können. Die Schüler haben nämlich nichts davon, wenn sie eine große Schule mit unheimlich vielen Angeboten haben, aber die Schulbusse fahren meinetwegen noch nach der sechsten oder siebenten Unterrichtsstunde, und damit ist Ruhe.

Hinzu kommt der Besuch von außerschulischen Angeboten, nämlich der Musikschule oder des Sportvereins oder das Engagement in der Freiwilligen Feuerwehr eines Dorfes, die man, wenn man erst sehr spät nach Hause kommt, wenn überhaupt noch, auch nicht mehr wahrnehmen kann.

(Beifall bei der PDS)

Das alles sind Bedingungen, die wir mit im Auge haben müssen. Darum müssen Schulwege möglichst kurz gehalten werden, und darum bedarf es eines möglichst dichten Schulnetzes.

Übrigens, ein ähnlicher demografischer Einbruch, so heftig wie wir ihn erleben, hat vor ca. 30 Jahren in Finnland zu einer Radikalkur geführt, und das offensichtlich mit großem Erfolg. Eine solche Radikalkur ist in Deutschland leider undenkbar, außer in der Gesundheits- und Rentenreform. Auf die muss man aber auch nicht gerade stolz sein.

Wenn wir es nicht schaffen, das Schulsystem radikal zu modernisieren, weil wir uns in Deutschland noch nicht einmal darauf einigen können, was modern ist, dann sollten wir wenigstens etwas mehr Beweglichkeit ins System bringen. Genau das schlägt unser Gesetzentwurf vor. Er ist machbar. Er ist umsetzbar. Er zwingt die Kommunen weder zu kleinsten Schulen noch zu Schulkombinaten mit möglichst vielen Außenstellen und drängt zehnjährige Schülerinnen nicht zu endlosen Schulwegen in überfüllten Schulbussen. Dass es schon die Zehnjährigen trifft, das haben Sie so gewollt, nicht wir.

(Frau Weiß, CDU: Das hatten wir doch in ande- ren Zeiten auch schon!)

Er löst nicht alle Fragen, aber er lässt andere Entscheidungen zu. Er ist demokratisch und er ist vernünftig. Er ist ausgesprochen ausgerichtet auf die Bedingungen im ländlichen Raum und eben zum Beispiel nicht auf die großen Städte, in denen es auch Begehrlichkeiten gibt.

Die Zügigkeitsrichtwerte, meine Damen und Herren, auf die jetzt abgehoben wird, waren bis zum Jahr 1999 überhaupt nicht erforderlich, um gute Schule zu machen. - Dazu muss ich sagen, Herr Minister,

(Herr Gürth, CDU: Wir waren 36 in einer Klasse!)

Sie könnten sich natürlich durchaus auf Ihren Vorgänger berufen und sagen: Der hat schon den groben Fehler gemacht.

(Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Das habe ich nicht gesagt!)

- Ich weiß, dass Sie es hier nicht sagen würden. Sie können es aber sagen, weil die Zügigkeitsrichtwerte tatsächlich von Ihrem Vorgänger erfunden worden sind.

(Unruhe bei der CDU und bei der FDP - Minister Herr Dr. Daehre: Hört, hört!)