Rosemarie Hein

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Linkspartei.PDS hatte bereits im September des vergangenen Jahres einen Antrag eingebracht, der darauf zielte, Schülerinnen und Schülern, die in Bedarfsgemeinschaften leben und deshalb Leistungen nach dem Hartz-IV-Gesetz erhalten, von den Kosten der Schülerbeförderung zu entlasten, und zwar soweit sie die Beförderung gemäß § 71 des Schulgesetzes des Landes nicht mehr kostenlos erhalten können.
Die Landesregierung und die Koalitionsfraktionen empfanden es als wichtig, zuerst das Ausmaß der möglichen Betroffenheit und des tatsächlichen Bedarfs zu ermitteln, um dann möglicherweise Kompensationen zu vereinbaren. Sie haben darum auch einen Änderungsantrag gestellt.
Beide Anträge wurden in den Ausschuss überwiesen - da liegen sie nun. Die Landesregierung hatte versprochen, die Bedarfsermittlung schnell durchzuführen. Sie legte dem Ausschuss mit Datum vom 15. November 2005 und vom 12. Dezember 2005 zwei Berichterstattungen vor.
Die Ausführungen darin bestätigen, dass zwar einige Landkreise noch eine Erstattung nach § 71 Abs. 5 des Schulgesetzes als freiwillige Leistung vorsehen, aber in den wenigsten Landkreisen davon auch Gebrauch gemacht wurde. In fast allen Landkreisen gab es aber Anfragen auf Kostenübernahme. Bei keinem der Landkreise konnten jedoch Aussagen darüber getroffen werden, ob wegen fehlender Unterstützung der Besuch der gymnasialen Oberstufe abgebrochen bzw. nicht aufgenommen wurde.
Die Kosten für die Schülermonatskarten schwanken je nach Entfernung der Schule zwischen ca. 20 € und ca. 140 € im Monat. Was das bei einem verfügbaren Einkommen von maximal 331 € im Monat bedeutet, kann sich der eine oder die andere in diesem Hohen Hause vielleicht noch vorstellen.
Der zweite Bericht der Landesregierung brachte vier wesentliche Aussagen zutage.
Erstens. Es handelt sich in der Tat um ein Problem.
Zweitens. Es betrifft mehr junge Menschen oder Familien als die von Hartz IV abhängigen Bedarfsgemeinschaften.
Drittens. Wir können nicht sagen, welchen Umfang das Problem hat.
Viertens. Es ist eigentlich Aufgabe der Bundespolitik, darauf angemessen zu reagieren.
In allen vier Feststellungen hat die Landesregierung Recht. Auch wir haben nur Kenntnis von Einzelfällen und können den Umfang des Problems nicht erfassen. Aber genau das macht uns unruhig. Wenn man nämlich weiß, wie viele Familien in Sachsen-Anhalt allein von ALG II betroffen sind und wie groß die Zahl der jungen Menschen unter 25 Jahren ist, die in Armut leben, dann kann man doch nicht annehmen, dass sich das Problem für die Schülerinnen und Schüler von allein erledigt. Wenn aber schon niemand mehr fragt, wenn sich offensichtlich viele in das scheinbar unausweichliche Schicksal dareinfinden, dann ist das eine Ohrfeige für das soziale Bewusstsein von Politikerinnen und Politikern und deren öffentliche Akzeptanz.
Ich wiederhole es noch einmal: Es ist uns nicht wichtig, ob viele oder wenige junge Menschen, die sich noch in der Ausbildung befinden, davon betroffen sind. Wir möchten, dass jeder und jedem Einzelnen geholfen werden kann. Gestern hatten wir im Landtag eine ausführliche, heftige Debatte um den Wert und die Qualität von Bildung und um die Notwendigkeit, allen Kindern und Jugendlichen eine ihren Fähigkeiten und Neigungen entsprechende Bildung und Ausbildung zukommen zu lassen. Zumindest in dieser Absicht waren sich alle Fraktionen einig. Allein, unsere Absichtserklärungen laufen ins Leere, wenn sie nicht auf den notwendigen sozialen Kontext treffen, wenn der notwendige soziale Ausgleich denen nicht gewährt wird, die aus den sozial schwächsten Verhältnissen kommen.
Nun liegt diese Verantwortung nur zu einem Teil beim Land. Die Änderung der Sozialgesetzgebung liegt nicht in unserer Kompetenz, wohl aber die Verantwortung, damit umzugehen. Es ist eben schon ein Problem, dass in diesem Zusammenhang Beschäftigte mit einem niedrigen Einkommen die Fahrtkosten zur Arbeitsstelle als Mehraufwand geltend machen können, Schülerinnen und Schüler aber nicht, weil sie ja nicht arbeiten, und vielleicht auch deshalb nicht, weil Bildung Ländersache ist.
Gestern hat in der Debatte der Gesichtspunkt eine Rolle gespielt, dass das Netz weiterführender Schulen in der Sekundarstufe II weitmaschiger wird und dass im Interesse eines ausreichend qualitätvollen Angebots künftig zum Beispiel im Berufsschulbereich nicht mehr alles überall vorgehalten werden kann, was genau genommen auch heute schon der Fall ist. Aber damit wird sich das Problem des Zugangs zu qualitativ anspruchsvollen Bildungs- und Ausbildungsangeboten nur noch verschärfen.
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben die Brisanz des Problems spät genug erkannt. Wir haben weitere vier Monate ins Land gehen lassen, ohne dass etwas passiert ist. Bis eine Regelung gefunden sein wird, dauert es sicherlich abermals Wochen oder Monate. Ich finde, dass es den betroffenen jungen Leuten und ihren Familien nicht zuzumuten ist, dass wir nicht aus dem Knick kommen. Darum haben wir den dringenden Wunsch der anderen Abgeordneten und auch der Landesregierung aus dem Ausschuss für Bildung und Wissenschaft aufgenommen. Sie haben uns ja förmlich ermutigt, einen Antrag zu stellen. Wir tun das nun, und das, obwohl sich die beiden anderen Anträge noch im Ausschuss befinden.
- Das ist nicht kurios, das ist eigentlich schlimm. - Ich hätte mich sehr gefreut, wenn an dieser Stelle ein Antrag von den Fraktionen der CDU und der FDP gekommen wäre, auch eine Beschlussempfehlung unter Umständen, wie man mit dem Problem umgeht. Das liegt - -
- Es geht um die Ergebnisse, nicht darum, was wir im Ausschuss machen. Das interessiert die Leute, wenn sich für sie nichts verändert, überhaupt nicht.
- Wir haben darüber geredet, und zwar zweimal, Herr Tullner. Ich glaube, Sie waren sogar dabei.
Jetzt müsste man endlich mal zu Potte kommen. Aber zu Potte gekommen sind Sie bisher nicht. Sie haben uns fast in den Mund gelegt: Sie werden sicherlich einen Antrag stellen. - Hier ist er. Ich hätte mich gefreut, wenn Sie es getan hätten.
Wir wollen heute zweierlei:
Erstens. Die Landesregierung soll mit den kommunalen Spitzenverbänden moderierend um eine Regelung nach § 71 Abs. 5 des Schulgesetzes ringen, wie sie in einigen Landkreisen schon üblich ist. Die bisherigen guten Beispiele können diese Debatte sichtlich erleichtern. Auch die Kreistage dürften diesen Problemen inzwischen deutlich aufgeschlossener gegenüberstehen, sodass ich gute Chancen für eine zügige Einigung sehe. Auch im Stadtrat von Magdeburg gab es einen fraktionsübergreifenden Konsens, zumindest erst einmal entsprechende Summen in den Haushalt einzustellen. Die Folgeregelung fehlt noch. Aber das kriegen wir auch hin.
Zweitens. Die Landesregierung soll im Bundesrat initiativ werden, um im Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches eine entsprechende Regelung zu den Schülerbeförderungskosten für betroffene Schülerinnen und Schüler zu verankern.
Natürlich, meine Damen und Herren, bleibt es allen Mitgliedern dieses Hohen Hauses unbenommen, den Abgeordneten der eigenen Partei im Deutschen Bundestag das Problem dringend ans Herz zu legen. Gestern wurde im Bundestag über eine Gesetzesänderung zur Angleichung des ALG II Ost an das Westniveau verhandelt, in erster Lesung wohlgemerkt. Der mögliche Aufwuchs von 14 € würde unser Problem zwar mildern, aber nicht beheben. Außerdem war das wohl nicht der Grund für die Angleichung, was unser Anliegen eher noch unterstreicht. Das Thema ist aber offen und ich bitte Sie: Handeln Sie schnell! Sie sollten diese Chance auch aus den Ländern heraus nutzen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir werden zu diesem Antrag keinen Überweisungsantrag stellen. Im Ausschuss liegen bekanntlich zwei Anträge, ein dritter macht keinen Sinn. Sinn macht eine Entscheidung heute und hier.
Diese Entscheidung, die wir heute und hier treffen können, sagt nichts über Umfänge, sagt nichts über die konkreten Maßnahmen. Sie ist nur ein Auftrag an die Landesregierung, in diesem Interesse und in diesem Sinne zu handeln. Sie bestärkt die Landesregierung, mit den Landkreisen in Verhandlungen zu treten, und sie bestärkt sie, im Bundesrat initiativ zu werden. Das war übrigens auch der Tenor aus dem Ausschuss, den wir aufgenommen haben. Darum bitte ich Sie: Springen Sie über Ihren Schatten, stimmen Sie unserem Antrag zu!
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Ich habe vorhin schon einmal versucht zu erklären, warum wir zu dem Mittel gegriffen haben - zu dem Sie uns übrigens ermutigt haben -, noch einmal einen Antrag zu stellen. Das hat einfach damit zu tun, dass wir am 25. Januar 2006, also in der kommenden Woche, eine Ausschusssitzung haben, die letzte, in der der Ausschuss vor der letzten Landtagssitzung noch etwas beschließen kann; und das Thema steht nicht auf der Tagesordnung.
Wir haben unsere Angebote gemacht, eine von Ihnen geänderte Beschlussempfehlung lag im Ausschuss nicht vor. Ich sehe auch heute nicht, dass Sie irgendetwas in dieser Richtung einzubringen haben. Deshalb frage ich mich schon, was eine Ausschussüberweisung bringen soll, wenn Sie das Problem offensichtlich nicht lösen wollen.
Zu dem Minister muss ich sagen: Sie erklärten heute genau genommen das Gleiche, was Sie schon im September erklärt haben.
Wie gesagt, unser Antrag kam im September, nicht im Oktober, November, Dezember, sondern im September. Wir haben ihn deshalb vorgelegt, weil uns im Sommer aufgegangen ist - das ist auch schon reichlich spät gewesen -, dass sich mit der Einführung des ALG II - deshalb hat sich der Antrag zunächst nur auf diese Gruppe bezogen - eine große Anzahl von Betroffenen in einer Situation befindet, in der sie sich vorher eben nicht befunden hat. Das ist vom Bundesgesetzgeber nicht bedacht worden. Diesem Problem kann der Landesgesetzgeber nicht in gleicher Weise gegensteuern.
Deshalb haben wir den Antrag gestellt und deshalb war er nur auf diese Gruppe gerichtet. Wir wussten auch schon damals sehr wohl - Sie haben jetzt auch gesagt, dass es so ist; da haben Sie Recht -, dass es mehr betrifft als nur diese Gruppe.
Herr Minister, ich muss Ihnen sagen: Phantasielosigkeit habe ich Ihnen nie zugetraut, aber das, was Sie heute gesagt haben, was Sie alles mit den kommunalen Spitzenverbänden nicht vereinbaren können, zeugt von ausgesprochener Phantasielosigkeit.
Schauen Sie sich einmal Ihre Vorgänger an. Sie sind solche Wege gegangen; sie haben solche Vereinbarungen
getroffen, die zwar auch nur von begrenzter Existenz waren, aber immerhin war es erst einmal ein Schritt.
Sie sagen, das könnten Sie nicht machen, das sei ein Eingriff. Ich rede nicht von einem Eingriff, sondern von einer Moderation. Vielleicht kann man wenigstens das tun. Denn bei anderen Themen tun Sie es sehr wohl. Ich frage mich schon, warum das ausgerechnet bei diesem Thema nicht geht.
Es geht weiß Gott nicht nur um das Abitur. Das Einkommen von Jugendlichen, die sich in einer Berufsausbildung befinden - in der vollzeitschulischen gibt es sowieso nichts, aber in der dualen -, wird auf die Leistungen, die die Bedarfsgemeinschaft erhält, angerechnet. Sie sind deshalb in der gleichen Lage.
Ich glaube, von Ihnen kann sich kaum noch einer vorstellen, was Familien mit einem solchen Einkommen alles tun müssen, um damit den Monat über zurechtzukommen. Dann sind Schülerbeförderungskosten in Höhe von 140 €, 60 € oder 90 € im Monat ein Packen, den man nicht schultern kann.
Es ist schon sehr bedenklich, wenn Bildungskarrieren offensichtlich danach ausgerichtet werden, was an Finanzen im Haushalt zur Verfügung steht. Auch das ist eine mögliche Ursache, warum wir von den Problemen nichts erfahren.
- Ich komme schon zu dem Wort Populismus, meine Damen und Herren. - Sie hätten uns echt den Schneid abkaufen können und ich hätte damit überhaupt kein Problem gehabt. Aber genau das haben Sie nicht getan.
Was meinen Sie denn, wenn Sie uns eine solche Steilvorlage geben, was wir in den nächsten Tagen und Wochen mit dieser Problematik tun werden? - Stimmen Sie diesem Antrag zu oder lehnen Sie ihn ab oder verschieben Sie ihn in den Ausschuss, um ihn zu beerdigen - dies alles gibt ein deutliches Bild von Ihrem Sozialverständnis. Das werden wir selbstverständlich im Wahlkampf benutzen.
Danke schön, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Der Kultusminister hat Recht, wenn er Bildung als wichtigste gesellschaftliche und individuelle Ressource begreift. Das gilt für uns und gerade auch für SachsenAnhalt.
Dennoch treten Fragen der Bildungspolitik in Umfragen meist hinter Fragen der Arbeitswelt sowie der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik zurück. Die Unzufriedenheit mit der Bildungspolitik ist dennoch landauf, landab ein Dauerbrenner in der öffentlichen Debatte. Seit Jahren fordern bildungspolitisch Interessierte, die Streitparteien in der Politik mögen sich doch endlich einigen; aber dieser Ruf verhallte bisher ungehört. Das hat auch damit zu tun, dass die bildungspolitischen Vorstellungen nicht nur unter den politischen Parteien, sondern auch in der Gesellschaft sehr weit auseinander gehen.
Nun scheint es, als ob zumindest bei der Anerkennung der Defizite bei den Bildungsergebnissen übereinstimmende Problemsichten heranreifen würden. Immerhin ist das Eingeständnis der Bundeskanzlerin, dass die hohe Abhängigkeit des Bildungserfolges von der sozialen Herkunft ein unhaltbarer Zustand in der Bundesrepublik sei, ein wichtiges Indiz dafür.
Dennoch wage ich zu bezweifeln, dass die Avancen der SPD an die CDU, in Sachsen-Anhalt einen Bildungskonvent zu installieren, einen Erfolg in dieser Einigung brin
gen werden. Ich halte das eher für zweifelhaft im Hinblick auf einen schnelleren Fortgang der Debatte, es sei denn, man nähme in Kauf, dass sich auch künftig nicht viel bewegt.
Aber die Kritiken aus der Öffentlichkeit zielen auf Bewegung, allerdings möglichst - so paradox das ist - auf Bewegung ohne viel Veränderung oder auch auf eine Veränderung ohne viel Bewegung - wie man jeweils will. Das aber wird nicht gehen.
So ist die heutige Debatte ein willkommener Anlass, über die Ergebnisse von vier Jahren schwarz-gelber Bildungspolitik zu diskutieren, sie zu beurteilen und zu gewichten. Ich will das tun und will mich dabei auf die Schulpolitik konzentrieren. Ich will auch unsere Alternativen anbieten.
Man muss dabei von den Erwartungshaltungen an die Bildung ebenso wie von vorausschauender Sicht auf die Erfordernisse moderner Bildung in der heutigen Zeit ausgehen. Die Gewichtung von Bildungspolitik durch den Minister heute knüpft durchaus an seinen Aussagen in der Enquetekommission „Schule mit Zukunft“ an, der unser heutiger Kultusminister bekanntlich als Experte angehörte.
Dort zitierte er nicht nur Klafki und bezog sich auf die - Zitat - „gesellschaftlich produzierte Ungleichheit“ als eines der Schlüsselprobleme, an denen sich Bildung zu orientieren habe, sondern er kritisierte auch, dass wir heute noch - Zitat - „lehren und lernen wie vor 100 Jahren“.
Er verlangte ein „anders Lernen“ und beschrieb auch sehr genau, was dies in der inhaltlichen Neuausrichtung von Schule bedeuten könne, nein, müsse. Er kritisierte, dass Schule zu wenig auf die Lebenswirklichkeit der Lernenden ausgerichtet sei, und machte ziemlich konkrete Vorschläge, wie die Schule zu verändern sei.
Diese bemerkenswerten Forderungen teile ich ausdrücklich und genau dies ist auch der Ansatz der bildungspolitischen Vorstellungen und Zielstellungen der Linkspartei.PDS.
- Es geht gleich wieder.
Nicht in gleicher Weise loben kann ich allerdings seine Begründungen für die Notwendigkeit der Gliederung des Schulsystems im Interesse einer Leistungsdifferenzierung.
Sie hätten von mir auch gar nichts anderes erwartet. - Nicht dass es nicht notwendig wäre, auf unterschiedliche individuelle Lernvoraussetzungen einzugehen und differenziert zu fördern, aber die Auffassungen zum Ziel und zu den Methoden solcher Leitungsdifferenzierung gehen, wie auch in der heutigen Regierungserklärung, eben deutlich auseinander.
Man kann die Unterschiede in den Auffassungen vielleicht an dem Unterschied zwischen den Worten „diffe
renziert“ und „differenzierend“ festmachen. Ich will das erläutern.
„Lernschwierigkeiten“, so Professor Olbertz in der Expertise, „bzw. Schulversagen sind ja nicht einfach da, sondern entstehen oft erst in der Schule“ - eine bemerkenswerte Einsicht. Das belegen übrigens auch Gespräche mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern am produktiven Lernen.
Nur, warum daraus die Notwendigkeit einer frühen Differenzierung in unterschiedliche Bildungsgänge folgen soll, erschließt sich mir nicht. Es sei wichtig, dass diese frühe Entscheidung jederzeit korrigierbar sei, und es komme auf die intensive Förderung der weniger leistungsstarken Schülerinnen und Schüler an, so der Minister auch heute.
Genau das findet aber entgegen allen Behauptungen und entgegen allen ernsthaften Bemühungen von Lehrerinnen und Lehrern im gegliederten Schulsystem so nicht statt.
Es findet nicht statt, weil es nicht vorgesehen ist.
Mit der Zuweisung zu unterschiedlichen Bildungsgängen wird nach dem Schulgesetz nur auf den am Ende dieses Bildungsganges vorgesehenen Abschluss hin unterrichtet.
Das ist nicht nur im Schulgesetz so formuliert, sondern dem folgen auch die Stundentafeln und der Inhalt der Rahmenrichtlinien. Wer also einmal im Hauptschulgang gelandet ist, der erhält - in den einzelnen Fächergruppen unterschiedlich - weniger Unterricht als Schülerinnen und Schüler am Gymnasium. Selbst im Realschulunterricht sieht die Stundentafel, misst man es am Fächerspektrum des Gymnasiums, von der 5. bis zur 9. Klasse 15 Jahreswochenstunden weniger Unterricht vor. Das entspricht einem halben Schuljahr.
So nehmen wir die Absicht, die Stundentafel an den Sekundarschulen aufzustocken, mit Interesse zur Kenntnis. Wir merken aber an, dass es nicht nur um eine quantitative Aufstockung, sondern auch um eine qualitative Anpassung gehen muss, wenn die beiden Bildungsgänge nicht noch weiter auseinander driften sollen.
15 Jahreswochenstunden in wichtigen und am Gymnasium prüfungsrelevanten Fächern lassen sich nicht einfach nebenbei aufholen, um bei einem späteren Übergang an das Gymnasium noch erfolgreich zu sein. Deshalb werden die Übergänge von der Sekundarschule direkt an das Gymnasium die Ausnahme bleiben. Das gilt am Ende auch für die verschiedenen Möglichkeiten der zweiten Bildungswege.
Die Unterschiede setzen sich in den Unterrichtsinhalten fort. Sie weichen von denen des Gymnasiums deutlich ab, sind nicht so umfangreich und erst recht nicht so tief. Ich habe das ein bisschen - wenigstens punktuell - nachgelesen.
Nicht dass man nicht auch an der Sekundarschule ein solides Kompetenzniveau erwerben könnte, nicht dass der Realschulabschluss nicht ein ehrenwerter und wertvoller Abschluss wäre - doch wer womöglich über den Hauptschulbildungsgang noch zu einem Hochschulstudium kommen will, hat enorm mehr Hürden zu überwinden als ein Absolvent oder eine Absolventin des Gymnasiums.
Das Problem Ihres Bildungssystems ist, dass sie das gar nicht mehr können.
Pisa 2003 hat auch festgestellt, dass es in SachsenAnhalt in den Mittelwerten zwischen den Schulformen Unterschiede von mehr als 100 Kompetenzpunkten gibt. Das ist der Umfang von zwei Schuljahren. Alle Türen offen zu halten, kann in der Praxis gar nicht stattfinden. Die Tür ist einen kleinen Spalt offen, aber mehr nicht. Offensichtlich wird das auch nicht wirklich beabsichtigt, sonst würde das Gymnasium nicht als eine „Aufsteigerschule“ verstanden, wie der Minister sie in dieser Expertise genannt hat.
Der Grund für dieses Dilemma liegt darin, dass eben differenzierend und nicht differenziert unterrichtet wird.
Der unterschiedliche Bildungsabschluss ist das Ziel des differenzierenden Unterrichts, nicht das differenzierte Herangehen im Interesse des Nachteilsausgleiches und der Möglichkeit, einen höheren Abschluss zu erreichen.
Das aber ist nicht den Lehrerinnen und Lehrern anzulasten, sondern der herrschenden Bildungspolitik.
- Frau Feußner, mir ist schon öfter aufgefallen, dass Sie an einem gebrochenen Wirklichkeitsverständnis leiden.
- Frau Feußner, ich habe Ihnen sehr ruhig zugehört, obwohl es manchmal schwer war. Tun Sie es jetzt einfach auch.
Man kann mit diesem Defizit natürlich auch so umgehen wie der Kultusminister auch heute wieder, wenn er mit Bezug auf Pisa betont, es komme auf das Kompetenzniveau an, nicht auf die Schulform.
Es sei doch zu akzeptieren, wenn Eltern, die selbst einen Realschulabschluss haben, für ihre Kinder genau diese Schule auswählen. Das sagte er am Ende des vergangenen Jahres hier im Landtag.
Herr Professor Olbertz, auch diese Aussage weist auf ein fehlendes Problembewusstsein hin. Die Aussage bei Pisa war doch nicht, dass man in einer Sekundarschule nicht die gleichen Kompetenzen erwerben kann. Im Gegenteil, es wurde schon bei Pisa 2000 hervorgehoben,
dass es im Kompetenzniveau erhebliche Überschneidungen zwischen den Schulformen gibt.
Das ist übrigens für mich ein Beleg, dass das gegliederte Schulsystem seine Rechtfertigung verliert, wenn es sie denn je gehabt hat.
Nein, der Vorwurf ist, dass trotz gleicher Kompetenz Schülerinnen und Schüler offensichtlich nicht die gleichen Möglichkeiten haben, an das Gymnasium, also an die „Aufsteigerschule“ zu kommen, und dass dies wiederum in erheblichem Maße vom sozialen und vom Bildungshintergrund der Eltern abhängt.
- Das haben Sie zitiert. Sie müssen Ihren eigenen Beitrag lesen. Ich habe das kürzlich mit großem Interesse getan.
So wird sozialer Benachteiligung beim Bildungszugang nicht nur nicht entgegengesteuert, sondern die gesellschaftliche Ungleichheit wird im Gegenteil in der Schule sogar verfestigt, ja sie wird dort reproduziert.
Sie bestimmt in starkem Maße die spätere soziale Stellung der Betroffenen in der Gesellschaft.
Nun sagt der Minister, es sei nicht schlimm, wenn Eltern sich für ihr Kind nun einmal so entschieden. Das ist sicher richtig. Aber warum wird dann aus der Schullaufbahnempfehlung eine solche Hürde gemacht? Warum wird dann neuerdings zum Hauptschulunterricht zugewiesen? Schlüssige Antworten darauf ist der Minister bisher schuldig geblieben.
Lassen Sie mich nun nach diesem Grundsatzreferat einen Blick auf die Schulreformen, die die schwarz-gelbe Regierung in den letzten Jahren auf den Weg gebracht hat, werfen. Spätestens nach meiner Rede kennen Sie sie alle wieder. Dabei gibt es durchaus nicht nur Kritikwürdiges, sondern auch Begrüßenswertes. Ich will beides nennen.
Zu ihrer umfassenden Bildungsreform brauchte die derzeitige Landesregierung immerhin drei Jahre und drei Gesetze. Das erste kam schnell und es war auch ein Schnellschuss. Mit dem Siebten Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes wurde die Grundschule mit festen Öffnungszeiten in eine verlässliche umgewandelt.
Offensichtlich blieb der Landesregierung bisher der pädagogische Wert eines rhythmisierten Schultages für die Gestaltung des Lernprozesses in der Primarstufe, also von Bildung, ein Buch mit sieben Siegeln. Bildung in einem festen Zeitrahmen wurde mit Betreuung in Abwesenheit der Eltern verwechselt, weshalb die Landesregierung auch einen Ganztagsbetreuungsanspruch für Kinder in Kindertageseinrichtungen bis heute für überflüssig hält.
Im Übrigen, Frau Feußner: Auch die Heraufsetzung der Stundentafel in der Grundschule ist dann nach Ihrem Verständnis ein Freizeitraub.
Der zweite Schulgesetzentwurf der Landesregierung folgte auf dem Fuße. Mit ihm wurde nicht nur im Folgejahr
die Förderstufe beendet, sondern auch - ich kann die andere Form nicht als Förderstufe begreifen, tut mit leid - die Vollzeitschulpflicht auf neun Jahre reduziert und festgelegt, dass zum hauptschulbezogenen Unterricht künftig zugewiesen wird. Das galt erstmals für Schülerinnen und Schüler, die im Jahr 2005 in die 7. Klasse gekommen sind. Die Konsequenz: Die Zahl der Schülerinnen und Schüler im Hauptschulunterricht erhöhte sich um 10,9 Prozentpunkte auf, glaube ich, 34,4 %.
- Ich empfinde das - ich komme noch darauf - als einen zweifelhaften Erfolg.
Darüber täuscht auch nicht hinweg, dass die Zahl derjenigen, die die Schule ohne Abschluss verlassen, im letzten Jahr gesenkt werden konnte. Ich finde es auch überflüssig zu reklamieren, wer hierbei den Erfolg für sich verbuchen kann:
die jetzige Landesregierung mit Reformen, die in der Schulpraxis der betroffenen Schülerinnen und Schüler noch gar nicht angekommen sein können,
oder womöglich die vorangegangene Landesregierung mit der Reform der Sekundarschule, die noch gar nicht richtig zum Zuge kam. Oder waren es vielleicht doch die Schweizer?
Ich will für meine Partei ganz deutlich sagen: Ja, es ist ein Fortschritt, wenn weniger Schülerinnen und Schüler die Schule ohne irgendeinen Abschluss der allgemeinbildenden Schule verlassen. Aber der Hauptschulabschluss ist für uns in diesem hohen Umfange kein erstrebenswertes Ziel.
Er bietet nur wenigen angemessene Aussichten auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt und darum sollte er nicht auch noch kultiviert werden.
Wir wollen nicht nur den Anteil von Schülerinnen und Schülern ohne Abschluss senken, sondern auch den Anteil derer, die die Schule nur mit einem Hauptschulabschluss verlassen.
- Ja, nur. - Der ist eine Möglichkeit für diejenigen, die trotz umfangreicher Förderung keinen höheren Abschluss erwerben können. Mehr ist er nicht. Die Erhöhung des Anteils von Hauptschülern auf 34 % - ich erinnere an das Ziel dieses Unterrichts - wird sich darum womöglich als ein Pyrrhussieg erweisen. Aber das merken wir erst in einigen Jahren.
Unser Ziel ist es, möglichst vielen Schülerinnen und Schülern einen soliden Abschluss der 10. Klasse zu ermöglichen und mehr Schülerinnen und Schülern als heute ein gutes Abitur.
Das Abitur betraf im Übrigen die dritte gravierende Änderung mit dem Achten Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes. Es legte fest, dass in Sachsen-Anhalt künftig das Abitur nach zwölf Jahren abgelegt werden kann. Sieht man einmal von den formalistischen Konditionen ab, unter denen das geschieht, kann man dieser Änderung nicht grundsätzlich ablehnend gegenüberstehen. Allerdings: Über das mit dem Kardinalfehler wollen wir noch einmal reden. Den machen die Bayern immer noch. Sie haben damit offensichtlich kein Problem.
In diese Zeit fällt auch die Verlängerung und die Verschlimmbesserung der Schulentwicklungsplanung, deren Auswirkungen wir heute schon schmerzlich merken und bei der sich mehr und mehr herausstellt, dass sie an manchen Stellen wenig taugt und nachgebessert werden muss. Wir haben darauf hingewiesen.
Immerhin haben Sie diesen Packen nicht allein zu tragen. Eine gehörige Portion Verantwortung kommt dabei auch der Vorgängerregierung und natürlich auch uns zu, die wir uns gegen die Exekutive nicht genügend durchsetzen konnten. Aber das soll ja gelegentlich auch bei Koalitionen schwierig sein, nicht nur bei einer Tolerierung.
Eher positiv, wenn auch nicht ohne Kritik, sehen wir dagegen das Agieren der Landesregierung bei der Umsetzung des Ganztagsschulprogramms der Bundesregierung. Allerdings halten wir auch hierbei eine weitere kritische Begleitung für erforderlich, damit das Ganztagsschulprogramm am Ende auch eines mit pädagogischen Effekten wird und bleibt und nicht als reines Schulsanierungsprogramm endet.
Das Neunte Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes schließlich hatte auch inhaltliche Änderungen zum Gegenstand, von denen wir einige mittragen. Dazu gehören die Veränderungen in der Grundschule und zum Übergang in die Grundschule, auch wenn unsere Zweifel an der Ausgestaltung der Neuerungen, insbesondere hinsichtlich der Schuleingangsphase, nicht grundlos waren. Aber diesbezüglich haben Sie im letzten Jahr immerhin dazugelernt: Heute hat der Minister schon von der flexiblen Schuleingangsphase gesprochen.
Begrüßt haben wir auch die stärkere Betonung der Integration von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf und die Einrichtung von Förderzentren als einen richtigen Weg dahin.
Schließlich sind auch Festlegungen im Gesetz zur Förderung schulischer Qualität, wie die Förderung der Arbeit nach Schulprogrammen, nicht ohne Nutzen. Ob dies allerdings reicht, um mehr Schulen anzuregen, moderne Lernkonzepte zu entwickeln, die den Qualitätsmaßstäben folgen, die der Minister zum Beispiel auch in seinem Expertenbeitrag für die Enquetekommission entwickelt hat, das wage ich zu bezweifeln.
Dass hier ein erheblicher Nachholbedarf besteht, zeigt die Selbsteinschätzung von Schulen hinsichtlich der Entwicklung von Gegenstrategien bei ungünstigen Lernausgangslagen, wie sie auch in der Pisa-Studie erfasst wurden. Mehr als die Hälfte der Schulen in Sachsen-Anhalt entwickeln solche Gegenstrategien nicht, davon ein Viertel aller so genannten belasteten Schulen. Die größte Distanz zu solchen Gegenstrategien haben offensichtlich die Gymnasien. - Das ist kein Schlechtreden; denn es
handelt sich um Selbstauskünfte der Schulen, die bei aller Vorsicht schon ein Bild über die Reformbereitschaft in den Schulen ergeben.
Dabei gibt es richtig gute Ansätze in mancher Schule und viele engagierte Kolleginnen und Kollegen. Das produktive Lernen gehört dazu. Aber es ist nicht einzusehen, warum das nur bis zu einem erfolgreichen Hauptschulabschluss führen soll. Die Schwierigkeiten, die die betreffenden jungen Leute mit der Schule haben, sind doch auch dann nicht verschwunden, wenn der Hauptschulabschluss mit Bravour geschafft worden ist. - Hier aber endet die Weisheit des Ministers.
Unsere Hauptkritik am Neunten Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes richtet sich allerdings auf die weitere Einschränkung des Bildungszuganges. Darüber ist heute hier schon gesprochen worden: dass die Schullaufbahnempfehlung ein deutlich größeres Gewicht erhält und dass, wer ohne eine entsprechende Laufbahnempfehlung zum Gymnasium will, sich einer Aufnahmeprüfung unterziehen muss. Ich gehe von diesem Begriff „Aufnahmeprüfung“ nicht weg; denn die Art, wie das Aufnahmeverfahren praktiziert wird, erfüllt ungeachtet aller Beteuerungen des Kultusministers genau diesen Tatbestand.
Das Fazit Ihrer vierjährigen Bildungspolitik ist also: weniger Bildungsbeteiligung, mehr Ausgrenzung, eine stringentere Leistungsauslese. Instrumente des Gegensteuerns wurden nur wenige entwickelt. Immerhin ist hängen geblieben - auf den Anfang kommt es an -: In der Grundschule vollziehen sich tatsächlich aussichtsreiche Entwicklungen. Daneben gibt es einige Formen, die geeignet sind, die schlimmste Auswirkung des gegliederten Schulsystems, nämlich den fehlenden Schulabschluss, zu minimieren. Es gibt die Förderschule mit einem deutlich integrativen Bildungsansatz.
Das ist gut, aber es reicht nicht, um die hoch gesteckten Ziele von Leistung und neuerdings auch sozialer Gerechtigkeit in der Bildung zu erreichen. Schon gar nicht reicht das Begonnene aus, um eine höhere Bildungsbeteiligung zu erreichen. Dies ist eben gekoppelt an die Frage der Abhängigkeit des Bildungserfolgs vom sozialen Status, vom Bildungshintergrund in den Familien. In dieser Hinsicht sind andere Schritte notwendig.
Ich habe mich nun gefragt, was Ihren Bildungsansatz von unserem grundsätzlich unterscheidet. Ich habe doch heute eigentlich viel gelobt. Ich glaube, Ihr Ansatz ist im besten Sinne ein karitativer, nachsorgender, unserer ist ein emanzipatorischer, vorsorgender.
Darum können wir Ihnen auch nach der Wahl die Debatten um die Veränderung von Schule in Inhalt und Form nicht ersparen. Wir wollen eine höhere Bildungsbeteiligung, also mehr und höhere Bildungsabschlüsse, ein höheres Leistungsniveau an allen Schulen und einen aktiven Nachteilsausgleich.
Das erfordert eine Reform von Schule in Inhalt und Form, eben eine grundlegende Bildungsreform. Dabei wissen auch wir, dass die Bildungslandschaft in Sachsen-Anhalt durch drei aufeinander folgende, jeweils sehr gegensätzliche Regierungskonzepte ebenso beschädigt ist wie durch den dramatischen Rückgang der Geburtenzahlen.
Wir wissen aber auch, dass eine Bildung auf hohem Anspruchsniveau der Grundpfeiler einer erfolgreichen wirtschaftlichen Entwicklung ist. Darum haben wir uns entschieden: Wir wollen gesetzlich fixierte Veränderungen, die den Weg frei machen zu einem längeren gemeinsamen Lernen, ohne die Schullandschaft wieder völlig durcheinander zu wirbeln. Aber wir brauchen dazu nicht drei Gesetze, wir werden nur eines brauchen.
Wir werden in wenigen Wochen ein Schulreformgesetz vorstellen, das diesen Ansprüchen genügen wird. Dabei wird im Zentrum der Aufmerksamkeit auch die Sekundarschule stehen. Dazu sollen zunächst alle Bildungsgänge in der Sekundarstufe I auf ein gleichwertiges Niveau gehoben werden. Dazu gehört die Angleichung der Stundentafel. Dazu gehört die Anpassung der Bildungsinhalte.
Unser Ziel ist es, dass auch nach dem 9. Schuljahrgang ein Übergang von der Sekundarschule an ein Gymnasium ohne Zeitverzug möglich ist. Dazu muss man natürlich auch einmal über die Aufhebung der äußeren Fachleistungsdifferenzierung nachdenken und tatsächlich eine differenzierte Förderung möglich machen.
Wir wollen eine qualitativ anspruchsvolle neue Schule, die niemanden ausgrenzt und ein längeres gemeinsames Lernen ermöglicht. Die Vollzeitschulpflicht soll wieder auf zehn Jahre angehoben werden. Das geschieht mit dem Ziel, dass so viele Schülerinnen und Schüler wie möglich einen soliden Realschulabschluss erwerben können. Darauf soll der Unterricht in der Sekundarstufe I konsequent ausgerichtet werden. Das muss man dann konsequenterweise auch am Gymnasium machen, sodass dort auch ein mittlerer Schulabschluss erworben werden kann. Allerdings sehen wir das auf freiwilliger Basis vor.
Wir wollen eine polytechnisch orientierte Schule - dazu sind vielfältige Möglichkeiten der Kooperation mit Berufsschulen und Unternehmen in den Regionen möglich - und natürlich auch das produktive Lernen,
aber nicht nur bei drohendem Schulversagen.
Wir wollen eine Schule, die sich der Notwendigkeit des Nachteilsausgleiches ebenso stellt wie der Förderung besonderer Begabungen. Dazu wollen wir zusätzliche pädagogische Fachkräfte, vergleichbar denen in Grundschulen, in der Sekundarstufe I und wenn möglich auch in den berufsbildenden Schulen einsetzen. Damit das auch mit einem entsprechenden pädagogischen Konzept vor sich geht, schlagen wir vor, mit einem StartProgramm zu beginnen; denn pädagogische Mitarbeiterinnen sollen keine Schulsozialarbeiterinnen - die wollen wir außerdem - und keine Freizeitpädagogen sein, sondern sie sollen den Unterricht begleiten und zusätzlich fördern.
Wir haben auch Vorschläge zur Entwicklung eines leistungsfähigen Schulangebotes im Land und in allen Regionen. Dazu ist heute schon etwas gesagt worden. Unsere Vorschläge dazu liegen seit längerer Zeit auf dem Tisch. Wir werden uns auch weiterhin in diese Richtung einsetzen. Wir wollen allerdings auch, dass nach dem Abschluss dieser Phase der Schulentwicklungsplanung die Kompetenzen verstärkt auf die dann größeren Landkreise weitergegeben werden können, möglicherweise bis hin zum Personaleinsatz. Darüber muss man reden.
Es geht natürlich auch um die Erhöhung der Autonomie der Einzelschule bei Entscheidungen. Vielleicht finden wir dabei wieder eine gemeinsame Sprache.
Der Minister sagte in seiner Rede, wer sich eine längere gemeinsame Schulzeit für alle Schülerinnen und Schüler wünscht, der müsse die Schule um die Schüler herum konfigurieren und nicht umgekehrt. Ich finde diesen Satz bemerkenswert. Genau das haben wir vor, Herr Minister. Ich werde mir diesen Satz merken.
Auf viele Themen, die in der Zukunft vor uns stehen, kann ich hier nicht in der gebotenen Ausführlichkeit eingehen, nicht auf die Hochschulstrukturreform und auch nicht auf die Lehrerausbildung, bei der wir die Weichen falsch gestellt sehen.
Ich will aber noch einen Satz zu den Berufsschulen sagen, weil ich das für hochproblematisch halte. Nicht nur dass diese in den nächsten Jahren von einem Rückgang der Schülerzahlen erfasst werden, sie müssen vielmehr in einem nie gekannten Maße auch heute schon mit veränderten Berufsbiografien umgehen. Unter anderem ist die Rasanz der Wirtschaftsentwicklung und die Entwicklung am Arbeitsmarkt ein Grund dafür, dass mitunter mehrere berufliche Ausbildungen aufeinander folgen.
Die Vertreter des Berufsschullehrerverbandes haben uns neulich - da war ich selbst überrascht - gesagt, dass sie manche jungen Leute bis zu elf Jahre lang in ihrem System haben. Dabei handelt es sich keineswegs um Schulabgänger mit einem Hauptschulabschluss oder noch weniger, sondern es handelt sich um Schulabgänger mit gutem Schulabschluss.
Ich finde, das muss uns zu denken geben. Ich glaube, dass wir alle, die wir hier sitzen, dabei noch nicht einmal auf die Debatte vorbereitet sind, geschweige denn Lösungsstrategien haben.
Das Stichwort „soziale Gerechtigkeit“ ist inzwischen in aller Munde. Ich wünsche mir für die künftige Legislaturperiode eine Landesregierung, die den Mut hat, in diesem Interesse endlich den Weg zu einem längeren gemeinsamen Lernen zu gehen, ohne heute schon gute Ansätze zu verwerfen. Das entspräche auch der Mehrzahl der Meinungen einer Ted-Umfrage, deren Ergebnis man heute in der „Volksstimme“ nachlesen kann.
Ich wünsche einer künftigen Landesregierung Mut, um die nach wie vor offenen Probleme zu lösen. Wir werden dazu bereit sein, auch in der Regierungsverantwortung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Punkt in unserem Fraktionsnamen muss man nicht mitsprechen. - Es ist schon wahr: Die Bedeutung musikalischer Ausbildung, musischer Ausbildung von Kindern und Jugendlichen ist in diesem Land stets unstreitig gewesen. Streitig war allerdings schon etwas, und zwar nicht nur hier im Landtag zwischen den politischen Parteien, sondern durchaus auch zwischen den gesellschaftlichen Partnern in der Öffentlichkeit, nämlich das angestrebte Niveau für eine musikalische Breitenausbildung und die Zuständigkeit für die Berufsbildung, die Berufsvorbereitung auf diesem Gebiet.
Das Land Sachsen-Anhalt hat mit seinem Musikschulgesetz auch künftig eine Vorreiterrolle in der Bundesrepublik inne. Es gibt außer Brandenburg meines Wissens kein anderes Bundesland, das eine solche gesetzliche Regelung hat.
Das Ziel dieses Gesetzes ist es, die Qualität zu erhalten, die übrigens in allen ostdeutschen Bundesländern im Vergleich mit der gesamten Bundesrepublik beispielhaft ist. In der Quantität der musikalischen Angebote, also in der Breite der Ausbildung, gilt es aufzuholen. Dort sind uns die alten Länder nach wie vor voraus. Genau diese Aufgabe sollte dieses Musikschulgesetz auch erfüllen.
Aber es löst natürlich - es ist schon darauf hingewiesen worden - nicht alle Probleme. Es löst nicht unbedingt die Probleme des Bestandes der Musikschulen, insbesondere nicht im Zusammenhang mit der Kreisgebietsreform. Deshalb ist es mir auch sehr wichtig, dass der Begriff „Grundversorgung“ in das Gesetz aufgenommen wurde, weil das auch die Richtung andeutet, in die wir wollen.
Das Gesetz löst natürlich auch nicht die Probleme der Finanzierung der Musikschulen. Ich kann das mit dem Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung nicht so sehen. Eigentlich ist es ein Fördergesetz. Fördermittel kann man auch liegen lassen, wenn man sie denn nicht abgreifen will. Wenn man es genau sagen will, ist es ein Bestechungsversuch oder, wie mein Kollege vorhin sagte, die Leimrute, auf die wir die Kommunen holen wollen, damit sie diese Mittel abgreifen, im Interesse einer qualitativ hochwertigen musikalischen Grundausbildung. Deshalb, finde ich, ist es richtig, diese Fördermittel genau hier einzusetzen und so zu fördern, auch mit diesen Parametern.
Das Gesetz setzt ein Signal, es signalisiert das Landesinteresse an dieser Arbeit. Das, glaube ich, ist wichtig. Womöglich bräuchte man das noch auf ganz anderen Gebieten, auch in der kulturellen Arbeit. Nicht alles werden wir uns leisten können, aber die künftigen Kulturpolitiker in der nächsten Legislaturperiode können darüber vielleicht einmal nachdenken.
Nach dem 22. Januar - ich wiederhole es gern - ist auch die Linkspartei.PDS sehr daran interessiert, dass dieses Gesetz so verabschiedet wird, und kann daher auch zustimmen. - Danke schön.
Frau Feußner, ich will zunächst feststellen, dass Sie am Anfang Ihrer Rede die Lehrerinnen und Lehrer in Schutz genommen haben und gesagt haben, dass sie eine hervorragende Arbeit leisten und sich unheimlich bemühen. Diese Auffassung teile ich.
Nein, das stimmt nicht. Wir haben über die Bereitschaft zum Umgang mit Heterogenität gesprochen. Das ist etwas, worüber wir sogar schon im Ausschuss einen Beschluss gefasst haben. Die Einsichten, die wir schon einmal hatten, sollten wir nicht wieder zurücknehmen.
Sie haben aber am Ende Ihrer Rede die Verantwortung für die sozialen Disparitäten den Familien zugeschoben und auf die schlechten Voraussetzungen und das fehlende Engagement der Familien hingewiesen, die ihren Kindern nicht die nötigen Entwicklungschancen geben. Ähnliches habe ich vor ein paar Tagen in dem Interview mit Herrn Dr. Mannke in der „Volksstimme“ gelesen. Ich halte das für ziemlich problematisch und will Ihnen zwei Fragen stellen.
Sie haben sicherlich auch die Ausführungen zur Computernutzung in der Studie gelesen, wo darauf hingewiesen wird, dass der Lernerfolg von der Fähigkeit, mit dem Computer umzugehen, und von der Möglichkeit, über einen zu verfügen, abhängt. Ich frage Sie erstens, wie Sie sich vorstellen, dass ein ALG-II-Empfänger - in diesen Haushalten gibt es sehr oft keinen Computer -
seinen Kindern ermöglicht, einen Computer für die Lernarbeit zu benutzen, wenn er ihm häuslich nicht zur Verfügung steht. Diese Abhängigkeit ist in der Studie dargestellt worden.
Ich frage Sie zweitens, ob Sie der Auffassung sind, dass die Kinder ein bisschen Pech gehabt haben, wenn sie sich das falsche Elternhaus ausgesucht haben.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Der Minister hat gesagt: Jetzt schließt sich der
Kreis wichtiger bildungspolitischer Initiativen. - Man könnte auch sagen: Was lange währt, wird endlich gut. Das haben, glaube ich, alle Redner vor mir gesagt. Man könnte es dabei bewenden lassen und gar nicht über die Gründe sinnen, warum das Gesetz so spät eingebracht worden ist, was uns nun wirklich ein bisschen in Schwierigkeiten bringt.
Ich möchte aber eine Sentenz sagen, die sich ausdrücklich an diejenigen richtet, die jetzt nicht anwesend sind: Ich glaube, dass die Möglichkeit, kulturelle Jugendbildung, die - darin habe ich keine Differenz zum Kultusminister - einen hohen Stellenwert für uns hat und haben sollte, über ein solches Gesetz - es geht nur über ein Fördergesetz, wenn man nicht in die Belange der Kommunen eingreifen will - zu fördern, in der Öffentlichkeit noch immer nicht den Stellenwert hat, den wir Kulturpolitikerinnen und Akteure in diesem Bereich ihr zumessen.
Nach Pisa bezweifelt niemand, dass es in der Schulbildung einer hohen Professionalität bedarf, weshalb auch nicht jede und jeder in der Schule unterrichten darf. Auch würde niemand ernsthaft in Erwägung ziehen, einem Klempner - und sei er in seinem Handwerk noch so gut - den Bau des ganzen Eigenheims zu übertragen
oder ihn gar das Gebiss reparieren zu lassen. Immerhin, Zangen braucht man dafür auch.
Aber dass im Bereich der Kultur, auch der Breitenkultur Professionalität vonnöten ist, erschließt sich manchem und mancher gar nicht. Darum ist es ein richtiger Weg, wenigstens über dieses Instrument der Förderung solcher Angebote gesetzlich fixierte Qualitätsparameter zu formulieren. Das ist dann weder ein Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung noch in die Freiheit der Angebote.
Das Gesetz leistet eine solche qualitative Orientierung durchaus. Ich bin insbesondere froh darüber, dass das, was im Gesetzentwurf der Landesregierung als Landesinteresse formuliert ist, was bei uns in dieser Weise fehlt, so formuliert ist, wie es formuliert ist, denn es ist breiter als die Begründung. Im Gesetzestext wird die Grundversorgung als ein Bestandteil des Landesinteresses verstanden. Das finde ich richtig und dabei sollten wir auch bleiben.
Ich muss allerdings noch auf ein Problem eingehen; das mache ich nicht, um herumzukritteln. Man könnte das alles auch im Ausschuss machen, wenn wir mehr Zeit hätten. Da ich aber möchte, dass Sie bitte darüber nachdenken, muss ich es hier tun. Ich finde eben nicht, dass das Gesetz der Landesregierung systematisch besser ist als das der Linkspartei.PDS.
- Nein, nein. - Die Landesregierung bleibt an einigen Stellen, und zwar an einer entscheidenden Stelle, weit hinter dem Gesetzentwurf der Linkspartei.PDS zurück. Es geht um den § 5, die Fördervoraussetzungen. In § 85 des Schulgesetzes war nur geregelt, dass das Land die Arbeit der Musikschulen fördert und dass das Land die fachlichen, personellen und organisatorischen Voraussetzungen für diese Förderung durch Verordnung regeln darf. Das hat sie auch getan. Das ging mit diesem einen
Paragrafen im Gesetz nicht anders. In einem Vollgesetz allerdings sollten Fördervoraussetzungen benannt werden.
Herr Schomburg hat erklärt, dass er qualitative und inhaltliche Voraussetzungen der Förderung im Gesetz benannt sieht. Ich sehe hier Fehlstellen, und zwar gravierende.
Die Landesregierung verweist in der Begründung zu § 5 auf die Übernahme der Regelungen aus der Verordnung vom 1. Juli 2004. Aber genau diese Verordnung, diese Inhalte sind nicht übernommen worden. In diesem § 5 wird lediglich auf unterschiedliche Leistungsniveaus abgehoben, auf die Breite der Stilrichtungen, auf die Methodenvielfalt und den erforderlichen Unterrichtsrahmen.
Etwas anderes dürfte die Landesregierung dann aber auch nicht regeln. Sie tut es aber in der Verordnung. Bisher war diese durch das Gesetz gedeckt, nach diesem Gesetz wäre sie es nicht mehr.
Das Gleiche gilt im Übrigen für den Anspruch der Gemeinnützigkeit. Dieser fehlt im Gesetz vollständig, ist aber Fördervoraussetzung in der Richtlinie.
Diese Verfahrensweise ist mehr als unsystematisch. Sie ist im Übrigen auch unprofessionell und ich halte sie für hochproblematisch. Gerade wenn es um Landesgelder geht, müssen Fördervoraussetzungen und die Verordnungsbezüge sehr sauber benannt werden; man darf nicht das eine benennen und das andere weglassen.
Beispielsweise macht die Landesregierung das sehr wohl im Schulgesetz - übrigens nicht erst diese, sondern alle vor ihr auch. Dort ist sie bei den Schulen in freier Trägerschaft wesentlich stringenter. Dort ist die Bedingung zum Beispiel, dass eine Sonderung von Schülerinnen und Schülern nach den Besitzverhältnissen nicht gefördert wird. Das fehlt im Musikschulgesetz vollständig.
Die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte soll genügend gesichert sein. Auch dazu kein Wort in § 5. Die ist aber im Schulgesetz zum Beispiel für die Schulen in freier Trägerschaft Genehmigungsvoraussetzung. Außerdem wird die Gemeinnützigkeit angemahnt, um entsprechende Fördergelder zu erreichen. Ich denke, dass das auch richtig ist. Nur, warum gilt das dann bitte nicht für das Musikschulgesetz und für den Entwurf der Landesregierung?
Ich bitte Sie sehr, im Vorfeld unserer Debatten darüber nachzudenken, weil wir in der Debatte vielleicht nicht genügend Zeit haben werden, zu einer Lösung zu kommen. Ich denke, man kann zu einer Lösung kommen. Diese kann minimal sein, sie kann aber auch optimal sein - optimal wäre mir freilich lieber -, aber sie muss so sein, dass der Landesregierung nicht durch das Gesetz im Hinblick darauf die Hände gebunden werden zu entscheiden, was sie durch die Verordnung fördern und regeln will. Das zumindest muss geschafft werden. Da wir uns in einem erheblichen Zeitdruck befinden, würde ich mich freuen, wenn es dazu vielleicht vorab eine Verständigung geben könnte. - Danke schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Analyse, die hier vom Kultusminister und von der einbringenden Fraktion dargelegt wurde, muss ich nicht wiederholen. Es ist tatsächlich so. Das Problem ist eigentlich, dass wir das schon seit dem Jahr 1995 wissen können. Denn Kinder werden genau jedes Jahr um ein Jahr älter und kommen irgendwann aus der Schule. Der geburtenschwächste Jahrgang war, glaube ich, der aus dem Jahr 1995.
Wie auch immer, es ist einfach so: Wir werden vielleicht noch einen kleinen Aufschub haben durch die Bugwelle, die wir in den berufsbildenden Schulen und auch in der Gesellschaft vor uns herschieben, was die Berufsausbildung betrifft. Aber irgendwann wird das auch nicht mehr greifen. Spätestens bis zum Jahr 2010 wird der Schülerrückgang die Berufsschulen voll erfasst haben.
Nun ist die Frage, wie man damit umgeht. Die Landesregierung hat sich mit ihrer jüngsten Gesetzgebung Eingriffsrechte verschafft und das erste Mal überhaupt einen Rahmen gesetzlich, also außerhalb von Verordnungen, festgelegt, wie mit Schulentwicklungsplanungen in berufsbildenden Schulen umzugehen ist. In der Verordnung stand das vorher schon, im Gesetz nicht.
Was die Eingriffsrechte der Landesregierung betrifft, so sind sie auf der einen Seite verständlich, weil das Schulnetz von berufsbildenden Schulen nun mal größer ist als das von Sekundarschulen und Gymnasien. Auf der anderen Seite ist aber genau dieses Eingriffsrecht, glaube ich, ein Anlass zur Sorge bei den Schulträgern, also bei den Landkreisen.
Ziel dieser Regelung soll es sein, ein ausgewogenes und an der wirtschaftlichen Entwicklung orientiertes, bestandsfähiges Angebot beruflicher Bildung zu sichern. Das ist richtig und auch notwendig. Nur: Wir müssen uns überlegen, wie denn nun ein solches Netz berufsbildender Schulen sinnvoll neu gestaltet werden kann. Dazu fallen mir noch ein paar andere Fragen ein als die, die im Antrag zitiert worden sind. So sehr ich auch das Problem der massiven Mittel sehe, die zu Recht in die Neubauten und in die Sanierungen, die Ausstattung von berufsbildenden Schulen geflossen sind, so sehr glaube ich auch, ähnlich wie der Kultusminister, dass diese Schulen genau das Problem an dieser Stelle wohl nicht sein werden.
Wir werden es damit zu tun haben, dass sich nicht unbedingt die Zahl der Schulstandorte dramatisch verringert; aber die Zahl der Angebote in bestimmten Berufsfeldern und Berufsbildern wird sich verändern. Diese werden weiter auseinander rücken. Damit müssen wir umgehen. Es besteht schon die Frage, wie wir denn künftig berufsbildende Schulen qualifizieren wollen. Wohin? Wie sollen sie aussehen? Wie soll zum Beispiel ein solches Kompetenzzentrum wirklich aussehen? - Außer den blumigen und vollmundigen Beschreibungen habe ich bisher noch nichts richtig Konkretes erfahren; ich wüsste es aber gern.
Ich denke auch, dass es notwendig ist, darüber nachzudenken, ob sich für berufsbildende Schulen nicht neue Tätigkeitsfelder ergeben. Ich denke zum Beispiel an die Ausgestaltung des Faches Wirtschaft/Technik, vor allem an den Sekundarschulen, aber weiß Gott nicht nur dort. Eine Kooperation mit berufsbildenden Schulen in dieser Fächergruppe könnte sehr wohl dazu beitragen, die Berufsorientierung an Sekundarschulen zu verbessern. Es gibt bereits erste solche Beispiele. Warum sollte man so etwas nicht zielgerichteter nutzen? Dann könnten solche Kapazitäten, die ja vorhanden sind, künftig genutzt werden und auch erhalten werden. Wie sieht es mit der Weiterbildung aus?
Es wird immer so viel über den Wert des dualen Systems geredet. Gut, das will ich gar nicht infrage stellen. Aber auf der anderen Seite reden wir auch dauernd von der Krise des dualen Systems. Wenn wir uns mal angucken, welche Bildung wir zurzeit fördern und bezuschussen, teilweise staatlich finanzieren, dann ist es schon eine Krise. Das muss man sich so eingestehen. Wenn das so ist, muss man sich sicherlich auch den aktuellen Debatten in der Berufsbildung stellen, neuen Berufsfeldern, neuen Berufsbildern, aber unter anderem auch dem sehr umstrittenen Problem der Modularisierung. Alles das spielt eine Rolle.
Ich will, dass wir uns nicht nur über die kommunalen Berufsschulen unterhalten, sondern in diesem Zusammenhang auch erfahren, was denn mit den freien Trägern werden soll, die in den letzten Jahren einen riesengroßen Batzen Arbeit weggetragen haben und bei denen man jetzt nicht sagen kann: Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, nun kann er gehen.
Zuletzt lassen Sie mich ein Problem aufwerfen, das bei Herrn Volk ein bisschen anklang: Mit den größeren Fahrwegen, die nicht nur durch die Kreisgebietsreform, sondern auch durch die Veränderungen in der Berufsausbildung selbst passieren werden, aber auch durch die Kreisgebietsreform, müssen wir auch noch einmal neu darüber nachdenken, wie die Schülerbeförderung in diesem Bereich zu organisieren ist, insbesondere für Elternhäuser, die sozial nicht so gut gestellt sind. Ich erinnere an unseren Antrag in der vergangenen Sitzung. Wir haben inzwischen weitere Informationen, dass dies ein Problem ist. Hierbei wird es zunehmend eines werden, und ich finde, wir sollten das ernst nehmen. - Danke schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Mittendorf, die Linkspartei tut sich mit diesem Thema
noch schwer - so wurden Sie, Frau Mittendorf, in der „Volksstimme“ jüngst zitiert. Entsprechend wäre zu erwarten, dass wir heute diesem Antrag nicht zustimmen.
Ich könnte dieses Kompliment allerdings auch gut zurückgeben - das wissen Sie -; denn in den Gesprächen der letzten Jahren mit vielen der Gewerkschaft oder der SPD nahe stehenden oder ihnen angehörenden Bildungsexperten, meist allerdings aus dem Westen, sind solche Vorschläge tatsächlich auf brüske Ablehnung gestoßen. Das wissen Sie so gut wie ich. Die Linke hat da offensichtlich ein Problem. Ich versichere Ihnen aber: Die Linkspartei.PDS in Sachsen-Anhalt hat dies nicht.
- Ich glaube nicht, dass Sie die Linkspartei.PDS so gut kennen, dass Sie wissen, was wir hatten.
Auch wenn Sie das nicht wahrhaben wollen, haben wir unseren Schwerpunkt schon sehr lange auf individuelle Förderung gelegt; das ist ein Grundsatz linker Bildungspolitik, zumindest hier in Sachsen-Anhalt und nicht nur hier. Individuelle Förderung betrifft eben auch Begabungen und Hochbegabungen.
Aber das Problem, über das wir hier reden
- hören Sie mir erst einmal zu, Frau Feußner -, ist ein anderes. Das deutsche Bildungssystem krankt vor allem daran, dass besondere Zuwendung erst erwarten kann, wer irgendwie negativ auffällt, oder anders formuliert: Das Kind muss erst zum Problemfall werden, ehe man sich regelhaft seiner individuellen Situation annimmt.
Das ist für hochbegabte Kinder nicht anders. Darum findet man auch in der Literatur Hochbegabung sehr oft gleich neben dem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom und der Lese-Rechtschreib-Schwäche abgehandelt. Das halte ich für durchaus bezeichnend.
Hochbegabte Kinder finden sich je nach individueller Bildungskarriere in allen Schulformen und in keiner davon wird man ihren persönlichen, individuellen Bedürfnissen wirklich gerecht. Wenn aber, wie die Statistiken besagen, 2 % bis 3 % aller Kinder - so habe ich es gelesen - hochbegabt sind - manche sprechen sogar von 5 %; ich kann das nicht bewerten -, dann gibt es statistisch gesehen ein bis zwei davon in jeder Grundschule mit Regelgröße, fünf bis sieben an jeder Sekundarschule und zwölf bis 18 an jedem Gymnasium. Die Anzahl der Schülerinnen und Schüler an Förderschulen, die hochbegabt sind, will ich hier nicht spekulativ in den Raum stellen; ich weiß es nicht. Es ist auch nur eine rechnerische Größe.
Aber allein diese Zahlen machen deutlich, um welche Dimension es sich bei der Förderung von Hochbegabten überhaupt handelt und wie wenige Schulen darauf eingerichtet sind. Denn tatsächlich kommt jede Lehrerin und jeder Lehrer mit relativer Regelmäßigkeit mit hochbegabten Kindern in Berührung. Aber nur die wenigsten
können damit umgehen. Das ist kein Vorwurf; denn das hat niemand gelernt.
Die erste Schwierigkeit ist eben auch die Diagnose. Weder Eltern noch Lehrerinnen und Lehrer sind dazu hinreichend in der Lage, manche sind auch nicht dazu bereit. Hochbegabung lässt sich auch nicht nach dem Elternhaus ableiten. Alle empirischen Daten wiederlegen das. Dennoch werden Hochbegabte, wenn überhaupt, vorrangig in Elternhäusern mit großer Bildungsnähe und mit hohem sozialen Standard verortet. Auch darüber müssen wir nachdenken.
Es gibt inzwischen diverse Diplomarbeiten und andere wissenschaftliche Arbeiten zu diesem Thema und es werden weiterhin welche geschrieben. Es ist fast ein Boomthema. Ich weiß im Moment nicht - vielleicht kann uns der Kultusminister darüber Auskunft geben -, inwieweit dies in Sachsen-Anhalt Gegenstand der Lehrerbildung, vor allem der Lehrerausbildung ist.
Noch schwieriger wird es wahrscheinlich bei der Bereitstellung des didaktischen und methodischen Handwerkszeuges. Das, was ich bisher gefunden habe, ist wohl eher das Ergebnis engagierten Arbeitens von Praktikerinnen und Praktikern nach dem Prinzip „Versuch und Irrtum“.
Herr Kultusminister, ich habe auf dem Bildungsserver etwas dazu gefunden, nämlich einen einzigen Eintrag von der Landesmedienstelle: Diagnose und Förderung individueller Lernleistungen, zum Beispiel Begabtenförderung, Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Lernstörungen usw. Auch hier gibt es also diese relative Gleichsetzung, die ich für sehr schwierig halte.
- Aber an dieser Stelle wird Hochbegabtenförderung aufgeführt.
- Sie können dort einmal nachlesen. Ich habe jetzt nicht die Zeit, Ihnen das genauer vorzulesen.
- Frau Feußner, übrigens gibt es hier in unserem Haus wahrscheinlich auch ein bis drei Hochbegabte. Ich will sie aber nicht identifizieren.
Dort, wo Lehrerinnen und Lehrer sich dieses Problems annehmen, zeigt sich, dass man sich sehr mühen muss, dass es aber möglich ist, Hochbegabungen mit individuellen Lernplänen tatsächlich zu fördern. An dieser Stelle muss ich sagen: Die Förderung von Hochbegabungen ist keinesfalls ausschließlich über die Sonderung der Kinder in besondere Lerngruppen zu erreichen.
Eher ist das Gegenteil der Fall. Die Eltern von solchen Kindern wollen das in der Regel auch nicht. Sie wollen eine Förderung im System mit Zusatzangeboten.
- Sie werden uns bald Aufschluss darüber geben, was Sie Großes in Sachsen-Anhalt vorhaben.
Ich gebe dem Kultusminister darin Recht, dass auch hier gilt: Auf den Anfang kommt es an. Auch hier ist die Kindertagesstätte eigentlich der erste Punkt, an dem man etwas tun muss.
Auch wenn der Kultusminister glaubt, man könne bei fehlender Differenzierung nicht individuell fördern - wir glauben das nicht -, belegen Beispiele inzwischen auch etwas anderes.
- Erkundigen Sie sich bitte, Frau Feußner. Dazu bin ich hier jetzt nicht da.
Es ist ein entsprechendes pädagogisches und fachliches Instrumentarium erforderlich, damit genügend Zeit für die Förderung bleibt, und es ist psychologische Beratung notwendig, und zwar der Eltern, der Lehrerinnen und Lehrer und natürlich auch der Kinder.
Der Antrag der SPD-Fraktion macht auf ein Problem aufmerksam, das offensichtlich auch die Landesregierung jetzt schon entdeckt hat. Ich hätte nicht geglaubt, dass sie schon in der Lage ist, tatsächlich etwas auf den Tisch zu legen. Aber warum sollen wir nicht auch einmal überrascht werden? Ich bin auf die Berichterstattung im Ausschuss gespannt. Wir stimmen diesem Antrag selbstverständlich zu.
Wenn ich dann noch ein bisschen reden darf, ja.
Frau Feußner, einmal ganz abgesehen davon, dass Sie in der regierungstragenden Koalition und nicht in der Landesregierung sind, haben Sie natürlich das Recht, hier zu versuchen, mich in die Enge zu treiben, was Ihnen aber nicht gelingen wird.
Wenn Sie sich die Literatur anschauen, werden Sie bemerken, dass das Thema „Förderung von Hochbegabungen“ in den letzten Jahren tatsächlich fast inflationär betrieben worden ist. Davor war relative Ruhe.
- Das ist einfach so. - Ich glaube auch nicht, dass es möglich ist - nach dem, was ich gelesen habe, ist das auch nicht so -, innerhalb eines so kurzen Zeitraumes ein so kompliziertes Problem wie die Förderung von hochbegabten Kindern tatsächlich zu lösen. Wäre es das, hätten wir - dabei nehme ich uns nicht aus - nicht diese Schwierigkeiten damit, das zu erklären und zu entwickeln. Das ist ein schwieriges Problem.