Protokoll der Sitzung vom 11.10.2002

Guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 8. Sitzung des Landtages von SachsenAnhalt der vierten Wahlperiode.

Ich begrüße Sie sehr herzlich und stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Wir setzen nun die 5. Sitzungsperiode fort und beginnen vereinbarungsgemäß mit den Tagesordnungspunkten 3 und 4.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:

Aktuelle Debatte

Es liegen zwei Themen zur Beratung vor. Ich darf daran erinnern, dass die Redezeit in der Aktuellen Debatte zehn Minuten je Fraktion beträgt. Das Gleiche gilt für die Landesregierung.

Ich rufe das erste Thema auf:

Von der Schule in die Warteschleife - zur Situation der beruflichen Erstausbildung und Jugendarbeitslosigkeit in Sachsen-Anhalt

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 4/249

Zunächst trägt die Antragstellerin, die PDS-Fraktion, vor. Danach folgen die CDU-, die SPD- und die FDP-Fraktion. Ich bitte zunächst Frau Ferchland, für die antragstellende Fraktion das Wort zu nehmen. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie alle werden noch die knackigen Wahlkampfsprüche der Koalitionsfraktionen zu den Landtagswahlen in Erinnerung haben. Da stand: „Höppner geht - die Arbeit kommt“, „Mein Papi soll hier Arbeit finden“ und „Abwanderung stoppen“.

Nun sind seit der Wahl mehr als 100 Tage vorüber und die Frage bleibt, was ist nun aus diesen knackigen Sprüchen geworden?

(Oh! und Lachen bei der CDU und bei der FDP)

Wenn wir uns die aktuelle Ausbildungssituation betrachten, kann ich für meine Fraktion nur sagen: Meine Damen und Herren, wenn Sie so weitermachen, werden Sie das Klassenziel nicht erreichen.

(Beifall bei der PDS - Wiederspruch bei der CDU und bei der FDP)

Die Zahlen belegen es ganz deutlich: Nach Angaben der Gewerkschaften waren zu Beginn des Ausbildungsjahres noch 4 830 Jugendliche in Sachsen-Anhalt ohne Ausbildungsplatzangebot. Dem standen 840 offene Ausbildungsangebote gegenüber. Damit bleibt eine Differenz von etwa 4 000 Jugendlichen, die in Sachsen-Anhalt zum Ausbildungsbeginn unversorgt waren.

Unter der neuen Landesregierung wurden die Zusagen der Arbeitgeber im Bündnis für Ausbildung, Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit, mehr betriebliche Ausbildungs

plätze bereitzustellen, nicht eingehalten. Sie wurden aber nicht nur nicht eingehalten, sondern es wurden in Sachsen-Anhalt sogar 1 968 betriebliche Ausbildungsplätze weniger als im Jahr zuvor bereitgestellt.

In den Arbeitsämtern des Landes bewarben sich bis Ende August 33 400 Jugendliche um einen Ausbildungsplatz. Dort lagen allerdings nur 10 600 betriebliche Ausbildungsplatzangebote vor. Das ist mit Abstand der niedrigste Stand seit dem Jahr 1992 - und damals waren Sie doch auch in der Regierung, oder?

Meine Damen und Herren! Was macht nun die Regierung, um die Ausbildungsplatzsituation im Land zu verbessern? - Der Wirtschaftsminister richtet einen Appell an die Wirtschaft und bittet diese, betriebliche Ausbildungsplätze bereitzustellen. - Das ist mutig, kämpferisch und mal so richtig etwas Neues. Er sagt auch, dass die Landesregierung alles tun werde, um jedem Jugendlichen einen Ausbildungsplatz anzubieten. - War's das schon? Ihre Wahlversprechen haben ein verdammt kurzes Haltbarkeitsdatum.

Ich will aber auch nicht verschweigen, dass nach Angaben der Arbeitsverwaltung zum Stichtag heute nur noch 430 Jugendliche unversorgt sind. Wir wissen jedoch, wie wir diese Zahl zu bewerten haben. Das sind nur die Jugendlichen, die erneut nachfragen. Die Jugendlichen aber, die anschließend in der Rubrik „sonstiger Verbleib“ auftauchen, fallen aus der Statistik völlig heraus.

Verschweigen will ich auch nicht, dass Sie sich für das Bund-Länder-Programm so richtig stark gemacht haben. Dadurch sind immerhin 2 364 außerbetriebliche Ausbildungsplätze angeboten worden. Allerdings hält sich mein Jubel stark in Grenzen, denn das sind immer noch 338 weniger als im Jahr zuvor. Diese Ausbildungsplätze, die zu 50 % vom Land finanziert werden, lassen wir uns hiermit entgehen.

Herr Scharf, Sie waren doch immer so ein Scharfmacher, wenn es darum ging, die alte Landesregierung zu jagen, wenn sie Bundesmittel nicht abrief. Ich wundere mich, wie zahm Sie geworden sind.

(Beifall bei der PDS - Lachen bei der CDU - Herr Scharf, CDU: Das ist ungerecht, Frau Kollegin!)

Was bleibt nun von den knackigen Sprüchen auf den großen Wahlplakaten?

(Herr Gürth, CDU: Wer hat Ihnen denn diese Büt- tenrede aufgeschrieben?)

Bei mir bleibt der bittere Beigeschmack von Bauernfängerei und der Eindruck, dass Sie keine Konzepte haben, die Jugendberufsnot in diesem Land einzudämmen, keine Konzepte, damit auch der junge Papi hier Arbeit findet.

(Herr Tullner, CDU: Populismus!)

Meine Damen und Herren der Koalition, wir finden, die jungen Menschen in diesem Land haben es verdammt noch mal verdient, dass Sie Konzepte auf den Tisch legen!

Erinnern wir uns an die Ursachen:

(Herr Gürth, CDU: Wir erinnern uns, dass Sie acht Jahre lang die Wirtschaft in diesem Land ruiniert haben!)

Erinnern wir uns an die Frühverrentungsaktion der damaligen Bundesregierung von CDU und FDP Anfang der

90er-Jahre. Damals wurden über 90 % der vor 1938 Geborenen frühverrentet. Anschließend setzte die Bundesregierung das Rentenalter clevererweise wieder auf 63 bzw. 65 Jahre herauf. Diese Maßnahme führt nun dazu - das war abzusehen und davor wurde gewarnt -, dass nur wenige aus den Unternehmen altersbedingt ausscheiden, wodurch weniger Nachfrage bei Ausbildung und Neueinstellung vorhanden ist. Problematisch ist zugleich, dass die wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Bundesländern keine blühenden Landschaften hervorbrachte, sondern allenfalls durch ein langsames Beschäftigungswachstum, vielfach aber durch fortdauernde Stagnation gekennzeichnet ist.

Die Situation verschärfte sich, als Mitte der 90er-Jahre die geburtenstarken Jahrgänge die Schule verließen und nach Ausbildung verlangten. Wir alle im Haus wissen, dass diese Situation noch einige Jahre andauern und sich erst in den nächsten zehn Jahren umkehren wird. Denn dann werden mehr Leute aus dem Erwerbsleben aussteigen als neue hinzukommen. In Sachsen-Anhalt werden bis zum Jahr 2017 30 % der heutigen Erwerbstätigen aussteigen. Für diese Problematik müssen Konzepte her. - Ich weiß, dass Herr Professor Böhmer vor eineinhalb Jahren hierfür Konzepte eingefordert hat. Wo sind sie?

Die letzte Landesregierung hat eine sehr traditionelle Ausbildungspolitik betrieben. Das hat die PDS-Fraktion stets kritisiert, und im Landtag ist mancher Streit deswegen entbrannt.

(Herr Gürth, CDU: Sie haben nicht kritisiert, Sie haben toleriert!)

Die Landesregierung tat dies vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung. So wurde mit enormen finanziellen Anstrengungen versucht, Ausbildungsplätze zu schaffen und Jugendliche in Ausbildung zu bringen - mit dem Ergebnis, dass Sachsen-Anhalt an der Spitze der ostdeutschen Länder stand, was die Förderkonditionen und den Förderaufwand betraf.

Die Folgen dieses Ansatzes haben wir im Hause schon ausführlich diskutiert und wir werden sie noch nachhaltig spüren.

Die offiziellen Strategien von Land und Bund gegen die Jugendarbeitslosigkeit beschränkten und beschränken sich auf eine Vielzahl von Sonderprogrammen und kurzfristigen Maßnahmen und stoßen nicht zum Kern des Problems vor. Praktiziert wird immer noch eine Strohfeuerpolitik klassischen Stils, die vor allem bei den Betroffenen zu Resignation und Demotivierung führt.

Auch die so genannten Hartz-Vorschläge sind alles andere als ein taugliches Mittel, die Ausbildungsprobleme zu lösen; denn der Idee der Ausbildungszeitwertpapiere liegt doch im Kern das Ausbildungsmodell der mittelalterlichen Handwerkszünfte zugrunde: Wer Handwerker werden will, muss noch Geld mitbringen. - Künftig soll das bei Hartz so sein.

Die PDS geht von dem Grundsatz aus, dass alle Jugendlichen, auch solche, die schlechte Schulabschlüsse oder fast schon resigniert haben, ein Recht auf eine qualifizierte Berufsausbildung in einem von ihnen gewählten Berufsfeld haben.

(Herr Gürth, CDU: Das gab es noch nicht einmal zu DDR-Zeiten!)

Bei allem begrüßenswerten Engagement einiger bleiben doch viele Betriebe hinter ihren Ausbildungsmöglichkeiten zurück, weil sie es teilweise nicht mehr für nötig erachten, aus eigener Kraft in die Zukunft zu investieren oder Nachwuchskräfte zu binden. Wie anders kann ich den Schrei einiger Branchen nach Nachwuchskräften deuten?

Die PDS hat ein eigenes Jugendaktionsprogramm als komplexes Förderprogramm über einen Zeitraum von vier Jahren in Höhe von insgesamt 40 Millionen € entwickelt, das durch unterschiedliche Projekte aus dem Bereich der Jugendberufshilfe und der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen untersetzt wird.

Ziel der PDS ist es, entsprechend der beschäftigungspolitischen Leitlinie 1 der EU jedem Jugendlichen innerhalb von sechs Monaten nach Beginn der Arbeitslosigkeit einen Neuanfang zu gewähren. Das, meine Damen und Herren, betrifft mit dem heutigen Tag 37 972 Jugendliche unter 25 Jahren in Sachsen-Anhalt.

Jugendliche brauchen keine gesteigerte Aufmerksamkeit und keine großflächigen Plakate zu Wahlkampfzeiten. Sie brauchen eine Perspektive - jetzt.

(Lebhafter Beifall bei der PDS)

Vielen Dank, Frau Ferchland. - Bevor die anderen Fraktionen das Wort erhalten, spricht zunächst der Minister für Wirtschaft und Arbeit Herr Dr. Rehberger. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es lässt sich nicht bestreiten: Im Bereich der beruflichen Erstausbildung haben wir in Deutschland und insbesondere in Sachsen-Anhalt seit einer ganzen Reihe von Jahren erhebliche Probleme, Probleme, die alle beschäftigen, allerdings auch Probleme, bei denen man sich über die eigentlichen Ursachen Gedanken machen muss.

Dazu möchte ich sagen: Solange wir die eigentlichen Ursachen der Probleme unseres Arbeitsmarktes und damit auch der beruflichen Erstausbildung nicht vernünftig bekämpfen, werden wir dieses Thema weiterhin auf der Tagesordnung haben.

Nach meinem Eindruck gibt es zwei Barrieren für die Entwicklung im Bereich der Arbeitsplätze und damit auch im Bereich der Ausbildungsplätze; das hängt ja sehr eng miteinander zusammen.