Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hiermit eröffne ich die 37. Sitzung der vierten Wahlperiode des Landtages von Sachsen-Anhalt. Ich möchte Sie alle recht herzlich begrüßen.
Meine Damen und Herren! Das Mitglied des Landtages Harry Czeke hat heute Geburtstag. Wir sprechen ihm unsere herzlichen Glückwünsche aus und wünschen ihm vor allem Gesundheit.
- Herr Sachse hat auch Geburtstag. Ich verlasse mich jetzt auf die Information aus der Fraktion. Auch Ihnen, Herr Sachse, herzliche Glückwünsche und eine erfolgreiche Arbeit.
Folgende Entschuldigungen von Mitgliedern der Landesregierung liegen vor: Herr Ministerpräsident Professor Dr. Böhmer entschuldigt sich für heute ab 16 Uhr sowie für morgen ganztägig wegen seiner Teilnahme an der Besprechung der Regierungschefs der ostdeutschen Länder in Berlin.
Herr Staatsminister Robra entschuldigt sich für beide Sitzungen des Landtages. Er nimmt an der in Berlin stattfindenden Arbeitsgruppensitzung der Föderalismuskommission sowie an der Ministerpräsidentenkonferenz teil.
Herr Minister Becker bittet seine Abwesenheit für heute ab 15 Uhr zu entschuldigen. Er nimmt am Kamingespräch der Justizminister in Vorbereitung der Justizministerkonferenz teil.
Frau Ministerin Wernicke entschuldigt sich für die Landtagssitzung am Freitag aufgrund ihrer Teilnahme an der Bundesratssitzung in Berlin.
Ich komme zur Tagesordnung. Sehr verehrte Damen und Herren! Die Tagesordnung für die 20. Sitzungsperiode des Landtages liegt Ihnen vor. Im Ältestenrat ist vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 20 heute als letzten Punkt zu behandeln. Die Tagesordnungspunkte 2, 7, 8, 21 und 14 werden in dieser Reihenfolge als erste Punkte am morgigen Freitag behandelt. Im Zusammenhang mit Tagesordnungspunkt 21 - Wahl der Beiratsmitglieder - darf ich daran erinnern, dass diese Wahl am Freitag vor der Mittagspause als geheime Wahl durchgeführt wird.
Gibt es hierzu bzw. zur Tagesordnung Bemerkungen? - Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann können wir so verfahren.
Noch einige Bemerkungen zum zeitlichen Ablauf der 20. Sitzungsperiode. Im Ältestenrat ist vereinbart worden, die heutige Sitzung des Landtages wegen der parlamentarischen Begegnung mit der Liga der Freien Wohlfahrtspflege im Landtagsgebäude gegen 19.30 Uhr zu beenden. Die morgige 38. Sitzung beginnt wie üblich um 9 Uhr.
Regierungserklärung des Herrn Ministerpräsidenten Professor Dr. Wolfgang Böhmer zum Thema „Chancen kreativ nutzen - Zukunft innovativ gestalten“
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich erteile dem Herrn Ministerpräsidenten Professor Dr. Böhmer zur Abgabe der Regierungserklärung das Wort. Bitte sehr.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die vor fast zwei Jahren gewählte Regierungskoalition hat ihre Arbeit mit der festen Absicht begonnen, unser Land für das begonnene neue Jahrhundert zukunftsfähig zu machen. Wir wussten, dass dies nur durch eine Umgestaltung vieler Bereiche, das heißt durch Reformen bei uns in Sachsen-Anhalt und bei uns in Deutschland, möglich sein würde.
Wir haben damit begonnen und auch die Bundesregierung hat damit begonnen. Deutschland ist in Bewegung gekommen. Der Bundeskanzler hat mit seiner Agenda 2010 unausweichlich notwendige Reformen aufgezeigt.
Gemessen am Pro-Kopf-Einkommen lag Deutschland innerhalb der Europäischen Union im Jahr 1992 noch auf Platz 3; inzwischen liegen wir auf Platz 11. Immer mehr Länder sind in den letzten Jahren einfach besser geworden als wir. Das reale Bruttoinlandsprodukt ist während der letzten elf Jahre in Deutschland um 13,6 % gestiegen, im Wirtschaftsraum der gesamten Europäischen Union im gleichen Zeitraum um 23,5 %. Im vergangenen Jahr 2003 ist das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland um 0,1 % geschrumpft.
Die Entwicklung innerhalb Deutschlands war unterschiedlich. Wir in Sachsen-Anhalt hatten zwar auf niedrigem Niveau ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts 2003 gegenüber dem Vorjahr von 0,3 %, aber Thüringen und Sachsen waren zwei- bis dreimal besser als wir.
Auch die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor inakzeptabel hoch. In der gesamten Bundesrepublik hat sich die Zahl der Arbeitsplätze im vergangenen Jahr um über 420 000 verringert. Gegen diesen Bundestrend versuchen wir in Sachsen-Anhalt neue Arbeitsplätze zu schaffen. Das ist uns nur in einigen Bereichen gelungen, am besten in der Ernährungsgüterwirtschaft. Gleichzeitig wurden in anderen Bereichen Arbeitsplätze abgebaut. Dadurch hat sich die Gesamtzahl der Beschäftigungsverhältnisse um etwa 11 000 verringert.
Auch wir mussten und müssen weiterhin in der Landesverwaltung Arbeitsplätze abbauen, wenn wir bei sinkender Einwohnerzahl zu einer effizienten Selbstverwaltung auf dem Niveau bundesweiter Durchschnittszahlen kommen wollen.
Mit dem Beginn einer grundsätzlichen Verwaltungsreform wurden wesentliche Schritte dazu begonnen. Dabei mussten wir nicht bei Null anfangen. In manchen Bereichen hatte die Vorgängerregierung Vorarbeiten geleistet, auf denen wir aufbauen konnten.
Das trifft auch auf die Verwaltungsreform zu, zu der bereits mehrere Kommissionen eine kaum noch überschaubare Zahl von Entwürfen und Vorschlägen erarbeitet hatten. Herr Brachmann und Herr Miller haben im Jahr 1999 in der Zeitschrift für Landes- und Kommunalverwaltung ausführlich über den damaligen Stand und
die Umsetzungsprobleme berichtet. Wer sich diese Arbeit durchliest, wird das Verhältnis von Aufwand und Ergebnis selbst beurteilen können.
Wir haben im vergangenen Jahr mit der Auflösung der Regierungspräsidien und der Aufgabenkonzentration in einem Landesverwaltungsamt neue Strukturen geschaffen. Die Kommunalisierung einiger Verwaltungsaufgaben benötigt Übergangszeit. Bis zum Ende dieser Legislaturperiode werden die wesentlichsten Reformen dazu nach Vorgaben von Landtagsbeschlüssen aus dem Jahr 1993 und aus dem Jahr 2002 umgesetzt sein.
Wichtiger als die Reform der Selbstverwaltung sind die Konsequenzen aus den historischen Veränderungen der letzten Jahrzehnte, auf die ich wenigstens hinweisen möchte. Mindestens vier großlinige Entwicklungen am Ende des vergangenen Jahrhunderts beeinflussen auch die Gestaltungspolitik in den einzelnen Regionen Deutschlands:
Dazu gehört die Globalisierung der Informationsflüsse und Wirtschaftsräume. Diese verringert den Technologievorteil bei den Lohnstückkosten und benachteiligt diejenigen Länder, die die Finanzierung ihrer Sozialsysteme daran gekoppelt haben.
Dazu gehört das Versagen der sozialpolitisch determinierten staatlich gelenkten Wirtschaftspolitik gegenüber einer freien Wettbewerbswirtschaft. Dies verlangt nicht nur neue Strukturen, sondern auch globale Absprachen über die Sozialpflichtigkeit einer Marktwirtschaft.
Dazu gehört auch die methodisch möglich gewordene bewusste Familienplanung; denn sie führt zu demografischen Konsequenzen und zum Zusammenbrechen jener sozialen Sicherungssysteme, die auf einer bestimmten Alterspyramide der Wohnbevölkerung aufbauen.
Dazu gehört zuletzt die Überwindung der Teilung Europas. Sie führt zu einem neuen großen Wirtschaftsraum mit sehr unterschiedlichen Sozialstrukturen und internen Konsequenzen für den Arbeitsmarkt.
Meine Damen und Herren! Wir müssen feststellen: Diese Welt hat sich verändert und wird nie wieder so werden, wie sie einmal war. Das sind Probleme Deutschlands, die mit der Überwindung der Teilung unseres Landes überhaupt nicht zusammenhängen. Das ist der bundesweite Rahmen, in dem wir unsere Probleme lösen müssen. Das sind alles auch unsere Probleme, die wir deswegen als bedrückender empfinden, weil unsere schwierigen lokalen Besonderheiten noch dazukommen.
Nach mehr als zwölf Jahren eines gewaltigen Finanztransfers zur Überwindung der Teilungsfolgen gibt es noch Unterschiede, die wir einfach beachten und feststellen müssen: Im Vergleich zu den alten Bundesländern liegen die Infrastrukturinvestitionen pro Einwohner in den neuen Ländern bei etwa 75 %, das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner bei etwa 62 %, die durchschnittliche volkswirtschaftliche Produktivität bei 72 %, der investierte Kapitalstock je Einwohner bei 68 %, die Lohnstückkosten bei durchschnittlich 108 % und die Arbeitslosenquote bei 254 %.
Die Unterschiede zwischen den einzelnen Branchen sind erheblich. Bei den nationalen und internationalen Verflechtungen ist nicht zu erwarten, dass die wirtschaftliche Entwicklung eines Bundeslandes wesentlich anders sein kann als die der gesamten Bundesrepublik. In Sachsen-Anhalt leben etwa 3,1 % der deutschen Wohnbevölkerung. Unsere wirtschaftliche Situation wird immer
mehr von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung als von lokalen Aktivitäten beeinflusst werden. Trotzdem sind auch diese wichtig und verlangen alle nur denkbaren Anstrengungen.
Die immer deutlicher werdenden Unterschiede zwischen Sachsen und Sachsen-Anhalt zum Beispiel sind nicht mehr mit den ehemaligen DDR-Strukturen zu erklären, sondern durch eine unterschiedliche Landespolitik. Wenn unsere Pro-Kopf-Verschuldung so niedrig wäre wie in Sachsen, hätten wir jährlich ca. 527 Millionen € an freien Landesmitteln mehr zur Verfügung, und das Jahr für Jahr und wahrscheinlich über mehrere Jahrzehnte hinweg.
Wir müssen die Offenheit haben, auch einmal über eigene Fehlentscheidungen nachzudenken. Damit eine solche Diskussion sachlich bleibt, will ich nur Beispiele nennen, bei denen ich persönlich beteiligt war und die wir im Parlament oder im Finanzausschuss einstimmig beschlossen haben.
Während der ersten Legislaturperiode haben wir zum Beispiel dreistellige Millionenbeträge ausgegeben, weil wir damals entgegen dem Rat aller Fachleute wollten, dass zum Beispiel das Kombinat Sket als Ganzes erhalten bleibt. In späteren Jahren haben wir mehrfach Finanzhilfen und Bürgschaften für Aluhett bewilligt, weil wir nicht wahrhaben wollten, dass dieses Unternehmen hätte zergliedert und umstrukturiert werden müssen.
Wir haben - ein anderes Beispiel - aus gut gemeinter Absicht für ein Gewerbegebiet Fluglandebahn und flugtechnische Ausrüstung finanziert, die jetzt niemand mehr haben möchte.
Gleichzeitig haben wir uns in einigen Bereichen höhere Sozialleistungen genehmigt, als diejenigen Länder sich leisten konnten, von deren Steuern wir über den Finanzausgleich immer noch leben.
Meine Damen und Herren! Mit der Fortsetzung einer solchen Politik würden wir die gegenwärtigen und zukünftigen Probleme unseres Landes nicht lösen.
Deshalb brauchen wir ein kritisches Überdenken einiger unserer bisherigen Entscheidungen und eine Neuorientierung in einigen Gestaltungsbereichen. Dabei ist nicht zu übersehen, dass wir uns im Ländervergleich, nachdem wir jahrelang auf dem letzten Platz lagen, etwas verbessert haben. Ich sage aber ganz deutlich: Das reicht uns noch nicht. Es beweist nur, dass wir auf einem richtigen Weg sind.
Diesen richtigen Weg wollen wir uns auch nicht von denjenigen zerreden lassen, die selbst in jedem Regionalmonitor das Schlusslicht abonniert hatten.
Meine Damen und Herren! Unser Ziel muss ein sich selbst tragender Wirtschaftsaufschwung sein. Dazu müssen wir unsere geringer werdenden Fördermittel auf Wertschöpfungsketten in produzierenden Gewerbebereichen konzentrieren. Gut gemeinte Absichten begründen noch keine Förderwürdigkeit. Außer einem soliden, betriebswirtschaftlich durchkalkulierten Konzept zählen die beabsichtigten neuen Arbeitsplätze und die umsatzsteigernden Impulse für andere Wirtschaftsberei
che. Rationalisierungsinvestitionen zum Einsparen von Arbeitsplätzen müssen sich selbst refinanzieren und berechtigen nicht zur Subvention mit Steuergeldern.
Wiederholte Erweiterungsinvestitionen sind ein Zeichen wirtschaftlicher Prosperität und über Darlehen zu finanzieren, aber nicht mehr durch Subventionen aus öffentlichen Kassen.
Das Investitionszulagegesetz ist letztmalig bis zum Jahr 2006 verlängert worden. Eine parlamentarische Mehrheit kam dafür erst zustande, nachdem das Auslaufen im Jahr 2006 vereinbart worden war. Die Wirtschaftsförderung auch in den neuen Ländern soll konsequenter auf Hilfe zur Selbsthilfe konzentriert werden.
Unter diesem Aspekt haben wir auch unsere Investitionsbank konzipiert. Wir wollen konsequent umsteuern von der direkten Subvention mit Steuerngeldern - aus welchem Programm auch immer - zu verschiedenen Formen von Darlehensprogrammen und Eigenkapitalhilfe durch ein Angebot von Beteiligungshilfen. Förderanträge - ich sage das aus gutem Grund -, deren Finanzierungskonzept auf 50 % Steuersubventionen und zu 50 % auf noch zu akquirierendem Fremdkapital aufgebaut ist, in dem eine Rendite von über 18 % nach Steuern versprochen wird, sind aus meiner Sicht eher sittenwidrig, aber mit Sicherheit nicht förderfähig.