Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 16. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der vierten Wahlperiode. Ich begrüße Sie alle auf das Herzlichste und stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.
Wir setzen nunmehr die 9. Sitzungsperiode fort und beginnen vereinbarungsgemäß mit dem Tagesordnungspunkt 3, dem zweiten Thema der Aktuellen Debatte. Danach folgt der Tagesordnungspunkt 4 mit den Unterpunkten a und b.
Für jede Fraktion stehen zehn Minuten Redezeit zur Verfügung. Die Fraktionen sprechen in der Reihenfolge CDU, SPD, FDP und PDS. Ich bitte den Abgeordneten Herrn Stadelmann, für die CDU-Fraktion das Wort zu nehmen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schönen guten Morgen! Ich werde versuchen, trotz der bedeutungsschwangeren Stunde für Deutschland ein interessantes Kontrastprogramm zu bieten.
Ich hoffe, dass wir uns dennoch mit dem Thema beschäftigen können; denn es hat indirekt natürlich auch mit dem zu tun, was der Bundeskanzler in Berlin zurzeit gerade erzählt.
Als im vierten Quartal 1999 von der damaligen Landesregierung die Eier legende Wollmilchsau „Locale“ durch die Dörfer getrieben wurde, trauten so einige ihren Augen und Ohren nicht: Mensch, drei mal 30 % gleich 90 % - tolle Sache. Da müssen wir doch alle mitmachen.
In der Tat klang es zunächst einleuchtend, warum eine solche Initiative aufgelegt wurde. Locale sollte die Zielstellung der EU sicherstellen, dass ein Anteil der Strukturfördermittel für den ländlichen Raum aus den einzelnen Fonds EAGFL, ESF und EFRE konzentriert zum Einsatz kommt. Integrierte Entwicklungskonzepte, so genannte Locale-Projektbündel sollten eine nachhaltige Entwicklung im ländlichen Raum in Sachsen-Anhalt für immerhin mehr als zwei Millionen Einwohner initiieren, wobei ich ausdrücklich sage „initiieren“, weil über die Folgekosten damals nie geredet wurde.
Beteiligen konnten sich Verwaltungsgemeinschaften bzw. Zusammenschlüsse von Gemeinden zur Planung und Realisierung gemeinsamer Ziele, aber auch private Projektträger. Zielstellung der Landesinitiative waren oder sind - je nach Sichtweise; ich zitiere -:
„Verbesserung der Beschäftigungsstruktur, Stärkung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und Erhöhung des Wohlstandes im ländlichen Gebiet,
„Verbesserung des Fördermittelmanagements, Vereinfachung der Fördermittelbeantragung, Präferenz bei förderfähigen Anträgen“.
Ich bitte Sie, sich diese Ziele und Vorteile auf der Zunge bzw. in den Ohren zergehen zu lassen; denn wir werden nachher noch einmal darauf zurückkommen.
Bis zum Jahr 2006 sollten dafür 130 Millionen € zur Verfügung stehen. Kommunale Projekte konnten bis zu 80 % - manche meinen noch heute, bis zu 90 % - ihrer Summe gefördert werden. Private Projekte konnten mit bis zu 40 % gefördert werden, wobei es für private Projekte einige Einschränkungen gab, die hier aber nichts zur Sache tun.
Kurzum: Durch den konzentrierten Mitteleinsatz sollten die besten Entwicklungskonzepte in den Verwaltungsgemeinschaften zum Erfolg geführt werden. Es muss an dieser Stelle vielleicht ergänzt werden, dass Locale von Anfang an als ein Versuch gedacht war, die Anforderungen der EU zum integrierten regionalen Einsatz der Strukturfonds zu erfüllen.
Wie wurde aus dem Versuch nun der Rohrkrepierer, den wir jetzt vorfinden? - Seitens der Landesregierung wurde verkündet, dass man nunmehr nicht alle Förderprogramme kennen müsse, um zu wissen, was gefördert werden kann. Dazu wurde eine Produktfibel von den Ministerien für Wirtschaft sowie für Raumordnung, Landwirtschaft und Umwelt herausgegeben. Bei dem Wort „Fibel“ muss man schon an das Lernen denken. Man wollte aus diesem Programm ja auch lernen. Letztlich, denke ich, haben wir auch daraus gelernt.
Zunächst gehe ich noch einmal etwas näher auf den Verlauf der Initiative ein, damit verständlich wird, warum es nicht so weitergehen kann.
Das Programm Locale wurde gestartet. Es ging los. Zunächst war es erforderlich, dass sich mehrere Orte mit gleich gelagerten Problemen, Aufgaben und Zielen zusammenschließen und ein gemeinsames Entwicklungskonzept erarbeiten. Dies sollte auch zu arbeitsteiligen Lösungen führen. Die Erarbeitung des Entwicklungskonzeptes wurde als Planungsphase bezuschusst - Stichwort Gießkanne.
In den Monaten November und Dezember 1999 mussten kurzfristig die entsprechenden Anträge erarbeitet und beim zuständigen ALF eingereicht werden. Dann erhielt man für die Erstellung der Konzepte 90 % Förderung. Wenn man das Konzept spätestens bis zum 30. Juni 2000 einreichte, erhielt man immerhin noch 60 % Förderung.
Diese Zuschusshöhe verführte zu dem Trugschluss, dass auch die Projekte selbst später mit solchen Fördersätzen bezuschusst würden. Es erfolgte nicht, wie ursprünglich eigentlich vorgesehen, bei der Antragstellung bereits eine Auswahl, sondern alle Anträge für die Konzepterstellung wurden gefördert.
Bis zum 30. Juni 2000 sollte die Erarbeitung der Entwicklungskonzepte abgeschlossen sein. Dies war durch die Gemeinden selbst nicht zu bewerkstelligen. Also
wurden Planungsbüros, wie zum Beispiel die Landgesellschaft Sachsen-Anhalt, hinzugezogen. Zur internen Abstimmung des Projektbündels in den Verwaltungsgemeinschaften wurde eine Vollversammlung gebildet. Um die Interessen möglichst zahlreicher Bürger, Unternehmen und Einrichtungen zu berücksichtigen, wurden zusätzliche Gesprächsrunden mit den Gemeindegremien, Landwirtschaftsbetrieben, Direktvermarktern, touristischen Einrichtungen usw. durchgeführt.
Das danach entstandene Entwicklungskonzept umfasst neben einer detaillierten Stärken-Schwächen-Analyse eine Vielzahl von Einzelprojekten in den beteiligten Gemeinden für den Zeitraum 2000 bis 2006.
Nachdem diese ganzen Aktionen gelaufen waren, erfolgte die Auswahl der förderfähigen Konzepte für die Landesinitiative. Jetzt ging es also nicht mehr um die Konzepte an sich, sondern um deren Inhalt.
Man kann sich vorstellen - der eine oder andere in diesem Raum war vielleicht selbst an der Aktion beteiligt -, wie groß die Enttäuschung war, wenn man feststellen musste, dass das eigene Konzept nicht förderfähig war. Es war aber ganz einfach so, dass durch den „integrierten“ Ansatz die Verwischung der Grenzen der Förderfähigkeit nach dem EAGFL, EFRE und ESF quasi vorprogrammiert war, da damit der Sinn der Antragstellung für einen bestimmten Projektinhalt gezielt auf ein Förderprogramm eigentlich ad absurdum geführt wurde.
Um das Chaos komplett zu machen, wurden dann noch Schreiben an die Antragsteller verschickt, in denen ihnen die prioritäre Förderung zugesagt wurde. Ich kenne solche Schreiben. Man musste diese Schreiben ganz genau durchlesen.
Nach einem ersten Aufschrei der Verzückung musste man aber feststellen, dass darin stand, dass das Wirtschaftsministerium dem Antragsteller mitteilt, dass sein Projekt nach Einschätzung des Wirtschaftsministeriums für die prioritäre Einordnung geeignet sei. Dies habe das Wirtschaftsministerium dem Landwirtschaftsministerium mitgeteilt. - Und tschüs, kann ich nur sagen; denn das war's.
Zwar waren beim Landwirtschaftsministerium die entsprechenden EAGFL-Mittel eingestellt, allerdings beim Wirtschaftsministerium nicht die entsprechende Ergänzung aus dem EFRE und übrigens beim Sozialministerium auch nicht der Anteil in Höhe von 20 % für Locale aus dem ESF. Jedes Ministerium saß weiterhin auf seinen Fördertöpfen; denn Locale hatte nicht einen müden Euro mehr gebracht. Es sollte einfach nur umverteilt werden. Jeder sollte ein kleines Stück von seinem Kuchen abgeben.
Das Vorhaben des komplexen, integrierten Vorgehens war quasi gescheitert. Die Enttäuschung vor Ort war groß, der ganze Elan verpufft. Nun könnte man sagen: Aber zumindest im MLU waren Mittel vorhanden. Das ist richtig, aber dabei muss beachtet werden, welche Förderrichtlinien für die im MLU verwendeten EAGFL-Mittel einzuhalten waren. Eine Förderung wie mit EFRE oder EFS ist damit nicht möglich. Der Ansatz von Locale sollte aber gerade darin bestehen, die EAGFL-Mittel durch EFRE und ESF zu ergänzen, ohne dass die verschiedenen Fördervoraussetzungen aufgehoben werden.
Jeder, der das hört, merkt sofort, dass die versprochene Kumulation der Fondsmittel gar nicht möglich ist, weil
bereits seitens der EU Obergrenzen für die Förderung vorgegeben sind. Die Maximalförderung aus den einzelnen Fonds lässt sich nicht kumulieren. Dreimal 30 ist in diesem Fall nicht 90. Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass sowohl die Anzahl der bewilligten Anträge als auch der Mittelabfluss nicht mehr als marginal sind, auch heute noch.
Eines ist klar: Die Entscheidung für die Förderung wird durch diesen „Mischfördertopf“ nicht erleichtert. Vielmehr wird sie für die Bearbeiter unheimlich verkompliziert; denn diese müssen aus dem Locale-Konzept herausfiltern, in welches Einzelkonzept der jeweilige Antrag hineinpasst.
Ich will eines klarstellen: Die Schuld für das verfehlte Vorgehen trifft eindeutig die ehemalige Landesregierung und nicht die jetzige, und zwar in drei Hauptpunkten: Erstens hat die alte Landesregierung die Initiative trotz unklarer Grundlagen aufgelegt; zweitens hat sie die entsprechenden Förderrichtlinien der EU nicht beachtet bzw. die eigenen nicht angepasst und drittens hat sie die Zusammenarbeit in den Strukturen der Verwaltung, insbesondere in den zuständigen Ministerien, nicht in den Griff bekommen.
Mit meinen bisherigen Ausführungen wollte ich klar machen, dass das Scheitern von Locale sozusagen systemimmanent war bzw. ist. Das Verdienst von Frau Ministerin Wernicke besteht darin, dass sie als Erste die Konsequenz daraus gezogen hat: Der Versuch Locale ist gescheitert. - Dazu müssen wir alle gemeinsam stehen. Nur das bringt uns die Wertschätzung der Akteure vor Ort zurück.
Wegen des Vertrauensschutzes sind die bewilligten Projekte allerdings zu Ende zu führen, mit allen Problemen, die damit zusammenhängen, wie zum Beispiel den Folgekosten. Ich kann auch nicht erkennen, wie die hehren Ziele der Initiative - ich habe sie vorhin bereits genannt - zum Beispiel durch die Rekonstruktion der Friedhofsmauer in der Gemeinde Schenkenhorst oder durch die Rekonstruktion des Kirchturms in Jeggau erreicht werden sollen. Damit, glaube ich, sind die Ziele der LocaleInitiative verfehlt worden.
Wie dem auch sei, es muss weitergehen. Wir sollten in den zuständigen Ausschüssen, ausgehend von den Erfahrungen mit Locale, die Entwicklung des ländlichen Raumes wieder vom Kopf auf die Füße stellen. Als neuen Ansatz sollten wir uns an den Grundsatz der Subsidiarität halten.
Die Akteure vor Ort sollten zunächst realistisch - mit Ausrufezeichen - ihre Möglichkeiten hinsichtlich der Eigenmittel analysieren, ihre Prioritäten neu setzen und dann in den Schubladen der Fonds EFRE, EAGFL und ESF nach Fördermöglichkeiten suchen. Es sollte den potenziellen Antragstellern jedoch klar sein, dass die Folgekosten der Projekte nicht außer Acht gelassen werden dürfen.
Anschließend sollte in einer Phase der Projektprüfung in der Region - dafür bieten sich meiner Ansicht nach die regionalen Planungsgemeinschaften an - ermittelt werden, ob die Vorhaben in die regionalen Planungsziele passen.
Wenn das Projekt von der Region grundsätzlich als förderfähig erkannt wird und an den regionalen Entwicklungszielen orientiert ist, sollte vom Land ausschließlich auf der Grundlage der vorhandenen Mittel entschieden werden, wer wie viel Fördermittel aus den Strukturfonds erhält. Auf diese Art kommen wir wieder zu klaren Strukturen und einigermaßen vernünftigen Bewilligungszeiträumen.
Wenn uns das nicht gelingt, erledigen sich die meisten Vorhaben bald von selbst. Damit würde ein nicht wieder rückgängig zu machender Schaden für die ländlichen Strukturen entstehen. Das neue Ziel muss sein: maximaler Effekt mit minimaler Bürokratie zum Erhalt und zur Schaffung von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.