Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hiermit eröffne ich die 21. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der vierten Wahlperiode. Ich begrüße Sie alle sehr herzlich und stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.
Zunächst Entschuldigungen von Mitgliedern der Landesregierung: Herr Staatsminister Robra entschuldigt sich für heute ab 15 Uhr aufgrund eines Termins zu Fragen der Medienwirtschaft in Mitteldeutschland sowie für den morgigen Freitag zeitweise aufgrund einer Jubiläumsveranstaltung zum 50-jährigen Bestehen des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig. Herr Minister Becker entschuldigt sich für die heutige Plenarsitzung wegen der Justizministerkonferenz in Glücksburg.
Nun zur Tagesordnung. Sie liegt Ihnen vor. Die Fraktion der SPD hat fristgemäß eine Aktuelle Debatte zum Thema „Perspektiven für junge Menschen“ beantragt. Dieser Antrag liegt Ihnen in der Drs. 4/817 vor. Wie im Ältestenrat vereinbart wurde, wird die Aktuelle Debatte als Tagesordnungspunkt 0 auf die Tagesordnung genommen und vor dem Tagesordnungspunkt 1 am heutigen Tage behandelt.
Es wurde weiterhin vereinbart, dass die Tagesordnungspunkte 5 bis 8 am morgigen Freitag in der genannten Reihenfolge als erste Beratungsgegenstände behandelt werden.
Die Redezeit für die Fraktionen und für die Landesregierung beträgt jeweils zehn Minuten. Ich bitte zunächst Herrn Dr. Püchel, für die beantragende Fraktion das Wort zu nehmen. Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sicher erinnern sich alle noch gut an den Wahlkampf zur Landtagswahl im letzten Jahr. Zwei Themen beherrschten die Diskussion: zum einen die hohe Arbeitslosigkeit im Lande, zum anderen die Abwanderung junger Leute in Richtung Westen.
- Ja, Herr Scharf. - CDU und FDP stellten ihren Wahlkampf darauf ein und warben mit mehr oder weniger flotten Sprüchen: „Rote Laterne abwählen“, „Höppner geht, die Arbeit kommt“, „Wir werden das Kind schon schaukeln“, „Unser Papi soll hier Arbeit finden“, „Gib mir einen Grund mehr, hier zu bleiben“,
oder mit der Alphabetisierungskampagne der FDP unter dem Motto „ABC - Arbeit, Bildung, Conni“. Nichts ist davon gelaufen, außer Conni!
Die Wahlkampfstrategie ging trotzdem auf. Gerade auch viele junge Wählerinnen und Wähler haben CDU und FDP gewählt. Viele junge Menschen im Lande erhofften sich offenbar von einem Regierungswechsel neue Perspektiven für Sachsen-Anhalt, für ihre Eltern und vor allem auch für sich selbst. Viele junge Menschen in diesem Land haben sich etwas von ihrer Wahlentscheidung versprochen, sie haben Vertrauen investiert, vielleicht haben sogar einige, die nicht wussten, was die Versprechen von CDU und FDP wirklich wert sind, ihre persönliche Lebensplanung umgestellt.
Sie mussten sich in ihrer Entscheidung sogar noch bestärkt fühlen, wenn sie im Anschluss an die Landtagswahl die Koalitionsvereinbarung von CDU und FDP lasen. Da war in wohl klingenden Worten sehr häufig auch von den Perspektiven junger Menschen die Rede. Bildungsoffensive, hochschulpolitische Offensive, qualifiziertere Kinderbetreuung, nachhaltige Entwicklung des ländlichen Raumes, ein umfassendes kulturelles Angebot gerade auch für die jüngere Generation, Weiterentwicklung der Angebote in der Kinder- und Jugendhilfe usw.
Gleichzeitig wurden in der Koalitionsvereinbarung Festlegungen getroffen, die auf die Förderung des eigenen personellen Nachwuchses in der Landesverwaltung gerichtet waren. Ich zitiere:
„Die Koalitionspartner wollen dazu beitragen, dass der Lehrerberuf wieder die ihm gebührende gesellschaftliche Anerkennung erfährt.“
„Um eine homogene Altersstruktur im Polizeivollzugsdienst zu schaffen, aber auch um einer weiteren Abwanderung junger qualifizierter Schulabgänger entgegenzuwirken, beabsichtigt die Koalition, kurzfristig durch Vorziehen von für die Jahre 2006 bis 2010 vorgesehenen Einstellungen einen Einstellungskorridor zu schaffen.“
„Gleichzeitig muss Nachwuchskräften eine Chance eingeräumt werden, um zu einer ausgewogenen Altersstruktur zu gelangen.“
Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, Sie scheinen - das belegen diese Zitate - gute Absichten gehabt zu haben. Nur, Sie haben bisher nichts umgesetzt. Im Gegenteil, Sie waren nicht einmal in der Lage, innerhalb Ihres ureigensten Bereiches, der Landesverwaltung, die Perspektiven junger Menschen zu verbessern.
Natürlich ist die Schaffung von Ausbildungsplätzen und Arbeitsplätzen in erster Linie Aufgabe der Wirtschaft. Allen ist jedoch die Situation in unseren Unternehmen bekannt. Gerade weil aber die Wirtschaft derzeit nicht in der Lage ist, genügend Plätze zur Verfügung zu stellen, ist die Landesregierung in besonderer Weise gefordert.
Denn sie hat die Entwicklungsmöglichkeiten für junge Menschen deutlich verschlechtert und sie hat wieder einmal ihre eigenen Versprechen gebrochen.
Ich will dies mit einigen Beispielen untermauern: Erstens. Es gibt aktuell, also Mitte Juni, noch keine Einstellungszusage für junge Lehrerinnen und Lehrer. Im Gegenteil, es gibt einen Einstellungsstopp.
Selbst wenn sich die Landesregierung noch entschließen sollte, einen Einstellungskorridor zu öffnen, käme dies zu spät; denn viele Referendare haben sich längst in anderen Bundesländern beworben. Im Tarifvertrag sind übrigens bis zu 250 Neueinstellungen pro Jahr vereinbart worden. Aktuell heißt „bis zu“ gleich null.
Zweitens will ich an das peinliche Vorgehen bei der Beförderung oder, besser gesagt, Nichtbeförderung, Herr Professor Olbertz, von Polizeibeamten erinnern, die nach ihrer erfolgreichen Ausbildung nicht zu Kommissaren ernannt wurden. Auch dies ist ein Armutszeugnis für das Innenministerium und die Staatskanzlei.
Erst nach den massiven Protesten hat man wohl in der Landesregierung begriffen, was man in diesem Zusammenhang für einen Flurschaden angerichtet hat. Wahrscheinlich hofft man aber insgeheim, dass die jungen Polizeimeisterinnen und Polizeimeister gefrustet gen Westen ziehen, wo man sie mit Kusshand nehmen würde. Wie will man auch sonst den Personalabbau forcieren, wenn gleichzeitig die opulente Altersteilzeitregelung zu kippen droht, auf die man so gesetzt hatte?
Drittens. Entgegen der Koalitionsvereinbarung sind in diesem Jahr noch keine Polizeianwärterinnen und Polizeianwärter eingestellt worden. Wie aus der Staatskanzlei bzw. dem Innenministerium im Zusammenhang mit unterschiedlichen Zielvorgaben zu hören ist, soll stattdessen bei der Polizei massiv Personal abgebaut werden. Da die kürzlich in der Presse genannten Abbauzahlen unrealistisch sind, wird dies wieder zulasten der jungen Menschen gehen; denn es werden zukünftig weniger Anwärter eingestellt werden.
Nach den Festlegungen der Vorgängerregierung sollten ab dem nächsten Jahr jährlich 80 Polizeianwärterinnen und Polizeianwärter eingestellt werden. Nach der Koalitionsvereinbarung sind 150 Einstellungen pro Jahr vorgesehen. Der Innenminister hat diese Zahl in den vergangenen Monaten immer wieder stolz genannt.
Nicht eine Einstellung ist bisher in diesem Jahr erfolgt. Nicht einmal die 80 Einstellungen, die wir geplant haben, werden Sie, meine Damen und Herren von der CDU und der FDP, erreichen.
Viertens. Unter der alten Landesregierung wurde, auch um mit gutem Beispiel voranzugehen, jedes Jahr über den Bedarf ausgebildet. Das Ziel war es, junge Leute im
In diesem Jahr werden vom Land nur etwa halb so viel Plätze angeboten, wie zu Zeiten der SPD-Regierung. Auch hiermit schadet man dem Land. Denn wer geht, wenn Ausbildungsplätze knapp sind? - Natürlich die flexibleren. Dieser Trend ist äußerst gefährlich; denn leider werden die wenigsten von ihnen zurückkommen.
Fünftens. Ähnlich problematisch sieht es mit der Übernahme derjenigen aus, die ihre Ausbildung beim Land abgeschlossen haben. Bisher wurden alle zunächst für ein Jahr bei einer Arbeitszeit von 75 % übernommen, um ihnen den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu erleichtern. Auch dies ist in diesem Jahr noch völlig offen. Uns ist bisher nicht bekannt, ob überhaupt jemand befristet eingestellt wird. Sie können uns im Interesse der jungen Leute vielleicht heute etwas dazu mitteilen, Herr Ministerpräsident.
Meine Damen und Herren! Die Landesregierung betreibt diese Politik vor dem Hintergrund bedrückender Zahlen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist so hoch wie seit 1992 nicht mehr.
- An der Verschuldung waren Sie genauso beteiligt. Wir wollen die alten Zahlen nicht aufrühren. Hinzu kommt noch das, was Sie jetzt wieder mit Ihrem Haushalt getan haben.
Die Abwanderung setzt sich fort. Im letzten Jahr hatten wir in Sachsen-Anhalt wiederum einen negativen Wanderungssaldo. Die Bevölkerung hat noch einmal um fast 32 000 Menschen abgenommen. Wir alle wissen, dass es oft die Jungen, gut Ausgebildeten sind, die uns verlassen. Und wir wissen, dass sich darunter überproportional viele junge Frauen befinden.