Guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 62. Sitzung des Landtages von SachsenAnhalt in der vierten Wahlperiode.
Wir haben noch einen Moment warten müssen, weil die Beschlussfähigkeit, die ich aber jetzt feststellen kann, bis eben noch nicht gegeben war.
Über die Abwesenheit von Mitgliedern der Landesregierung in der heutigen Sitzung wurde bereits gestern informiert. Es handelt sich um den Ministerpräsidenten sowie um Minister Professor Dr. Paqué, die ganztägig abwesend sind. Minister Professor Olbertz ist von 13 bis 16 Uhr entschuldigt, Minister Kley ist ab 17 Uhr entschuldigt und Herr Staatsminister Robra ist ab 14 Uhr anwesend.
Wir setzen nunmehr die 32. Sitzungsperiode fort und beginnen, wie vereinbart, mit dem Tagesordnungspunkt 3. Danach folgen die Tagesordnungspunkte 4 und 11.
Wir haben dazu eine 45-Minuten-Debatte vereinbart. Ich erteile zunächst, wie es die Geschäftsordnung vorsieht, als Vertreter der fragestellenden Fraktion Herrn Oleikiewitz das Wort. Bitte schön, Herr Oleikiewitz, sprechen Sie!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben die Aussprache zur Großen Anfrage für die letzte Sitzung in diesem Halbjahr beantragt, weil wir angenommen hatten, dass zu diesem Zeitpunkt Klarheit über die finanziellen Rahmenbedingungen der Strukturfonds bestehen würde. Leider ist das nicht so. Wir mussten in den letzten Wochen erleben, wie nationale Interessen einen solchen Kompromiss verhindert haben.
Ich will nicht weiter darauf eingehen, darf aber feststellen, dass sich mir die Rolle Sachsen-Anhalts in diesem Prozess und die konkrete Position in dieser Diskussion auch nach der Beantwortung der Großen Anfrage noch nicht so richtig erschlossen haben. Vielleicht sagt Frau Wernicke in ihrem Beitrag dazu Erhellendes. Meine Unsicherheit schließt die Frage ein, ob die im Jahr 2002 beschlossene Agrarreform nach Meinung der Landesregierung wieder aufgemacht werden soll oder ob alles so bleiben soll. Darauf kann Frau Wernicke dann eingehen.
Meine Damen und Herren! Ich hatte erwartet, dass die Landesregierung in ihrer Antwort auf unsere Anfrage klare Positionen zur Konkretisierung und Untersetzung der verschiedenen Raumtypen innerhalb des ländlichen Raumes bezieht. Das hat sie leider nicht getan. Ich empfinde das als schweren Mangel und stelle fest, dass es
wenig Sinn macht, Grundsätze und Handlungsempfehlungen festzulegen, Strategien und Programme zu entwickeln, wenn niemand so richtig weiß, wo sie ihre Wirkung entfalten sollen. Hier besteht aus unserer Sicht ein enormes Defizit.
Die Untersetzung den regionalen Planungsgemeinschaften zu überlassen ist zwar ein Weg, den man gehen kann, aber das Mindeste, was man vorgeben muss, sind wohl Kriterien für die Einstufung dieser Raumtypen. Dass es für eine räumliche Gliederung, wie die Landesregierung ausführt, keine Kriterien geben kann, halte ich schon für bedenklich. Das scheint das Resultat mangelnder Unterscheidungskriterien zu sein.
Meine Damen und Herren! Die Einteilung der im Landesentwicklungsplan vorgegebenen vier Raumtypen sollte hinsichtlich ihrer Aussagekraft überdacht werden. Vielleicht kann man sich der Definition und Untersetzung von Raumtypen am ehesten nähern, wenn man als Grundlage für diese Raumtypen Kriterien bestimmt, die eine Abgrenzung der Wirtschaftskraft und der Entwicklungspotenziale beinhalten, wie zum Beispiel das Bruttoinlandsprodukt, die Bevölkerungsdichte, die Arbeitslosenquote. Es gibt eine ganze Reihe anderer Kriterien, die denkbar wären.
Meine Damen und Herren! Global und national läuft die Entwicklung der Regionen gegenwärtig nach dem Motto: Je dichter, je größer ein Ballungsraum, umso lukrativer ist er für Unternehmen. - Das ist nicht falsch, aber der internationale Wettbewerb vollzieht sich dann natürlich nur zwischen diesen Ballungsräumen, zwischen den Zentren wie zum Beispiel zwischen Hamburg und Shanghai, aber nicht zwischen der Altmark und einem Ort in Spanien. Dieser internationale Wettbewerb schafft wirtschaftliche Anreize, die darauf gerichtet sind, ein rein quantitatives Wachstum zu sichern.
Strukturschwache Regionen werden von dieser Entwicklung zunehmend abgehängt. Das ist besonders dramatisch - wir erleben das, wenn wir Fernsehen schauen - in China. Das ist aber auch in anderen Regionen dieser Erde so und das ist auch bei uns so. Strukturschwache Regionen werden von dieser Entwicklung abgehängt. Das schafft neue Probleme für die Politik, das schafft vor allen Dingen Probleme für die Menschen, die in diesen Regionen wohnen, das schafft Probleme für die Kommunen, die die Daseinsvorsorge für die Menschen in diesen Regionen betreiben müssen.
Wir haben in den letzten 15 Jahren in Sachsen-Anhalt ein umfangreiches Dorferneuerungsprogramm realisiert. Das ist gut so. Die Bausubstanz in unseren Dörfern wurde erheblich aufgewertet, die Infrastruktur wurde wiederhergestellt und durch Neubaumaßnahmen ergänzt. Die Landwirtschaft hat sich zu einem wettbewerbsfähigen Wirtschaftszweig entwickelt und die Ernährungswirtschaft weist die höchsten Zuwachsraten im verarbeitenden Gewerbe auf.
Alles das ist allerdings kein Grund, sich zurückzulehnen; denn die Tatsache, dass die Zahl der Arbeitsplätze in der Landwirtschaft in den vergangenen 15 Jahren von ca. 200 000 auf ca. 25 000 zurückging und die Bevölkerungsdichte sowie das Angebot an Beschäftigung in diesen Räumen kontinuierlich sinken, macht deutlich, welche gravierenden Probleme noch immer zu bewältigen sind.
Betrachtet man zum Beispiel die Dorferneuerung und hinterfragt, wie viele Arbeitsplätze mit diesem Programm
eigentlich langfristig gesichert oder geschaffen wurden, so fällt die Bilanz angesichts der hohen Summen doch recht ernüchternd aus, ohne die Bedeutung der Dorferneuerung in den letzten 15 Jahren kleinreden zu wollen. Wir wollten sie und wir stehen dazu. Es stellt sich aber die unbequeme Frage, ob sie denn das richtige Instrument für die Zukunft ist, um insbesondere junge Familien in den ländlichen Räumen zu halten.
Leider scheint das nicht der Fall zu sein. Die aktuelle Situation in diesen Gebieten führt uns das täglich vor Augen; denn Fördermittel für ein neues Dach werden neue, werden junge Menschen - das können auch neue Menschen sein - nicht davon abhalten, das Land zu verlassen und dahin zu gehen, wo es Arbeit gibt, vielleicht auch lukrativere Arbeit. Es ist also viel wichtiger, die geringer werdenden Fördermittel so einzusetzen, dass junge Familien in Sachsen-Anhalt in die Lage versetzt werden, das Dach, das sie reparieren wollen und unter dem sie auch noch wohnen werden, selbst zu bezahlen.
Der Schwerpunkt des neuen Entwicklungsfonds für den ländlichen Raum liegt im Gegensatz zur Vergangenheit nicht mehr so explizit bei der Landwirtschaft. Mit der neuen EU-Förderperiode werden insbesondere die Bedingungen für die Unterstützung von Kleinunternehmen außerhalb der Landwirtschaft verbessert. Das kann nur begrüßt werden; denn das kann möglicherweise helfen, die Entwicklung wenigstens aufzuhalten, wenn sie schon nicht umzukehren ist.
Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, dass ich kurz auf die zu erstellenden integrierten ländlichen Entwicklungskonzepte eingehe. Maßgeblich für diese Konzepte dürfte sein, dass möglichst viele Bürger eingebunden werden. Um das zu erreichen, halten wir die Ebene der im Landesentwicklungsplan ausgewiesenen zentralen Orte mit ihren Einzugsbereichen für angemessen. Die Koordination und Unterstützung durch Regionalmanager könnte bei den regionalen Planungsgemeinschaften erfolgen.
Die Idee der Landesregierung, eine Allianz für den ländlichen Raum ins Leben zu rufen, begrüßen wir. Das finden wir gut und würden uns gern in diese Allianz einbringen.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich die Anforderungen an eine zukunftsfähige Entwicklung des ländlichen Raumes abschließend zusammenfassen. Ich möchte drei Anforderungen an die zukünftige Politik für den ländlichen Raum formulieren:
Erstens. Die Situation im ländlichen Raum in unserem Land ist außerordentlich differenziert. Deshalb bedarf es unterschiedlicher Herangehensweisen an die Lösungen. Wir brauchen also unterschiedliche Lösungsansätze in unseren ländlichen Räumen. Dem muss durch integrierte ländliche Entwicklungskonzepte auf der Grundlage der zentralen Orte mit ihren Einzugsbereichen Rechnung getragen werden.
Zweitens. Der ländliche Raum braucht verlässliche Rahmenbedingungen in Form von Mindeststandards für Dienstleistungs- und Versorgungseinrichtungen wie Kinderbetreuungseinrichtungen, Schulen, Krankenhäuser und andere Einrichtungen der medizinischen Versorgung, um langfristig insbesondere für junge Familien attraktiv zu bleiben und zu werden.
Drittens. Der ländliche Raum braucht mehr Flexibilität und Eigeninitiative. Um das zu erreichen, müssen die Entscheidungen über die einzelnen Projekte dort getrof
Vielen Dank, Herr Oleikiewitz. - Nun erteile ich der Ministerin für Landwirtschaft und Umwelt Frau Wernicke das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben vor zwei Monaten, am 14. April 2005, an der gleichen Stelle bereits auf der Grundlage der Großen Anfrage der PDS-Fraktion über die Situation in den ländlichen Räumen in Sachsen-Anhalt debattiert.
Aus dieser Debatte sind mir noch besonders die Schlussworte des Kollegen Krause in Erinnerung. Er fasste zusammen, dass es hinsichtlich der Situation im ländlichen Raum und hinsichtlich seiner Probleme sowohl zwischen der Landesregierung und der Opposition als auch zwischen den Parteien nicht viel Dissens gibt. Sein Wunsch, dass wir an einem Strang ziehen, wird sicherlich von allen geteilt. Mit dem von Herrn Krause damals angemahnten Elan hat die Landesregierung das Thema schon früh aufgegriffen.
Doch wir werden dabei insbesondere von verschiedenen Rahmenbedingungen ausgebremst. Herr Oleikiewitz hat schon darauf hingewiesen; auch ich werde an entsprechender Stelle noch einmal darauf eingehen. Aber ich stelle fest, dass sich seit der Aussprache im April 2005 einiges getan und die Landesregierung erfreuliche Fortschritte erzielt hat.
Am 13. April 2005 wurde unter meiner Leitung die „Allianz Ländlicher Raum“ als Informations-, Beratungs- und Ideenbündelungsgremium gegründet. Ich erinnere daran, dass wir in der Allianz mit den kommunalen Spitzenverbänden, den Industrie- und Handelskammern, den Handwerkskammern, den wissenschaftlichen Einrichtungen, den Wirtschafts- und Sozialpartnern für den ländlichen Raum, dem Arbeitgeberverband, den Gewerkschaften, den landwirtschaftlichen Berufsverbänden, den Naturschutzverbänden, den Verbänden der Forstwirtschaft sowie mit den für die Belange des ländlichen Raumes einzubeziehenden Ressorts der Landesregierung sehr effektiv zusammenarbeiten.
Die Landesregierung hat die Notwendigkeit eines sektorübergreifenden Ansatzes nicht nur erkannt, sondern praktiziert diesen schon. Die ersten Zusammenkünfte im Rahmen dieser Allianz bestätigen die Richtigkeit dieser Herangehensweise.
In der Gründungsversammlung wurden die Mitglieder aufgefordert, Diskussionsschwerpunkte aus ihrer Sicht zu formulieren. Die eingegangenen Stellungnahmen sind ausgewertet worden und es ergeben sich vier Schwerpunktthemen, erstens „Verbesserung der Wirtschaftskraft im ländlichen Raum“, zweitens „Abwanderung vornehmlich junger Leute aus den Dörfern“, „Stärkung der kommunalen Daseinsvorsorge im ländlichen Raum“ als dritter Schwerpunkt; als vierter Schwerpunkt wurde „Zukunftsweisender Natur- und Umweltschutz“ formuliert.
In der zweiten Beratung am 8. Juni 2005 wurde schwerpunktmäßig der erste Schwerpunkt „Verbesserung der Wirtschaftskraft im ländlichen Raum“ behandelt, wobei
auch festgestellt worden ist, dass diese Schwerpunkte ineinander greifen. Konkret sind folgende fünf Zielrichtungen herausgearbeitet worden:
Erstens. Durch eine gezielte Unterstützung des Handwerks, des Gewerbes und von Dienstleistungen müssen Arbeitsplätze im ländlichen Raum gehalten und geschaffen werden. Durch eine Verzahnung oder Vernetzung verschiedener Maßnahmen mit innerörtlichen Baumaßnahmen, Umnutzung, Abriss, Diversifizierung bei Dorferneuerung und Dorfentwicklung können dörfliche Entwicklungskerne initiiert werden. Der Vorrang von dörflicher Innenentwicklung vor Außenentwicklung auf der grünen Wiese, verbunden mit der Schaffung von Wohneigentum, erzeugt Haltekräfte im ländlichen Raum, insbesondere für junge Familien.
Zweitens. Sachsen-Anhalt verfügt über die unterschiedlichsten Kultur- und Naturlandschaften. Diese stellen ein herausragendes und erhaltenswertes Erbe dar, das für die Entwicklung des Landes genutzt werden muss. Naturschutz ist nicht Selbstzweck, denn die Natur ist eine unverzichtbare Lebens- und auch Wirtschaftsgrundlage. Unsere Natur dient als wichtige Ressource für wirtschaftliche Tätigkeiten und ist außerdem Voraussetzung für eine Vielzahl von Sport-, Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten, für die Gesundheitsfürsorge und die medizinische Therapie.
Ein Naturpark kann zum Beispiel zum Motor für eine nachhaltige lokale Wirtschaftsentwicklung werden und damit einen wichtigen Beitrag zum Erhalt lokaler ländlicher Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaften leisten.
Als drittes Ziel ist festzuhalten: Die vorhandenen Tourismusschwerpunkte „Straße der Romanik“, „Blaues Band“ und „Gartenträume“ sollen durch Verknüpfung mit Landwirtschaft, durch Verknüpfung mit Dienstleistungen im ländlichen Raum gestärkt werden.
Zudem sollen die touristische Infrastruktur und die Vernetzung verschiedener Tourismusangebote untereinander sowie mit Umweltbildungs- und Umwelterziehungsmaßnahmen verbessert werden. Dieser Komplex erschließt noch erhebliches Wachstumspotenzial an Arbeitsplätzen und Finanzzuflüssen aus anderen Regionen in das Land.
Vierte Zielrichtung: Gezielte Förderung von Unternehmensgründungen, zum Beispiel durch Unterstützung beim Erwerb von Gewerbebetrieben, bei der Meisterausbildung oder bei der Bereitstellung preiswerten Grund und Bodens aus innerörtlichen Abrissflächen. Es soll also eine direkte Förderung der Kleinbetriebe in Handel, Gewerbe und im Dienstleistungsbereich erfolgen, um dadurch auch einen höheren Anteil Selbständiger zu erhalten und die Wirtschaftskraft zu stärken.
Als letzte Zielrichtung: Die Bereiche Bildung, unternehmerisches Denken und bürgerliches Engagement sind Faktoren, die die ländliche Entwicklung entscheidend beeinflussen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, gibt aber die Zielrichtung und die Schwerpunkte an. Es gilt insbesondere die Rahmenbedingungen für Handel und Wandel zu verändern, Förderverfahren zu vereinfachen, Entbürokratisierung und Deregulierung weiter zu verfolgen.
Die Landesregierung setzt den Weg der Investitionserleichterung konsequent fort, um den Wirtschaftsstandort Sachsen-Anhalt attraktiver zu gestalten. Die reduzierten Fördermittel der EU und der Gemeinschaftsaufgabe zwingen uns dazu, diese noch konzentrierter einzusetzen. Ich glaube, dazu gibt es in diesem Hohen Hause auch keinen Dissens.